Pfingsten: Der Heilige Geist und das Fremde

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Ein Schreibegespräch per Mail:

Harald: „Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort.“ – Auf den ersten Blick gleichen der Pfingsttag und die Versammlung der Apostel mit Maria im „Obergemach“ ein we- nig einer GCL-Gruppe: Aus dem – zugegeben: doch sehr schweren – Alltag, hier: aus dem Miterleben des Sterbens ihres Herrn und der Erfahrung seiner Auferstehung, sind sie zusammengekommen, sitzen im Kreis, im Licht der Öllampe, jede und jeder wird nach der Stille schildern, was ihn, was sie bewegt. In der betenden Betrach- tung des Pfingstberichts setze ich mich mit dazu. Das „Thema“ un- serer „Gruppe“ liegt auf der Hand, auch wenn der Pfingstbericht es nicht ausweist: „Was wird aus uns?“ – „ Was wird aus IHM?“ Angst und Unsicherheit vor denen da draußen, in meinem „Schauplatz“ sind die Fenster und Türen fest verschlossen. Und im Hineinfühlen ist neben der Trauer, der Angst und dem Unverständnis doch auch Trost, dass wir einander haben.

Aber dann: „Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren.“ In der Betrachtung dieses einen Verses der Apostelgeschichte versuche ich, mit allen Sinnen diesem Brausen, diesem heftigen Sturm auf die Spur zu kommen. Das einzige, was feststeht, ist die Folge dieses Bestürmtwerdens: Es drängt mich, uns nach „draußen“, der verschlossene Raum bricht auf. Und ne- ben der Sprache, die mir in meiner „GCL-Gruppe“ da im Oberge- mach so vertraut ist, lerne ich, lernen wir, in den Sprache zu reden, die „draußen“ gesprochen werden – eine Folge der Eingießung des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist gibt Kraft zum Verstehen!

Und in Jerusalem war es, wie es in München oder Köln ist: da gibt es eine Menge Menschen aus anderen Nationen, Sprachen, Kulturen. Menschen, die so ganz anders leben, denen so vieles andere wichtig ist, und die mir deswegen fremd sind – und solange fremd bleiben, bis ich, bis wir uns – erfüllt, gestärkt, gesandt vom Heiligen Geist – ihnen zuwenden. Und vor allem: bis wir versuchen, in ihrer Sprache mit ihnen ins Gespräch zu kommen, sie in ihrer Welt zu verstehen.

Erinnerung an das GCL-Welttreffen im Libanon – und der Blick in die eigene Stadt

Franziska: Inspiriert vom Themenkomplex „Grenzen” des Welttreffens im Libanon und nicht zuletzt der Einladung von Papst Franziskus folgend, „an die Ränder der Gesellschaft” zu gehen, hat die GCL München ein Projekt – noch ist es ein sehr zartes Pflänzchen – ins Leben gerufen, in dem wir uns aus unserem „Container” in fremde Welten begeben. Gemäß dem Dreierschritt der Theologie der Befreiung „Sehen – urteilen – handeln”, geht es uns zunächst einmal darum, wahrzunehmen was ist, aufmerksam zu werden für fremde Lebenswelten in unserer eigenen Stadt.

Die Begegnung mit Fremden, Unbekannten ist häufig angstbesetzt. Das einzige, was diese Angst und Unsicherheit löst, Vorurteile revi- diert, ist, das Fremde im anderen kennenzulernen, bis es vertraut wird. Schon Karl Valentin hatte dafür eine treffende Aussage: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde”.

Harald: Ein wenig erinnert mich das an das Exerzitienseminar der GCL. Da gibt es einen Praxisteil. Für zwei Wochen musste ich in einer „Welt“, die mir fremd war, mitleben und mitarbeiten. Im Sommer 2001 war das für mich die „Diakonische Basisgemeinschaft Brot und Rosen“ in Hamburg. Sie setzt sich vor allem in einer Wohngemeinschaft für „geduldete“ und von der Abschiebung be- drohte Flüchtlinge ein. Sowohl Lebensform als auch Apostolat und Sendung waren mir vollkommen fremd. Daraus ist dann ein großes „sozialarbeiterisches Herz“ geworden, und zehn Jahre lang haben Schülerinnen und Schüler der Oberstufe in Sozialexerzitien von den Kontakten in Hamburg als „Tage religiöser Orientierung“ profitieren können. Ich glaube, Ähnliches hast Du ja auch in der Bahnhofsmission in München erlebt, oder?

Franziska: Ja das stimmt. Inzwischen arbeite ich schon seit vielen Jahren ehrenamtlich in der Bahnhofsmission (BM), und mein „sozi- alarbeiterisches Herz”, wie du es nennst, ist hier sehr gut aufgeho- ben. Die BM ist für viele Menschen in unserer Stadt oft der einzige Zufluchtsort, an dem sie sich wärmen können, etwas zu essen und zu trinken bekommen, sich in ihren Angelegenheiten beraten und helfen lassen können, ihre Landsleute treffen und auch mit uns ins Gespräch kommen können. Zusätzlich ist es Schutzraum für Frau- en, die notfalls auch in der BM übernachten dürfen. Mir gefällt, dass hier jeder Hilfe bekommt, unabhängig von Nationalität, Religi- on, Hautfarbe, sexueller Neigung, Krankheit, Sucht und was es sonst noch alles gibt, wofür Menschen immer wieder diskriminiert werden. „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen” (Mt 11, 28), ruft Jesus den Menschen zu. Mir scheint, für viele Menschen ist die BM in unserer Zeit dieser Hort der Ruhe.

Bezugnehmend auf den „Barmherzigen Samariter” (Lk 10, 25-37) drückt Edith Stein unser Anliegen so aus: Für Christen gibt es keine „fremden Menschen”. Der ist jeweils der „Nächste”, den wir vor uns haben und der unser am meisten bedarf, gleichgültig, ob er ver- wandt ist oder nicht, ob wir ihn mögen oder nicht, ob er der Hilfe „moralisch würdig” ist oder nicht.

Die „drei Sprachen“ des Jesuitengenerals

Harald: Mich erinnert das alles an die Rede von P. General Adolfo Nicholás SJ beim Weltdelegiertentreffen. Er erläuterte die drei Sprachen, die er in der Hl. Schrift findet und die wir auch in der ig- natianischen Familie kennen sollen. Er nennt als erstes die Sprache der Geschichte, die von den großen Taten Gottes spricht und Iden- tität im Volk Israel – und in den Gruppen der GCL – schaffen kann. Sie „besagt“, dass Gott mit uns ist. Und als zweites nennt er die prophetische Sprache, die den Glauben – auch derer in der GCL- Gruppe – herausfordert und „reinigt“. Sie zielt auf das Mitgefühl, das das Herz der Religion ist und das alle Menschen im Blick hat. Und er schließt ab mit der Sprache der Weisheit, in der Gott, so Nicholás, in den Familien wirkt, in den Kindern, in den Kulturen, in allem. Und am schönsten ist für mich seine Behauptung: „Es ist ei- ne Sprache, die Glaubende und Nichtglaubende gleichermaßen an- spricht. Vielleicht ist es die Sprache, um die Ränder und Grenzen in der heutigen Welt zu erreichen.“ Und er erinnert an das schlichte „Guten Abend“, „Guten Appetit“, „Schlafen Sie gut“ von Papst Franziskus.

Franziska: Oft ist die wichtigste Sprache eine, die wenig oder gar keine Worte braucht. Ein Lächeln, ein aufmunternder Blick, eine Geste, Anteilnahme, ein Wort in der Sprache des Besuchers – all das ist oft mehr wert, als viele Worte. Wir geben Brote, gespende- tes Gebäck und Tee aus. Wenn ich jemandem die Tasse Tee mit einem freundlichen „Bitteschön” und einem Lächeln hinstelle, ihm zu Brot und Gebäck eine Serviette reiche, ihm auf Augenhöhe be- gegne, wird das meist dankend, manchmal auch staunend ange- nommen. Viele unserer Besucher kommen aus Osteuropa und sind extrem verunsichert. Oft versuchen sie das mit großspurigem, auch aggressivem Verhalten zu kaschieren. Ich lasse mich nicht irritieren und bleibe freundlich und mir wird klar, was Jesus meinte, als er sagte „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin” (Mt 5, 39).

Harald: Jetzt versuche ich mal, das Pfingsten der Apostelgeschichte und ein Pfingsten in unseren Gruppen zusammenzubringen. Da im „Obergemach“ wird wohl eine Sprache der Geschichte gesprochen werden. Da sind wir in der GCL, in den Gruppen, in den Exerzitien sehr zu Hause. Und einander begegnen wir uns sicher häufig in der prophetischen Sprache, im Betrachten unseres Alltags und in der Frage, wie Jesus Christus hier „mehr“ präsent sein kann, wie er „mehr“ Herr meines Lebens werden kann.

Aber lädt uns das Weltdelegiertentreffen, lädt uns P. Nicolás nicht „mehr“ zu einer „Sprachschule“ und in die „Sprache der Weisheit“ ein? Und ist im Abschlussdokument des Weltdelegiertentreffens nicht die Rede davon, dass Christus uns vom Berg der Verklärung hinunterschickt, damit wir uns in unserem alltäglichen Leben und in unserer Welt engagieren? Ich überlege, wie das gehen könnte:

Für das Gebet und das Gespräch in der Gruppe:

  •  In unseren Gruppen, vom gewohnten „Obergemach“ aus oder vom „Berg der Verklärung“ können wir einen Blick hinter die für uns geschlossenen Fensterläden werfen oder in die uns fernen Niederungen hinuntersehen. Was ist ganz nah in unserer Welt, das uns doch „fremd“ ist? Ich denke an das Sozialpsychiatrische Zentrum, keine 500 m neben meiner Wohnung, oder an den „Kellerladen“ im Nachbarstadtteil, den ein Benediktiner aus Ma- ria Laach ins Leben rief.
  • In der Gruppe kann ein Austausch stattfinden: Was finde ich vor? Was verbinde ich – auch gefühlsmäßig – damit? Welchen „Geist“ vermute ich da?
  • Und dann: „Aufbruch“ – wir könnten mal jemanden aus der Be- ratungsstelle, aus dem Kellerladen einladen, oder (noch besser) uns als Gruppe dorthin einladen, um zu sehen, wie das Leben dort aussieht. Erst mal sind wir dann als Hörende und Schau- ende unterwegs. Hier hören wir vielleicht die „Sprache der Weisheit“, hier sprechen wir sie vielleicht neu. Und: hier gehen wir aus unseren Wurzeln an Orte, die bisher Grenzen waren – und es nicht bleiben müssen. Und dann sehen, was der Geist uns eingibt …

    Harald Klein, Köln
    Franziska Stein, München