Rupert Neudeck: „Man muss etwas riskieren“

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Mir fiel die Aufgabe zu, zum Themenheft „Mut“ für die Redaktion des Werkheftes der GCL einen Artikel über den Journalisten Rupert Neudeck (1993-2016) zu schreiben, der in Troisdorf vor den Toren Kölns lebte. Dunkel erinnerte ich mich, dass ich 1979 auf einem Flohmarkt in meinem kleinen Heimatstädtchen Bücher und Comics für die Aktion „Ein Boot für Vietnam“ verkaufte, aus der dann das „Komitee Cap Anamur“ wurde. Auch war Rupert Neudeck so etwas wie ein öffentliches Gewissen in seiner Freundschaft zu meinem Altbischof Franz Kamphaus, die beiden verband eine sogar öffentlich bekannte Freundschaft.

Drei Bücher über bzw. von Rupert Neudeck habe ich gelesen, besser müsste ich sagen, sie haben mich verschlungen. Michael Albus dokumentiert ein 2015 mit Neudeck geführtes Gespräch, in dem Neudeck seinen Weg von der Kindheit und der Flucht aus Danzig über das Studium für den Lehrberuf, die kurze Zeit im Noviziat der Jesuiten, seine Doktorarbeit über Politische Ethik bei Sartre und Camus und seine Arbeit als Journalist vorwiegend beim Deutschlandfunk zur Sprache bringt. Alles Institutionelle ist ihm ein Geländer, alles Lebendige und Leben Fördernde geschieht für Neudeck in und durch Beziehung.

Ein Jahr später, in Neudecks Todesjahr, erscheint sein Buch „In uns allen steckt ein Flüchtling. Ein Vermächtnis.“ In fünf Kapitel zeichnet Neudeck seine eigene Fluchtgeschichte nach, beschreibt dann die Rettungsaktionen für die vietnamesischen  „Boat People“ in den 1979er Jahren und später, gibt einen knappen, aber dafür um so verständlicheren Überblick über die gegenwärtigen Flüchtlingsgruppen auf der ganzen Welt (Kurden, Palästinenser, Syrer, Afghanen, Eritreer und, als noch kommende, die Klimaflüchtlinge). Im vierten Kapitel stellt Neudeck die staatlichen Reaktionen der sog. Flüchtlingswelle von 2015 dem gesellschaftlichen und ehrenamtlichen Regieren gegenüber und zeigt sowohl Stärken im Miteinander als vor allem Schwächen auf. Im abschließenden Kapitel stellt er Beispiele gelungener Integration vor. Dabei verurteilt er aufs Schärfste die Untätigkeit, zu der in Deutschland angekommene Geflohene oder Asylbewerber per Gesetz gezwungen sind.

Seine „Erinnerungen“ hat Neudeck 2007 unter dem Titel „Abenteuer Menschlichkeit“ herausgegeben. Mir waren die letzten drei Kapitel die wichtigsten: Christ sein – Meine Philosophen – Freundschaften. „Was bedeutet mir der Glaube? Alles. Was die Kirche in ihrer konkreten Gestalt? Wenig.“ Neudeck hatte die Gabe – oder sah es als seine Berufung und innere Pflicht an -, sich mit Menschen zusammenzutun und zu arbeiten, die einen gleichen Geist wie er hatten. Er fand sie, zugegeben, nur selten, in der Kirche, er fand sie in den Philosophen Jean-Paul Sartre und vor allem Albert Camus, er fand sie in Menschen Heinrich Böll, Lew Kopelew, Norbert Blüm u.a.

Mich hat die Lektüre der drei Bücher mitgenommen. Alles, was hier historisch beschrieben wird, kenne ich, und die Lektüre hat mich beschämt. Nicht nur, weil mir da einer gegenübersteht, der etwas tut, sondern am ehesten deswegen, weil ich jetzt erst informiert bin, was den Konflikten in Kurdistan, in Syrien, in Eritrea zugrunde liegt. Sie hat mich beschämt, weil ich mit – trotz meiner Profession als Sozialarbeiter – niemals ernsthaft Gedanken gemacht habe, welche Form von Integration hilfreicher, angemessener sein könnte. Und es ist – und darin liegt glaube ich der große Geist Neudecks und seine Seele – kein Beschämen, das mich klein macht, sondern das mich lockt. Da hat einer (!) mit zwei anderen durch Beharrlichkeit und mit Hilfe seiner Freundschaften über 10.000 Vietnamesen und Vietnamesinnen vor dem Ertrinken retten können. Da hat einer (!) mit zwei anderen 2003 die Grünhelme gegründet, wo Menschen verschiedener Kulturen und Religionen Aufbauarbeiten in Krisen- und Kriegsregionen leisten. Da hat einer (!) das „Abenteuer Menschlichkeit“ ganz wörtlich genommen und ein radikal mutiges Leben“ (Michael Albus) geführt. Vorsicht: die Lektüre kann süchtig machen nach einem „Mehr“ an Menschlichkeit.

Literatur:

Neudeck, Rupert (2007): Abenteuer Menschlichkeit. Erinnerungen, Köln

Albus, Michael (2015): Rupert Neudeck. Man muss etwas riskieren. Menschlichkeit ohne Kompromisse, München

Neudeck, Rupert (2016): In uns allen steckt ein Flüchtling. Ein Vermächtnis. München

veröffentlicht im Newsletter der Offenen Vernetzung Migration der GCL im März 2020