Ostern – Auferstehung, oder: (Sich) Ausrichten

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„… es gibt immer einen Weg hindurch“

Sie erinnern sich an das Zitat von Eckhart Tolle, das die Situation der Panikzone im Leben und Geschick Jesu an Karfreitag so treffend umschreibt: „Wenn es keinen Weg hinaus gibt, gibt es immer einen Weg hindurch.“[1] Ostern feiern heißt nichts anderes, als durch den ausweglosen Karfreitag, durch das Leiden hindurch gegangen zu sein und es jetzt, gezeichnet davon, geschwächt, vielleicht aber auch gestärkt, dieses Leiden entweder hinter sich zu wissen oder staunend zu sehen, es bestanden zu haben.

Nach dem Erleben und dem Durchleben, dem Leben in Komfort-, Lern- und Panikzone zeichnet sich etwas an dieser Stelle Neues ab (Achtung: es geht um etwas wirklich Neues, nicht das Wiederaufleben des Alten!). Es ist die Phase, in der noch lange nicht von einer neuen Komfortzone gesprochen werden kann, wo sie vielleicht noch nicht einmal sichtbar oder greifbar ist – aber sie kann erahnt werden, zeichnet sich ab, sie gewinnt Kontur, sie hat etwas beinahe Verlockendes. Durchatmen, aufrichten, ausrichten: Da soll es jetzt hingehen.

» Die Sinne still, klar der Verstand,... «
Khema, Ayya (2014): Nicht so viel denken, mehr lieben, Buddha und Jesus im Dialog, Uttenbühl, 4. Aufl., 11.

Auferstehung – ein innerliches (Sich) Ausrichten

„Die Sinne still, klar der Verstand“ – Die Lehrrede des Buddha über die Liebende Güte benennt diese beiden inneren Ausrichtungen des eigenen Geistes ziemlich zu Beginn als notwendige Haltungen, die zum Frieden des Geistes führen können – was ungefähr dasselbe meint wie Begriff der „Komfortzone“, zumindest im geistlich-spirituellen Sprachgebrauch.

Dieses innere (Sich) Ausrichten können Sie in diesem kleinen österlichen Dialog am leeren Grab zwischen Maria Magdalena und dem auferstandenen Jesus, den sie für den Gärtner hält, nachlesen. Angesprochen mit „Frau, warum weinst du? Wen suchst du“ – dem Verweis auf die Panikzone des Karfreitags und des möglichen Leichenraubs – antwortet sie im gleichen Geist: „Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen.“ Die Angst, die Sorge der Maria Magdalena ändert sich, als der Auferstandene zu ihr sagt: „Maria“, sie nur bei ihrem Namen nennt. Welchen Klang mag ihre Stimme wohl gehabt haben, als sie ihm, ihn erkennend, antwortet: „Rabbuni!“ Der Blick geht nicht mehr ins leere Grab, das für die Panikzone des Karfreitages steht. Ihr Blick geht ganz auf den, den sie als den Gärtner wähnte und der jetzt sie beim Namen, mit allem was dazugehört, nennt.

Auferstehung als ein inneres (Sich) Ausrichten kennt die systemische Psychologie unter dem Begriff „Refraiming“ – etwas, manchmal alles in einen neuen Rahmen setzen. Das Grab bleibt, und es bleibt leer. Der Karfreitag bleibt, und er bleibt unfassbar. An den Fakten, am Geschehen und am Geschick ändert sich nichts! Und doch zeichnet sich am Horizont etwas ab, das nicht nur als Überleben, sondern als Leben schlechthin bezeichnet werden darf. Die Begegnung mit dem, der was auch immer mehr ist als der Gärtner – die wird innerlich gedeutet, so, dass Maria Magdalena sich innerlich neu ausrichtet. Refraiming als Lernzone Maria Magdalenas: Die Welt bekommt andere Farben, das Leben einen anderen Geschmack. Es fällt mir nicht schwer, hier von Auferstehung zu reden.

» Als Gefährte/Gefährtin zu leben bedeutet, geistig und geistlich auf dem Weg zu bleiben und von daher immer wieder aus Sicherheiten und Geborgenheit aufzubrechen. Die Gefährtenschaft ist die am wenigsten gesicherte Lebensform. Sie kennt weder eine exklusive (Partnerschaft) noch eine inklusive Bindung (Gemeinschaft), sondern versteht sich als partizipativ, als Wegbegleitung anderer durch Menschen, als selbst-ständige bzw. allein-stehende Form christlicher Existenz.«
Gmainer-Pranzl, Franz (2011): Alleine leben – andere begleiten, in: ders. (Hrsg.): Alleine leben – mit anderen sein. Ein christlicher Lebensentwurf, Würzburg, 78.

Auferstehung – ein äußerliches (Sich) Ausrichten

Ein Zweites: Sie können sich das „Durchstehen“ des Karfreitages der Maria Magdalena, das sicher eher ein „Durchwandern“ war so vorstellen, dass der „Weg hindurch“ jetzt ein Ende gefunden hat, zumindest ein eine Phase gekommen ist, der eine Neu-Ausrichtung braucht. Innerlich ist es schon passiert! Äußerlich ist das Wort dafür das Wort des Auferstandenen, des „Gärtners“: „Halte mich nicht fest!“ Sich nach außen neu ausrichten heißt zuallererst, loszulassen! Die alten Überzeugungen und die eigenen Glaubenssätze, vielleicht auch die damit verbundenen Bindungen an Orte, Häuser, Familien, Einrichtungen, Institutionen. Wer/was Bestand hat, wer/was Leben verheißt, wer/was dem „Frieden des Geistes“ dient, wird bleiben – alle anderen und alles andere können Sie fahren, können Sie fallen lassen.

Dem „Halte mich nicht fest“ folgt das „Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Das äußerliche (Sich) Ausrichten zielt auf die Menschen, denen Sie, denen ich mich (vielleicht neu) zugehörig fühle. Mein liebstes Wort dafür ist das der Gefährtinnen und Gefährten. Ausschau halten nach Menschen, die „geistes-verwandt“ sind, mit denen ich „mein Gott und euer Gott“ und „mein Vater und euer Vater“ teilen und leben kann, ohne dass es religiös oder fromm verbrämt ist. Es fällt mir auch hier nicht schwer, von Auferstehung zu reden.

» Die Fähigkeit, in einer guten Weise alleine zu leben, selbstständig und beziehungsfreudig zu sein und sich in allem eine echte innere Freiheit zu bewahren, stellt zweifellos das Schlüsselkriterium authentischer Gefährtenschaft dar. «
Gmainer-Pranzl, Franz (2011): Alleine leben – andere begleiten, in: ders. (Hrsg.): Alleine leben – mit anderen sein. Ein christlicher Lebensentwurf, Würzburg, 78.

Den Lebenden/das Leben nicht bei den Toten/bei Totem suchen

In einem anderen Auferstehungsevangelium, in Lk 24,4f, fragen zwei Männer in leuchtenden Gewändern die Frauen, die zum Grab kommen und jetzt ratlos dastehen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ – „Was sucht ihr…?“ Oder: „Was habt Ihr, was habe ich gefunden?“

An diesem Osterfest sind mir drei Dinge wichtig: (1) Die Möglichkeit des Refraiming, des Umdeutens lebensgeschichtlicher Situationen, sind Grundlage für Erfahrungen von Auferstehung. (2) Ich darf mich vom Auferstandenen her bei meinem Namen – mit allen, was dazu gehört, gerufen wissen, um mit ihm in einer inneren Ausrichtung mehr und tiefer ins Leben zu kommen. Und (3) ich habe um dieser Auferstehung willen die Freiheit, alle und alles, was am Leben hindert, hinter mir zu lassen, um in einer Gemeinschaft von Gefährtinnen und Gefährten mich immer neu und immer tiefer auf dieses Leben einzulassen, um des Frieden des Geistes willen.

Die Möglichkeit der Neuausrichtung muss uns ausgerichtet werden – der Glaube kommt vom Hören (Roman 10,17). Das ist der Dienst der Maria Magdalena. Ich möchte den Lebenden nicht mehr bei den Toten suchen, und ich möchte das Leben nicht mehr bei Totem suchen. Ich lasse es mir gesagt sein, und lassen Sie es sich auch gesagt sein – vom „Gärtner“!

Amen.

Köln 14.04.2022
Harald Klein

[1] Tolle, Eckhart (2008): Jetzt. Die Kraft der Gegenwart, Bielefeld, 20. Aufl., 228.