Nach der Richtung fragen
Sie kennen das sicher auch: Fremd in einer Stadt, fragen Sie jemanden nach dem Weg, und der Mensch antwortet Ihnen: „Sie müssen hier vorne einfach nach rechts fahren.“ – und zeigt dabei mit der Hand nach links. Wohin fahren Sie – nach rechts oder nach links? Die Psychologie rät, dorthin zu fahren, wohin die Hand zeigt. Die Gebärde, der Leib verspricht sich nicht so schnell wie der Gedanke, wie das Wort.
Sich versprechen – ungewollt eine falsche oder unbewusste Auskunft geben
„Ich komme am18.7“, sage ich, und meinte doch den heutigen Tag. „Frank war dabei“, sage ich, und meine eigentlich Peter. Ich habe mich versprochen – anders als bei der Lüge ist keine täuschende Absicht dabei. „Da sind Tatsachen zum Vorschwein gekommen“ –in diesem Freud‘schen Versprechen kommen unterbewusste Züge in das Versprechen hinein – Freud erzählt dieses Beispiel von einem Menschen, der gerne ausgedrückt hätte, dass sein Klient die Vorgänge, von denen er spricht, als wirkliche „Schweinerei“ empfindet.
Das Versprechen im Gottesdienst heute
Das Versprechen, das hier und heute im Gottesdienst abgelegt wird, ist weder unbewusst, noch umfasst es eine falsche Auskunft. Es umfasst einen ganzen Menschen in seiner, eine Schwester in ihrer ganzen Leib-Seele-Einheit.
Eine Schwester verspricht sich, nicht im eben aufgeführten Sinn, nein, ganz anders. Der Gegenstand des Versprechens ist nicht die Richtung, nicht eine Auskunft, nicht etwas Unbewusstes. Der Gegenstand des Versprechens ist sie selbst. Und sie verspricht sich der Oberin und den anderen Schwestern, in der Hoffnung, dass das Versprechen angenommen wird, und in der Hoffnung, dass im Versprechen sie aufgenommen wird. Wenn ich es ernst nehme, fordert das Versprechen der einen ein Versprechen der anderen, dann, wenn Sie dieses Versprechen annehmen – ich liebe die Doppeldeutigkeit dieses Wortes! Es gibt Phänomene, die kann man nicht einseitig leben – Freundschaft, Gefährtenschaft, Vertrauen, Loyalität, in geistlichen Kreisen sicher auch so etwas wie Gehorsam. Diese Versprechen anzunehmen heißt, sie zu erwidern.
Das Versprechen Gottes in der Tageslesung
Eine schöne Fügung, dass in der Lesung vom Tage von einem Versprechen Gottes die Rede ist. Jesaja sagt zu Hiskija: „Das soll für Dich das Zeichen des Herrn sein, dass der Herr sein Versprechen halten wird: „Siehe, ich lasse den Schatten, der auf den Stufen des Ahas bereits herabgestiegen ist, wieder zehn Stufen hinaufsteigen. Da stieg der Schatten auf den Stufen, die er bereits herabgestiegen war, wieder zehn Stufen hinauf.“
Liebe Sr. N.N., ich wünsche Ihnen für die Zeit Ihres Versprechens diese Sonne, die die Schatten immer wieder die Stufen hinaufsteigen lässt. Ich wünsche diese Sonne Ihnen allen in der Gemeinschaft. Helfen Sie sich einander dabei, den Schatten wieder zehn Stufen hinauf zu schicken.
Amen.
Köln, 17.07.2020
Harald Klein