Praktisch umgesetzt – Vor Gott bewegt werden – Sich in Gott bewegen

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Die große und die kleine Bewegung

Der Gedanke aus den „Gebetshilfen“ über die große und die kleine Berufung und die Methode des Gehens (im Alltag) – des Stehens (in der Begegnung) – des anders Gehen (in der Berufung) soll hier praktisch umgesetzt werden, sei es in der Betrachtung des oder der einzelnen oder sei es in einer Gruppe.

Die Idee der großen und der kleinen Berufung wird dafür ergänzt durch den Gedanken der großen und der kleinen Bewegung. Und dies in einer doppelten Weise. Es gibt die große und die kleine Bewegung von Gott her auf Sie hin; und es gibt die große und die kleine Bewegung von Ihnen her auf Gott hin. Ich verstehe das Wort des Paulus, dass wir uns in Gott bewegen, als große oder kleine Bewegung meiner selbst, Ihrer selbst auf Gott hin.

Im Bild: Die große Bewegung von Gott, an den ich ergriffen glaube, der mir seine Hand reicht, die ich dann glaubend ergreife. Das kann eine Bewegung von Gott her sein, die mich in einen Stand hineinführt; das kann eine kleine Bewegung von Gott her sein, durch die und in der ich im Stande bin (und bleibe), den „kleinen Übungen der Geduld“ (Madeleine Delbrêl) zu begegnen. Es ist eine geistliche Kunst, in diesen täglichen Übungen der Geduld die Bewegung Gottes auf mich hin zu erkennen. (Anm.: Hier finden Sie die zitierten Text von Madeleine Delbrêl.)

Die Rolle der „Prä-Positionen“

Hierbei kommt es auf die „Prä-Position“ an, auf das Wort, das Wörter, Sachverhalte oder Menschen in Beziehung setzt und ein klar bestimmtes Verhältnis angibt. „Präpositionen“ sind „Verhältniswörter“.

In den großen wie in den kleinen Bewegungen geht es um Ihr Verhältnis zu Gott. Der entscheidende Motor, der Beweger, ist Gott selbst. Von ihm geht die Bewegung aus. Von ihm ganz umfasst, schwingen Sie sich auf diese Bewegung ein, bewegen Sie sich, ihm antwortend, in ihm und immer mehr auf ihn zu.

Das wäre eine erste Übung in dieser Betrachtung, die Sie für sich oder Sie als Gruppe tun können: Sich einmal Zeugnis geben von den großen und kleinen Bewegungen Gottes auf Sie zu, in denen er Sie ganz umfasst hat. Und dann Zeugnis geben davon, wie Ihre Bewegungen in Gott, auf ihn hin, ausgesehen haben

Ein „äußerer“ oder ein „innerer“ Gott?

Lassen Sie uns einen Schritt weitergehen. Wenn Paulus sagt, dass wir in ihm, also in Gott, leben, uns in ihm, also in Gott, bewegen und in ihm, also in Gott, sind, stellt sich der Vernunft die Frage: „Geht es um einen äußeren Gott, um einen Gott um mich herum? Oder geht es um einen inneren Gott, einen Gott in mir?“

Die Position des Paulus ist klar: Gott ist der, der allen das Leben, den Atem und alles gibt (Apg 17,25), Gott ist der, der aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen hat, damit es die Erde bewohne, und er hat für sie für bestimmte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnstätten festgesetzt (Apg 17,26). Das alles spricht für den „äußeren“ Gott, den die Menschen suchen sollen, ob sie ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern (Apg 17,27).

Das wäre die zweite Übung in dieser Betrachtung: Sich selber oder in der Gruppe einander Zeugnis geben davon, wie Gott sich in der „äußeren Welt“, als ein „äußerer Gott“ auf Sie hinbewegen kann, so dass er Sie auch erreicht. Kennen Sie da Ereignisse, Begegnungen und Berührungen, von denen Sie sich und einander Zeugnis geben können?

Ein wenig Philosophie, die dann zur dritten Übung in dieser Betrachtung führen kann. Es gibt zwei Zitate von Johann Wolfgang von Goethe, die mir in den Sinn kommen: „Man lernt nur von dem, den man liebt“ und „Man sieht nur, was man weiß“. Um es zu verdeutlichen: Der Kölnpfad – in 11 Etappen um Kölns Umfriedung herum – geht an manchen Sehenswürdigkeiten vorbei. Markiert ist er durch einen weißen Ring auf schwarzem Quadrat. Sie sehen dieses Zeichen auf Bäumen oder Laternenmasten erst, wenn Sie es kennen, oder wenn Sie sich auf diesem Pfad bewegt haben. M.a.W.: Sie können Gottes Bewegung von außen „Außen“ auf Sie zu nur erkennen, wenn Sie im „Innen“ dafür gerüstet, ausgestattet sind. Karl Rahner hat von der „Gottfähigkeit des Menschen“ (capax Dei) geschrieben. Sie müssen ein Bild, ein Gespür, eine Ahnung davon haben, wie es aussieht, sich anfühlt, wenn Sie ein Erleben, eine Begegnung, eine Anfrage von außen als „Bewegung Gottes von außen“ an Sie deuten wollen, und es ist diese innere Gottfähigkeit in Ihnen, die Sie in eine antwortende Bewegung auf Gott hin bringt. Dazu dient die Geistliche Begleitung, dazu dient die Gruppe.

Das wäre die dritte Übung in dieser Betrachtung: Sich selbst vor Augen zu halten, wie Sie in Ihrem Inneren, kognitiv in Gedanken, emotional in Gefühlen, eine von außen kommende Bewegung als Bewegung Gottes auf Sie hin zu deuten vermögen. Hat der „Gott in Ihnen“ eine Chance? Welche Ebenen in Ihnen dann stark oder weniger stark angesprochen sind: das Nachdenken und Erwägen (Kopf), das Gefühl und die Emotionen (Herz) oder das schnelle Reagieren und Anpacken, das Handeln (Hand). Wenn Sie sich in Gott bewegen wollen, welche Anteile in Ihnen sind dann stark, und wo kann und darf noch ein Anteil wachsen, damit Sie in der Bewegung Gott ertasten und finden können, denn keinem ist er fern. Um die Worte des Paulus zu zitieren: Auf welche Weise geschieht bei Ihnen das „Ertasten“ Gottes, sei es nach außen oder sei es nach Innen? Welche Rolle spielt Ihre Weise des Gebetes dabei, und welche Hilfe sind Ihnen dafür Begleitung und Gruppe?

„…weit zu sein und wandelbar und zugleich fest“

Ein Viertes: Ich verlasse die Verse aus Apg 17, ich verlasse die Frage nach dem äußeren und/oder nach dem inneren Gott. Und dennoch bleibe ich bei der Frage nach dem Sich-bewegen in Gott.

„…
Wie damals, so versteinere ich heute von deinem Angesicht,
o Meer, jedoch nicht würdiger eracht ich mich der feierlichen Mahnung, die du atmest.
Du als Erstes hast mir gesagt,
dass meines Herzen winzige Wallung nur
Sekundenschlag
der deinigendass in der Seele mir
stand dein gefährliches Gesetz:
weit zu sein und wandelbar
und zugleich fest:

Und so mich allem Unrat zu entleeren,
wie du es tust, auswerfend aufs Gestade mit Kork, Seesternen, Tang,
was unnütz ist,
und was als Abfall liegt in deinem Abgrund…“

(Auszug aus Eugenio Montage, Mittelländisches Meer, zit. aus Wüstner, Andreas (2005): Das Meer. Gedichte, Kitzingen, 42f)

Ein Auszug eines Gedichtes des italienischen Schriftsellers Eugenio Montale (1896-1981) gibt den Impuls. Montale erhielt 1975 den Nobelpreis für Literatur – erstaunlich deswegen, weil in den Jahren nach Studentenunruhen, nach Kriegen, auch wenn sie teilweise „nur“ kalt waren, impressionistische und zum Teil naturalistische Lyrik eher fremd, eher überholt zu sein schien. Für Montale ist das Meer das Sinnbild für den Ursprung des Lebens, der Ort, aus dem das Menschengeschlecht kommt und worin es seine Wurzeln hat. Ich glaube, er wäre und heutigen Christen nicht böse, wenn wir den Auszug seines Gedichtes „Mittelländisches Meer“ mit einer kleinen Abwandlung lesen würden: Lesen Sie doch einmal statt „Meer“ in einer Art Gebetsmodus „Herr“. Sie werden sehen, es geht! Und wie! Die winzige Wallung meines Herzschlags, so Montana, sei nur ein Sekundenschlag der Deinigen. Was für ein Bild: Die winzige Wallung meines Herzes sei ein Sekundenschlag der großen Wallung des Schöpfergottes. Da kehrt sich etwas um. Nicht „In Dir bewegen wir uns“, sondern „mit jedem Herzschlag bewegst Du Dich in mir, in uns.“ Für die, die das Atemgebet pflegen: Was für ein Bild – jeder Atemzug ein Sekundenschlag von Gottes Atem in mir.

Oder eine Strophe weiter: In der neuen Lesart ist es nicht das Meer, sondern der Herr, der sein gefährliches Gesetz mir in die Seele gestellt hat, weit zu sein und wandelbar und zugleich fest. Versuchen Sie einmal die drei Zuschreibungen „weit“, „wandelbar“ und „fest“ zusammen zu denken.  Mir gelingt es nur mit Hilfe des Wortes, das unseren drei Hefte den Titel gibt: „Gegründet sein“.

„Fest“ kann ich nur sein, wenn ich einen Grund habe, auf dem ich eingewurzelt bin, auf dem ich stehe, der mich trägt und hält, der mich nicht aus der Balance bringt, der mir stattdessen ermöglich, mich zu bewegen, weil er mir Freiraum gewährt.

Und so, nur so, kann ich weit sein, weiter werden, nur so kann ich wandelbar sein und als weit und wandelbar erlebt werden. Wie sehr wünschte ich mir diese Zuschreibungen für das Erleben von Kirche, von Gemeinschaft – und ich frage mich mit Blick auf Montana, den Dichter: aus welchem Grund und auf wen hin nennt er das ein „gefährliches Gesetz“? Wenn Sie mögen, teilen Sie die Gedanken und die Frage in Ihrer Gruppe.

Sich des eigenen Abfalls und des Abfalls auf Gottes Abgrund entleeren

Ein Letztes: Wenn ich das „Meer“ mit „Herr“ ersetze, frage ich mich nach dem Abfall, der in Gottes Abgrund liegt. Weit, wandelbar und zugleich fest sein ermöglicht es mir, ermöglicht es Ihnen, sich allem Unrat zu entleeren – vom Keller und Kleiderschrank angefangen über Beziehungen, die Leben behindern, bis hin zu Gedankenschleifen, die niemandem guttun. Aber was ist mit dem Abfall, der auf dem Abgrund des Meeres, pardon: des Herren liegt? Da geht es nicht um Kork, Seesterne und Tang. Da geht es um Unnützes, was als Abfall liegt in Gottes Abgrund. Ich meine, diese Frage wäre der eigenen Einkehr oder eines Gespräches mit der Gruppe wert. Und: Ballast loswerden macht beweglicher, das gilt auch für das sich in Gott bewegen.

Harald Klein, Köln,
*1961, Priester und Sozialpädagoge
mit Schwerpunkt „“Spiritualität für Soziale Berufe“,
gebundenes Mitglied in der GCL