Taufe des Herrn: Auf dass wir nicht atemlos werden…

  • Anstößig - Darüber lohnt es zu reden
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An Tagen wie diesen…

„O du fröhliche“: Manche spielen und singen es noch bis zum 02. Februar, bis zu „Maria Lichtmess“, aber nach dem gültigen liturgischen Kalender schließt der heutige Sonntag nach dem Dreikönigsfest den Weihnachtsfestkreis ab. Ein-, manchmal sogar abgetaucht könntest Du in die Weihnachtszeit gewesen sein. Sei es, was die Familienfeste, den Tannenbaum, die Geschenke, das Sternsingen usw. angeht, sei es die Musik, die du gehört, oder die Lieder, die Du selbst gesungen hast. Jetzt kommen die Bäume auf die Sammelstelle, die Nadeln werden aufgesaugt, der Alltag hat Dich wieder – und Du den Alltag.

An Tagen wie diesen magst Du Dir die Frage stellen, was anders war (in der Vergangenheitsform), was anders ist (in der Gegenwartsform) oder was nach dem Erlebten anders werden muss (in der Zukunftsform). Das ist das Gute und Lebensfördernde an Riten oder festen Zeiten: Diese wie auch immer gefüllten Tage sind – im Positiven wie im Negativen – Impulstage zu einer neuen und veränderten Hinwendung zum Leben. Im religiösen Bereich könntest Du hier von Gebet oder auch von Meditation reden; ersteres ist explizit religiös und von Frömmigkeit geprägt, zweiteres ist explizit spirituell und frei, selbst zu prägen und in der Lage, das erstere mit einzuschließen.

» Die Ausgeschlossenen sind die Eingeschlossenen in den Müllablagerungen der Ausschließenden. «
Wils, Jean-Pierre (2024): Verzicht und Freiheit. Überlebensräume der Zukunft., Stuttgart, 139.

… wünscht man sich Unendlichkeit

Jetzt also geht der Alltag wieder los. Man möchte sich wegducken – vor Neuwahlen, vor Donald Trump (den man jetzt in einem Atem mit Elon Musk nennen muss), vor Nationalismen allüberall, vor Ukraine vs. Russland, vor Israel vs. Palästina, und was weiß ich noch…

Die Metta-Sätze der gleichnamigen buddhistischen Meditation, auf Dich selbst oder von Dir auf andere hin gesprochen und meditiert, haben an dieser Übergangsstelle, haben an Tagen wie diesen einen eigentümlichen Klang: Möge ich/mögest Du glücklich sein – Möge ich/mögest Du sicher sein – Möge ich/mögest Du gesund sein – Möge ich/mögest Du in Leichtigkeit leben. Vielleicht ist es das, was die „Toten Hosen“ meinen, wenn sie von den „Tagen wie diesen“ singen, an denen man „sich Unendlichkeit wünscht“.

Aber der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht, schreibt Hilde Domin in ihrem Gedicht „Bitte.“ Sie fährt fort, dass – vielleicht nur – die Bitte taugt, dass bei Sonnenaufgang die Taube den Zweig vom Ölbaum bringe, dass die Frucht so bunt wie die Blume sei, dass noch die Blätter der Rose am Boden eine leuchtende Krone bilden. Hilde Domins „Bitte“ endet mit den Worten „… und dass wir aus der Flut / dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen / immer versehrter und immer heiler / stets von neuem / zu uns selbst / entlassen werden.“[1]

» Darüber hinaus verlieren wir unsere Selbstachtung, sobald wir das Richtige erkennen und dennoch nicht danach handeln. «
Wils, Jean-Pierre (2024): Verzicht und Freiheit. Überlebensräume der Zukunft., Stuttgart, 56.

Der Weg Jesu: abtauchen – eintauchen – auftauchen

Um im Bild des heutigen Evangeliums zu bleiben, magst Du „wegducken“ mit „untertauchen“ ersetzen. Taufe des Herrn. Jesus – eben bei Lukas noch Kind, dann Zwölfjähriger gewesen, kommt mit dem ganzen Volk (Lk 3,21) zum Fluss, um sich von Johannes taufen zu lassen. Lukas erzählt: „Und während er betete, öffnete sich der Himmel, und der Heilige Geist kam sichtbar in der Gestalt einer Taube auf ihn herab und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“

Jesus taucht unter in der Masse des Volkes, taucht ein in das Wasser des Jordan, taucht auf in Galiläa, später in Jerusalem. Und verändert mit seinen Gefährtinnen und Gefährten eine ganze Welt.

Die ganze Welt retten, das ist sicher nicht das, was Du von Dir selbst oder andere von Dir erwarten. Was Du aber von Dir selbst erwarten darfst, ist eben dieser Dreischritt in Deiner eigenen kleinen Welt, die ein Teil der großen, der ganzen Welt ist. „Abtauchen“, das entspricht im Evangelium dem betenden, dem zurückgezogenen Jesus, dem die Versuchungen der Welt alle vor Augen geführt werden und der sich für eine „Bescheidenheit vor Gott“ entscheidet. „Eintauchen“, das entspricht dem wachen, aufmerksamen umherziehenden Jesus, der die Menschen, deren Gebräuche und deren Sprache wahrnimmt und sich sein Urteil bildet. „Auftauchen“, das entspricht dem urteilenden, dem handelnden, dem mahnenden und dem mitnehmenden Jesus, der in die Verlorenheit der Welt sein „Reich“ als einen „Herrschaftsbereich Gottes“ oder einen „Ort des Lebendigen“ anbahnt und teilweise aufbaut.

» Wir werden in baldiger Zukunft lernen müssen, in Provisorien zu leben. Das Zeitalter der zwanghaften Vermehrung der Dinge – die Zeit des Überflusses – ist vorbei. «
Wils, Jean-Pierre (2024): Verzicht und Freiheit. Überlebensräume der Zukunft., Stuttgart, 243.

Die fünf Aufgaben

Was lerne ich „an Tagen wie diesen“ aus diesem Geschehen? Was magst Du lernen, mitnehmen aus dem Erleben dieser Advents- und Weihnachtszeit, die zumindest für mich begleitet und inspiriert wurde von Jean-Pierre Wils‘ „Verzicht und Freiheit. Überlebensräume der Zukunft“ und John von Düffels „Das Wenige und das Wesentliche. Ein Stundenbuch“?

Mir ist die unglaubliche Versuchung des „Abtauchens“ deutlich geworden – sich in einen „stillen Stall“ verziehen, vom Elend der Welt und dem Elend in der Welt die Augen verschließen, meine Krippenmenschen um mich herum in Gedanken oder auch ganz persönlich genießen.

Aber das taugt nicht, da hat Hilde Domin Recht! Flut, Löwengrube, feuriger Ofen sind – z.T. sogar wörtlich zu nehmende – Faktoren in unserer Welt, es ist wohl müßig, auf die Klimakatastrophe zu verweisen. Es ist an Tagen wie diesen, wo man sich Unendlichkeit wünschte, notwendiger und die Not wendender denn je, „einzutauchen“ in genau diese Fakten und die Prozesse, die durch sie angestoßen werden. Nicht, um die Unendlichkeit zu gewinnen, aber doch, um die Endlichkeit zu gestalten, auf Leben, vielleicht auf Überleben hin.

Jean-Pierre Wils weist wie auf eine Art alltäglichen Stalles von Bethlehem hin, wenn er von „Provisorien“ spricht: „Wir werden in baldiger Zukunft lernen müssen, in Provisorien zu leben. Das Zeitalter der zwanghaften Vermehrung der Dinge – die Zeit des Überflusses – ist vorbei.“[2] Und dann schlägt er am Ende seines Buchs, nach „Abtauchen“ i.S.v. Meditation und Sichtung, nach „Eintauchen“ i.S.v. sich in der Materie der Gegenwart und ihrer Herausforderungen, ein „Auftauchen“ vor, wie mit dem Erkannten und Gegenwärtigen umgegangen werden kann. Das Angehen und die Gestaltung von fünf Aufgaben können helfen, so Wils, uns Luft zu verschaffen, auf dass wir nicht atemlos werden:

„Wir benötigen – erstens – eine Mikropolitik der Lebensstile. Eine solche Politik kann nur eine demokratische sein, wenn sie bereit vor der Haustür anfängt. Diese These ist überaus anspruchsvoll, denn sie setzt voraus, dass wir die Bereitschaft kultivieren zu bleiben. […]

Es steht – zweitens – eine Prüfung unseres Bedürfnishaushalts, unserer Bedürfnisökologie an. Diese Prüfung fängt, wie so oft, bereits mit einem kritischen Blick auf die Sprache an. Die Rede von ‚Bedürfnissen‘ ist nämlich längst nicht so unschuldig, wie wir vermuten. […]

Es steht – drittens – die Verabschiedung unserer Freundschaft mit den Illusionen des Weiter-so an, die Aufhebung unserer Realitätsverleugnung, die Vermeidung von euphemischen Beschönigungs- und Verschönerungssprachen. […]

Es kommt – viertens – auf die Rehabilitierung der öffentlichen Güter mittels fundamentalökonomischer, also regional verankerter demokratischer Entscheidungsverfahren an. Die öffentlichen Güter repräsentieren, wie wir gesehen haben, fundamentale Daseinsbedingungen: Wohnen, Bildung, medizinische Versorgung und Pflege, Energie- und Wasserversorgung, nicht zuletzt ein bewohnbares Klima. Die Bereitstellung und die demokratische Verwaltung ihrer Infrastruktur gehören zum Bereich der ‚Fundamentalökonomie‘. Die Bedingungen für ein sicheres und zivilisiertes Leben werden hier bereitgestellt. Die erforderlichen staatlichen Maßnahmen sollten wir nicht unterschätzen, aber die demokratische Praxis, die zu ihrer Gewährleistung erforderlich ist, findet vor Ort statt. […] ^

Wir sollten – fünftens – den Mut aufbringen, unser Sprachregister zu erweitern. Dazu wird die Enttabuisierung von Verbots- und Verzichtsbegriffen gehören. Kategorien wie diese, aber auch Begriffe wie ‚Maßhalten‘, ‚Sparsamkeit‘ oder ‚Einschränkung‘ müssen wir von ihrem Nimbus des Negativen befreien. Sie werden Bestandteil einer Lebensform der ‚Selbstbescheidung‘ sein.“[3]

Hilde Domins Gedicht „Bitte“ ist das Schlusswort in Wils‘ Buch, von ihm angekündigt mit den Worten: „Zum Schluss – eine Prise Hoffnung[4]. Ich greife diese Idee gerne auf, möchte diese Idee und dieses Gedicht aber gerne an den Anfang setzen, der nach dem Ende der Weihnachtszeit folgt, kirchlich gesprochen in den Begin des „Jahreskreises“: dass Du, das ich, „dass wir aus der Flut / dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen / immer versehrter und immer heiler / stets von neuem / zu uns selbst / entlassen werden“. Auf dass wir nicht atemlos werden.

Amen.

Köln, 08.01.2025
Harald Klein

[1] Hilde Domin, Gesammelte Gedichte. Frankfurt am Main 1987, 117.

[2] Jean-Pierre Wils (2024): Verzicht und Freiheit. Überlebensräume der Zukunft, Stuttgart, 243.

[3] a.a.O., 247-250.

[4] a.a.O., 252f.