Palmsonntag: Jesus – der ganz andere König

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Drei Fragen von Leonardo Boff

Als Leonardo Boff, der brasilianische Franziskanerpater und Befreiungstheologe, 1987 seine Betrachtungen zum österlichen Mysterium schrieb, versuchte er sich drei Fragen betrachtend zu beantworten: „Wer ist Gott, und was vermag er? Wer ist der Mensch, und was vermag er? Was ist das Verhalten Gottes angesichts des menschlichen Verhaltens?“[1]

Wer ist Gott…?

Die erste Frage, wer denn Gott sei, beantwortet er mit „Gott ist jemand, der uns leidenschaftlich liebt. Er kam uns so nahe, dass er unseren eigenen Zustand annahm.“[2]

„Unser eigener Zustand“ – natürlich spielt Boff hier auf die Menscherdung Gottes an. Paulus drückt es in seinem Brief an die Philipper so aus: „Er war wie Gott, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen.“

Dieses Bild vom „eigenen Zustand des Menschen“ zieht sich durch das ganze Leben Jesu, durch seine Weise, den Menschen zu begegnen, in der Art, wie er lehrt und liebt, und heute und in den kommenden Tagen auch, wie er Unrecht erträgt, wie er leidet und stirbt. Im Propheten Jesaja heißt es heute: „Gott, der Herr, gab mir die Zunge eines Jüngers, damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort. Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich auf ihn höre wie ein Jünger. (…) Ich hielt denen meinen Rücken hin, die mich schlugen, und denen, die mir den Bart ausrissen, meine Wangen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. Doch Gott, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden.“ Hören Sie es: Damit ist das ganze Geschehen der Karwoche ausgedrückt.

Für heute – und für die weiteren Tage der Karwoche und der Ostertage – soll zuerst einmal gelten: Lassen Sie uns darauf schauen, wie „unser eigener Zustand“ im Leben und im Schicksal Jesu abzulesen ist.

Für heute, für den Palmsonntag, soll die kleine Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem genügen. Sie sehen darin unseren eigenen Zustand gleich dreimal: in den Jüngern, die für Jesus den Esel zum Einzug besorgen: „Der Herr braucht ihn. Er lässt ihn bald zurückbringen.“ – in der Menge derer, die ihre Kleider ausbreiten: „Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!“ Und in Jesus selbst, der schweigend die Kleider der Jünger auf den Esel legt und sich auf den Esel setzt, mit dem er nach Jerusalem einzieht.

Wer ist der Mensch…?

Und jetzt Boffs Frage: „Was ist der Mensch, und was vermag er?“ An mich gewendet: „Wer bin ich, und was vermag ich?“ Und an Sie gewendet: „Wer sind Sie, und was vermögen Sie?“

Das Evangelium gibt drei Antwortmöglichkeiten, ich will sie in der Ich-Form aufzeigen, und Sie können Sie auf sich beziehen.

Ich bin einer aus der Menge. Endlich kommt eine Lösung, besser: endlich kommt einer, der die Lösung bringt. Auf den habe ich schon lange gewartet. Ihm gilt mein Jubel – heute! Und ihm gilt mein „Kreuzige ihn!“, dann, wenn er mir nicht mehr in mein Weltbild passt, in mein Selbstbild, mein Menschenbild, mein Gottesbild. Ich vermag den zu verstoßen, der mir nicht mehr zusagt!

Oder: Ich bin der, der den Esel, der alle möglichen Dinge besorgt, um sie dem Herrn zu Verfügung zu stellen. Ich sorge dafür, dass Gott wirken kann. Ich stelle ihm vieles zu Verfügung – Geldspenden, Räume, Zeit – aber ich stelle ihm nicht mich zu Verfügung! Ich vermag mitzuhelfen, aber ich schaue dann letztlich nur zu, und der Karfreitag zeigt: ich schaue so lange zu, bleibe am Rande stehen, wie ich es auszuhalten vermag. Wenn es mir zu viel wird, ziehe ich mich zurück, ziehe ich mich raus!

Oder: Ich lasse Jesus in mir wirken, stelle ihm nicht nur etwas, sondern mich selbst zur Verfügung. Das erfordert Umkehr. In der Zeit Jesu war es das hohe Ross, etwa des griechischen Alexanders oder des römischen Augustus, und nicht der Esel, der den Herrscher ausmacht. Es war das Purpurkleid, nicht die abgetragenen Klamotten der Jünger, die den Herrscher zierten. Es war der hochgehaltene oder der herunter zeigende Daumen des Herrschers, der über Leben und Tod entscheidet, nicht die segnende Hand. Es war das ausgesprochene Wort des Gesetzes, nicht das schweigende und zugewandte Zuhören, das dem Herrscher zukam.

Wer bin ich…?

„Was ist der Mensch, und was vermag er?“ – Wer bin ich, wer sind Sie, und was vermag ich, was vermögen Sie? Palmsonntag ist eine Einladung, in Jesus den anderen König, den anderen Herrn über mein Leben zu betrachten, um meine eigene, ganz persönliche Antwort auf diese Frage zu geben. Bin ich außenstehender Zuschauer, bin ich jemand, der das Nötigste dem Herrn zu Verfügung stellt, oder wage ich es, mich ihm ganz zu überlassen, damit er durch mich sein Werk weiterführen kann? Der Karfreitag ist die eine Antwort, die andere die Tauferneuerung in der Osternacht.

Also: „Was ist der Mensch, und was vermag er?“ Wer bin ich, und was vermag ich? Wer sind Sie, und was vermögen Sie?

Amen.

[1] Boff, Leonardo (1987), Die befreiende Botschaft, das Evangelium von Ostern, Freiburg, 76.

[2] Boff, Leonardo (1987), Die befreiende Botschaft, das Evangelium von Ostern, Freiburg, 76f.