Um was es geht
In seiner „Verteidigung des Verzichts – ein Privatissimum und ein Politikum“, so die Überschrift des dritten Kapitels von „Verzicht und Freiheit. Überlebensräume der Zukunft“ fragt Jean-Pierre Wils nach Möglichkeiten, den Begriff des Verzichts sprachlich neu zu füllen. Er greift auf den 1966 geborenen Dramaturgen und Schriftsteller John von Düffel und dessen 2022 Buch „Das Wenige und das Wesentliche“ zurück. Autor und Werk beginnen mit einer sprachlichen Klärung der Begriffes des „Asketen“und der „Askese“, der an die Stelle des „Verzichts“ tritt.
John von Düffel hat dem Werk einen Untertitel gegeben, der an Rilke und an die katholische Liturgie erinnert: „Ein Stundenbuch“. Die Kapitel tragen die Überschrift der Stunden des Tages, es geht nicht um Chronos, sondern um Kairos, um das, was sich in dieser Stunde zeigt und ergriffen sein will, oder anders: was den Lesenden ergreift, wie es den Schreibenden ergriffen hat.
Es geht um den modernen Asketen, um Richtungen im Leben, um Anfänge. Eine Sprache, so dicht und in Vers-, aber nicht in Reimform geschrieben, „Dichtung“, „verdichtete Sprache“ im besten Sinne des Wortes. Eine Freude, sich schon an der Sprache festzumachen – und dann kommen noch die Inhalte!
Um vom Verzicht zu schreiben, hätte Wils sich – sprachlich wie inhaltlich – kaum einen besseren Partner als John von Düffel wählen können. Wils schreibt:
„Dort, wo für eine Einschränkung unserer Ansprüche plädiert wird, scheut man seine Erwähnung oder schaut baldmöglichst nach einem wohlklingenderen Ersatz. Als sei der Verzicht ein Motivationskiller, wird nach einer freundlicheren Variante gesucht. Auch John von Düffel bemüht sich in seinem großartigen Stundenbuch ‚Das Wenige und das Wesentliche‘ im durchaus freundlichen Ton um dessen Verabschiedung. Stattdessen wird auf den Begriff der ‚Askese‘ zurückgegriffen, obwohl dieser, abgesehen von seiner alltagssprachlichen Fremdheit, zunächst keinesfalls einladender wirkt. Gelten die Asketen doch als Kostverächter aller Sinnesfreuden, als trübblickende Unterweisende im Hauptfach ‚Lebensabkehr‘. Wer am Ideal der Askese festhalten möchte, muss dieses jedenfalls aus seiner allzu offensichtlichen Nachbarschaft zu Schule der Leibfeindlichkeit und der Weltverneinung entfernen. John von Düffel gelingt das – überzeugend.“[1]
Wils zitiert dann John von Düffels Beginn des Buches, der auch hier den Reigen der Zitate aus „Das Wenige und das Wesentliche. Ein Stundenbuch“ eröffnet. Die Zitate sind hier ausschließlich dem ersten Kapitel der 4. Aufl. (2024,) S. 7-17 entnommen, das Buch ist im Dumont-Verlag Köln erschienen.
Er löst sich vom Unwichtigen
Sein ‚Verzicht‘ ist eine Befreiung «
Die Zitate
Das größte Missverständnis der Askese ist
Der Verzicht
In der Askese der Zukunft
Die aus keiner Religion kommt
Und keinem System dient
Geht es nicht ums Verzichten
Es geht darum zu erkennen
Wie wenig ich brauche
[…]
Das Wenige
Ist die Methode
Um das Wesentliche zu erkennen
Wenn das Wenige dem Wesentlichen entspricht
Ist das Glück (7)
[…]
Glück ist eine Form der Übereinstimmung
Kein Zustand, kein Sein, sondern
Eine Übereinstimmung des Tuns
Mit dem eigenen Denken und Empfinden
Es geht nicht darum, sich glücklich zu fühlen
Sondern in Übereinstimmung mit sich
Zu handeln (8)
Das Ideal der Asketen der Vergangenheit
War der Rückzug von allem Weltlichen
Der Asket der Zukunft kehrt sich nicht ab
Von der Welt, er wendet sich ihr zu
Mit dem Blick für das Wesentliche
[…]
Der Asket der Zukunft verzichtet nicht
Er löst sich vom Unwichtigen
Sein ‚Verzicht‘ ist eine Befreiung
Eine Abhängigkeit, die ich bejahe
Kann sich in eine Beziehung verwandeln
In eine Verbundenheit
Die mich trägt (9)
Das Ideal des modernen Asketen
Ist nicht Gottesnähe
Sondern die größtmögliche Nähe
Zum richtigen Leben
[…]
Sich von allem Unwichtigen Lösen
Heißt auch, die eigene Unwichtigkeit sehen
Und das Zuviel an sich selbst
An Zurüstungen und Übertreibungen
Der eigenen Bedeutung
Es geht nicht darum, wichtig zu sein
sondern wesentlich (10f)
Die Verständigung mit sich
Strebt nach Selbst
Verständlichkeit (11)
[…]
Was wesentlich ist
Stellt sich nicht heraus
Indem man alles Mögliche ausprobiert
Sondern indem man weglässt
Was nicht nötig ist
[…]
Die Askese der Zukunft
Ist eine Entscheidung, kein Gelübde
Nichts Auferlegtes und nichts Schweres
Sie wird, wenn es die richtige Entscheidung war
Mit der Zeit zur leichtesten Übung
Zu einer Übung in Leichtigkeit
In einer guten Zukunft
Ist die Askese
Die selbstverständlichste Lebensform
Sie ist nicht genussfeindlich
Sondern konsumkritisch
Sie konzentriert sich auf den Genuss
Des Wesentlichen
Der Einwand, dass man dafür
Sein Verhalten ändern
Und sich einschränken müsse
Ist richtig und falsch zugleich
Ja, es handelt sich um ein Weniger an Konsum
Und nein, es ist keine Einschränkung (12f)
[…]
Wer den Genuss des Wesentlichen
Als konsumfeindlich bezeichnet
Gesteht damit die Genussfeindlichkeit
Des Konsums ein (13)
Wir müssen uns Diogenes als
Den glücklichsten Einkaufsbummler vorstellen
[…]
Das Zuviel pervertiert den Genuss
Zur Betäubung
Die Konzentration auf das Wesentliche
Erhebt ihn zur Klarheit
[…]
Der Genuss des Asketen
Versteht sich nicht als Belohnung
Sondern als Teil der Erkenntnis
Des Wenigen und Wesentlichen
Das alte Modell vom Genuss
Als Belohnung für vorherige Leistung
Definiert den Genuss als etwas
Das man sich leisten kann
Es heftet jedem Genuss ein Preisschild an
Der Genuss des Wesentlichen hat keinen Preis
Sondern einen Wert (14)
[…]
Askese ist eine privilegierte Entscheidung
Von seinen Privilegien so wenig wie möglich
Gebrauch zu machen
Es gibt kein richtiges Leben im Falschen
Aber es gibt im Falschen eine richtige Richtung. (15)
Köln, 01.01.2025
Harald Klein
[1] Wils, Jean-Pierre (2024): Verzicht und Freiheit. Überlebensräume der Zukunft, Stuttgart, 87.