Verw:ortet 05/2023: Stefan Weiss (2017): Der Mai Tai trinkende Mönch und die Lehre von der Authentizität

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Gerührt, nicht geschüttelt!

Aus den Lektüren des vergangenen Monats hat es dieses kleine Büchlein im Postkartenformat und mit einen 150 Seiten in den „Verw:ortet-Olymp“ geschafft, weil es in sehr sympathischer Weise den Finger in eine Wunde legt, die vor allem bei der jüngeren Generation ganz offen gezeigt wird.

Es geht um die Frage, und den tiefen Wunsch, wie „man“ authentisch leben und wo „man“ Authentizität noch erleben könne. Die vielen Möglichkeiten und Programme, Eindrücke und Ausdrücke im Nachhinein zu „bearbeiten“ und als authentische Bilder, Worte oder Statements auszugeben, hat als Kehrseite eben jenen Wunsch zur Folge: authentisch sein zu können und zu dürfen und Authentizität zu erleben.

Die Erzählung über den buddhistischen Mönch Kenso, der sein Kloster verlässt, ahnend, dass es nicht mehr sein Ort sein kann, vom freundlichen (namenlosen) Herrn, der ihm Obdach gewährt und von den 13 Begegnungen in einer Cocktailbar, in der Bekannte des freundlichen Herrn vom Mensch Kenso Weisung und Antwort auf ihre Lebensfragen haben, ist in einer Rezension eigens dargestellt.

Hier geht es um Sätze und Aussagen Kensos, die er wie einen Finger auf die Wunde legt – die Wunde, die schmerzt, weil Menschen nicht „authentisch“ leben. Authentizität meint hier, „unabhängig von äußeren Einflüssen sowie frei von inneren Blockaden zu sein, darüber hinaus die eigenen drei Ebenen wahrnehmen zu können und die Fähigkeit zu besitzen, von einer Ebene auf eine andere zu wechseln“ (142f). Die „drei Ebenen“ bezeichnen die Ebene des Denkens (der Geist, die Gedanken und alles, was sich in unserem Kopf abspielt), die Ebene des Handelns (der eigene Körper, alles, was wir mit dem Körper herstellen und was sich im Körper abspielt und wie wir uns in unserem Körper und mit ihm verhalten), und die dritte (namenlose) Ebene, die vielleicht am ehesten mit der Ebene der Intuition, der Bestimmung, des inneren Kerns bezeichnet werden könnte.

Der authentische Mensch ist der Mensch, der Zugang zu allen drei Ebenen hat und durch sie hindurchwandern kann, auf allen drei Ebenen hörend und erspürend sein kann und so ins Handeln geht. Das Ergebnis ist ein Handeln aus Schaffensenergie heraus, die zur proaktiven Kreativität, zum Schaffen von Neuem, zu weite und Erfüllung führt. Die eine oder auch zwei Ebenen nicht beachten führt in Überlebensenergie, die eher ein – der Name verrät es – reaktives Handeln, ein ermüdendes Erschlaffen in leer werdenden Routinen zur Folge hat

Soviel sei verraten, dass der Weg zum Unterwegs sein auf allen drei Ebenen ein „Beruhigen“ der lauten zwei Ebenen, meist der des Denkens und der des Handelns zur Voraussetzung hat. Und damit ist die Rolle der Meditation klar. Um zu einer Authentizität zu gelangen, muss das laute leise werden, damit das Leise sich melden kann. Und dann geht es um Integration, nicht um Ausscheiden und Verteufeln. Oder passend zur Cocktailbar: Der authentische Mensch will es anders als James Bond mit seinem Martini: die drei „Zutaten“ werden durchwandernd nur gerührt, nicht durcheinander geschüttelt!

Alle Zitate sind entnommen aus Weiss, Stefan (2017): Der Mai Tai trinkende Mönche und die Lehre von der Authentizität, 2. Aufl., München.

» Im Kloster wird Authentizität folgendermaßen definiert: unabhängig von äußeren Einflüssen sowie frei von inneren Blockaden zu sein, darüber hinaus die eigenen drei Ebenen wahrnehmen zu können und die Fähigkeit zu besitzen, von einer Ebene auf eine andere zu wechseln. «
Weiss, Stefan (2017): Der Mai Tai trinkende Mönch und die Lehre von der Authentizität, 2. Aufl., München, 142f.

Die Zitate

„Ich folge dem, was ist, und es hat mich hierher geführt.“ (19)

„Im Kloster lernen wir, unsere eigenen drei Ebenen bewusst wahrzunehmen und dann zwischen ihnen zu wandern. Wenn wir nicht von der einen Ebene in die andere wandern, können wir kein authentisches Leben führen.“ (22f)

„Die Angst beginnt immer mit einem einzigen Gedanken.“ (35)

„Die Hauptübung im Kloster nennt sich die erste Übung. Jeder Novize lernt diese Übung, und erst wenn er sie gut beherrscht, darf er mit den nächsten Übungen weitermachen. Die erste Übung ist eine Übung, um in unseren inneren Raum einzutreten. In diesem Raum nehmen wir das Denken und Handeln zurück, also die erste Ebene, die Ebene des Denkens, und die zweite Ebene, die Ebene des Handelns. Dadurch können wir unsere dritte Ebene deutlicher wahrnehmen. In diesem Zustand denken und handeln wir nicht mehr bewusst, sondern sehen über die dritte Ebene ganz andere, neue Zwischenräume und Verbindungen zwischen den Menschen und den Dingen.“ (42f)

„Viele Paare sind einfach zu sehr mit ihrem Alltag beschäftigt. Die Liebe kann aber nur dann wahr und authentisch bleiben, wenn wir uns immer wieder mal auf der dritten Ebene begegnen und beobachten, was wahrhaftig zwischen uns ist.“ (43f)

„Die Eigenschaft der Kreativität ist das Sprudelnde, das Spontane. Es entsteht, wenn ich neue Eindrücke in mich hineinlasse und dort wirken lasse, ohne diese Eindrücke zu bewerten. Eine Bewertung ist wie eine Schranke, die den Eindruck daran hindert, tiefer bis in unsere dritte Ebene vorzudringen“, begann Kenso. „Dringt der Eindruck aber bis in unsere dritte Ebene vor, dann beginnt Veränderung.“ (50)

„Kenso betrachtete den jungen Mann und wusste, dass, egal, welche Antwort er geben werde, diese Antwort nicht zu dem jungen Mann durchdringen würde. Der junge Mann war so sehr gefangen in seiner Vorstellung und dem Wunsch, dass seine Vorstellung Realität wurde.“ (70)

„Wenn du dich mit den Investoren triffst, bleib dir selber treu und wisse, was du wirklich willst. Verwässere deinen Ursprung nicht. Kein Baum benötigt zwei Wurzeln, um natürlich wachsen zu können und dabei richtig groß zu werden“, sagte Kenso. (71f)

„Die Menschen gehen nicht wegen einer Lehre oder einer Idee irgendwohin“, begann Kenso. „Menschen gehen immer zu Menschen, denen sie wirklich glauben.“ (77)

„Die Entscheidung für die eine oder andere Lebensidee erscheint immer wieder in einem neuen Licht, da wir uns als Mensch ständig weiterentwickeln und dadurch aus verschiedenen Perspektiven auf diese Entscheidung blicken. Oft hindert uns der Alltag daran, unsere Entscheidung von Zeit zu Zeit zu überprüfen. Was aber viel wichtiger ist, ist der wirkliche Grund, warum ich mich damals für diese oder jene Lebensidee entschieden habe. Darin liegt der Kern der Glaubwürdigkeit.“ (78f)

„Ich habe allerdings das Kloster vor einiger Zeit verlassen und werde nicht mehr dorthin zurückgehen. Nun könnte man sagen, dass ich kein Mönch mehr bin, weil ich nicht mehr im Kloster lebe. Aber die Lehre der Authentizität besagt auch, dass man nicht automatisch das wird, wo man sich aufhält. Es gibt also Mönche, die im Kloster leben und keine sind, und genauso gibt es Mönche, die nicht im Kloster leben, aber welche sind. Die Entscheidung, was man ist, fällt bei jedem von uns im Inneren, unabhängig davon, wo wir uns aufhalten oder arbeiten.“ (85)

„Je bewusster uns unsere Vergänglichkeit ist, also unser eigener Tod, umso bewusster gehen wir mit unserer Zeit um. Wir beginnen uns auf das zu fokussieren, was uns wirklich wichtig ist. Mit dieser Fokussierung löst sich die Zeit von der Geschwindigkeit. Diese Fokussierung nennen wir Authentizität“, sagte Kenso. (87)

„Wenn wir unsere Selbstbestimmung verloren haben, zieht sich die Schaffensenergie zurück ins Innere der dritten Ebene. Dann steht uns diese Energie nicht mehr zur Verfügung, und wir handeln nur noch, um zu überleben“, fuhr er dann fort. […] „Das Einzige, was wir tun müssen, um wieder an diese Energie zu kommen, ist, uns selbst treu zu bleiben und authentisch zu sein. Wir müssen einfach nur das tun, was wir wirklich wollen. Damit kommt die Schaffensenergie von ganz alleine aus ihrem Versteck hervor. Und damit wären wir wieder bei meiner ersten Frage. Was wollen Sie wirklich?“, fragte Kenso noch einmal, allerdings mit einer anderen Betonung.“ (95f)

„Wisst ihr: Wenn wir auf die Welt kommen, hat jeder von uns einen Schatz bei sich. Manche Menschen können diesen Schatz ein Leben lang behalten, und andere verlieren ihn im Laufe der Zeit, ohne dass sie merken, dass sie ihn verloren haben.“ (124)

„Im Kloster wird Authentizität folgendermaßen definiert: unabhängig von äußeren Einflüssen sowie frei von inneren Blockaden zu sein, darüber hinaus die eigenen drei Ebenen wahrnehmen zu können und die Fähigkeit zu besitzen, von einer Ebene auf eine andere zu wechseln.“ (142f)

Köln, 01.05.2023
Harald Klein