Ostern – Ich fürchte mich vor frommen Menschen

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„Ihr wisst“… – Was tun mit diesem Wissen?

Drei Fragen von Leonardo Boff haben mich, haben uns durch diese Heilige Woche geleitet: „Wer ist Gott, und was vermag er? Wer ist der Mensch, und was vermag er? Was ist das Verhalten Gottes angesichts des menschlichen Verhaltens?“[1]

An Palmsonntag ging es um die Frage nach dem Menschen – wer bin ich, wer sind Sie im Evangelium vom Einzug in Jerusalem? Finde ich, finden Sie sich wieder in der erwartungsvollen Menge? Oder bei denen, die etwas für den Herrn tun, etwas für ihn, um seinetwillen besorgt? Oder bei Jesus selbst, der nicht etwas, sondern sich selbst gibt, um Gottes Willen? Am Gründonnerstag, ging der Blick weiter auf Jesus, auf sein menschliches Handeln, das aber das Handeln Gottes versinnbildlicht, ausdrückt, zeigt. Am Karfreitag, kam uns Gott ganz nahe, in der kleinen Prozession mit dem Kreuz und anschließenden in der ganz persönlichen Kreuzverehrung.

Und am Ende der Heiligen Woche ein neuer Anfang: Die Botschaft von der Auferstehung und das Wort der Maria Magdalena: „Ich habe den Herrn gesehen.“

Und dann die große Bewegung der frühen, der jungen Kirche. Da ist die erste Lesung: „Ihr wisst“, sagt Paulus bei der Taufe des Cornelius in Cäsarea, „was im ganzen Land der Juden geschehen ist. […] Ihn haben sie an den Pfahl gehängt und getötet. Gott aber hat ihn am dritten Tag auferweckt und hat ihn erscheinen lassen.“ Oder die zweite Lesung, in der Paulus in Korinth die Frage stellt: „Ihr wisst, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?“

„Ihr wisst…“, das gilt mir, das gilt Ihnen, das gilt uns. Und – was machen wir mit diesem Wissen? Hier, heute? Was tun mit diesem Wissen von den vielen Möglichkeiten des menschlichen Verhaltens, was tun mit dem Verhalten Gottes, gerade angesichts des Verhaltens der Menschen? Was tun mit dem Wissen von der Auferstehung? Dieses Wissen prägt unsere Religion, drückt sich in unserer Frömmigkeit aus, aber prägt es auch unsere Spiritualität?

Die Unterscheidung: Religion – Frömmigkeit – Spiritualität

Der Benediktinerabt Christian Schütz hat 1978 sein „Praktisches Lexikon zur Spiritualität“ herausgegeben. In seinem Artikel zum Stichwort „christliche Spiritualität“ unterscheidet er diese drei Worte sehr prägnant: „Religion“ und „Religiosität“ meine ein Ausrichten des Menschen auf eine Größe, die außerhalb seiner selbst liegt, auf eine „Transzendenz“, so nennt es die Philosophie und die Theologie. Für uns Christen ist das der dreieinige Gott. Aber auch anderes außerhalb des Menschen liegende kann zur „Religion“ werden, das Geld zum Beispiel, oder der vegane Lebensstil. – „Frömmigkeit“ sei das Wissen über Praktiken und Riten, seien sie öffentlich oder seien sie privat, wie sich diese Religion ausdrückt. Frömmigkeit schlägt sich bei uns in Liturgie, in kirchliche Geboten und Verboten nieder. Der Christ weiß, was sich als Christ gehört, im Gottesdienst wie im Leben. Das zeigt sich darin, dass z.B. am Aschermittwoch als Predigt die kirchliche Bußordnung für die Fastenzeit vorgelesen wird. Der, dessen Religion das Geld ist, hat seine Praktiken, die er mit dem gleichen Ernst befolgt wie der christlich Fromme die Speisevorschriften oder das Nüchternheitsgebot vor dem Gottesdienst. Und der, dessen Religion der vegane Lebensstil ist, wird sein Geschirr nicht mit dem Geschirr gemeinsam in die Spülmaschine geben, mit dem Fleisch verzehrt wird. – Bleibt „Spiritualität“! Hier gehe es nach Schütz um eine Haltung, die den Alltag bestimmt, die alltäglich und alltagstauglich sei. Spiritualität sei dialogisch, d.h., sie antwortet auf Anrufe von außen, seien sie von Menschen kommend, von Situationen, oder auf gesellschaftliche Problemlagen antwortend. Und sie ist dialogisch in dem Sinne, dass man Rede und Antwort stehen kann, wenn man gefragt werde, warum man das tue. Spiritualität habe das „Humanum“, das Wachsen im Menschsein zum Ziel, ich umschreibe es gerne mit „Spiritualität schenkt mir ein Mehr an Weite, an Tiefe, an Liebesfähigkeit.“ Und Spiritualität sei christliche Spiritualität, wenn sie sich auf Jesus Christus beziehe, sich an ihn, an sein Leben, seine Botschaft, sein Geschick rückbinde.

Warum mir dieser Begriff so lieb ist? Als „Frommer“ beziehe ich mich auf Praxis, auf Riten, auf Gewohnheiten – und grenze mich so von Andersdenkenden ab. Als „spiritueller Mensch“ kann ich zumindest in der Frage der Alltagsgestaltung, des Dialogs und des Wachsens im Menschsein mit Andersdenkenden im Gespräch sein – ich biete „Jesus Christus“ als Grund meiner Spiritualität an und bin gespannt, was der oder die andere dagegenstellt.

Frömmigkeit – oder: Wenn aus Werten Normen werden

Es gibt aber auch innerhalb der Kirche diese Spannung zwischen Frömmigkeit und Spiritualität. Das passiert dann, wenn aus den Werten, aus dem, was innerhalb unserer Religion an übereinstimmenden Zielen festgestellt werden kann, auf einmal Normen werden. Normen dienen dazu, Werte umzusetzen. Normen sind veränderbar, Werte erst einmal nicht, zumindest nicht so leicht. Ein altes Beispiel ist das Nüchternheitsgebot. Der „Wert“, um den es geht, ist die Hochachtung vor dem Empfang des Sakraments. Wenn aber nur noch gefragt wird, ob der Schluck Wasser, der beim Zähneputzen versehentlich geschluckt wurde, den Kommunionempfang verbiete, läuft mit der „Norm“ etwas falsch. Sie ist an die Stelle des Wertes getreten. Oder das Sonntagsgebot: aus dem „Wert“ der Begegnung mit dem Herrn wird eine „Norm“, eine Vorschrift, die unter den Begriff der Sünde fällt. Der französische Theologe Yves Congar hat schon vor mehr als 50 Jahren darauf hingewiesen, dass der Geist in Recht gefasst wurde. Normen dienen nicht mehr dazu, Werte umzusetzen. Normen sind zu Werten mutiert!

Ich fürchte mich vor frommen Menschen

„Ihr wisst, was im ganzen Land von Judäa geschehen ist…“, sagt Paulus. Und: „Ihr wisst, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert“. Aus dem „Ihr wisst“ hat die Kirche sehr, sehr oft ein rechtliches „Ihr müsst“ gemacht. Und das Fatale ist, dass es eine Menge von Christen oder christlichen Gemeinschaften gibt, die wirklich fromm sind, die diese Riten und Gesetze aufs Genaueste befolgen, und damit meinen, sie seien die wirklichen Christen. Aus den Begegnungen mit den Lesungen der Texte in der Heiligen Woche sind das aber die Schriftgelehrten, die Pharisäer, die Gesetzeslehrer. Sie legen das Gesetz aus, buchstäblich tun sie das, und sie können dem spirituellen Menschen immer vorhalten, er halte sich nicht an die Norm und verwirke damit sein Christsein. Es sind diejenigen, die in der Passionsgeschichte Jesus ans Kreuz gebracht haben. Und ich sage Ihnen ehrlich: Ich fürchte mich vor frommen Menschen.

Sauerteig sein – und aus der Botschaft von der Auferstehung leben

Im alten Gotteslob gab es eine Liedvers, der hieß: „Die Freude an Gott, Halleluja, ist unsere Kraft, Halleluja.“ Die Freude an Gott ist nicht gleichzeitig auch die Freude an der Kirche! Die Freude an Gott – das wäre die passende Antwort auf das „Ihr wisst…“ des Paulus. Das wäre die passende Antwort und die Folge auf das „Ich habe den Herrn gesehen“ der Maria aus Magdala. Die Freude an Gott lässt sich nicht in Gesetze und Gebote, in Rubriken und Vorschriften übersetzen – sie ist ein inneres Gesetz eines jeden Einzelnen. Aber die können sich zusammentun. Das wäre ein pastoraler Zukunftsweg, der der Kirche Bestand verheißen würde. Es ist der Geist, der Kirche lebendig hält, und der wohnt im spirituellen Menschen. Spiritualität führt zur Frömmigkeit – aber Frömmigkeit kann geistlos sein. Ich fürchte mich vor frommen Menschen, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf: Gottes Sohn wurde ans Kreuz geschlagen – und lebt. Gottes Geist darf erwartet werden, in der Kirche – aber auch, vielleicht sogar vor allem neben ihr. Dort sind die „Frommen“ weniger laut. Und dieser Geist führt hier wie dort zur Freude an Gott, die unsere Kraft ist.

Alsdann, lassen Sie uns Ostern feiern – und Pfingsten entgegengehen.

Amen.

[1] Boff, Leonardo (1987), Die befreiende Botschaft, das Evangelium von Ostern, Freiburg, 76.