Sich dem Leben ausliefern

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Der rote Faden: Ich bin ausgeliefert!

Wenn Sie am heutigen Sonntag einen roten Faden suchen, der die beiden Lesungen und das Evangelium verbindet, so können Sie den in einer traurigen Wahrheit entdecken: Der Faden besteht in der Entdeckung, ausgeliefert zu sein.

Die erste Lesung erzählt von König Saul, wie er schlafend beinahe seinem Gegner Abischai in die Hände fällt. Es ist nur der List – oder ist eher Klugheit – des David zu danken, dass Saul die Nacht überlebt.

In der zweiten Lesung stellt Paulus den Korinthern Adam als den ersten, den geschaffenen Menschen vor Augen, von der Erde stammend, Erde seiend, Erde bleibend, wenn er nicht den lebensspendenden Geist empfängt. Adam ist – ohne gefragt zu werden – der Barmherzigkeit Gottes ausgeliefert, dagegen lehnt er sich auf, und Sie wissen, wie die Geschichte ausgeht.

Und dann Jesus in der Feldrede. Von dem, der Dir auf die eine Wange schlägt, ist die Rede, von dem, der Dich bittet, und von dem Du nichts zurückverlangen sollst, von denen, die von Dir leihen, ohne zurückzugeben, und von den Feinden, die zu lieben Dir Jesus aufträgt.

Ihrem Ausgeliefertsein auf die Spur kommen

Gehen Sie diesem Ausgeliefertsein in Ihrem eigenen Leben einmal nach. Wer hat Sie gefragt, ob Sie auf dieser Welt sein wollen? Wer hat Sie gefragt, ob Sie so sein wollen, wie Sie sind – und nicht lieber anders, ein anderer, eine andere? Wie steht es um den lebensspendenden Geist in Ihnen? Wie ist das in Krankheit? Oder in Situationen von Trennung und Tod? Spüren Sie den lebensspendenden Geist? Und was machen Sie nicht alles, um diesen Geist selbst zu erzeugen, was lassen wir es uns nicht alles kosten, um diesen Geist zu „machen“, zu erwerben? Und wie steht es um das Ausgeliefertsein denen gegenüber, die mit und die noch öfter gegen uns leben? Das „auf die eine Wange schlagen“ hat viele Gesichter und viele Namen in meinem Erleben. Die Feinde lieben? „Mit der Bergpredigt lässt sich keine Politik machen!“, so sagte es einmal der verstorbene Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Da lassen wir uns unser Recht schon was kosten! Ausgeliefert zu sein, das gehört zu dem Letzten, was ich von meinem Leben und in meinem Leben will! Oder?

Jesus – der sich ganz dem himmlischen Vater ausliefert

Ausgeliefertsein: Es geht Jesus hier nicht um Moral oder Ethik! „Hier geht es um die Evidenz der fundamentalen Bedürftigkeit und Abhängigkeit aller Menschen von einer Gnade, auf die sie keinerlei Anspruch besitzen und die sie doch absolut brauchen., um irgendwie vom heutigen zum morgigen Tag zu gelangen. Absolute Gnade – das und nur das verkörpert der Gott, den Jesus uns schenkte“[1], schreibt Eugen Drewermann in seinem Lukas-Kommentar. Das Leben Jesu, seine gesamte Verkündigung, auch sein Leiden und Sterben, erst recht seine Auferstehung kann nur verstanden werden auf dem Hintergrund dieser absoluten Gnade, für die sein himmlischer Vater, für den der Gott Jesu Christi steht und einsteht. Und weil er an diese Gnade glaubte und in dieser Gnade lebte, konnte sich Jesus ihr ganz und gar ausliefern.

Ausgeliefert leben – Gott sei es gedankt

Es kommt entschieden darauf an, wie Sie das Wort „ausgeliefert“ hören, und auf wen hin Sie es hören. Es kommt genau so entscheidend darauf an, aus welcher Perspektive Sie dieses Wort betrachten.

Da gibt es die Perspektive des Sünders. Noch einmal Eugen Drewermann: „Unter den ‚Sündern‘ sollte man – fernab von der Idee einzelner Gebotsübertretungen – Menschen verstehen, die Gott nicht wirklich kennen beziehungsweise die so leben, als ob es ihn nicht gäbe.“[2]In der Perspektive des Sünders, des „nur irdischen Menschen, um das Paulusbild zu gebrauchen,  ist „Ausgeliefertsein“ bloßer Kampf, ist der andere der Gegner, ist Gewinn im Leben nur durch Zins erreichbar – im Finanziellen, in den Beziehungen, in der Familie und bei der Arbeit.

Für den, in dem Gottes lebensspendender Geist wirkt, ist das Ausgeliefertsein nur Gnade! Es braucht dazu nichts außer der Hinwendung zu Gott. Nichts als das Vertrauen, dass „hinter“ oder „unter“ den Situationen, die zum Fortlaufen sind, noch etwas, besser: noch einer, der Eine steht.

Die kürzeste Formel, um die es im Glauben geht, sagt Jesus in dieser Feldrede: „Seid barmherzig, wie es auch Euer Vater ist!“ Es braucht einen Blick der Barmherzigkeit, mit mir selbst, mit allem in mir und mit allem und allen um mich herum. Es braucht dieses Einschwingen und Mitschwingen mit der Barmherzigkeit Gottes. Diesen Blick der Barmherzigkeit können Sie üben, Tag für Tag. Ein letztes Mal Eugen Drewermann: „Wir verräten unsere einzige Chance, wollten wir Gottes Gnade in ein Anspruchsdenken verwandeln, nur um ungnädig in unserem Leben weiterzumachen wie bisher. Zu existieren in der Gnadenlosigkeit, zu leben in Lieblosigkeit, sich ‚erbarmungslos‘ durchzusetzen inmitten all der Armseligkeit menschlichen Daseins – das macht aus der ‚Welt‘ einen höllischen Feuersee. Eine einzige Tat selbstloser Liebe vermag uns daraus zu erlösen.“[3]

Sie sind, wie Paulus sagt, Erde. „Staub bist Du, und zum Staub kehrst Du zurück“, in wenigen Tagen wird Ihnen das auf den Kopf zugesagt und auf die Stirn eingezeichnet. Aber Sie sind auch Geist! Sich Gott ausliefern, das heißt in frommen Worten: sich ganz in seine Hände geben. Jesu Beispiel, aber auch das Beispiel vieler Menschen, die aus seinem Geist leben – und auch ein Stück meiner eigenen Lebenserfahrung – bezeugen, dass die letzten Worte des heutigen Evangeliums tiefe Wahrheit sind: „Gebt, dann wird Euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man Euch beschenken; denn nach dem Maß, mit dem Ihr messt und zuteilt, wird auch Euch zugeteilt werden.“ Probieren Sie es doch einmal aus!

Amen.

Köln, 23.02.2019
Harald Klein

 

[1]Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium, Bd.1, Düsseldorf, 402.

[2]a.a.O.: 427.

[3]a.a.O., 434.