Verw:ortet 09/2022: Eckart Tolle – Jetzt! Die Kraft der Gegenwart (2. Teil)

  • Worte, auf denen ich stehe
  • –   
  • –   

Anknüpfen an Verw:ortet 08/2022

In den ersten drei Kapiteln zeigt Eckart Tolle zunächst die janusköpfige Rolle des Verstandes auf. In der Meinung, ich benutzte ihn zur Erlangung von Erkenntnis und Lösung von Problemen, verkenne ich, dass er mich benutzt, um mein Ich zu schaffen, das seinen Ort oft jenseits vom Selbst hat! Nur das Bewusstsein, dass ich nicht mein Verstand, mein Denken bin, kann aus dieser Zwickmühle herausführen. Schmerz und Angst wurzeln darin, in der Illusion der Zeit aufzugehen – bestimmt zu sein vom Rückblick auf die Vergangenheit und dem Ausblick in die Zukunft, die beide mit ihrer Kraft das Gegenwärtigsein im Jetzt verhindern und blockieren. Nur die Bewegung in die Gegenwart hinein hat die Kraft, sich von der Illusion der Vergangenheit und der Zukunft zu befreien.  Das dritte Kapitel endet mit der Zusage: „Der einzige Ort, an dem wahre Veränderung stattfinden kann, an dem die Veränderung aufgelöst werden kann, ist das Jetzt.“ (84)

Im 4. Kapitel schreibt Eckhart Tolle über die Strategien des Verstandes, um die Gegenwart zu vermeiden. Das 5. Kapitel beschreibt den Zustand von Gegenwärtigkeit. Diesen beiden Kapiteln sind die Zitate für den Monat September 2022 entnommen.

Die Seitenzahlen (in Klammern nach den folgenden Zitaten) beziehen sich auf Tolle, Eckhart (2022): Jetzt! Die Kraft der Gegenwart, 18. Aufl., Bielefeld. Diesen Beitrag zu „verw:ortet im September 2022“ können Sie hier herunterladen.

Strategien des Verstandes, um die Gegenwart zu vermeiden

„Verlust des Jetzt ist Verlust des Seins.“ (96)

„Zeuge deiner Gedanken und Gefühle zu sein, ist die Grundlage für deine Gegenwärtigkeit.“ (100)

„Die kollektive Funktionsstörung von Widerstand dem Jetzt gegenüber ist wesentlich mit dem Verlust des Gewahrseins von Sein verbunden und bildet die Grundlage unserer entmenschlichten industriellen Zivilisation.“ (101)

„Mache es dir zur Gewohnheit, deinen geistig-emotionalen Zustand durch Selbstbeobachtung zu überwachen. ‚Bin ich in diesem Moment entspannt?‘ ist eine gute Frage, die du dir selbst gelegentlich stellen kannst. Oder du kannst fragen: ‚Was geht jetzt gerade in mir vor?‘ Gib dem, was in dir vor sich geht, mindestens das gleiche Interesse wie dem, was außen geschieht.“ (102)

„Die Verschmutzung des Planeten ist nur die Spiegelung im Außen von einer psychischen Verschmutzung im Inneren, ein Spiegel für die Millionen von unbewussten Menschen, die keine Verantwortung für ihren inneren Raum übernehmen.“ (103)

„Sich beklagen ist immer Nichtannehmen von dem, was ist.“ (108)

„Wenn du dein Hier und Jetzt unerträglich findest und es dich unglücklich macht, dann gibt es drei Möglichkeiten: Verlasse die Situation, verändere sie oder akzeptiere sie ganz. Wenn du Verantwortung für dein Leben übernehmen willst, dann musst du eine dieser drei Möglichkeiten wählen, und du musst die Wahl jetzt treffen. Dann akzeptiere die Konsequenzen. Keine Ausreden. Keine Negativität, Keine psychische Verschmutzung. Halte deinen inneren Raum sauber.“ (108)

„Wenn du wirklich nichts tun kannst, um dein Hier und Jetzt zu verändern, wenn du auch die Situation nicht verlassen kannst, dann akzeptiere den Hier und Jetzt ganz, indem du jeglichen Widerstand loslässt. Dann kann das falsche, unglückliche Selbst nicht länger mit seinem Jammern, seinen Vorwürfen, seinem Selbstmitleid überlegen. Das nennt man Hingabe.“ (109)

„Hingabe ist keine Schwäche, sondern eine große Stärke. Nur ein Mensch voller Hingabe hat spirituelle Kraft. Durch Hingabe wirst du innerlich von der Situation frei. Dann kann es passieren, dass die Situation sich völlig ohne dein Zutun verändert. Auf jeden Fall bist du frei.“ (109)

„Warten ist ein Geisteszustand. Grundsätzlich bedeutet es, dass du die Zukunft willst; du willst nicht die Gegenwart. Du willst nicht das, was du hast, du willst das, was du nicht hast. Mit jeder Art von Warten schaffst du unbewusst einen inneren Konflikt zwischen dem Hier und Jetzt, wo du nicht sein willst, und der projizierten Zukunft, wo du sein willst. Das reduziert die Qualität deines Lebens gewaltig, weil du die Gegenwart verlierst.“ (112)

„Was ist die Kraft der Gegenwart? Nichts anderes als die Kraft deiner Gegenwärtigkeit; dein Bewusstsein, von Gedanken befreit.“ (117)

„Was nötig ist, ist deine bewusste Gegenwärtigkeit. Die löst die Vergangenheit auf und ist das Instrument zur Transformation. Versuche also nicht, die Vergangenheit zu verstehen, sondern sei so gegenwärtig, wie du nur kannst. Die Vergangenheit kann in deiner Gegenwart nicht überleben. Sie kann nur in deiner Abwesenheit überleben.“ (118)

Der Zustand von Gegenwärtigkeit

„Jenseits der Schönheit aller äußeren Formen gibt es noch mehr: etwas, das nicht benannt werden kann, etwas Unaussprechliches, eine tiefe, innere, heilige Essenz. Wann und wo immer Schönheit ist, da scheint diese innere Essenz quasi durch. Sie enthüllt sich dir nur, wenn du gegenwärtig bist. Könnte es sein, dass diese namenlose Essenz und deine Gegenwärtigkeit ein und dasselbe sind? Wäre sie ohne deine Gegenwärtigkeit da? Gehe tief hinein. Finde es für dich selbst heraus.“ (123)

„Je größer der zeitliche Abstand zwischen Wahrnehmung und Gedanke, desto mehr Tiefe besitzt du als menschliches Wesen und desto bewusster bist du.“ (124)

„Alles, was existiert, hat Sein, hat Gott-Essenz, hat einen Grad von Bewusstsein. Sogar ein Stein hat elementares Bewusstsein, andernfalls würde er nicht existieren und seine Atome und Moleküle würden sich auflösen. Alles ist lebendig. Die Sonne, die Erde, die Pflanzen, Tiere, Menschen – alle sind Ausdruck von Bewusstsein in unterschiedlichen Graden, Bewusstsein, das sich als Form manifestiert.“ (126)

„Nur die Stille kann die äußere Stille wahrnehmen. Und was ist Stille anders als Gegenwärtigkeit, Bewusstsein befreit von Gedankenformen?“ (131)

„Häng dich nicht an Worten auf. Du kannst ‚Christus‘ durch ‚Gegenwärtigkeit‘ ersetzen, wenn dir das mehr bedeutet. Christus ist deine Gott-Essenz oder das Selbst, wie es manchmal im Osten genannt wird. Der einzige Unterschied zwischen Christus und Gegenwärtigkeit ist der, dass Christus sich auf deine innewohnende Göttlichkeit bezieht, egal ob du ihrer bewusst bist oder nicht, wohingegen Gegenwärtigkeit deine erwachte Göttlichkeit oder Gott-Essenz darstellt.“ (131)

„Nutze die Gegenwärtigkeit des Meisters zur Spiegelung deiner eigenen Identität jenseits von Name und Form und um selber stärker präsent zu werden. Du wirst bald erkennen, dass es in der Gegenwärtigkeit kein ‚Mein‘ oder ‚Dein‘ gibt. Gegenwärtigkeit ist eins.“ (133)

Köln, 29,08.2022
Harald Klein