Taufe des Herrn – Eintauchen, nicht abtauchen

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Eintauchen, abtauchen, auftauchen

Zehn Jahre ist es her, dass die Herausgerberin und Autorin Anne Grießer und die Illustratorin Tamar Haber-Schalm eine kleine Anthologie unter diesem Titel veröffentlicht haben. In „Eintauchen, abtauchen, auftauchen“ erzählen 36 Autor*innen skurrile Geschichten aus der Badewanne und der Badewelt.

Es ist weniger das Buch als sein Titel, der mir zum Abschluss der Weihnachtszeit in der Betrachtung der „Taufe des Herrn“ in den Sinn kommt.

Und wie so oft ist es die Freude an der Sprache, die meine Gedanken leitet.

Bevor ich Ihnen mehr davon erzähle, bitte ich Sie, einmal kurz innezuhalten und den drei Worten auf die Spur zu kommen. Was/wen verbinden Sie mir „eintauchen“, was/wen mit „abtauchen“ und was/wen mit „auftauchen“? Welche Gefühlslagen stellen sich bei diesen Worten bei Ihnen ein, und warum ist das wohl so?

» Unersetzliches ist verloren gegangen und für immer zerstört, unerhört Neues wird an dessen Stelle geträumt. Zerstört und verloren gegangen sind für den größeren Teil der zivilisierten Welt vor allem die beiden Fundamente aller Lebensordnung, Kultur und Sittlichkeit: die Religion und die Sitte. Es fehlt unserem Leben durchgehends an Sitte, an einer traditionell überkommenen, geheiligten, ungeschriebenen Übereinkunft über das, was zwischen Menschen schicklich und geziemend sei. «
Hesse, Hermann (1926): Die Sehnsucht unserer Zeit nach einer Weltanschauung, in: Unseld, Siegried (Hrsg.) (1971): Hermann Hesse. Mein Glaube, Frankfurt/Main, 24.

Eintauchen

„Eintauchen“ verbinde ich mit Ausprobieren, mit Testen, sicher nicht mit Bleiben. In meiner letzten Lektüre[1] taucht der Autor ein in die Welt der Antifeministen, der rechten Burschenschaften, der rechtsextremen Männerbünde und faschistischen Rapper, schließlich der internationalen und patriarchalischen Gruppierungen in ihrem Kampf gegen die Menschenrechte. Sein Bericht war eine echte Herausforderung, ein Gegenton  für die adventlich-weihnachtliche Stimmung – oder vielleicht auch nicht! Da ist einer eingetaucht in eine Welt, die ich so nicht kenne und kennen will, und er ist wieder aufgetaucht, um von dieser Welt zu berichten!

In Evangelium nach Lukas ist von einem Eintauchen Jesu in den Jordan nicht die Rede, überliefert wird nur: „Zusammen mit dem ganzen Volk ließ auch Jesus sich taufen“ (Lk 3,21). Matthäus ist da bildreicher, wenn auch nur indirekt: „Kaum war Jesus getauft und aus dem Wasser gestiegen, da öffnete sich der Himmel…“ (Mt 3,16). Denselben Hinweis gibt der Evangelist Markus Mk 1,10.

Jesus taucht ein in den Fluss, der für das Leben der gesamten Landschaft steht, der das Leben dort garantiert. Er taucht ein in den Fluss des Lebens, nicht, um auszuprobieren, sondern um teilzuhaben, um Anteil zu nehmen und Anteil zu geben am Leben derer, die in diesem Fluss des Lebens steht. Indem er in den Fluss eintaucht, um wieder aufzutauchen, teilt er sinnbildlich das Boot mit all denen, die da am Ufer stehen, ist mit allen, die das möchten, in einem Boot.

Abtauchen

Mit dem Blick aufs Evangelium fällt mir bei „Abtauchen“ zuerst Judas Iskariot ein, der nach dem Abendmahl abtaucht, um Jesus zu verraten. „Abtauchen“ beginnt mit einem „Eintauchen“, schließt aber das „Auftauchen“ aus – oder lässt ein Auftauchen nur zu, wenn es ganz überraschende Züge hat, z.B. Judas, der als Verräter wiederkommt oder – entschuldigen Sie, ich war bei Neffen und Nichte zu Besuch – Gandalf, der im „Herrn der Ringe“ als Weißer Zauberer wiederkommt, nachdem er kämpfend als Grauer Zauberer abgetaucht ist in den Minen der Orgs.

Abtauchen liegt Jesus fern, selbst in den gefährlichen Tagen in Jerusalem hält er aus, bleibt, ist eingetaucht in das „Hosianna“ des Volks in Jerusalem, dem das „Kreuzige ihn“ folgen wird. Abtauchen ist mit Treue zu sich und zu den Seinen, den Anderen kaum in eins zu denken, beides geht nur beim Eintauchen und beim Auftauchen.

Auftauchen

Und vielleicht liegt auf dieser Linie des Eintauchens und des veränderten Auftauchens Jesu nach seiner Auferstehung auch sein ganzen Lebensgeheimnis, das die Stimme vom Himmel in allen drei Evangelien kundtut. Bei Markus und bei Lukas gilt sie Jesus selbst: „Du bist mein geliebter Sohn, an Dir habe ich Gefallen gefunden“ (Mk 1,11 und Lk 3,22). Bei Matthäus verweist die Stimme aus dem Himmel das Volk auf Jesus: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe“ (Mt 3,17). In der Szene auf dem Berg der Verklärung ist dieselbe Stimme noch einmal zu hören, jetzt ergänzt sie: „Dies ist mein geliebter Sohn, auf den sollt ihr hören“ (Mt 17,5; parr. Mk 9,7 und Lk 9,35).

Spielen Sie das einmal durch, wo und wie Menschen in Ihrem Leben plötzlich oder wieder  aufgetaucht sind. Sie werden diese Momente der der Zusage („Dieser/diese ist…“) entdecken können, aber auch das Hören auf diesen Menschen, sei es, um zuzustimmen, sei es, um sich abzuwenden. Wo jemand wirklich auftaucht in Ihrem Leben, wieder auftaucht, erstmals auftaucht, da beginnt etwas Neues.

» Die Tage sehen wir,
die teuren, gerne schwinden,
um etwas Teureres
herangereift zu finden:
ein seltenes Gewächs,
das wir im Garten treiben,
ein Kind, das wir erziehen,
ein Büchlein,
das wir schreiben.«
Hesse, Hermann (1996): Das Glasperlenspiel II, Reihe "Die Romane und die großen Erzählungen" Bd. 8, Frankfurt/Main,455. - Hesse lässt seinen Protagonisten Josef Knecht hier Friedrich Rückert zitieren.

Drei Figuren aus den Erzählengen Hermann Hesses

Mir selbst habe ich den Auftrag gegeben, in den Predigten der Advents- und in der Weihnachtszeit Motive der biblischen Lesungen mit Motiven des Denkens und Schreibens Hermann Hesses, besonders mit dem, was er „Mein Glaube“ nennt, in Verbindung zu bringen. Abschließend sei an drei Figuren erinnert, in denen ich dieses „Eintauchen“, „Abtauchen“ und „Auftauchen“ ebenso entdecke wie im Leben Jesu.

Da ist Narziss, der Mönch, aus Hesses Roman „Narziss und Goldmund“, erschienen 1930. Er taucht als Schüler ein in die Klosterschule und taucht ganz ab aus der Welt, wird Prior und Abt des Klosters. Das Leben der Welt neben dem Kloster hat nichts von ihm, dort taucht er nicht auf, er bleibt ein Abgetauchter, der ganz in seiner Welt zu Hause zu sein scheint.[2]

Da ist Goldmund, der eintaucht in die Welt des Klosterschülers Narziss, der aber dann das Kloster verlässt und eintaucht in jede Welt, die sich ihm anbietet, der Meisterschaften erwirbt in der Liebe wie in der Holzkunst. Er schlägt den Bogen aus seiner Welt, seinen Welten in die Welt des Narziss, taucht wieder im Kloster auf – was natürlich zu erheblichen Unruhen führt – um schließlich in den Armen des Narziss zu sterben. Ein Meisterwerk des Eintauchens, Abtauchens, Auftauchens.

Und schließlich Josef Knecht, der Protagonist des „Glasperlenspieles“, das 1943 in zwei Bänden erschienen ist. Josef Knecht taucht ein in die Welt des Glasperlenspiels, in „Kastilien“ und in den Orden der Glasperlenspieler, der versucht, kunstvoll und ästhetisch alle Wissenschaften zusammen zu denken und zusammenzuführen. Er taucht ganz ab, entwickelt sich in Kastilien zu Magister Ludi, zum Oberen und Obersten der Spielenden. Und plötzlich fehlt ihm, dem Abgetauchten, die Luft zum Atmen. Die Ästhetik des Zusammendenkens und Zusammenführens der Wissenschaften treten zurück vor dem großen Ziel, einen Menschen auch außerhalb von Kastilien zu erziehen, auf eine Spur zu setzen. Ein Gedicht von Friedrich Rückert verstärkt den Impuls: „Die Tage sehen wir, / die teuren, gerne schwinden, / um etwas Teureres / herangereift zu finden: Ein seltenes Gewächs, / das wir im Garten treiben, / ein Kind, das wir erziehen, / ein Büchlein, das wir schreiben.“[3] Ästhetik und Wissenschaft (vielleicht auch Liturgie und Theologie überhaupt) – man kann eintauchen in beides, aber sollte nicht abtauchen! Dem Leben dienen heißt, auftauchen – in der Welt, nicht im Orden der Glasperlenspieler. Knecht bietet sich seinem Freund Designori als Erzieher für dessen Sohn Tito an. Beim morgendlichen Schwimmen im See lässt er sich von Tito herausfordern, geht mit ins Wasser und ertrinkt, taucht ab, taucht nicht mehr auf.

» Später hat meine persönliche Religion ihre Formen noch oft verändert, niemals plötzlich im Sinn einer Bekehrung, stets aber langsam im Sinn von Zuwachs und Entwicklung. «
Hesse, Hermann (1931): Mein Glaube, in: Unseld, Siegried (Hrsg.) (1971): Hermann Hesse. Mein Glaube, Frankfurt/Main, 61.

„Du bist mein geliebter Sohn / meine geliebte Tochter!“

All das zusammennehmend, bleibt mir eins: Ich möchte und ich darf mir vom Evangelium zusagen lassen: „Du bist mein geliebter Sohn!“ resp. „Du bist meine geliebte Tochter!“ Ich darf, ich will sogar aus der Komfortzone meines Glaubens- und sonstigen Lebens raus – Sie erinnern sich an das Buch „Eintauchen, abtauchen, auftauchen“ zu Beginn: Ich könnte auch sagen, dass ich raus aus der komfortablen Welt der „Badewanne“ will. Stattdessen will ich eintauchen in Welten, die neben meiner Welt sind und die ich nicht kenne, nicht verstehe, die vielleicht sogar angstmachend sind. Ich will nicht abtauchen in Gewohntes, in Althergebrachtes, in die Grabenkämpfe der eigenen Gruppe oder Gruppen. Ich will da, wo ich auftauche, anstiften zum Leben, zu einem Mehr an Lebendigkeit.

Ich glaube, da auf der Spur zu sein, die Jesus von seiner Geburt an, vielleicht sogar von seiner Verheißung an gegangen ist. Lassen Sie uns auf dieser Spur bleiben.

Amen.

Köln 08.01.2022
Harald Klein

[1] Vgl. Ginsburg, Tobias (2021): Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats, Hamburg

[2] Auf dem Büchertisch wartet schon Bohm, Maren (2020): Hermann Hesses wundersame Geschichte, Freiburg/München. Hier wird spitzbübisch, aber stilistisch wunderbar kopierend, die Geschichte des Narziss erzählt, der in Hesses Roman eher Randfigur ist – als wiedergefundenes Manuskript Hesses! Eine Lust für Germanisten!

[3] Hesse, Hermann (1996): Das Glasperlenspiel II, Reihe „Die Romane und die großen Erzählungen“, Bd. 8, Frankfurt/Main, 455.