Taufe des Herrn – Der lebendige Mensch ist der spielende Mensch

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Was ist Ihnen Ihre Taufe wert?

In der Woche nach dem vierten Advent hatten wir zu Dritt in unserer kleinen Glaubensgruppe über Zoom einen Austausch zur Frage, was uns unsere Taufe eigentlich wert sei, wie es um unser Taufbewusstsein stünde, was es für uns bedeute, getauft zu sein. Keinem von uns Dreien, seit Jahren mit Exerzitien vertraut, war diese Frage je zur „Frage“, zum „Thema“ in den Exerzitien oder in der Begleitung geworden. Und vieles von dem, was in der Taufliturgie angesprochen, ausgesprochen, angenommen wird, gehört wie „selbstverständlich“ zum Christsein und zum Menschsein dazu. Gott anvertraut zu werden – bedarf es da eines Rituals? Zum Priester, König und Propheten (die Liturgie kennt die weiblichen Formen noch nicht) gesalbt zu werden und dadurch vor Gott und den Menschen eine besondere Würde erhalten, klingt ebenso verschroben wie die Zusage, in die Gemeinschaft der Kirche im Großen und im Kleinen aufgenommen zu werden – in Zeiten der großen Abwanderung aus der Kirche ist das auch kein Trost. Was bleibt? Was spricht dafür, als Erwachsener sich oder als Eltern das Kind taufen zu lassen? Warum lässt sich Jesus im Evangelium des heutigen Sonntags, der als liturgischer Abschluss der „Weihnachtszeit“ die „Zeit im Jahreskreis“ und damit die Evangelien vom öffentlichen Auftreten Jesu (mit der Versuchungsgeschichte!) einläutet, von Johannes taufen?

» Wenn Eltern für ihr Kind die Taufe erbitten, so sagen sie dem Kind, das zu ihnen gehört, nicht: Du gehst in den Besitz der Kirche über! Sie sagen ihm auch nicht: Du gehst in den Besitz der Gemeinde über! Sie sagen ihm auch nicht: Du gehst in den Besitz der Gesellschaft über! Sie sagen ihm nicht: Du gehst in den Besitz deiner Eltern über! Vielmehr sagen sie ihrem Kind: Du gehörst niemandem! Niemandem von dieser Welt! Du gehörst Gott! Du bist frei! Zu dieser Freiheit hat Gott dich berufen!«
Kießling, Klaus (o.J.) [online] https://www.donbosco-magazin.eu/Eltern/Erzieher-Kolumne/Was-Taufe-ist-und-was-sie-bringt [06012023]

„Ich – von Dir!“ – „Lass es nur zu!“ – „Du bist geliebt!“

Ich kann Ihnen nur ans Herz legen, das Evangelium dieses Sonntags in Mt 3,13-17 einmal mit viel Ruhe und inneren Anschauungen nachzulesen. Drei Stimmen sind darin zu hören.

Zuerst Johannes der Täufer, der Jesus auf sich zukommen sieht und ihm sagt: „Ich müsste von Dir getauft werden, und Du kommst zu mir?“ Die übliche gelehrte und erlernte Sichtweise: Da oben Gott, hier unten ich, der Mensch, und ich muss vor diesem Gott in und auf die Knie gehen, um vor ihm bestehen zu können – das ist ja bildlich schon unsinnig auf den Knien bestehen! Entweder ich mache mich klein auf meinen Knien, oder ich habe Stand. Johannes tut sich schwer damit, Stand zu haben, stehen zu bleiben, als Gottes Sohn zu ihm kommt. Umgekehrt müsste es sein: „Ich müsste von Dir getauft werden, und Du kommst zu mir?“

Dann Jesus: „Lass es nur zu. Nur so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen.“ Das erste Wort, das Jesus im Matthäus-Evangelium sagt, ist Programm, ist wie das Wort eines Menschen, den ich lange beobachte, ins Herz schließe und anspreche. Was wir er, was wird sie sagen? Und Jesus: „Lass es nur zu!“ Lass es zu, dass ich vor Dir auf die Knie gehe. Lass es zu, dass Du mich taufst, nicht umgekehrt, und mir so ermöglichst, über Dich mit dir in Kontakt zum himmlischen Vater zu kommen. Lass es zu, dass ich tue, was ich tun will und tun muss, und schau, was geschieht. All das und sicher noch viel mehr liegt in diesem „Lass es nur zu“ Jesu, und sein Zielpunkt ist, dass nur so wir (!) die Gerechtigkeit ganz erfüllen, was immer das auch heißen mag. Gottes Sohn macht sich klein und taucht ein in die Lebenswelt, die Lebenswirklichkeit der Menschen, um mit ihnen – dafür steht das „wir“ – diese Lebenswelt und diese Lebenswirklichkeit gerecht gestalten zu können.

Und schließlich die Stimme aus dem Himmel: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ Wie eine Taube sieht Jesus den Geist Gottes auf sich herabkommen, und das Evangelium verrät nicht, ob nur er, Jesus, oder ob auch Johannes die Stimme aus dem Himmel hört. Die Rede ist davon, dass Taube und Stimme Jesus in seiner Rolle als Gesalbten bezeugen, aber ob das Zeugnis nur Jesus selbst gilt oder auf die Umstehenden und Beteiligten überspringt, davon erzählt das Evangelium nichts.

» Gloria Dei vivens homo,
vita autem hominis visio Dei. «
» Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch.
Das Leben des Menschen aber ist die Schau Gottes. «
aus: Irenäus von Lyon, 2. Jhd.n.Chr., Adv. haer.

Die Kraft der Taufe zeigt sich im lebendigen Menschen

Das ist der Anfang des Nachsinnes über die mögliche Bedeutung der Taufe: Gott kommt zu mir, nicht ich zu ihm; er macht sich klein vor mir und wartet auf mein Zutun, sucht das „Wir“; und in diesem Zutun, in diesem „Wir“ bezeugt die Stimme vom Himmel, dass der, der so tut, dass die, die im „Wir“ sind, geliebt sind. Ich glaube, dass die Stimme und die Taufe Jesus als den Gesalbten bezeugen, aber Johannes mit hinein ins „Wir“ nehmen, und dass die Zusage des Geliebtseins beiden (wenn auch in einem. Im „Wir“) gilt.

Kurz gesagt will diese Taufe nichts anderes bewirken als dem Menschen zur Lebendigkeit verhelfen, und diese Lebendigkeit kann er aus der Zusage des Geliebtseins ziehen. Das Aufleben, das ich empfinde, wenn ein Mensch mir seine Nähe, sein Vertrauen oder seine Freundschaft und Liebe zusagt, ist das Grundgefühl des Menschen vor Gott, und Taufe ist das „Lass es nur zu“, dass diese Zusage des Geliebtseins in eine unglaubliche Freiheit versetzt. Ich gehöre niemandem, nur einem Gott, der mich in eine unglaubliche Freiheit setzt, nur das „Lass es nur zu!“ ist hier das Gebot der Stunde.

Ganz kurz fasst es Irenäus von Lyon zusammen, ein Kirchenvater des 2. Jahrhunderts. Diese gottgewollte, gottgeförderte Lebendigkeit des Menschen ist für ihn die Erfüllung der Gebote vor Gott: „Gloria Dei vivens homo, vita autem hominis visio Dei“ – zu deutsch: „Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch, das Leben der Menschen aber ist ihre Schau Gottes“.

» Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. «
Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 15. Brief, in: Kellermann, Friedrich (Hrsg.) (o.J.): Friedrich Schiller, Achter Band: Philosophische Schriften, bearb. von Paul Kaiser, Leipzig, 224.

„Lass es nur zu!“ – Der lebendige Mensch ist der spielende Mensch

Lebendig sein als Erfüllung des Gebotes, Gott die Ehre zu geben. Die Kraft zu dieser Lebendigkeit entstammt der Zusage Gottes, dass ich sein geliebtes Kind sei, und im Wort Jesu, dass wir dieses Leben gerecht leben und in diesem Leben gemeinsam die Gerechtigkeit umsetzen sollen.

In der Frage nach Humanität, nach dem Geist der Menschheit[1] gab es eine Menge Epitheta, eine Menge beschreibender Worte, die manche Wesenszüge des Menschen einzufangen suchten. Mit der Taufe hängt für mich nicht etwa der homo faber, der arbeitende Mensch, sondern am ehesten der homo ludens, der spielende Mensch, er ist der Urtyp des Künstlers, des Gestaltenden, des Schaffenden i.S.v. Schöpfer; es ist – nach Kant – die Einbildungskraft, die das Erleben des Schönen und Erhabenen ermöglicht.[2] Das Leben, das mit der Taufe zusammenhängt und das im Leben der Getauften „eingeholt“ werden muss, beschreibt Friedrich Schiller in seiner Briefsammlung über die ästhetische Erziehung des Menschen unübertroffen: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“[3] Wie gut könnten Philosophie und Theologie, könnten Ästhetik und Spiritualität samt Psychologie und Meditation an diesem Punkt zusammenkommen, Leben als Spiel zu sehen. Es ist wie in der Taufszene: Das Leben als Spiel kommt auf mich zu, bietet sich mir dar, klopft bei mir an, geht in die Knie vor mir – und mir bleibt nur das zweifelnde, staunende, anfragende und nicht glauben könnende „Du kommst zu mir?“ Schade, Chance vertan!

» Ich war seine Freude Tag für Tag
und spielte vor ihm allezeit.
Ich spielte auf seinem Erdenrund,
und meine Freude war es,
bei den Menschen zu sein. «
Spr 8,30f

Der Wert der Taufe: Die Freude, bei den Menschen zu sein!

Ob das alles so noch katholisch sei, mögen Sie fragen. Da verweise ich auf Spr 8,31 – ein alttestamentliches Wort, das die personifizierte Weisheit vor ihrem Schöpfer und auf ihn hin spricht: „Ich spielte auf seinem Erdenrund, und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.“ In dieser personifizierten Weisheit sieht die Theologie den „Sohn“ innerhalb der Dreifaltigkeit, der mit dem „Vater“ und auf ihn hin spricht. Dieses Wort des innergöttlichen Sohnes ist älter als die Jesusworte des Neuen Testaments, und es ist für mich die schönste Antwort auf die Frage, was mir denn meine Taufe bedeute. In allem, was geschieht, auf jede und jeden hin, die oder der mir begegnet, in meiner Beziehung zu mir selbst, meinen Zielen, Plänen und Ideen weiß und fühle ich mich vom Vater geliebt. So will ich in allem spielerisch umgehen, zur Freiheit des Spiels und zu den ihm eigenen Regeln durchstoßen, um es im „Wir“ mit dem Sohn zu spielen, zu leben. Und das Ganze ist umfasst vom Geist Gottes, wenn das Bei-den-Menschen-sein in Freude geschieht, wenn die Früchte des Geistes durch dieses Spiel aufgehen.

Nicht, dass das nur den Getauften zugesagt wäre oder nur ihnen möglich sei. Gott bewahre. Aber die Getauften können es benennen, haben einen Namen, einen Ausdruck oder Begriff dafür und können von daher begreifen und sich darüber verständigen. Und zwar mit „Herz und Mund und Tat und Leben“, wie die Kantate Nr. 147 von J.S. Bach betitelt ist. Die zwei schönsten Choräle daraus kennen Sie. Sie heißen „Wohl mir, dass ich Jesum habe“ und „Jesus bleibet meine Freude“. Und sind so Programm für den homo ludens, den spielenden Menschen.

Mehr wüsste ich über Taufe nicht zu sagen. Und was mag Ihnen Ihre Taufe wert sein?

Amen.

Köln 06.01.2023
Harald Klein

[1] vgl. Gerhardt, Volker (2019): Humanität. Über den Geist der Menschheit, München.

[2] vgl. a.a.O., 165.

[3] Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 15. Brief, in: Kellermann, Friedrich (Hrsg.) (o.J.): Friedrich Schiller, Achter Band: Philosophische Schriften, bearb. von Paul Kaiser, Leipzig, 224.