Silvester 2020/Neujahr 2021 – Brot Wort Umarmung

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„Dem Vergangenen: Dank! Dem Kommenden: Ja!“

Für mich gibt es keinen anderen Tag, an dem die Bedeutung des Ritus und des Rituellen so deutlich wird wie an Silvester und im Übergang zum neuen Jahr. Der letzte bzw. der erste Tag des alten bzw. des neuen Jahres hat wie alle anderen Tage 24 Stunden, die Zyklen des Sonnenaufgangs und Sonnenuntergangs ändern sich nicht und bleiben in ihrer Ordnung, das Wetter wird sich nicht notwendig ändern, selbst die Säulen des Fernsehprogrammes behalten ihre Sendezeiten.

Und doch…! Rückblicke, Einblicke, Ausblicke allenthalben, Hoffnungen auf Neuanfänge scheinen stärker als Einbrüche in den alten Vorsätzen. Neujahr ist der Tag, um noch einmal – zum wievielten Male – zu beginnen. Was eigentlich? Warum eigentlich? Auf diese Weise wird manches schlechte Gewissen anderen oder mir selbst gegenüber beibehalten, und manche Überforderung, von der man es eigentlich jetzt schon wissen könnte, wird ausgesprochen, aufgeschrieben, angegangen.

Diese Weise des Übergangs hatte der irische Dichter George Bernhard Shaw (1856-1950) wohl im Blick, wenn er sagt: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, nicht mit schlechten.“ Es ist sicher das Ergebnis eines spirituellen Übungsweges, wenn man am Ende eines Jahres – genauso wie am Ende eines Besuches, einer Lebensphase oder ähnlichem – mit Dag Hammarskjöld (1905-1961) sagen kann: „Dem Vergangenen: Dank! Dem Kommenden: Ja!“

Silvester und Neujahr haben nun einmal etwas Kulturen, Nationen und Religionen Übergreifendes: sie markieren einen universalen Einschnitt, dem man sich nur schwer entziehen kann. Sie bieten sich als Jahres- und nicht nur als Monats- oder Tageswechsel an, einen Rückblick auf das Vergangene und einen Einblick in das Kommende zu tun. Das braucht aber nicht zu hindern, solche Rück- und Einblicke auch zu anderen Zeiten zu tun, das Universelle und (auch in kleineren Kreisen) das Gemeinschaftliche gibt den Anstoß zum Ritus und zum Rituellen im Zusammenhang mit dem Jahreswechsel.

» Dem Vergangenen: Dank!
Dem Kommenden: Ja! «
Dag Hammarskjöld (1905-1961)

Ein Blick auf das Vergangene

Zum Jahresende gehört der Blick auf das, was hinter Ihnen bleibt. Grundsätzlich gibt es zwei Linien – die kaufmännische und die spirituelle. Sie können auf Kaufmannsart den Kalender durcharbeiten und sich freuen an allem Gelungenen; dumm ist nur, dass die „offenen Rechnungen“ und die „Abrechnungen“ des Vergangenen auch im Kalender stehen. Da ist es hilfreicher, sich in einer stillen Stunde ausschließlich das vor Ihr geistiges Auge kommen zu lassen, dass Sie mit Dank erfüllt. Das andere ist auch da, aber soll es Sie jetzt, heute, hier belasten? Die letzten Farbtupfer des Jahres sollen helle, schöne Farben der Dankbarkeit sein. Nur so geht Dag Hammarskjölds „Dem Vergangenen Dank!“

Ein Blick auf das Kommende

Hammarskjöld fährt fort: „Dem Kommenden: Ja!“ Grundsätzlich gibt es auch hier wieder die zwei Linien – die kaufmännische und die spirituelle. Sie können auch hier auf Kaufmannsart den Kalender durcharbeiten und sich auf all das freuen, was schon an Schönem in Ihrem Kalender steht. Dumm nur, dass noch so viel offen und – in Pandemiezeiten – ungewiss ist. Da ist es hilfreicher, sich auf das Offene und auf das Ungewisse spirituell einzustellen.

Dem Kommenden: Ja! Sie können in eine Haltung hineinwachsen, die die deutsche Dichterin Rose Ausländer (1901-1988) in ihrem Gedicht „Unsere Sterne“ beschreibt: „Um den Atemmond / namenlos erleuchtete Sterne / Unsere irdischen Sterne / Brot Wort und / Umarmung“[1]

Ahnen Sie, was für ein Geschenk es ist, wenn z.B. am Ende des kommenden Jahres oder zu Weihnachten Ihnen ein Gefährte, eine Gefährtin, Ihre Kinder, Ihre Eltern, Freund oder Freundin dieses Gedicht oder seine Gedanken schenken, Ihnen auf welche Weise auch immer sagen, dass in „Brot, Wort, Umarmung“ sich die Begegnungen der dann vergangenen Zeit spiegeln? Sie können Brot, Wort und Umarmung dem Kommenden hinhalten, immer wieder, immer neu.

„Dem Vergangenen: Dank! Dem Kommenden: Ja!“ Beides können Sie in Haltungen einüben, alles Kaufmännische, alles Verrechnen und alles Berechnen hinter sich lassend. Ich wünsche Ihnen die Haltung der Dankbarkeit für das was war, von dort aus für das, was ist, und die geteilten Sterne von Brot, Wort und Umarmung.

Amen.

Köln, 30.12.2020
Harald Klein

[1] Vgl. [online] https://schimaere.wordpress.com/tag/rose-auslaender/ [30.12.2020]