Ins Leere laufen
Für jemanden, der lange in Schule und Hochschule gearbeitet hat, werden die Ostertage nicht so sehr liturgisch gezählt. Da geht das Triduum paschale, da gehen die österlichen Tage mit der Feier des letzten Abendmahls am Abend des Gründonnerstags los und enden mit dem schulfreien Ostermontag, dem Emmaus-Evangelium und dem gleichnamigen Emmausgang, der zum Osterfrühstück führt.
Man könnte es auch anders sagen: Die Ostertage beginnen mit dem Pascha, dem Vorübergang des Herrn an den Häusern der Israeliten in Ägypten, und sie enden in der Weggemeinschaft der beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus mit dem Auferstandenen.
Um an unserm roten Faden der letzten Tage dran zu bleiben: Schauen Sie doch einmal auf Kleopas und seinen namenlosen Gefährten wie auf zwei Jünger, die Gott suchten, die vielleicht eine Zeit mit Jesus und den Seinen unterwegs waren, sich zu seinen Jüngern zählten und jetzt auf dem Weg nach Emmaus sind. Stellen Sie sich ruhig vor, der zweite Jünger trüge Ihren Namen. Man weiß nicht so recht, sind sie wirklich auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, oder sind sie auf dem Weg, der wegführt von Jerusalem? Das entscheiden Sie für sich, als der zweite, jetzt nicht mehr namenlose Jünger.
Wie mögen sie gehen auf diesem Weg, mit welcher Haltung, in welchem Tempo, und wie mögen ihre Stimme klingen, wenn sie über all das sprechen, was sich ereignet hatte. Haben Sie dieses Bild vor Augen? Haben Sie den Klang der Stimmen in den Ohren?
Und jetzt kommt eine kleine paradoxe Intervention. Stellen Sie sich vor, Lukas würde schreiben: „Und es geschah, während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, – nichts.“ Anders ausgedrückt: Niemand kommt hinzu, keiner fragt, was das für Dinge seien, über sie miteinander reden, kein Mensch – erst recht kein Gott – würde sich die Geschichte der Jünger mit Jesus, mit den Frauen, den Engeln in Jerusalem anhören, und niemand würde ihnen darlegen, ausgehend von Mose und den Propheten, was in der gesamte Schrift über den Messias geschrieben stünde.
Sie können den Ton ahnen, die Traurigkeit und auch den Zorn sehen, wenn die Worte die gleichen sind, aber nicht zu dem, der dazu stieß, sondern nur zum andern Jünger gesagt werden: „Er war Prophet, mächtig in Wort und Tat, und die Hohepriester haben ihn ans Kreuz schlagen lassen. Mensch, und ich hatte so gehofft… Und dann die Frauen! Engel seien erschienen, Jesu würde leben, aber gefunden haben sie ihn nicht.
Was, wenn da keiner dazukommt? Kleopas und der andere Jünger, Kleopas und Sie, Sie beide liefen schlicht ins Leere. Klingt traurig, oder – und ich bin mir sicher, dass Sie alle eine Menge solcher Wege kennen, die ins Leere gehen, gleich, ob Sie diese Wege in Gedanken, allein oder mit anderen gehen.
Osterglaube – dem Leben und Erleben einen neuen Rahmen geben
Die Emmaus-Erzählung bleibt nicht bei diesem Weg ins Leere stehen. Ungerufen, ungebeten kommt Jesus hinzu. – so steht es in der alten Einheitsübersetzung. Die neue Einheitsübersetzung präzisiert: „kam Jesus selbst hinzu“, von sich aus, oder auch: Jesus mit Leib und Seele. Er hört sich die Niedergeschlagenheit von Kleopas und dem anderen Jünger – Sie wissen ja… – an, und dann kommt die alles entscheidende Frage. In der alten Einheitsübersetzung: „Begreift ihr denn nicht? Wie schwer fällt es euch, alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben?“ Und in der neuen Einheitsübersetzung: „Ihr Unverständigen, deren Herz zu träge ist, um alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben.“ Und dann kommt das „Und er legte ihnen dar…“, später dann nach dem Mahl gehen ihnen die Augen auf und brennt ihnen das Herz.
Das ist eine wunderschöne Zusammenfassung dessen, was an Ostern geschieht. Drei Punkte fassen das gut zusammen:
Ein Erstes: Es ist nicht der Plan, der Wille und das Ziel Gottes, uns Menschen ins Leere laufen zu lassen. Im Emmaus-Evangelium heißt es: „Während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus selbst hinzu und ging mit ihnen.“ In einem Buch aus dem 12. Jahrhundert beginnt der Zisterzienserabt Aelred von Rieval einen Dialog mit seinem Novizen mit den Worten: „Ecce, ego et tu, et spero quod tertium inter nos Christus sit“ – „Siehe, ich und Du, und ich hoffe, der dritte unter uns möge Christus sein.“ Darauf können wir bauen: „… et tertium inter nos Christus sit!“
Ein Zweites: Es ist die paradoxe Intervention Gottes, dass er uns, durch wen und wie auch immer, die Möglichkeit gibt, unserem Leben und Erleben einen neuen Rahmen zu geben. Gott ist ein ansprechender Gott! Das sind dann die „Anfangsworte“ von denen am Ostersonntag die Rede war. Und das ist der Rahmen einer guten Spiritualität, die es ermöglicht, verschiedene Wirklichkeiten und Deutungsmuster im Geiste Christis zu suchen und so sein Leben zu verstehen, anzunehmen, zu gestalten. Im Emmaus-Evangelium gehen die beiden Jünger zurück nach Jerusalem und erzählen den Elf, was sie unterwegs erlebt hatten und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach. Offene Augen und ein brennendes Herz sind Garanten dafür, dass der Rahmen, den Sie wählen, richtig ist.
Ein Drittes: Bei der Suche nach Gott steht man sich oft selbst im Weg mit der eigenen Geschichte oder mit der Geschichte, die gerade um einen herum geschieht. Es ist durchaus gut, Gott zu suchen, keine Frage, aber wichtiger als das Bemühen, Gott zu suchen, ist der Glaube und das Vertrauen, dass Gott mich finden wird. „Während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus selbst hinzu und ging mit ihnen“, heißt es im Emmaus-Evangelium. Wer ist mit mir unterwegs, wen habe ich gesucht, wer hat mich gefunden? Was dem entgegensteht, Jesus in ihm, in ihr zu erkennen ist ein träges Herz (in der neuen Einheitsübersetzung) und eine Begriffsstutzigkeit und Schwerfälligkeit im Glauben (in der alten Einheitsübersetzung). Es braucht eben „Osteraugen“, einen wachen Blick auf die Gegenwart Jesu in so vielem und so vielen – selbst in mir. Ich darf suchen – aber wichtiger ist, mich finden zu lassen von ihm. Manche Lebensstationen zeigen das, was geschieht, wenn ich einfach gefunden „werde“, ohne selbst gesucht zu haben. Da wird der Rahmen des Lebens weiter, und das, was im Rahmen drinsteckt, die, die neu im Rahmen Einzug genommen haben, machen mein Leben reicher. Noch einmal: Gott ist ein ansprechender Gott – wie und durch wen auch immer! Manche Freundschaften fangen so an, manche Ehen und Partnerschaften, manche Biographien in den Gemeinschaften.
Jochen Klepper[1] fasst das schön in einem verdichteten Gebet zusammen:
Sieh nicht an, was du selber bist
in deiner Schuld und Schwäche.
Sieh den an, der gekommen ist,
damit er für dich spreche.
Sieh an, was dir heut widerfährt,
heut, da dein Heiland eingekehrt,
die wieder heimzubringen
auf adlerstarken Schwingen.
Glaubst du auch nicht, bleibt er doch treu,
er hält, was er verkündet.
Er wird Geschöpf und schafft dich neu
den er im Unheil findet.
Weil er sich nicht verleugnen kann,
sieh ihn, nicht deine Schuld mehr an.
Er hat sich selbst gebunden.
Er sucht, Du wirst gefunden.
Amen.
Köln 11.04.2020
Harald Klein
[1] Vgl. Benediktinerabtei Maria Laach/Kath. Bibelwerk (Hrsg.) (2020): Te Deum. Das Stundengebet im Alltag, Ausgabe April 2020, 94.