Osternacht: Jesus suchen – zur Welt finden

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Jesus (be-) suchen – an seinem Grab

Ein viertes Mal: „Kommt einer neu und will das klösterliche Leben beginnen, werde ihm der Eintritt nicht leicht gewährt. […] Man achte genau darauf, ob der Novize wirklich Gott sucht, ob er Eifer hat für den Gottesdienst hat, ob er bereit ist zu gehorchen und ob er fähig ist, Widerwärtiges zu ertragen.“ Man muss gar nicht in der Haltung eines Novizen, eines Neulings unterwegs sein, es gilt wohl für jedes Lebensalter, sei es an Jahren, sei es an menschlicher oder an geistlicher Reife gemessen: Wenn man gerade das Erlebnis des Todes, wenn man den Karfreitag und die Grabesstille hinter sich hat, fällt es nicht leicht, am Morgen des nächsten Tages aufzubrechen, um Gott oder um Jesus zu suchen.

Stellen Sie sich die beiden Frauen, Maria aus Magdala und die andere Maria vor, wie sie beim Anbruch des Tages nach dem Geschehen auf Golgota in der Morgenröte aufbrechen, um nach dem Grab zu sehen. Es ist versiegelt und bewacht, bei Matthäus kommt es den Frauen gar nicht in den Sinn, den Leichnam zu salben. Sie wollen lediglich das Grab besuchen, ein Zeichen und eine Geste der menschlichen Verbundenheit mit dem Hingerichteten.[1] Ein Friedhofsgang. Ich überlasse es Ihrer Fantasie, sich vorzustellen, in welchem Tempo, in welcher Haltung sie gehen, vielleicht miteinander redend oder doch eher schweigend.

Gott bewachen – vor seinem Grab

Die Frauen sind die eine Gruppe von Menschen, von denen die Rede ist, die andere Gruppe sind die Wächter, die Pilatus auf die Bitte der Hohepriester und der Pharisäer zur Bewachung des Grabes abgestellt hat, damit niemand den Leichnam Jesu stehlen könne, um dann seine Auferstehung zu behaupten. Die Wächter haben ihre Nachtwache hinter sich. Wieder überlasse ich es Ihrer Fantasie, sich die Wachen am versiegelten Grab vorzustellen: Wie viele es sind, ob sie sitzen oder stehen, oder gar liegen, wohin ihre Aufmerksamkeit gerichtet ist. Von Verbundenheit mit dem Hingerichteten kann bei ihnen keine Rede sein, eher ist das Gegenteil der Fall. Der Grund ihrer Nachtwache ist Misstrauen und Sorge, sie und die, die sie geschickt haben, könnten übers Ohr gehauen werden.

Und siehe – ein Engel; und siehe – Jesus

Nicht, dass es direkt so im Text stünde, aber lesend darf man sich vorstellen, dass es, als diese beiden Gruppen zusammenkommen, zum Knall kommt, dass ein gewaltiges Erdbeben geschieht, weil der Engel des Herrn vom Himmel herabkommt, an das Grab tritt, den Stein weg wälzt und sich auf den Stein setzt, den Grabstein so in Besitz nimmt.

Sie können sich die Frauen und die Männer in diesem Evangelium kaum gegensätzlicher vorstellen. Die einen haben aufgehört, Gott zu suchen, weil er ihnen grausam genommen wurde, weil sie dabei waren, als er ans Kreuz geschlagen wurde, weil sie tief in der Gottverlassenheit stecken und nicht mehr geben können als ein Zeichen der Verbundenheit – sie suchen ihn in aller Gottverlassenheit noch einmal an seinem Grab auf. Und die andern fürchten sich vor nichts mehr als vor der verkündeten Botschaft, dass dieser Gott lebe. Mit wahrscheinlich gekreuzten Lanzen bewachen Sie das Grab dessen, den sie am Kreuz haben sterben lassen, damit man bloß nicht den Leichnam raube.

Beiden Gruppen steht bzw. sitzt der Engel entgegen. Die Wächter in ihrer Angst und in ihrer Furch vor ihm erbeben und sind wie tot, erstarrt, zu keiner Bewegung, zu keiner Regung, nicht mal zur Aufregung mehr fähig. Die Frauen hören seine Stimme, die an sie gerichtet ist. „Ihr sucht Jesus – er ist nicht hier – kommt und seht den Ort, wo er lag – geht zu den Jüngern und sagt, dass er euch vorausgeht nach Galiläa – siehe, ich habe es euch gesagt.“

Die Frauen eilen voll Furcht und großer Freude – was für eine interessante Mischung an Gefühlen – zurück zu den Jüngern, und, siehe, da kommt ihnen Jesus entgegen, sie grüßend: „Seid gegrüßt!“ Und dann, nachdem sie auf ihn zugehen, sie vor ihm niederfallen und seine Füße umfassen, sagt Jesus: “Fürchtet euch nicht.“ Und er wiederholt den Auftrag des Engels, der ja sein Auftrag ist: Die Frauen mögen den Brüdern auftragen, sie sollen nach Galiläa gehen dort werden sie ihn sehen.

Ostern für die, die Gott suchen

Drei Dinge werden an diesem Osterevangelium deutlich für die, die wie ein Novize, die irgendwie wieder neu Gott suchen:

Ein Erstes: Auch für die Frauen auf dem Weg zum Grab braucht es den Boden der Tora, den Boden der Heiligen Schrift, um glauben zu können, was sie sehen. Es braucht den Glauben an zu einem Gott, der das Leben will und bejaht, wie es die Schöpfungsgeschichte (in der ersten Lesung) zeigt. Es braucht die Hoffnung auf einen Gott, der selbst in ausweglosen Situationen neue Wege eröffnet, wie es (in der dritten Lesung) die Geschichte vom Exodus zeigt. Es braucht die Liebe Gottes, seinem Geschöpf seinen eigenen Geist, sein eigenes Herz zu geben – im doppelten Sinne der Worte. Nur so können wir auf Augenhöhe sein Volk, nur so kann er auf Augenhöhe unser Gott sein.

Ein Zweites: Es wird kein Zufall sein, dass im Evangelium dreimal das „Siehe“ genannt wird: (1) Und siehe, es geschah ein gewaltiges Erdbeben, denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat an das Grab, wälzte den Stein weg und setzt sich darauf; (2) am Ende seiner Rede sagt der Engel: Siehe, ich habe es euch gesagt; (3) als Jesus ins Spiel kommt: Und siehe, Jesus kam ihnen entgegen. Es scheint, als bräuchte es einen besonderen Blick, eine besondere Aufmerksamkeit, um das Wirken Gottes zu sehen und entschlüsseln zu können. Vielleicht kann man von „Osteraugen“ reden – aus der wachsenden Verbundenheit eines Novizen oder einer Novizin, aus der gewachsenen Verbundenheit eines Jüngers oder einer Jüngerin, aus der erwachsenen Verbundenheit eines Menschen, der Heimat gefunden hat in Gott die Engel sehen wollen und können, Jesus entdecken, der in anderen Menschen in mein Leben tritt und in den Zeichen der Zeit seinen Ruf zu spüren, der uns in unserer Verbundenheit zu ihm manchmal auch fordert. In der Systemischen Psychologie nennt diesen Vorgang Refraiming – gemeint ist, das Geschehen in einem neuen Rahmen, einem neuen Licht zu sehen.

Ein Drittes: Vom Engel gesandt, brechen die Frauen auf – Sie haben es noch im Ohr – „voll Furcht und großer Freude“. Als sie mit Jesus im Gespräch sind, ist nach dem „Seid Gegrüßt“ sein erstes Wort: „Fürchtet euch nicht!“ Ostern, Auferstehung feiern heißt, auf des Auferstandenen Wort hin die Furcht gehen und die Freude walten zu lassen! Mathematisch könnte man die Gleichung aufstellen „Auferstehung = Freude + Furcht – Furcht“, und Sie spüren, übrig bleibt „Auferstehung = Freude“.

Aus der Osternacht in den Ostermorgen

„Kommt einer neu und will das klösterliche Leben beginnen, werde ihm der Eintritt nicht leicht gewährt. […] Man achte genau darauf, ob der Novize wirklich Gott sucht, ob er Eifer hat für den Gottesdienst hat, ob er bereit ist zu gehorchen und ob er fähig ist, Widerwärtiges zu ertragen.“ Um bei diesem Vers zu bleiben, der die Gottesdienste an den Kar- und Ostertagen als roter Faden durchzieht: Wer aus der Osternacht in den Ostermorgen hineingeht, der muss sich aus diesem Vers der Benediktsregel als allererstes den „Gehorsam“ zu Herzen nehmen. Ich meine hier weniger den Gehorsam einer Regel oder einer Oberin, einem Oberen gegenüber. Ich meine den Gehorsam des „Fürchtet euch nicht!“ und vor allem den Gehorsam des „Und siehe!“ P. Alfred Delp SJ hat dieses „Und siehe!“ in den letzten Tagen seines Lebens auf einem Kassiber aus der Zelle in Berlin herausgeschmuggelt. Er schreibt:

Ich wünsche Ihnen, ich wünsche uns einen österlichen Rahmen, in dem wir die Dinge, die Mitmenschen und uns selbst sehen. Ich wünsche uns Osteraugen, die entdecken, dass die Welt Gottes so voll ist, trotz aller Widerwärtigkeiten, und dass wir Hinsehen bis zum Brunnenpunkt, an dem all das aus Gott herausströmt.

Amen.

Köln, 10.04.2020
Harald Klein

[1] Vgl. Deissler, Alfons/Vögtle, Anton/Nützel, Johannes (1985): Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, Freiburg, 1430.

[2] zitiert in Lambert, Willi (1998): Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit, Mainz, 12f.