Taufe des Herrn – „Mein Atem heißt jetzt“

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Drei sind eins!

Es hat eine andere Qualität als Twitter oder Facebook, und dennoch können Sie die Erzählungen um Weihnachten herum ein wenig als „Social Media“ verstehen. Ganz verschiedene Bilder, ganz verschiedene Kulturen und Traditionen kommen da zusammen, um doch das Eine von dem Einen zu erzählen: Gott ist Mensch geworden. Ein Lukas bemüht Bilder von singenden Engeln, von Hirten und den Schafen, vom Stall und der Krippe, die dann später noch um Ochse und Esel ergänzt werden, um den sorgenden Josef und um seine junge Frau Maria, die grade Mutter Jesu geworden ist; gut 400 Jahre später spricht man dann davon, dass sie Mutter Gottes sei. Ein Matthäus setzt den Akzent auf die Weisen aus dem Morgenland, und ein Markus sowie ein Johannes „posten“ nichts von einer Kindheitsgeschichte, sondern legen ein Schwergewicht auf Johannes den Täufer und zeigen ihn, wie er auf den Einen, auf Jesus verweist – man könnte sagen, er schenkt ihm ein „Like“. Markus setzt dann (wie später auch Matthäus und Lukas) die Erzählung der Taufe Jesu als das „Sich zeigen“ Jesu dazu, Johannes wählt dafür die Wundererzählung der Hochzeit von Kana, wo auf die Bitte Mariens hin Jesus Wasser zu Wein wandelt und Maria – wie ein zweiter Johannes der Täufer – den Dienern ein Lebensprogramm mit auf den Weg gibt: „Was er euch sagt, das tut!“ Ein marianisches „Like“, um in der Social-Media-Sprache zu bleiben.

Eins ist allen vier Evangelien irgendwie gemein: Es gibt den einen Punkt, an dem der neugeborene Sohn Gottes sich zum ersten Mal der Welt zeigt. Dieser Tag hat wie eine Ellipse zwei Brennpunkte: zum einen beendet er die Advents- und Weihnachtszeit, zum anderen kann ab diesem Tag, in diesem Geschehen die Welt (wenn sie denn will) erkennen, wer ab heute auf der Weltbühne auftritt: der Eine eben, der Erwartete, der Verheißene, der Sohn Gottes! Dieses „sich zeigen“ und „sich offenbaren“ Jesu fasst die Antiphon des Magnificat in der Vesper sehr schön zusammen. Dort wird gebetet:

„Drei Wunder heiligen diesen Tag: Heute führte der Stern die Weisen zum Kind in der Krippe. Heute wurde Wasser zu Wein bei der Hochzeit. Heute wurde Christus im Jordan getauft, uns zum Heil. Halleluja.“

Da geht es nicht um datierbares „Heute“. Da geht es um ein Geschehen, dass diesen Tag zum „Heute Gottes“ macht. Nicht das Datum, das Geschehen ist entscheidend. Drei sind eins! Christus zeigt sich der Welt, tritt in sie ein – und dieser Moment ist bei Matthäus ausgedrückt in der Anbetung der drei Weisen, bei Johannes im ersten öffentlichen Wunder des Wandels von Wasser zu Wein, und bei Markus und Lukas, übernommen auch von Matthäus in der Taufe Jesu durch Johannes den Täufer Jesus reiht sich ein in das Schicksal der Menschen und gibt sich in deren Hände. Jesus taucht auf, und er taucht ein in das Leben der Menschen um ihn herum. Seine Taufe ist so etwas wie ein Startschuss für sein öffentliches Leben und Wirken, für sein Sich-zeigen, nicht datiert, sondern im Tun, im Vollzug.

Ein Missverständnis

Wissen Sie, was das Lesen der Evangelien mit dem „Lesen“ Ihrer Lebensgeschichte gemeinsam hat? Man ist schnell versucht, ein frühes, erstes Kapitel als Anfang zu nehmen, um dann eine „Lifeline“, eine Lebenslinie von dort aus zu starten, die nach manchen Kurven, Windungen, Steilstrecken nach oben wie nach unten in die Sackgasse des Todes führt. Zugegeben, bei den Evangelien hat man als Ausweg von der Auferstehung gesprochen, aber daran glauben ja kaum noch Christen.

Man könnte auch die Taufe Jesu – die Erscheinung vor den Weisen, das erste Wunder in Kana – als solche Initialzündung sehen, als einen Impuls (der Kölner würde sagen; als einen „Däu“) in die richtige Richtung. Und ab dann geht es reibungslos, ohne Reibungsverluste, immer weiter. Aber das ist grundsätzlich falsch. So funktionieren physikalische Elemente, aber Leben funktioniert so gerade nicht.

» Die Leichtigkeit, mit Gott in Verbindung zu treten, [...] sei jetzt größer als je sonst in seinem ganzen Leben. Immer und zu jeder Stunde, wann er Gott finden wolle, könne er ihn finden. «
Schneider, Burkhart (Hrsg.) (1977): Ignatius. Der Bericht des Pilgers, Freiburg, 126.

Meditation und Gebet – eine Art „Wieder-Taufe“

Spätestens wenn Sie beginnen, Meditation einzuüben, erfahren Sie die große Freiheit des „Hinter-sich-lassen-könnens“, anders: des Neubeginns. Christlicher Glaube spricht uns diesen Neubeginn zu, setzt aber Schuldbekenntnis und Buße (samt Beichte) voraus! Schade. Gott schaut nicht auf die Person, sondern ihm ist in jedem Volk willkommen, wer ihn fürchtet und wer tut, was recht ist, sagt Paulus in der Lesung des heutigen Tages. Ich lese da nichts von Voraussetzungen. Was ich lese, was ich erahne (und an was ich glaube), ist, dass dieser Moment des Sich-Zeigens, der bei Jesus an drei Ereignisse gehängt wird, stets und ständig möglich ist, Ihnen wie mir. Und dass die Stimme, die bei der Taufe Jesu aus dem Himmel sprach „Du bist mein geliebter Sohn, an Dir habe ich Wohlgefallen gefunden“ – schöner und inklusiver übersetzt mit „Du bist mein geliebtes Kind, an Dir habe ich Wohlgefallen gefunden“ an jedem Tag, zu jeder Stunde vernommen werden kann, von Ihnen wie von mir.

Da sind wir nah am heiligen Ignatius. In seiner in der Er-Form diktierten Autobiographie, dem „Bericht des Pilgers“, sagt Ignatius gegen Ende: „Er habe zwar viele Beleidigungen gegen unsern Herrn begangen, nachdem er angefangen habe, ihm zu dienen; jedoch habe er nie seine Einwilligung zu einer schweren Sünde gegeben. Vielmehr habe seine Andacht immer mehr zugenommen, das heißt: die Leichtigkeit, mit Gott in Verbindung zu treten, und diese sei jetzt größer als je sonst in seinem ganzen Leben. Immer und zu jeder Stunde, wann er Gott finden wolle, könne er ihn finden.“[1]

Meditieren und Beten wird zu einer Art „Wieder-Taufe“: Weil ich eintauche in die Welt Gottes und in die Welt der Menschen, egal wann, egal wo, weil ich hinhöre auf diese Stimme Gottes, die mir zusagt, dass ich sein Kind sei, kann ich Tag um Tag, Stunde um Stunde versuchen, das rechte zu tun, recht zu leben, recht zu lieben – und mich lieben zu lassen. Ein anderes Wort dafür ist „gegenwärtig sein“.

» Die Vergangenheit hat mich gedichtet
ich habe
die Zukunft geerbt.
Mein Atem heißt
jetzt «
Ausländer, Rose (1981): Mein Atem heißt jetzt, Frankfurt/Main, 5.

„Mein Atem heißt jetzt“

Diesen Vorgang des „gegenwärtig seins“ hat die am 03. Januar 1988 in Düsseldorf verstorbene Dichterin Rose Ausländer in einem späten Gedicht beschrieben, das mir zutiefst auch ein Weihnachtsgedicht ist. Mit diesem Gedicht will ich schließen, und mit der Hoffnung, dass Ihnen wie mir mit dem Atem des Jetzt die Stimme Gottes erfahrbar wird und dass Sie wie ich im Moment, im Augenblick immer wieder sich zeigen als das, was Sie sind, was ich bin: Kind Gottes, Bruder oder Schwester Jesu, gemeinsam gerufen, zueinander geführt, miteinander unterwegs.

Mein Atem[2]

In meinen Tiefträumen
weit die Erde
Blut

Sterne lächeln
in meinen Augen

Kommen Menschen
mit vielfarbnen Fragen
Geht zu Sokrates
antworte ich

Die Vergangenheit hat mich gedichtet
ich habe
die Zukunft geerbt.

Mein Atem heißt
jetzt

 

Amen.

Köln, 09.01.2021
Harald Klein

[1] Schneider, Burkhart (Hrsg.) (1977): Ignatius. Der Bericht des Pilgers, Freiburg, 126.

[2] Ausländer, Rose (1981): Mein Atem heißt jetzt, Frankfurt/Main, 5.