Spaltungen in Korinth
Es ist gerade einmal 20 Jahre her, dass Christus gekreuzigt wurde und auferstanden ist, und schon ist die Kunde von ihm vor allem durch Paulus über Jerusalem und Judäa hinausgegangen, ist um 50 n.Chr. herum in Korinth angekommen und wird weiterziehen nach Rom. Paulus hält Kontakt mit den Christen in Korinth. Als „die Leute der Chloe“ (vgl. 1 Kor 1,11) einige Fragen der jungen Christengemeinde und die Nachricht von Spaltungen in der Gemeinde an Paulus herantragen, schreibt er ihnen seine Antwort im erhaltenen 1. Brief an die Korinther. Und nach Gruß an die Gemeinde und Dank an Gott beginnt der erste Korintherbrief mit Schelte und Mahnung:
„Ich ermahne euch aber, Brüder, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn: Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch; seid ganz eines Sinnes und einer Meinung. Es wurde mir nämlich, meine Brüder, von den Leuten der Chloë berichtet, dass es Zank und Streit unter euch gibt. Ich meine damit, dass jeder von euch etwas Anderes sagt: Ich halte zu Paulus – ich zu Apollos – ich zu Kephas – ich zu Christus. Ist denn Christus zerteilt? Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt? Oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden? Ich danke Gott, dass ich niemand von euch getauft habe, außer Krispus und Gaius, sodass keiner sagen kann, ihr seiet auf meinen Namen getauft worden. Ich habe allerdings auch die Familie des Stephanas getauft. Ob ich sonst noch jemand getauft habe, weiß ich nicht mehr. Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden, aber nicht mit gewandten und klugen Worten, damit das Kreuz Christi nicht um seine Kraft gebracht wird“ (1 Kor 1,10-17).
Wer soll das Sagen haben?
Noch keine fünf Jahre ist die Gemeinde alt, und schon kennt sie mindestens vier „Parteien“, die sich an Menschen aus der Gemeinde ausrichten. Da ist Apollos, der dem hellenistischen Diasporajudentum entstammte und über Ephesus zu den paulinischen Gemeinden kam Gebildet, in der Hl. Schrift bewandert, redegewandt – so schildert ihn die Apostelgeschichte. Einer, der gut „theologisieren“ und predigen konnte. Begeistert hören die Korinther ihm zu, scharen sich um ihn, den „Goldmund“ Korinths.
Daneben gibt es die, die zu Kephas, zu Petrus halten. Das werden sicher die Judenchristen gewesen sein, die sich eher an ihren palästinensichen, jerusalemischen Ursprüngen orientieren. Sie werden sich schwer tun mit einem Paulus, der sich ‚Apostel nennt, ohne je mit Jesus gezogen zu sein, wie es doch „ihr“ Petrus getan hat. Und alles „Nachösterliche“ mag ihnen eher fremd, bedrohlich erscheinen. Und dann die, die von sich sagen: „Ich gehöre zu Christus!“ Das sind vielleicht am ehesten die, die einfach dazugehören, die nicht lange fragen oder fackeln, sondern zupacken, wenn es nötig ist, und die das ganze Gerangel um Apollos, Petrus, Paulus nur schwer verstehen, wenn nicht sogar verachten.
Und schließlich gibt es die Leute des Paulus – er selbst verwehrt sich dagegen, auch wenn sich dahinter sicher die Männer und Frauen der ersten Stunde in Korinth verbergen. Paulus wollte niemals diese Menschen an sich, zu sich führen, sondern zu Christus. Und sein aufgezeigter Weg, seine Verkündigung sollte doch niemals im Widerspruch zu der des Apollos, des Petrus, erst Recht nicht des Christus stehen.
Aber jetzt ist es da, dieses Dilemma. „Ich halte zu dem, zu dieser, zu jenen …“ – lange nicht nur das Problem in Korinth. Und erst Recht nicht nur ein Problem der „ersten Stunde“ (in) der Kirche. Die Vielheit der Menschen und der Gruppen, der Kulturen und der Riten, der Sorgen und der Freuden, der Fragen und der Antworten entdecken, wie sie sich heute zeigen, das ist schon in Korinth, das ist schon in den ersten Versen des ersten Briefes an die Gemeinde in Korinth grundgelegt.
Welche Wirklichkeit trifft meine Wahrheit?
Die Schelte und die Mahnung des Paulus stiften auch uns dazu an, zunächst über den eigenen Ort, über die eigene „Partei“ in der Kirche nachzudenken. Es lohnt herauszufinden, wer oder was mich in die Gemeinde, in die Kirche, in die Nachfolge gelockt hat; es lohnt nachzudenken, welcher „Partei“ ich schon angehört habe, welcher „Partei“ ich jetzt angehöre – und (um an den Widerständen zu wachsen) welche „Partei“ ich gemieden habe und immer wieder meide.
Eine zweite vertiefende Betrachtung kann mir helfen, die Gaben zu erkennen, die meine „Partei“ in die Kirche einbringt. Und sie kann helfen, die Gaben und Früchte der anderen Parteien zu würdigen. „Aus dem Reichtum schöpfen – Kirche“ kann in dieser Hinsicht heißen, meinen Reichtum und den meiner „Partei“ den Reichtümern der anderen „Parteien“ hinzuzufügen. In der Nachfolge des Herrn Kirche sein kann doch nur heißen, die Vielfalt der Gaben und Charismen im mystischen Leib Christi, die die Kirche ist, von Herzen willkommen zu heißen, um mit ihnen auch der Vielzahl der Wunden Christi an diesem mystischen Leib begegnen zu können.
Freudig auf das Eigene schauen, angstfrei die eigenen Schwachstellen sehen, dankbar betrachten, was andere einbringen, und sich mit den anderen gerufen wissen in die Nachfolge des einen Herrn, auch das macht den Reichtum der Kirche aus, aus dem ich schöpfen kann, und dessen Teil ich bin!
Mit dem Herrn ins Gespräch kommen
Eine dritte abschließende Betrachtung kann sein, mit dem Herrn ins Gespräch zu kommen. Ihn fragen, wo, mit wem, wie ich Sein Evangelium verkünden soll. Mag ich mich von Ihm her zurückhalten lassen in dem, was anderen „Parteien“ vorbehalten ist? Kann ich Ihm dankbar für das, was er mir an Stärken gegben hat? Ich darf Ihm demütig auch die Schwächen zeigen, und voll Freude auf die Vielfalt der Kirche schauen, die sich in Einheit um Ihn herum schart. Sie ist ja nicht ein loser Zusammenschluss zerbrechlicher „Parteien“; als die Glieder des einen mystischen Leibes sind wir um Ihn, der das Haupt dieses Leibes ist und bleibt. Versammelt.
Harald Klein, Königstein