Verw:ortet 09/2024: Paul Auster – Die New-York-Trilogie

  • Worte, auf denen ich stehe
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Um was es geht

Ich gebe zu, dass mir  – abgesehen von Edgar Allen Poe, Ernest Hemingway und Mark Twain – die vor allem zeitgenössische amerikanische Literatur eher fern ist. Eine Freundin aus dem Umfeld der Kartäuserkantorei hat mich auf Paul Auster (1947-2024) und seine schriftstellerischen Scharaden aufmerksam gemacht. Für die Zeit eines gemeinsamen Urlaubs habe ich mir dann die Trilogie, also drei (vorweggesagt: sehr ähnliche) Romane in einem Band besorgt, die alle drei in New York spielen. Das erklärt dann den Titel der Sammlung.

Auf den ersten Blick verbindet die drei hier vorgestellten Bücher das Thema der Suche i.S.v. einer Observierung. Das Lesen wird zur Scharade, weil die Lesenden plötzlich nicht mehr unterscheiden können, wer wen aus welchem Grund sucht, oder auch, wer sucht und wer denn letztlich gefunden wird oder findet. Die Freud’sche Unterscheidung von „Ich“ – „Es“ und „Über-Ich“ kann Dir zur Lesehilfe werden. Oder Du nimmst die „Teilpersönlichkeiten“ der Psychosynthese, deren „Stimmen“ und „Verhalten“ mal den einen, mal den anderen Charakteren der Erzählungen zugeordnet werden können, bevor sie beginnen zu „springen“. Austers Bücher in dieser Trilogie leben davon, dass nichts, aber auch gar nichts eindeutig ist.

In Stadt aus Glas (1985) wird ein Privatdetektiv Daniel Quinn fälschlicherweise für Paul Auster gehalten. Quinn (also Auster) wird von Stillman jr. beauftragt, seinen Vater, den Religionsforscher Stillman sr. zu suchen. Der Sohn hat Angst, sein sadistischer Vater würde nach seiner Strafe im Zuchthaus – über Jahre hat er seinen pubertierenden Sohn im Dunkel des Kellers gefangen gehalten – nun ans Leben wollen. Über diesen Auftrag, über die Observierung und das Verschwinden von Stilman sr., verliert Auster (oder ist es doch Quinn), alles, was er besaß, übrig bleibt nur sein rotes Notizbuch, in dem er alle Schritte seines Beobachtens dokumentiert.

Schlagschatten (ebenfalls 1985) kennt nur Charaktere, die Namen von Farben tragen. Mr. White überträgt die Aufgabe des Beschattens von Mr. Black an den Privatdetektiv Mr. Blue. In der Observierung von Black wächst in Blue der Verdacht, Black selbst habe ihm über den Mittelmann White den Auftrag gegeben, ihn zu observieren – um umgekehrt ihn, Blue, zu beobachten. Verkleidet nimmt Blue Kontakt mit Black auf und verwickelt ihn in Gespräche. Bei einem Einbruch in Blacks Wohnung findet Blue seine eigenen wöchentlichen Aufzeichnungen (hier ist das „wer ist wer“ besonders deutlich). Black kehrt zurück, Blue stiehlt das Manuskript und flieht aus der Wohnung – der Fortgang der Geschichte bleibt offen. Wieder das Ringen zwischen „Ich“ – „Es“ – „Überich“, wieder die unterschiedlichen „Teilpersönlichkeiten“. Wer sucht und observiert hier eigentlich wen, wer begegnet, wer ringt mit wem, wer ist – um Freuds „dritte Kränkung des Menschen“ zu zitieren – denn der „Herr im Haus“? Kann es sein, dass Auster diese Frage um der Lesenden willen gar nicht beantworten will, oder, mehr noch, wie vielleicht auch die Lesenden, nicht beantworten kann?

In Hinter verschlossenen Türen (1987) geht es um einen verschwundenen Schriftsteller, Fanshawe, der niemals etwas veröffentlichte. Dessen Frau Sophie sucht einen im Roman namenlosen Literaturkritiker auf, der ein Jugendfreund von Fanshawe war, und bittet ihn, ihn zu suchen. Fanshawes Werke werden mit Hilfe des Kritikers und seiner Besprechungen populär, der Autor selbst bleibt jedoch verschwunden. Später meldet sich Fanshawe beim Kritiker per Brief mit der Drohung, er werde ihn töten, wenn er ihn aufspüre. Später, in einem zweiten Schreiben, lädt er ihn doch zu einem Treffen in Boston ein; als der Kritiker eintrifft, sagt Fanshawe, er habe Gift genommen und werde ihn mit einem Revolver erschießen, wenn er sich ihm weiter nähere. Er habe ihm ein rotes Notizbuch in der Wohnung hinterlegt, das der Kritiker nach seinem Tode lesen möge, um alles zu verstehen – das Gegenteil ist dann aber der Fall, alle Notizen sind unverständlich. Der Kritiker zerreißt das Buch und wirft es seitenweise weg.

Das Ende des dritten Romas schlägt eine Brücke zu den früheren beiden. Alle drei Romane erzählen dieselbe Geschichte, heißt es hier, nur in einem anderen Stadium. So heißt der Detektiv, den Sophie nach Fanshawes Verschwinden beauftragt Quinn; ein Fremder, den der noch namenlose Erzähler auf der Suche nach Fanshawe für ihn hält und ihn zu erkennen glaubt, nennt sich Peter Stillman.

Die verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung – sei es von Personen, von Ereignissen, von Städten – aber auch eine Art apokalyptischer Sprachverwirrung zwischen den handelnden Personen zeichnen ein Bild von einer postindustriellen, postmodernen Gesellschaft, in der dehumanisierende Momente die Oberhand gewinnen.[1] Und das Ganze – mein persönliches Leseurteil – ist dennoch mitreißend geschrieben und in der Handlung gut zu verfolgen.

Alle Zitate sind entnommen aus Auster, Paul (2021): Die New-York-Trilogie. Stadt aus Glas – Schlagschatten – Hinter verschlossenen Türen, Reinbek. Die Ziffern in der Klammer am Ende des Zitats verweisen auf die Seitenzahl.

» Sehen Sie, die Welt liegt in Trümmern, Sir. Wir haben nicht nur unser Ziel verloren, wir haben auch die Sprache verloren, mit der wir darüber sprechen können. «
Auster, Paul (2021): Die New-York-Trilogie - Stadt aus Glas, Reinbek, 12.

Die Zitate

aus: „Stadt aus Glas“

„Die Welt war außerhalb seiner selbst, um ihn herum, vor ihm, und die Schnelligkeit, mit der sie ständig wechselte, machte es ihm unmöglich, bei irgendeiner Einzelheit länger zu verweilen. Die Bewegung war entscheidend, die Tätigkeit, einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich einfach von seinem eigenen Körper treiben zu lassen. Durch das ziellose Wandern wurden alle Orte gleich, und es war nicht mehr wichtig, wo er sich befand.“ (10)

„Sehen Sie, die Welt liegt in Trümmern, Sir. Wir haben nicht nur unser Ziel verloren, wir haben auch die Sprache verloren, mit der wir darüber sprechen können.“ (12)

„Ein Bleistift ist zum Schreiben da, ein Schuh zum Tragen, ein Auto zum Fahren. Meine Frage lautet nun: Was geschieht, wenn ein Ding nicht mehr seine Funktion erfüllt? Ist er noch das Ding, oder ist er etwas anderes geworden? [..] Der Schirm hat aufgehört, Schirm zu sein. Er mag einem Schirm ähneln, er mag einmal Schirm gewesen sein, aber nun hat er sich in etwas anderes verwandelt. Das Wort ist jedoch dasselbe geblieben. Daher kann es das Ding nicht mehr ausdrücken. Es ist ungenau, es ist falsch, es verbirgt das Ding, das es enthüllen soll. Und wenn wir nicht einmal einen gewöhnlichen alltäglichen Gegenstand benennen können, den wir in der Hand halten, wie wollen wir dann von den Dingen sprechen, die uns wirklich etwas angehen? Wenn wir nicht anfangen, den Begriff der Veränderung in die Wörter aufzunehmen, die wir gebrauchen, bleiben wir verloren.“ (106f)

„Mir scheint, dass ich immer dort glücklich wäre, wo ich nicht bin. Oder, gröber gesagt: Wo immer ich nicht bin, ist der Ort, wo ich selbst bin. Oder, um den Stier bei den Hörnern zu packen: überall außerhalb der Welt.“ (149)

„Quinn hatte sich immer für einen Mann gehalten, der gern allein war. In den letzten fünf Jahren hatte er das Alleinsein auch absichtlich gesucht hat. Aber erst jetzt, als sein Leben in der Gasse weiter- und weiterging, begann er das wahre Wesen der Einsamkeit zu verstehen. Er konnte auf nichts anderes mehr zurückfallen als auf sich selbst. Und von allen Dingen, die er während der Tage dort entdeckte, war dies das eine, das er nicht anzweifelte: dass er fiel. Was er jedoch nicht verstand, war dies: Wir konnte man, da er doch fiel, von ihm erwarten, dass er sich ebenso auch wieder fing? War es möglich, zugleich oben und unten zu sein?“ (158)

„Quinn dachte auch daran, aufzustehen und in ein anderes Zimmer zu gehen, aber dann wurde ihm bewusst, dass er ganz glücklich war, wo er sich befand. […] Nur eines fehlte ihm, und das war der Himmel. Er erkannte, dass er ihn über sich vermisste, nachdem er so viele Tage und Nächte im Freien verbracht hatte. Aber jetzt war er drinnen, und gleich welches Zimmer er sich aussuchte, um darin zu kampieren, der Himmel würde verborgen bleiben, unzugänglich selbst an der fernsten Sichtgrenze.“ (171f)

„Der letzte Satz im roten Notizbuch lautet: Was wird geschehen, wenn in dem roten Notizbuch keine Seiten mehr sind?“ (176)

» Die Wahrheit ist, dass Blue des Kampfes müde ist. Er erträgt ihn nicht mehr. Und allem Anschein nach erträgt ihn aus Black nicht mehr. Sieh ihn dir nur an, sagt sich Blue. Er ist das traurigste Geschöpf der Welt. Und dann, in dem Augenblick, in dem er diese Worte sagt, versteht er, dass er auch von sich selbst spricht. «
Auster, Paul (2021): Die New-York-Trilogie - Schlagschatten, Reinbek, 254.

aus: „Schlagschatten“

„Während er Black auf der anderen Straßenseite beobachtet, ist es, als blicke Blue in einen Spiegel, und anstatt nur einen anderen zu beobachten, findet er, dass er auch sich selbst beobachtet. Das Leben hat sich für ihn so drastisch verlangsamt, dass Blue nun imstande ist, Dinge zu sehen, die früher seiner Aufmerksamkeit entgangen sind. Die Bahn, die das Licht jeden Tag durch sein Zimmer beschreibt, zum Beispiel, und die Art, wie die Sonne zu gewissen Stunden den Schnee am hinteren Ende der Zimmerdecke reflektiert.“ (193)

„Da er so wenig anderes zu berichten hat, würden diese Ausflüge ins Erdichtete dem, was geschehen ist, wenigstens etwas Würze verleihen. Aber Blue besinnt sich und sieht ein, dass sie im Grunde nichts mit Black zu tun haben. Dies ist schließlich nicht die Geschichte meines Lebens, sagt er, Über ihn soll ich schreiben, nicht über mich selbst.“ (197)

„Ich bin auf mich allein gestellt, es gibt niemanden mehr, an den ich mich wenden kann. Mehrere Stunden verfällt er in Mutlosigkeit und Selbstmitleid und denkt ein- oder zweimal, dass es besser wäre tot zu sein. Aber schließlich überwindet er seine düstere Stimmung. Denn Blue ist eigentlich ein ausgeglichener Mensch und neigt weniger zu finsteren Gedanken als die meisten, und wer sind wir, dass wir ihm Vorwürfe machen dürften, wenn ihn manchmal der Weltschmerz überkommt? Als es Zeit fürs Abendessen wird, hat er sogar schon angefangen, die guten Seiten zu sehen. Das ist vielleicht sein größtes Talent: nicht, dass er nicht verzweifelt, sondern dass er nie sehr lange verzweifelt ist. Letzten Endes ist es vielleicht in Ordnung so, sagt er sich. Es ist vielleicht besser, allein zu sein, als von einem anderen abzuhängen.“ (210f)

„‘Sagen Sie, warum beobachten Sie Ihren Mann jetzt nicht? Sollten Sie ihn nicht im Auge behalten?‘ –‚Das ist es ja gerade‘, antwortete Black. ‚Ich brauche mir gar keine Mühe mehr zu machen. Ich beobachte ihn nun schon so lange, dass ich ihn besser kenne als mich selbst. Ich brauche nur an ihn zu denken, und ich weiß, was er tut, ich weiß, wo er ist, ich weiß alles. Es ist so weit gekommen, dass ich ihn mit geschlossenen Augen beobachten kann.‘“ (241)

„Dann läuft alles auf eine Frage hinaus, nicht wahr?‘, sagt Blue. Er vergisst Snow und blickt Black gerade in die Augen. ‚Weiß er, dass Sie ihn beobachten, oder weiß er es nicht?‘ Black wendet sich ab, außerstande, Blue anzusehen, und mit einer plötzlich zitternden Stimme sagt er: ‚Natürlich weiß er es. Das ist doch der wesentliche Punkt, nicht wahr? Er muss es wissen, sonst hat alles keinen Sinn.‘ – ‚Warum?‘ ‚Weil er mich braucht‘, sagt Black, immer noch mit abgewandtem Blick. ‚Er braucht meine Augen, die ihn ansehen. Er braucht mich, um zu beweisen, dass er lebt.‘“ (242)

„Von nun an, denkt er, wird alles, was geschieht, alles andere beeinflussen. Die Tür wird sich öffnen, und danach wird Black für immer in ihm sein.“ (245)

„Immer noch gegen die aufwallenden zarten Gefühle ankämpfend, sagt er sich, dass er allein gelassen werden will, dass alles, was er wünscht, Ruhe und Frieden ist. Allmählich wird ihm bewusst, dass er tatsächlich seit mehreren Minuten dasteht und sich gefragt hat, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, Black zu helfen, ob es nicht möglich wäre, ihm in Freundschaft die Hand zu reichen. Das würde sicherlich den Spieß umdrehen, denkt, Blue, das würde gewiss alles auf den Kopf stellen. Aber warum nicht? Warum nicht das Unerwartete tun? An die Türklopfen, die ganze Geschichte auslöschen – es ist nicht weniger absurd als alles andere. Denn die Wahrheit ist, dass Blue des Kampfes müde ist. Er erträgt ihn nicht mehr. Und allem Anschein nach erträgt ihn aus Black nicht mehr. Sieh ihn dir nur an, sagt sich Blue. Er ist das traurigste Geschöpf der Welt. Und dann, in dem Augenblick, in dem er diese Worte sagt, versteht er, dass er auch von sich selbst spricht.“ (254)

» Am Ende ist jedes Leben nicht mehr als die Summe von Zufällen, eine Chronologie von unerwarteten Überschneidungen, glücklichen Zufällen, wahllosen Ereignissen, die nichts als ihre eigene Planlosigkeit enthüllen. «
Auster, Paul (2021): Die New-York-Trilogie - Hinter verschlossenen Türen, Reinbek, 288.

aus „Hinter verschlossenen Türen“

„Am Ende ist jedes Leben nicht mehr als die Summe von Zufällen, eine Chronologie von unerwarteten Überschneidungen, glücklichen Zufällen, wahllosen Ereignissen, die nichts als ihre eigene Planlosigkeit enthüllen.“ (288)

„Geschichten geschehen nur denen, die imstande sind, sie zu erzählen.“ (292)

„Als eines seiner Kinder starb, heißt es, war er so von Kummer übermannt, dass er sich beinahe ein Jahr lang weigerte, sein Haus zu verlassen. Das Entscheidende ist, dass zuletzt jedes Leben auf nichts anderes als auf sich selbst zurückgeführt werden kann. Was mit anderen Worten heißt: Das Leben hat keinen Sinn.“ (334f)

„Das ist es, was man letzten Endes vom Leben lernt: wie eigenartig es ist.“ (345)

Zur Identität des Erzählers mit Fanshawe: „Die Gedanken hören auf, wo die Welt beginnt, sagte ich mir immer wieder. Aber das Ich ist auch in der Welt, antwortete ich, und ebenso sind es die Gedanken, die von ihm kommen. Das Problem war, dass ich nicht mehr die richtigen Unterscheidungen treffen konnte. Dies kann nie das sein. Äpfel sind keine Orangen, Pfirsiche keine Pflaumen. Man spürt den Unterschied auf der Zunge, und dann weiß man es wie im eigenen Inneren. Aber alles bekam für mich denselben Geschmack. Ich fühlte keinen Hunger mehr, ich konnte mich nicht mehr dazu überwinden zu essen.“ (382)

„Fanshawe war da, und sosehr ich mir auch Mühe gab, nicht an ihn zu denken: ich konnte ihm nicht entkommen. […] Der ganze Prozess war umgedreht worden. Nach all den Monaten, in denen ich versucht hatte, ihn zu finden, hatte ich das Gefühl, derjenige zu sein, der gefunden worden war. Anstatt nach Fanshawe zu suchen, war ich tatsächlich vor ihm davongelaufen.“ (385)

„Ich behaupte nicht, irgendwelche Probleme gelöst zu haben. Ich will nur sagen, dass eine Zeit kam, in der es mich nicht mehr erschreckte, zu betrachten, was geschehen war. Wenn Worte folgten, so nur deshalb, weil ich keine andere Wahl hatte, als sie zu akzeptieren, sie auf mich zu nehmen und zu gehen, wohin sie wollten, das ich ging. Aber das macht die Worte nicht notwendigerweise wichtig. Ich habe nun lange darum gekämpft, mich von etwas zu verabschieden, und dieser Kampf ist alles, was wirklich zählt. Die Geschichte ist nicht in den Worten, sie ist im Kampf.“ (387f)

„Ich war der erhabene Alchimist, der die Welt nach seinem Willen verwandeln konnte. Dieser Mann war Fanshawe, weil ich sagte, dass er Fanshawe sei. Nichts konnte mich mehr aufhalten.“ (390)

„Nachdem ich dem Drang zehn Minuten widerstanden hatte, schlug ich endlich das Notizbuch auf. Ich las beinahe eine Stunde lang ununterbrochen, blätterte hin und her und versuchte, einen Sinn in dem zu entdecken, was Fanshawe geschrieben hatte. Wenn ich nichts über das sage, was ich fand, so deshalb, weil ich nur sehr wenig verstand. Alle Worte waren mir vertraut, und dennoch schienen sie auf eine seltsame Weise zusammengesetzt worden zu sein, so als wäre es ihr Endzweck, sich gegenseitig aufzuheben. Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll. Jeder Satz löschte den vorausgegangenen aus, jeder Abschnitt machte den nächsten Abschnitt unmöglich. Es ist daher seltsam, dass das, was von diesem Notizbuch übrigbleibt, ein Gefühl großer Klarheit ist. Es ist, als hätte Fanshawe gewusst, dass sein letztes Werk jede Erwartung, die ich dareinsetzte, umstoßen musste. Dies waren nicht die Worte eines Mannes, der etwas bedauerte. Er hatte die Frage beantwortet, indem er eine andere Frage stellte, und daher blieb alles offen, unvollendet und musste neu begonnen werden. Ich verlor meinen Weg nach dem ersten Wort, und von da an konnte ich mich nur vorwärtstasten, schwankend in der Dunkelheit, geblendet von dem Buch, das für mich geschrieben worden war. Und doch, unter dieser Verwirrung fühlte ich, dass da etwas zu Gewolltes, etwas zu Perfektes war, so als wäre zuletzt versagen das Einzige gewesen, was er wirklich gewollt hatte. Ich könnte mich jedoch irren. Ich war in diesem Augenblick kaum in der Lage, etwas zu lesen, und mein Urteil ist möglicherweise falsch. Ich war da, ich las die Worte mit meinen eigenen Augen, und doch fällt es mir schwer zu glauben, was ich sage.“ (414)

„Ich schlenderte mehrere Minuten vor er Zeit zu den Gleisen hinaus. Es regnete wieder, und ich konnte meinen Atem in der Luft sehen; er trat in kleinen Nebelstößen aus meinem Mund. Ich riss eine Seite nach der anderen aus dem Notizbuch, zerknüllte sie mit der Hand und war sie in einen Abfalleimer auf dem Bahnsteig. Ich kam bei der letzten Seite an, als der Zug gerade abfuhr.“ (414f)

Köln, 01.09.2024
Harald Klein

[1] Eine gute Zusammenfassung und Interpretationsansätze zu Paul Austers „New-York-Trilogie“ bietet [online] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_New-York-Trilogie [28.08.2024|