Verw:ortet 01/2022: Joel F. Harrington – Meister Eckart. Der Mönch, der die Kirche herausforderte und seinen eigenen Weg zu Gott fand

  • Worte, auf denen ich stehe
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Um was es geht

Meister Eckart, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Thüringen geboren, wird in der Biografie von Joel F. Harrington, Professor für Europäische Geschichte an der Vanderbilt University in Nordamerika, als ein Herausforderer für die Kirche bewertet. Gleichzeitig sei die Mystik des Meister Eckhart ein eigener Weg zu Gott, den zu gehen es keiner kirchlichen Vermittlung bedarf. Was für unsere heutigen Ohren eher selbstverständlich klingt, war im 14. Jahrhundert ein Angriff auf die Kirche, die den Theologen nicht verschonte. Den Ausgang der Untersuchung seiner Lehre durch die römische Inquisition erlebte Meister Eckart nicht mehr. Nach seinem Tode wurden einige seiner Lehren kirchlich verworfen.

Das Buch zu lesen, gibt Einblick in die Zeit des Zusammenkommens von Kirche und Universität. Zeitgenossen des Meister Eckart sind Albertis Magnus und Thomas von Aquin. Die herausragende Rolle des Dominikanerordens, dem alle drei angehören, kommt gut zur Geltung. Die Quellenlage und die Weise der Vorstellung der Texte von Meister Eckart wird in einer guten Kontinuität dargestellt, sodass das Lesen ein inneres Mitgehen und Verstehen ermöglicht.

Das neue Jahr soll den Entdeckungen und Aufdeckungen des Meisters der spirituellen Theologie des 14. Jahrhunderts gelten. Die Seitenzahlen nach den Zitaten beziehen sich auf das oben angegebene Buch.

Die Zitate

„Alle Menschen sind von Natur aus mit dem gesegnet, was Eckart später einen ‚göttlichen Funken‘ nennen sollte, und haben zumindest das Potential, wahre spirituelle Vornehmheit zu erlangen. Ihre Gedanken und Handlungen als Wesen aus Fleisch und Blut werden als mehr oder weniger vornehm erachtet, je nachdem, ob sie einen Menschen dem Gegenstand der Liebe, also Gott, näherbringen – oder nicht.“ (71)

„Die wenigsten Gebete waren – zumindest laut Aussage des erwachsenen Meister Eckarts – völlig selbstlos, und eben darin lag in seinen Augen das grundsätzliche Problem.“ (85)

„Das Geld wie einen Gott zu behandeln, war schon schlimm genug; aber Gott wie Geld zu behandeln […] drohte die eigentliche Essenz wahrer Religion zu untergraben. […] Wie der Prozess, die Natur oder die Zeit (durch die Erhebung von Zinsen) zu Waren zu machen, so reduzierte auch die kommerzielle Herangehensweise an das Göttliche jede Interaktion mit Gott auf instrumentalistische Bedingungen: Was kann ich Gott geben, damit ich bekomme, was ich will?“ (91f)

„Gott solle überhaupt nicht gesucht werden, entschied Eckhart nun. Das Loslassen aller Begierden, selbst des Wunsches nach Gott, sei der einzig wahre Weg, um sich auf die Erfahrung Gottes vorzubereiten.“ Meister Eckhart: Deutsche Predigten in: Die deutschen Werke (1936-2007), Bd. 1, S. 450, – (319)

„Eine praktische, alltagstaugliche Mystik, die jedem wahrhaft Suchenden zur Verfügung stand, war eine erschreckend radikale Vorstellung für jene extrem hierarchisch strukturierte Gesellschaft, in der Eckhart lebte. Die Vorstellung, dass diese Mystik zudem kaum äußerer Rituale oder Handlungen bedurfte, war sogar noch revolutionärer.“ (324)

„Ihn kümmerte nur, was sie brauchten, um Gott direkt zu erfahren.“ (338)

„Der Weg zu Gott, den Eckhart predigte, verunglimpfte das aktive (äußere) Leben nicht, sondern erhob es vielmehr zum ultimativen Ziel aller Kontemplation. Gerechte Menschen taten gute Werke, nicht etwa um Gottes Gunst zu erlangen, sondern weil sie in ihren Seelen die Gottesgeburt erfahren hatten und durch die Vereinigung mit Gott gar nicht mehr anders konnten. Das war der Sinn des ‚Lebens ohne Warum‘.“ (388)

„Religiös schöpferisch ist nur der Mystiker. Diesen Leuten verdankt die Menschheit ihr Bestes.“  (Jung, Carl Gustav <1984>: Gesammelte Werke, Bd. 14.s Mysterium coniunctionis, Freiburg, S. 137f.)

„Erstens plädiert Eckart dafür, dass jedes Streben nach einer höheren Erkenntnis des Seins in Demut beginnen muss – mit der Anerkennung unserer eigenen, extrem beschränkten Kenntnisse und Verstandeskräfte angesichts eines unendlichen Universums. In seinem eigenen Leben lehnte er am Ende die Versuche seiner Mit-Scholastiker ab, Gott mit rationalen Formulierungen und Worten zu fassen.“ (480)

„Zweitens liefert Meister Eckart eine raffinierte Verteidigung der Intuition, die demnach eine nützliche Ergänzung zu unserer unzulänglichen rationalen Erkenntnis bietet.“ (480)

„Die dritte wertvolle Erkenntnis Eckharts für heutige spirituell Suchende aller Couleur betrifft die Konsequenzen dessen, was er die menschliche Vergöttlichung nennt. […] Ein tiefes Eintauchen in sich selbst und ein diensteifriges Zugehen auf die Welt waren für ihn zwei Seiten derselben Münze, keine Entweder-oder-Entscheidung. […] Der gerechte Mensch, der wirklich die ‚Gottesgeburt‘, die direkte, intuitive Begegnung mit der Einheit des Seins erlebt hat, zieht sich nicht aus der Gesellschaft zurück, da er von jeglicher Verpflichtung gegenüber seinen Mitmenschen frei ist. Vielmehr heißt, Gott zu erfahren, mit Gott eins zu werden und somit zu handeln, wie Gott handelt – womit Eckhart ein aktives Leben der Liebe und des Dienstes ‚ohne ein Warum‘ oder einen anderen Gedanken der Rechtfertigung oder Kompensation meint.“ (482f)

„Akte der persönlichen Nächstenliebe oder Beiträge zu sozialer Gerechtigkeit sind keine Mittel, spirituelle Erleuchtung oder Erlösung zu erlangen, aber natürliche Effekte der inneren Erfahrung, die Meister Eckart (und manch andere religiöse Persönlichkeit) predigte.“ (483)

Köln, 01.01.2022
Harald Klein