Verw:ortet 02/2023: Byung-Chul Han – Philosophie des Zen-Buddhismus

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Der Hintergrund

Nachdem ich im Januar 2021 einen buddhistischen Online-Retreat mit Marie Mannschatz zum Thema „Mitgefühl“ besucht habe, ließen mich die Lehren und die Zusagen oder auch Verheißungen des Buddhismus nicht mehr los. Eher „zwischendrin“ als „systematisch“ beschäftigte ich mich mit dem Thema Buddhismus und mit der Person des Buddha. Einen Höhepunkt fand diese Beschäftigung darin, dass Hermann Hesses indische Dichtung „Siddartha“ im vergangenen Jahr ihren 100. Geburtstag feierte, der im Museo Hermann Hesse in Montagnola im Schweizer Tessin, Hesses längster Wohn- und dann auch Ruhestätte, mit einer besonderen Ausstellung bedacht wurde, die ich im September für eine Woche genießen durfte.

Eine Versuchung der besonderen Art war dann ein Geschenk, das ich von einem Freund und Kollegen schon vor einiger Zeit bekam. Ein kleines Reclam-Heftchen, richtig, die gelbe Reihe, das den Titel „Philosophie des Zen-Buddhismus“ trägt und von Byung-Chul Han verfasst wurde, jenem Soziologen, dessen Essays mich in den vergangenen beiden Jahren immer wieder fasziniert haben. Ein, nein: der Soziologe als Philosoph des Zen-Buddhismus – das verhieß viel.

Und so versuchte ich über vier Wochen, diese Kleinschrift zu lesen und in gewohnter Weise das zu „skripten“, das herauszuschreiben, was vielleicht aus dem Zusammenhang nur schwer einzuordnen ist, das aber sprachlich auf alle Fälle Interesse weckt und etwas aussagt. Die Zwischenüberschriften des Büchleins sind mit notiert, so haben Sie einen Überblick, in welchem Zusammenhang die Zitate stehen.

Das Ergebnis dieses Skriptes finden Sie in Auszügen hier. Alle Zitate sind entnommen aus Byung-Chul Han (2002): Philosophie des Zen-Buddhismus, Stuttgart. Die Seitenangaben sind in Klammern gesetzt.

Darüber hinaus verweise ich gerne auf eine kleine Sammlung von zen-buddhistischen Aphorismen, die online auf https://www.aphorismen.de/suche?f_autor=334_Aus+dem+Zen-Buddhismus zusammengestellt sind. Für Neugierige und Neueinsteigende bilden diese Aphorismen einen Schatz, der eine Ahnung von der Lehre und der Lebensweise des Zen-Buddhismus schenkt.

» Der Schüler ging zum Meister und fragte Ihn: 'Wie kann ich mich dem, was mich an die Vergangenheit heftet, lösen? Da stand der Meister auf, ging zu einem Baumstumpf und umklammerte ihn und jammerte: 'Was kann ich tun, damit dieser Baum mich loslässt?' «
aus dem Zen-Buddihismus, Quelle:https://www.aphorismen.de/suche?f_autor=334_Aus+dem+Zen-Buddhismus

Vorwort

„Der Buddhismus als Heilsweg bereitet ein ‚Fahrzeug‘, das die Lebewesen aus der leidvollen Existenz herausführen soll. Die Lehre Buddhas ist also keine ‚Wahrheit‘, sondern ein ‚Fahrzeug‘, d.h. ein ‚Mittel‘, das sich erübrigte nach dem Erreichen des Ziels. So ist der buddhistische Diskurs frei vom Wahrheitszwang, der den christlichen Diskurs bestimmt.“ (7)

Religion ohne Gott

„In einer Vorlesung über die Philosophie der Religion bemerkt Hegel, der Gegenstand der Religion sei ‚Gott und nichts als Gott.‘ Auch der Buddhismus bildet keine Ausnahme. So setzt Hegel den zentralen Begriff des Buddhismus ‚Nichts‘ einfach mit Gott gleich: ‚[…] das Nichts und das Nichtsein ist das Letzte und Höchste. […] Es ist keine Bestimmtheit irgendeiner Art, die Gott zukommt, er ist das Unendliche; das ist soviel als: Gott ist die Negation von allem Besonderen.“ (11)

„Wie der Mensch soll Gott als ein Subjekt, als eine Person gedacht werden. Dem buddhistischen Nichts fehlt aber nach Hegel die Subjektivität bzw. die Persönlichkeit. Es ist wie der indische Gott nicht ‚der Eine‘, sondern ‚das Eine‘.“ (15)

„Das Nichts bzw. die Leere des Zen-Buddhismus ist auf kein göttliches Dort gerichtet. Die radikale Wendung in die Immanenz, ins Hier kennzeichnet gerade den chinesischen bzw. fernöstlichen Charakter des Zen-Buddhismus.“ (18)

„Gottes quitt werden oder Gott um Gottes willen lassen, diese Formulierungen Eckharts erinnern gewiss an jenes Wort von Linji: ‚Wenn ihr Buddha trefft, tötet Buddha.‘ Aber diese Tötung geschieht nicht zugunsten jener Transzendenz, die jenseits oder ‚oberhalb‘ vom getöteten Bild erstrahlte. Sie bringt vielmehr die Immanenz zum Leuchten.“ (30)

„Die Tiefenschicht des Begehrens, mit Gott ganz zu verschmelzen, weist eine narzisstische Struktur auf. In der Unio mystica gefällt sich der Mensch in Gott. Er erblickt sich in Gott, nährt sich gleichsam von diesem. Der Zen-Buddhismus ist frei von jeder narzisstischen Selbstbezüglichkeit.“ (32)

„Aufgrund seines Weltvertrauens wäre der Zen-Buddhismus eine Welt-Religion im besonderen Sinne. Er kennt weder Weltflucht noch Weltverneinung. Das Zen-Wort ‚Nichts Heiliges‘ verneint jeden extraordinären, extraterrestrischen Ort. Es formuliert einen Rückschwung ins alltägliche Hier.“ (33)

Leere

„Der buddhistische Zentralbegriff sunyata (‚Leerheit‘) stellt in vielfacher Hinsicht den Gegenbegriff zur Substanz dar. Die Substanz ist gleichsam voll. Sie ist angefüllt mit sich, mit dem Eigenen. Sunyata stellt hingegen eine Bewegung der Ent-Eignung dar. Sie ent-leert das Seiende, das in sich verharrt, das sich auf sich versteift oder sich in sich verschließt.“ (44)

„Ein Ding muss so gesehen werden, wie es sich selber sieht. Ein gewisser Vorrang des Objekts soll dies vor der Aneignung durchs ‚Subjekt‘ bewahren. […] Man muss das Wasser so betrachten, wie das Wasser Wasser sieht. Eine vollkommene Betrachtung käme dadurch zustande, dass der Betrachter gleichsam wasserhaft wird. Sie sieht das Wasser in seinem So-sein.“ (47)

Niemand

„Die Seele ist für Leibniz eine Monade, die wie ein Spiegel das Universum in sich spiegelt. […] Das Begehren wäre der Grundzug der Seele. Der Appetit hält die Monade am Leben bzw. am Sein. Die Abwesenheit des Appetits käme dem Tod gleich, Sein hieße also Appetit-haben.“ (61)

„Die zen-buddhistische Übung lässt das Herz gleichsam fasten, bis ihm ein ganz anderes Sein, das ist ohne appetitus, zugänglich wird.“ (62)

Nirgends wohnen

„Auch Bashô hätte gesagt: ‚Dichterich wohne der Mensch.‘ Dichterisch wohnen heißt für Bashô, nirgends wohnen wie dahintreibende Wolken, als Gast je weilen in der Welt, die ein Gasthaus ist. Mit dem Wind wandern wäre eine singuläre Form des Wohnens, die mit der Endlichkeit befreundet ist. Man bewohnt, man bewandert die Endlichkeit.“ (83

„Das Nirgends-Wohnen stellt das Paradigma der Identität radikal in Frage.“ (90)

Tod

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Freundlichkeit

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Köln, 30.01.2023
Harald Klein