Der Begriff „Pazifismus“ [1]
Unter Pazifismus (lat. pacificus: Frieden stiftend) ist einerseits eine menschliche Überzeugung, andererseits auch eine politische Bewegung zu verstehen. Die pazifistische Haltung richtet sich aus ethischen oder religiösen Gründen gegen den Einsatz von Gewalt, besonders militärischer Gewalt. Sie ist geprägt von einer grundsätzlichen Kriegsgegnerschaft, das heißt, Kriege werden in jedem Fall abgelehnt. Pazifist*innen treten dagegen für den gewaltlosen Widerstand ein. Das bedeutet, dass sich selbst im Falle eines kriegerischen Angriffs der betroffene Staat keiner militärischen Mittel zur Verteidigung bedienen, sondern gewaltfrei und friedlich handeln sollen.
Zwei der bekanntesten Vertreter des Pazifismus sind Mahatma Gandhi (1869–1948) und Dr. Martin Luther King, jr. (1929–1968). Beide kämpften gewaltlos für ihre Ideen, Mahatma Gandhi für die Unabhängigkeit Indiens von der britischen Kolonialmacht und Martin Luther King für die Gleichberechtigung der farbigen Bevölkerung in den USA.
Der Pazifismus hat seine Wurzeln im christlichen Glauben, aber auch in anderen Religionen und Kulturen. Schon im 19. Jahrhundert wurde er von sogenannten Friedensgesellschaften praktiziert und unterstützt. Speziell unter dem Eindruck der zwei Weltkriege, aber auch infolge späterer kriegerischer Auseinandersetzungen wie dem Vietnamkrieg bekannten sich immer wieder viele Menschen zum Pazifismus. So fanden nach dem Zweiten Weltkrieg pazifistische Grundsätze Eingang in die Charta der Vereinten Nationen und in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. In Deutschland formierte sich während des Kalten Krieges eine aktive Friedensbewegung, die gegen die atomare Aufrüstung demonstrierte. Sie hat ihren Ort in staatlichen, gesellschaftlichen und religiösen Gruppen. Der moderne Friedensforscher Johan Galtung (geboren 1930) hat das Nachdenken über Friedenskonzepte als die größte geistige Herausforderung unserer Zeit bezeichnet.
Geschichtliche Stationen des Pazifismus[2]
Eine organisierte Friedensbewegung entstand durch Bertha von Suttner (1843-1914) auf deutschem Boden erstmals 1892 mit der Gründung der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG). Diese Gesellschaft trat für die Solidarität der Völker untereinander, für Abrüstung und für obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit ein. Aus diesem Grund wurde sie von den mächtigen nationalistischen und militaristischen Verbänden heftig bekämpft. Die etwa 10.000 Pazifist*innen, die sich in der DFG zusammenschlossen, galten als „undeutsch“, weil „internationalistisch“ und „weibisch“, weil kriegsverneinend.
Während des Ersten Weltkriegs wurden die Schriftwerke der Mitglieder zensiert, überwacht, es kam zu Emigrationen, zu Anklagen und Prozessen wegen Landes- und Hochverrats, etwa der Geschäftsführerin des DFG, Elsbeth Bruck (1874-1970).
In der Zeit der Weimarer Republik konnte sich die Friedensbewegung politisch engagieren, das Engagement zerbrach allerdings an der Härte des Versailler Vertrags. Ziele waren der Kampf gegen die geheime Rüstung der Reichswehr, gegen die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht und für den politischen Generalstreik als Mittel der Kriegsverhinderung. Ludwig Quidde (1858-1941), einer der wichtigsten Mitglieder der DFG, und der Franzose Ferdinand Buisson (1841-1932) erhielten für ihr pazifistisches Engagement 1927 den Friedensnobelpreis.
Niederschlag fand das pazifistische Gedankengut in der Zeit der Weimarer Republik weniger in der Realpolitik, dafür aber vor allem in der Literatur (Arnold Zweig, Heinrich Mann), in der Malerei (Käthe Kollwitz, Otto Dix) und bei Wissenschaftlern (Albert Einstein).
Am 09. März 1933 wurde das Büro der Deutschen Friedensgesellschaft von den Nationalsozialisten gewaltsam aufgelöst. Mitglieder wurden verfolgt, ermordet oder in Konzentrationslager verschleppt
Über die Charta der Vereinten Nationen, über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und über zahlreiche gesellschaftliche und religiöse Organisationen kam es zur Etablierung der pazifistischen Gedanken nach dem Zweiten Weltkrieg.
Pazifismus als Haltung des/der Einzelnen[3]
Das kurze Interview mit dem Philosophen Jay Garfield in der Reihe „Ethische Alltagsfragen“ weist auf einige Grundsätze des pazifistischen Denkens hin, die z.T. zurückgehen auf Mahatma Gandhi, die aber auch zeitgenössischer Ethik entsprechen. Sie seien hier kurz referiert:
- In der Schrift “Between Cowardice and Violence” (Zwischen Feigheit und Gewalt) schreibt Gandhi: „Ich glaube, dass ich dort, wo es nur die Wahl zwischen Feigheit und Gewalt gibt, zur Gewalt raten würde. [… ] Mir wäre es lieber, Indien würde zu den Waffen greifen, um seine Ehre zu verteidigen, als dass es auf feige Weise zum hilflosen Zeugen seiner eigenen Unehrenhaftigkeit wird oder bleibt. Aber ich glaube auch, dass dieGewaltlosigkeit der Gewalt unendlich überlegen ist, dass zu vergeben mannhafter ist als zu bestrafen. Vergebung schmückt einen Soldaten. […] Aber das Abstandnehmen von Gewalt kann nur dann Vergebung genannt werden, wenn man die Macht zur Bestrafung hat; sie ist bedeutungslos, wenn sie vorgibt, von einem hilflosen Geschöpf auszugehen. Aber ich glaube nicht, dass Indien hilflos ist. Ich glaube nicht, dass ich eine hilflose Kreatur bin. Stärke kommt nicht von körperlicher Fähigkeit. Sie kommt von einem unbezwingbaren Willen.“
- Garfield stellt die These auf, dass es, wenn es möglich sei, sich der Gewalt gewaltlos zu widersetzen, sei dies viel besser, als sich mit Gewalt zu wehren. Es geht um die beständige Mühe, Konflikte gewaltfrei zu lösen.
- Wenn – wie in der Ukraine – der Gegner solche Werte nicht hat und bereit ist, Zivilisten zu ermorden, um seine Ziele zu erreichen, schlägt Garfield vor, auf Gandhis Rat zu hören.
- Aber: Entscheidend ist die Motivation und die Haltung: Wir tun dies, um den Menschen Schutz zu bieten und nicht, um den Gegner zu bestrafen. Wir schützen Unschuldige und handeln nicht aus Wut oder Feindseligkeit (Jay Garfield).
- Garfield schließt das Interview mit den Worten: „Zugegeben, es ist enorm schwierig, ohne Wut, Hass oder Rachsucht Gewalt anzuwenden oder andere darin zu unterstützen. Doch das Prinzip der Gewaltlosigkeit verlangt dies von uns, auch wenn die äußeren Umstände dazu zwingen, äußerlich Gewalt anzuwenden. Wer mit der eigenen Meinung und Motivation nicht vorsichtig umgeht, sinkt auf das Niveau seines Gegners. Dann wird der Friede unmöglich, sei es der innere Friede oder der Frieden, den wir schaffen müssen, wenn wir die Waffen niedergelegt haben.“
Zwei Zitate aus den Religionen:
- Dalai Lama, Das Lächeln des Himmels: „Wir alle teilen uns diesen kleinen Planeten Erde und müssen lernen, in Frieden und Harmonie miteinander zu leben. Dies ist nicht bloß ein Traum, sondern eine Notwendigkeit. Es ist nicht nötig, ein Buddhist zu sein, um an Prinzipien wie Gewaltlosigkeit Gefallen zu finden. Ich persönlich behandle meine Feinde wie Kostbarkeiten. Nur wenn ich ihnen gegenüber die Prinzipien von Selbstlosigkeit und Pazifismus anwenden kann, habe ich sie wirklich verinnerlicht. Es ist allzu einfach, ein guter Mensch zu sein, wenn man nur von Freunden umgeben ist. Feinde sind die besten Gurus.“
- Vatikanisches Konzil, Gaudium et spes, Art. 78: „Der Friede besteht nicht darin, dass kein Krieg ist; er lässt sich auch nicht bloß durch das Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot eines Starken; er heißt vielmehr und mit Recht ein ‚Werk der Gerechtigkeit‘ (Jes 32,17)“
Zum Weiterlesen:
- Hart, aber nötig. Pazifismus in Zeiten des Krieges – [online] https://taz.de/Pazifismus-in-Zeiten-des-Krieges/!5885293/ [10.04.2024] – Artikel vom Oktober 2022
- Die Christen und der Krieg. Friedensarbeit in der Kirche [online] https://taz.de/Friedensarbeit-in-der-Kirche/!5935628/ [10.04.2024] – Artikel vom Juni 2023
- Maßmann, Alexander (2022): Ist Pazifismus die einzige christliche Option? [online] https://www.evangelisch.de/inhalte/206282/29-09-2022/kolumne-evangelisch-kontrovers-ist-pazifismus-die-einzige-christliche-option [10.04.2024]
- Schäfers, Burkhard (2014): Nicht nur pazifistisch, das Christentum [online] https://www.deutschlandfunk.de/reihe-glauben-und-gewalt-nicht-nur-pazifistisch-das-100.html [10.04.2024]
- Renoldner, Severin (2023): Pazifismus, Verteidigung und Friedensmoral im Ukrainekrieg [online] https://www.uibk.ac.at/iup/buch_pdfs/politik-des-evangeliums/10.15203-99106-107-6-04.pdf [10…042024]
Köln, 08.12.2024
Harald Klein
[1] [online] https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/krieg-in-den-medien/500432/pazifismus/#:~:text=So%20fanden%20nach%20dem%20Zweiten,gegen%20die%20atomare%20Aufrüstung%20demonstrierte[10.04.2024]
[2] Dieter Riesenberger, Friedensbewegung (Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg), publiziert am 12.06.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Friedensbewegung_(Von_den_Anfängen_bis_zum_Zweiten_Weltkrieg)>(10.04.2024)
[3] vgl. den Artikel von Jay Garfield in Ethik heute: [online] https://ethik-heute.org/kann-man-heute-noch-pazifist-sein/ [10.04.2024]