Um was es geht
Bei www.kulturbuchtipps.de wird dieses schmale Bändchen mit seinen 220 Seiten als dem „Markt für philosophische Appetithäppchen“[1] zugehörig beschrieben. Der Autor, Wolfram Eilenberger, ist in Köln und seinem Umland bestens bekannt, spätestens durch seine Mitarbeit in der Programmleitung des jährlich in Köln stattfindenden Philosophiefestivals phil.cologne. Als Philosophischer Korrespondent für das Magazin CICERO, als Sportphilosophischer Autor im TAGESSPIEGEL und als Kolumnist im Ethikrat der ZEIT hat er gezeigt, wie sehr es ich gelingt, philosophische Fragestellungen und Gedankengänge so ins Wort zu bringen, dass sie leicht verstanden werden können. Das gilt auch und vor allem für seine dreibändige Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts – „Zeit der Zauberer“ (1018), „Feuer der Freiheit“ (2020) und „Geister der Gegenwart“ (2024).
Zurück zum „Markt für philosophische Appetithäppchen“. Aus dem Hamsterrad des Alltäglichen verspricht Eilenberger 25 Ausflüge, „Ausgänge vom Alltag“. Die Doppeldeutigkeit des Wortes „Ausgänge“ trifft meine Liebe zur Sprache. Eilenberger meint nicht den Ausgang, der hinausführt in ein anderes, ein besseres, ein weiteres Leben. Nein, seine 25 kurzen Geschichten gehen von Alltagerfahrungen aus – dieser „Ausgang“ ist gemeint. Und doch: Im Nach-Denken des Geschilderten kann es passieren, dass Du die Erfahrung des Philosophierens machst. Eilenberger hängt an jeder der kleinen Alltagsgeschichten, dann im Schriftbild abgesetzt, einen Impuls an die Geschichte an, der mit „Was Philosophen darüber denken“ überschrieben ist.
Kurzum: Wie ich Eilenberger von seinen Vorträgen, von seiner dreibändigen Philosophiegeschichte, auch als ehemaligen Chefradakteur des Philosophie Magazins kenne und erlebt habe, so kommt er mir auch in diesem Buch und in den 25 Geschichten daher. Einer, der zu erzählen versteht, und einer, dem man gut zuhören muss, denn oft erst im Nach-Denken des Gehörten erschließt sich dann doch eine Welt, die ein anderes, ein besseres, ein weiteres Leben eröffnet. Danke dafür!
Alle Zitate sind entnommen aus Eilenberger, Wolfram (2005): Philosophie für alle, die noch etwas vorhaben, Berlin. In Klammern sind hier die Seiten aus dem Buch genannt, auf denen sich die Zitate finden.
Die Zitate
„Philosophie ist genau das: ein denkbar allgemein ausgerichtetes und zunächst praxisenthobenes Nachdenken über das Wesen der Dinge.“ (30)
„Unter Umständen werde ich für ein Ereignis moralisch verantwortlich sein, dessen Eintreten oder Ausbleiben sich meiner Kontrolle entzieht. Wie kann man mir die Schuld für etwas geben, auf das ich keinen willentlichen Einfluss mehr habe?“ (35)
„Wurde ich nicht ausdrücklich und sogar wiederholt gefragt? Hätte ich nicht einfach Nein sagen können? Schon. Aber wer mich kennt, weiß, ich bin nicht jemand, der in solchen Situationen nur schwer Nein sagen kann […] Deshalb ahnte auch ich von Anfang an, ein klares Nein wäre eigentlich die richtige, die verantwortliche, die wahre Freundschaftsantwort gewesen. Im Ergebnis hatte ich mit dieser Einschätzung Recht. Aber wer kann schon raus aus seiner Haut?“ (36f)
„Denn Billard, Billard ist nichts anderes als die Wissenschaft, zukünftige Ereignisse durch ihre Ursachen zu kontrollieren.“ (68)
„Soweit ich weiß, folgt aus der Tatsache, dass etwas bisher immer so gewesen ist, noch lange nicht, dass es auch in Zukunft so sein wird.“ (69)
„Was heißt hier Billardgott? Es sollte, es musste so kommen, […]. Alles determiniert, alles festgelegt, Ursache und Wirkung, dagegen gibt es kein Mittel.“ (72)
„Wer sagt denn überhaupt, dass für ein gutes, sonnvolles Leben so etwas wie ein einziges, andauerndes Selbst hilfreich ist, samt eine Erzählung, die dieses Selbst zusammenhält, ihm die nötige Stabilität, Orientierung und vor allem den nötigen Lebenssinn verleiht?“ (88)
„Ein derzeit sehr populärer Ansatz in diesem Problemfeld ist die These vom so genannten narrativen selbst, die im Kern Folgendes besagt: Ein Selbst ist einem Menschen nicht gegeben, sondern wird vielmehr von ihm/ihr gemacht, buchstäblich ins Leben gerufen – und zwar durch Erzählungen über dieses Selbst. Innerhalb dieser Theorie wird der Begriff ‚Selbst‘ dann sehr oft bedeutungsgleich mit dem Begriff ‚personale Identität‘ verwendet. In sein er stärksten Lesart behauptet dieser Ansatz, ein selbst bestünde aus nichts anderem als der Erzählung, die ein jeweiliger Mensch sich (über sich) erzählt bzw. erzählen könnte. Eine These, die heute tatsächlich jedes professionell geführte Vorstellungsgespräch mitprägt.“ (90)
„Dieses Sicheinreden der eigenen Stärke und eigenen Steuerungsmacht kann in vielen Fällen eine Strategie sein, die Ihre Abhängigkeit und auch Ihren konkreten Misserfolg im ‚Netz‘ nur noch verstärkt, und zwar genau deshalb, weil sie Ihnen einen falschen Eindruck von Ihrer tatsächlichen Einflussmacht vermittelt. Man nennt solch einen beschreibungsbedingten Verzerrungseffekt, der nichts oder bewusst zu wenig zur tatsächlichen Erkenntnis Ihrer Lage beiträgt, übrigens auch Ideologie.“ (140)
„Das Ziel einer offenbar noch zu gründenden Beschreibungswissenschaft lässt sich glasklar formulieren: Diese Wissenschaft müsse sprachliche Beschreibungen hervorbringen, die es Menschen, die gewisse Erfahrungen nicht selbst erleben können, ermöglichen, sich eine möglichst präzise Vorstellung von diesem ihnen unzugänglichen Erfahrungen zu machen.“ (178)
„Es ist absolut überlebensnotwendig, Menschen nicht nach dem zu beurteilen, was sie einem sagen.“ (181)
„Beurteile deine Mitmenschen nicht danach, was sie dir sagen, sondern danach, was sie dir sagen wollen.“ (182)
„Ob die rein sind? Natürlich will ich das wissen. Die Frage nach der Reinheit ist schließlich keine Frage unter anderen. Sie begleitet uns Menschen, seit wir denken und wahrnehmen. In der unten Vorzeit der Mythen erregte der reine Zufall die Gemüter, den Katholiken plagt seit zwei Jahrtausenden das Rätsel der reinen Empfängnis, die Protestanten die Frage nach dem reinen Gewissen und den Kantianer die Kritik der reinen Vernunft. So quält auch mich seit Jahren auch nur eine Frage: Rein? Gemeint sind die Blut- und Urinproben meiner Sporthelden.“ (201)
Köln, 01.11.2024
Harald Klein
[1] vgl. [online] http://www.kulturbuchtipps.de/archives/494 [25.10.2024]