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Worte, auf denen ich stehe

Worte, die Grund sind

Um was es auf dieser Seite geht…

Die dieser Seite zugrundeliegende Ideen sind die Suche nach und das Aufzeigen von Hinweisen auf eine Spiritualität, die alltagstauglich ist, die dialogfähig ist, die hinführt zu einem Mehr an Liebes- und Leidensfähigkeit und die sich erst dann christliche Spiritualität nennen will, wenn sie Maß nimmt am Handeln und Reden Jesu Christi und an seinem Geschick.

Ich habe Freude an der Begegnung mit vielen Autorinnen und Autoren aus der theologisch-spirituellen Literatur. Gleichzeitig finde ich  in der Lyrik und n den anderen Formen der Literatur  immer wieder Worte, die mir Halt und Orientierung geben und auf denen ich stehe. Die Verbindung von „Wort“ und „Verortung“ will das Kunstwort „verw:ortet“ ausdrücken.

Auf der Startseite werden diese Worte in unregelmäßigen Abständen verändert, auf dieser Seite werden sie gesammelt und aufgehoben. Es ist mir eine Freude, sie Ihnen hier zur Verfügung zu stellen.

Köln, 03.10.2019
Harald Klein

Verw:ortet 2024:

» Dass die Versuche, das Leben zu verstehen, die in der antiken Philosophie entwickelt wurden, in der modernen Zeit wieder aktuell werden, hat damit zu tun, dass die über Jahrhunderte hinweg verbindlichen Antworten auf Lebensfragen und Fragen der Lebensführung durch Religion, Tradition und Konvention an Selbstverständlichkeiten verloren haben. Damit sind Menschen bei der Lebensbewältigung mehr als je auf sich selbst verwiesen. Die Lebenshilfe, die eine Philosophie der Lebenskunst in dieser Situation offerieren kann, besteht darin, neu über das Leben nachzudenken. Die Bedingungen und Möglichkeiten einer bewussten Lebensführung zu reflektieren und die Resultate allen zur Verfügung zu stellen, die sich dafür interessieren. «
Schmid, Wilhelm (2017): Das Leben verstehen. Von den Erfahrungen eines philosophischen Seelsorgers, Berlin, 240.

» Das Bedürfnis, sich an einen Ort und an seine Menschen zu binden und ihn zu einem Teil seiner selbst werden zu lassen, gehört so sehr zu den tiefsten Schichten unseres Menschseins, dass seine Erfüllung , wie immer diese auch aussehen mag, für die meisten von uns unabdingbar ist, wenn wir ein gelungenes Leben führen wollen. « (128)
Schreiber, Daniel (2018): Zuhause. Die suche nach dem Ort, an dem wir leben wollen, Berlin, 128.

» Selbstbestimmung kann nach außen hin gelesen werden: Dann bedeutet sie Bewegungsfreiheit. Man kann sie aber auch nach innen lesen: Dann geht es darum, dass ich im Denken, Erleben und Wollen so bin, wie ich sein möchte. Entsprechend fehlt mir die Selbstbestimmung, wenn Erleben und Selbstbild auseinanderklaffen. «
Bieri, Peter (2015): Wie wollen wir leben? 6. Aufl., München, 57.

» Viele von uns konnte nach einiger Zeit nur noch die Großstadt mit ausreichend Reizen ernähren. Das Dorf machte Angst wie der Wald oder das Funkloch. Denn dort trat ein Lärm hervor, der hinter dem Lärm der Metropolen unüberhörbar geworden war: die Stille, das Schweigen zwischen denen, die sich nichts zu sagen hatten, Floskeln hervorbrachten, Effekte an die Stelle von Wirkung setzten und die Spuren persönlicher Erfahrung aus der Sprache abzogen. «
Willemsen, Roger (2016): Wer wir waren. Zukunftsrede, 4. Aufl., Frankfurt/Main, 36..

Verw:ortet 2023:

» Ich bin auf alles eingerichtet, ich bin gegen alles gewappnet, mich wird nichts mehr verletzen. Ich habe in Drachenblut gebadet, und kein Lindenblatt ließ mich irgendwo schutzlos. Aus dieser Haut komme ich nicht mehr heraus. In meiner unverletzbaren Hülle werde ich krepieren an Sehnsucht [...]. «
Hein, Christoph (2001): Der fremde Freund/Drachenblut, 17. Aufl., Berlin, 209.

» Natürlich gibt es auch eine andere, ‚bessere‘ Seite der Krankheit. Man könne von seiner eigenen Tiefendimension sprechen, die dem Leben, Denken und Fühlen hinzufügt, von einem existenziellen Hallraum, der ohne diese Erfahrungen vielleicht verschlossen geblieben wäre. Indem ich sie überschritt, habe ich die Grenzen meiner Gefühle und Gedanken ausgelotet, kam mit Randgebieten und Jenseitsbereichen des Menschlichen in Kontakt, deren Existenz und Beschaffenheit ich vorher höchstens erahnen konnte. Mit meinen Abgründen bin ich vertraut, mit meinen Bösartigkeiten bekannt. «
Melle, Thomas (2016): Die Welt im Rücken, 5. Aufl., Berlin, 306.

» 'Wer die Freiheit gratis begehrt, verrät, dass er sie nicht verdient.' Ein Satz für meine Sammlung. «
Hahn, Ulla (2006): Das verborgene Wort, München, 548.

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» Poesie verlangsamt die Zeit, hebt sie auf und befreit uns von ihr, sei es die Poesie der Worte in der Literatur oder die Poesie der Töne in der Musik. Sie schafft Gegenwart, eine gewissermaßen ewige Gegenwart, ewig, weil sie immer da ist und durch nichts aufgehoben werden kann.“
Mercier, Pascal (2020): Das Gewicht der Worte, 2. Aufl., München, 221.

Verw:ortet 2022:

» Adler schuf drei Kategorien von zwischenmenschlichen Beziehungen, die aus diesen Prozessen heraus entstehen. Er nannte sie ‚Aufgaben der Arbeit‘, ‚Aufgaben der Freundschaft‘ und ‚Aufgaben der Liebe‘ und alle zusammen die ‚Lebensaufgaben‘. «
Kichimi, Ichiro/Koga, Fumitake (2019): Du musst nicht von allen gemocht werden. Vom Mut, sich nicht zu verbiegen, Reinbek, 114f

» Der Glaube, den ich meine, ist nicht leicht in Worte zu bringen. Man könnte ihn etwa so ausdrücken: Ich glaube, dass trotz des offensichtlichen Unsinns das Leben dennoch einen Sinn hat. Ich ergebe mich darein, diesen letzten Sinn mit dem Verstand nicht erfassen zu können, bin aber bereit, ihm zu dienen, auch wenn ich mich dabei opfern muss. Die Stimme dieses Sinnes höre ich in mir selbst, in den Augenblicken, wo ich wirklich und ganz lebendig und wach bin. Was in diesen Augenblicken das Leben von mir verlangt, will ich versuchen zu verwirklichen, auch wenn es gegen die üblichen Moden und Gesetze geht. Diesen Glauben kann man nicht befehlen und sich nicht zu ihm zwingen. Man kann ihn nur erleben. «
in: Hesse, Hermann (1971): Mein Glaube, Frankfurt/Main, 98.

Verw:ortet im Dezember 2021: Hermann Hesse (1971) Mein Glaube, hrsg. von Siegfried Unseld, Frankfurt/Main

„Ich glaube an den Menschen.“ Hermann Hesse war weder Theologe noch ein „Spezialist in Lebensrätseln“, doch seine Urteile über den Glauben sind dezidiert und nicht ohne politische Relevanz. Am Beispiel der christlichen und asiatischen Traditionen macht er die Gemeinsamkeiten der Weltreligionen bewusst. Unter Frömmigkeit versteht Hesse nicht ein Pflegen von feierlichen Gefühlen, „sondern die Achtung des Einzelnen vor dem Ganzen der Welt, vor der Natur, vor dem Mitmenschen, das Gefühl des Einbezogenseins und Mitverantwortlichseins“. Neben den beiden grundlegenden Betrachtungen „Mein Glaube“ und „Ein Stückchen Theologie“ stellt Siegfried Unseld in diesem Band veröffentlichte und unveröffentlichte Texte Hermann Hesses.

Die genauen Quellen können im Buch nachgelesen werden, in Klammer steht nach jedem Zitat die Seitenangabe aus Hesses „Mein Glaube“ in der Ausgabe von 1971.

Quelle: [online] https://www.suhrkamp.de/buch/hermann-hesse-mein-glaube-t-9783518240359 [16.11.2021]

„Der Mensch, den ich mit Furcht, mit Hoffnung, mit Begehrlichkeit, mit Absichten, mit Forderungen ansehe, ist nicht Mensch, er ist nur ein trüber Spiegel meines Wollens.“ (11)

„Nicht zum Kinde, zum primitiven zurück sollen wir, sondern weiter, vorwärts, zu Persönlichkeit, Verantwortlichkeit, Freiheit.“ (14)

„Es fehlt unserem Leben durchgehends an Sitte, an einer traditionell überkommenen, geheiligten, ungeschriebenen Übereinkunft über das, was zwischen Menschen schicklich und geziemend sei.“ (24)

„Ein Kaiser trifft mit dem Urpatiacharchen Bodhidharma zusammen. Mit der Wichtigtuerei und der Ahnungslosigkeit eines Laien und Weltmanns fragt er ihn: ‚Welches ist der höchste Sinn der heiligen Wahrheit?‘ Der Patriarch antwortete: ‚Offene Weite – nichts von heilig.‘“ (60)

„Ich habe nie ohne Religion gelebt, und könnte keinen Tag ohne sie leben, aber ich bin mein Leben lang ohne Kirche ausgekommen.“ (62)

„Das Einzige und Herrliche an Gandhi ist nicht ein Wissen um fromme Geheimnisse oder eine besondere Gabe im Formulieren religiöser Begriffe, sondern die Tapferkeit und unbedingte Opferbereitschaft, mit der er seine Person in den Dienst der Wahrheit und des Guten stellte.“ (101)

„Ich glaube, eine Religion ist ungefähr so gut wie die andre Es gibt keine, in der man nicht ein weiser werden könnte, und keine, die man nicht auch als dümmsten Götzendienst betreiben könnte.“ (111)

„Jenes Wort ‚Pfaffe‘ ist ein Kampfwort, eine Bezeichnung jener Priester (und auch Nichtpriester), die das dogmatische Gewand ihres Glaubens höher stellen als den lebendigen Gehalt.“ (111)

„Ich vermeide es, Angehörige einer Kirche und Religionsgemeinschaft in ihrem Glauben irre zu machen. Für die Mehrzahl der Menschen ist es sehr gut, einer Kirche und einem Glauben anzugehören. Wer sich davon löst, der geht zunächst einer Einsamkeit entgegen, aus der sich mancher bald wieder in die frühe Gemeinschaft zurücksehnt. Er wird erst am Ende seines Weges entdecken, dass er in eine neue große, aber unsichtbare Gemeinschaft eingetreten ist, die alle Völker und Religionen umfasst. Er wird ärmer um das dogmatische und alles Nationale, und wird reicher durch die Brüderschaft mit Geistern aller Zeiten und Nationen und Sprachen.“ (124f)

» Wir sind im letzten Kapitel angekommen, und da stehst du im inneren Mittelpunkt der Felder Alpha, Beta, Gamma und Delta. Denn was sich in diesen vier Feldern der Lebenserfüllung abspielt, hat viel damit zu tun, was du für ein Mensch bist: welche Sehnsüchte und Träume, welche Wünsche du an dein Leben hast (Alpha), zu welchem Sinnbeitrag du talentiert und motiviert bist; was du als deine Berufung empfindest (Beta); welche Lebensbahn du einschlägst und was dir dabei schicksalsmäßig widerfährt – denn dein Charakter ist dein Schicksal, wenn auch nur zum Teil (Gamma); und wie Du dein Dasein auf dieser Welt erlebst und welchen Reim du dir auf die Fragen machst: Woher komme ich, was soll ich hier, welche Bedeutung hat es, am Leben zu sein? «
Schulz von Thun, Friedemann (2021) Erfülltes Leben. Ein kleine Modell für eine große Idee, München, 149f.

Verw:ortet im November 2021: Schulz von Thun, Friedemann (2021): Erfülltes Leben. Ein kleines Modell für eine große Idee

Mit den vielen biographischen Andeutungen und anschaulichen Erlebnissen ist dieses Buch mit dem kleinen Modell für ein große Idee – es geht um die Idee des erfüllten Lebens – für mich fast wie ein Abschiedsgeschenk des 1944 geborenen Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun zu lesen -und hoffentlich irre ich mich hier!

Die „vier Ohren“ aus der Kommunikationslehre sind vielen bekannt. Einen Satz wie „Die Ampel ist rot“, vom Beifahrer gesagt, kann der oder die Fahrende vierfach verstehen und darauf reagieren – es kann eine Selbstaussage, eine Beziehungsaussage, eine Sachaussage und ein Appell sein.Das Bild und die Anwendung des Inneren Teams geht zumindest für mich auch auf Schulz von Thun zurück.

Im neuen Buch zum erfüllten Leben sind es nicht vier, sondern 4+1 Felder. Schulz von Thun inspiriert dazu, mein Leben  als „erfüllt“ anhand der vier Felder der Wunsch-, der Sinn-, der biographischen und der Daseinserfüllung. Das fehlende eine Feld der Selbsterfüllung liegt dann obenauf und bedient sich der anderen Felder.

Einen Impuls zum tieferen Verständnis finden Sie hier, ansonsten ist das Buch mit dem kleinen Modell für eine große Idee mit seinen knapp 200 Seiten zwar schnell gelesen, gibt aber um so mehr und für längere Zeit genug zum Nachdenken, zum Entdecken und zum neuen Bewerten.

Alle Texte auf der Seite „verw:ortet“und im Spider sind entnommen aus Schulz von Thun, Friedemann (2021): Erfülltes Leben. Ein kleines Modell für eine große Idee, München. Die Seitenzahl ist in Klammern angegeben.

Alle Texte sind entnommen aus Schulz von Thun, Friedemann (2021): Erfülltes Leben. Ein kleines Modell für eine große Idee, München. Die Seitenzahl ist in Klammern angegeben.

„Wer in mir hat einen Wunsch – und was sagen die anderen dazu?“ (28)

„Die Botschaft dieses Kapitels ist nun klar: Du lebst auch um deiner selbst willen, und du stehst in der Selbstfürsorgepflicht, es dir nach Möglichkeit gut gehen zu lassen und Bedingungen zu schaffen, unter denen du aufblühen kannst!“ (38)

„Der Mensch steht in der doppelten Dienstpflicht: zum Gelingen des Ganzen beizutragen, von dem der ein Teil ist, und zum Gelingen des Ganzen beizutragen, das er selbst ist.“ (49)

„Mein bisher gelebtes Leben kann eine reiche Quelle der Kraft, der menschlichen Substanz, der Weisheit sein, kann also zu einem wahren Schatz werden, wenn (und nur wenn) ich meine existenziellen Schlüsselerfahrungen nicht nur erinnert, sondern auch verstanden und emotional verarbeitet habe.“ (83)

„Aus der Wunde ein Wunder zu machen: Das ist die Chance auf ein ‚posttraumatisches Wachstum‘, auf eine persönliche Entwicklung, dem Leben mit mehr Reife und Tiefe zu begegnen, mit einem großen Blick dafür, was wirklich wesentlich ist und zählt.“ (88)

„Hesses Goldmund wusste nichts davon, dass auch die Geisteswelt für das Menschenleben eine aufregende Wonne entfalten kann. Alles, was mein eigenes Leben an Dramatik vermissen lässt, finde ich vielleicht umso mehr in Büchern und Filmen.“ (108)

„Wie du dich vorfindest, was dir widerfährt und was du selbstwirksam erreichst – diese drei Fäden verweben sich unaufhörlich zu deinem Schicksalsteppich.“ (121)

„Authentizität auf dieser Ebene erweist sich dort, wo mein Reden durch mein Sein beglaubigt wird.“ (152)

„Das Humane ist dem Menschen nicht gegeben, sondern aufgegeben.“ (157)

„Immer nur friedlich und höflich – das wird friedhöflich!“ (163)

„‘Will ich so leben, wie ich lebe?‘ – Ich möchte drei Dimensionen der Selbstfindung unterscheiden: (1) Wie ich mich vorfinde (2) Wie ich mich finde (3) Wie ich mich erfinde.“ (177)

 

» Wir ignorieren Sokrates‘ Rat- ‚Erkenne Dich selbst‘ – und merken oft sehr spät, wie gefährlich das war, wenn wir plötzlich aufwachen, ohne uns je zuvor folgende Fragen gestellt zu haben: Wer bin ich? Was ist mir wichtig? Was mag ich? Was brauche ich? «
Holiday, Ryan / Hanselman, Stephen (2021): Der tägliche Stoiker, 10. Aufl., München, 381.

Verw:ortet im Oktober 2021: Holiday, Ryan/Hanselman, Stephen: Der tägliche Stoiker – Die Disziplin des Willens

Ein drittes und letztes Mal: Eine Hinführung zu „Der tägliche Stoiker“ der beiden Autoren Ryan Holiday und Stephen Hanselman finden Sie unter „August 2021“. Nach den Zitaten zur „Disziplin der Wahrnehmung“ und zur „Kategorie des Handelns“ folgen in diesem Monat Zitate der Stoiker und der beiden Autoren zum Stichwort „Die Disziplin des Willens“.

Alle Texte sind entnommen aus Holiday, Ryan/Hanselmann, Stephen (102021): Der tägliche Stoiker, München. Die Seitenzahl ist in Klammern angegeben.

„Nach all dem, was du bisher gelesen hast, magst du jetzt vielleicht denken: Die Sache ist großartig. Ich hab’s verstanden. Ich bin ein Stoiker. Aber so einfach ist das nicht. Nur weil du mit dieser Philosophie übereinstimmst, bedeutet das nicht, dass die Wurzeln bereits in deinem Verstand verankert sind.“ (285)

„Sich zu ändern und anzupassen ist keine Schwäche. Flexibilität ist ein Zeichen von Stärke. Tatsächlich ist es eine Kombination aus Flexibilität und innerer Stärke, was uns widerstandsfähig und unaufhaltbar macht.“ (289)

„Ein ehrlicher und aufrichtiger Mann sollte wie eine streng riechende Ziege sein – du weißt sofort, mit wem du in einem Raum bist.“ (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, 11.15, zit. in 312)

„Denke daran, dass das Verhalten immer ein besseres Beispiel ist als der Vortrag.“ (317)

„Wir sollen nicht unsere Ambitionen, in irgendwas besser zu werden, mit dem Ziel, ein besserer Mensch zu sein, verwechseln. Letzteres hat Priorität.“ (323)

„Das Gute ist nicht etwas, was mit der Post zugestellt wird. Du musst tief in deiner Seele graben. Du findest es in deinen Überlegungen und erzeugst es durch deine Taten.“ (325)

„Akzeptiere, was geschehen ist, und hör auf zu wünschen, dass es nicht passiert wäre. Im Stoizismus wird dies als ‚Kunst der Fügung‘ bezeichnet – etwas in Kauf nehmen anstatt gegen jede Kleinigkeit anzukämpfen.“ (334)

„Denke daran: Ereignisse sind neutral. Erst unsere Meinung über sie sagt etwas darüber aus, ob sie gut oder schlecht sind (und ob sie es wert sind, gegen oder für sie zu kämpfen).“ (337)

„Wir dürfen Akzeptanz nicht mit Passivität verwechseln.“ (344)

„Wenn wir Stoiker sind, können wir uns einer Sache ganz sicher sein: Was auch passiert, wir werden darüber hinwegkommen.“ (362)

„Fröhliche Akzeptanz oder schroffe Verweigerung? Am Ende kommt es auf dasselbe heraus.“ (363)

Zu Sokrates‘ „Erkenne Dich selbst!“: „Wir ignorieren Sokrates‘ Rat- ‚Erkenne Dich selbst‘ – und merken oft sehr spät, wie gefährlich das war, wenn wir plötzlich aufwachen, ohne uns je zuvor folgende Fragen gestellt zu haben: Wer bin ich? Was ist mir wichtig? Was mag ich? Was brauche ich?“ (381)

„Du kannst jeder schwierigen Situation die Wucht nehmen, wenn Du ihr mit Gelassenheit begegnest. Indem Du Dir die Situation schon vorher ausmalst und darüber nachdenkst.“ (394)

» Wenn man Dingen mehr Zeit und Mühe widmet, als sie es wert sind,
dann sind sie nicht länger eine Kleinigkeit.
Du machst sie wichtig – dadurch, dass Du ihnen
Zeit von Deinem Leben schenkst.
Und leider bedeutet das meistens,
dass Du dem, was wirklich wichtig ist
– Deiner Familie, Deiner Gesundheit, Deinen wahren Anliegen –
weniger Beachtung schenkst, weil Du sie
für etwas anderes verschwendet hast. «
Holiday, Ryan / Hanselman, Stephen (2021): Der tägliche Stoiker, 10. Aufl., München, 259.

Verw:ortet im September 2021: Holiday, Ryan/Hanselman, Stephen: Der tägliche Stoiker – Die Kategorie des Handelns

Eine Hinführung zu „Der tägliche Stoiker“ der beiden Autoren Ryan Holiday und Stephen Hanselman finden Sie unter „August 2021“. Nach den Zitaten zur „Disziplin der Wahrnehmung“ folgen in diesem Monat Zitate der Stoiker und der beiden Autoren zum Stichwort „Die Kategorie des Handelns“.

Alle Texte sind entnommen aus Holiday, Ryan/Hanselmann, Stephen (102021): Der tägliche Stoiker, München. Die Seitenzahl ist in Klammern angegeben.

„Der Mönch kleidet sich in seine Kutte. Der Priester legt sein Gewand an. Ein Bankier trägt einen dunklen Anzug und hat einen Aktenkoffer bei sich. Ein Stoiker hat keine Uniform und erfüllt keine Stereotypen. Er ist nicht an seinem Aussehen zu erkennen. Das Einzige, woran man ihn erkennt? An seinem Charakter.“ (143)

„So kannst Du Dir einen guten Tag garantieren: Tue Gutes. Jede andere Quelle der Freude steht außerhalb Deiner Macht oder ist nicht erneuerbar. Aber gute Taten stehen ganz in Deiner Macht, immer, unbegrenzt. Es ist die höchste Form der Eigenständigkeit.“ (149)

„Rege Dich nicht auf. Tue das Richtige. Das ist alles.“ (170)

„Beurteile, was Du tust, warum Du es tust und was genau Du damit erreichen willst. Wenn Du keine gute Antwort findest, hör auf damit.“ (172)

„Was ist Deine Berufung? Ein guter Mensch zu sein.“ (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen 11.5., zit. in 173)

„Wir sagen immer, dass wir unsere Eltern nicht aussuchen können, dass der Zufall sie uns zugeteilt hat – doch tatsächlich haben wir die Wahl, wessen Kinder wir gerne wären.“ (Seneca, Über die Kürze des Lebens, 15.3a, zit. in 181)

„Charakter […], also die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, ist die Quelle, aus der die Selbstachtung entspringt.“ (213 – Holiday zitiert hier Joan Didion ohne weiter Angabe)

„Du musst nicht das Richtige machen, ebenso wenig wie Du Deiner Pflicht nachkommen musst. Du hast die Gelegenheit. Du willst es.“ (222)

„Du hast zahllose Mühsal ertragen – alles nur, weil Du Deine Entscheidungsgewalt nicht genutzt hast, wofür sie geschaffen ist – es reicht jetzt!“ (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen 9.26 – zit. in: 250)

„Wenn man Dingen mehr Zeit und Mühe widmet, als sie es wert sind, dann sind sie nicht länger eine Kleinigkeit. Du machst sie wichtig – dadurch, dass Du ihnen Zeit von Deinem Leben schenkst. Und leider bedeutet das meistens, dass Du dem, was wirklich wichtig ist – Deiner Familie, Deiner Gesundheit, Deinen wahren Anliegen – weniger Beachtung schenkst, weil Du sie für etwas anderes verschwendet hast.“ (259)

» Was deine Ziele begrifft und das, was du erreichen willst, frage dich: Kontrolliere ich sie oder kontrollieren sie mich? «
Holiday, Ryan / Hanselman, Stephen (2021): Der tägliche Stoiker, 10. Aufl., München, 69.

Verw:ortet im August 2021: Holiday, Ryan/Hanselman, Stephen: Der tägliche Stoiker – Die Disziplin der Wahrnehmung

Ryan Holiday ist ein 1987 geborener amerikanischer Autor. Er besitzt einen Buchladen und verantwortet den Blog „The Daily Stoic“. Bevor er sich auf diese Arbeiten zurückziehen konnte, leitete er eine große Firma in Los Angeles. Seit seinem Studium beschäftigt er sich mit den Themen und Lehren der Stoa.

Stephen Hanselman ist ebenfalls Buchhändler und beschäftigt sich seit mehr als dreißig Jahren mit der Übersetzung der Texte stoischer Philosophen.

„Der tägliche Stoiker“ sammelt 366 kurze Texte der stoischen Philosophen wie Seneca, Epiktet und Marc Aurel. Gesammelt wurden die Zitate in drei Themenblöcken: „Die Disziplin der Wahrnehmung“ (untergliedert in die Stichworte Erkenntnis / Leidenschaft und Gefühle /  Aufmerksamkeit / Denken ohne Vorurteile), „Die Kategorie des Handelns“ (untergliedert in die Stichworte Richtiges Handeln / Problemlösung / Pflicht / Pragmatismus) und „Die Disziplin des Willens“  (untergliedert in die Stichworte Innere Stärke und Belastbarkeit / Tugend und Freundlichkeit / Akzeptanz und Amor fati / Betrachtungen über die Sterblichkeit). Jedem Zitat folgt ein kurzer Impulse zur Übertragung der jeweiligen Sentenz in die Gegenwart.

Das Besondere dabei: Es geht den Autoren um eine alltägliche Übersetzung und Übertragung, sie deuten die Texte der Stoa so, als seien sie für den heutigen postmodernen Menschen geschrieben. So werden vorwiegend die Übertragungen wiedergegeben, die Originalzitate, auf die sie sich beziehen, habe ich aus Platzgründen weggelassen.

Im August sind die Zitate dem ersten Themenblock „Die Disziplin der Wahrnehmung“ entnommen. Die beiden anderen Themenblöcke folgen in den Monaten September und Oktober.

Alle Texte sind entnommen aus Holiday, Ryan/Hanselmann, Stephen (102021): Der tägliche Stoiker, München. Die Seitenzahl ist in Klammern angegeben.

„Wissen – besonders Selbsterkenntnis – ist Freiheit.“ (18)

„Steuere deine Wahrnehmung. Führe deine Handlungen angemessen aus. Akzeptiere bereitwillig, was außerhalb deiner Macht steht. Das ist alles, was wir tun müssen.“ (20)

„Wir denken, wir hätten alles unter Kontrolle – aber haben wir das wirklich? Ein Abhängiger hat es einmal so beschrieben: Abhängigkeit ist ‚der Verlust der Freiheit, verzichten zu können‘. Lasst uns diese Freiheit zurückerobern.“ (24)

„Je mehr Dinge wir uns wünschen und je mehr wir tun müssen, um diese zu verdienen oder zu erreichen, desto weniger genießen wir tatsächlich unser Leben – und desto unfreier sind wir.“ (41)

„Was deine Ziele begrifft und das, was du erreichen willst, frage dich: Kontrolliere ich sie oder kontrollieren sie mich?“ (69)

„Selbstwahrnehmung ist die Fähigkeit, sich selbst objektiv zu betrachten. Es ist die Fähigkeit, unsere eigenen Instinkte, Verhaltensmuster und Annahmen infrage zu stellen.“ (85)

„Es gibt zwei Wege zum Wohlstand: Alles zu bekommen, was man sich wünscht, oder sich alles zu wünschen, was du hast.“ (103)

„Werfe Deine eingebildeten Ansichten über Bord, denn es ist für einen Menschen unmöglich, etwas zu lernen, von dem er meint, dass er es schon weiß.“ (Epiktet, Lehrgespräche, 2.17.1, zit. in: 121)

„Wenn wir heute Vernunft walten lassen wollen, müssen wir nur drei Dinge tun: Zunächst in uns hineinschauen. Dann uns ganz genau prüfen. Schließlich unsere eigenen Entscheidungen treffen – unbefangen und unbeeinflusst von allgemeinen Auffassungen.“ (132)

» Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein. «
Rilke, Rainer Maria (o.J.): Briefe an einen Jungen Dichter [online] http://inyaz-surgut.ru/d/926228/d/rilke-briefe-an-einen-jungen-dichter.pdf [07.06.2021], 6.

Verw:ortet im Juli 2021: Rainer Maria Rilke: Briefe an einen jungen Dichter

1883 in Temesvàr geboren, musste der junge Franz Xaver Kappus auf Wunsch des Vaters zunächst eine Kadettenschule und dann die Militärakademie besuchen. Er suchte ein Gegengewicht in der Poesie, und er begann 1902 einen Schriftwechsel mit dem von ihm hoch geschätzten Rainer Maria Rilke. In die Erfahrungen der Militärakademie, eines Lebens, das wie ein Krieg geführt wird, zeichnete Rilke in seinen Briefen an Kappus das Bild vom Leben als Kunstwerk. Gegen den Drill des Militärischen liest Kappus bei Rilke ganz andere Töne; Leben und Lebensführung kommt eher dem Dichten, der Poesie als dem Kriegsdienst gleich. – Man muss nicht auf einer Militärakademie sein, um das Leben als Kriegsdienst zu empfinden. Es hat gutgetan, die Rilke-Briefe so zu lesen, als seien sie mir, als seien sie uns geschrieben. Und der Austausch über die Aktualität der Bildsprache Rilkes öffnet neue Sichtweisen. Wo die einen Grenzen verteidigen, öffnet Rilke und die Seinen diese Grenzen, öffnet Tore und zieht aus ins Leben.

Die Zitate sind entnommen aus [online| Rilke, Rainer Maria (o.J.): Briefe an einen Jungen Dichter [online] http://inyaz-surgut.ru/d/926228/d/rilke-briefe-an-einen-jungen-dichter.pdf [07.06.2021], die Seitenzahlen sind in Klammer angegeben.

Aus dem Jahr 1902:

„Die Dinge sind alle nicht so fassbar und sagbar, als man uns meistens glauben machen möchte; die meisten Ereignisse sind unsagbar, vollziehen sich in einem Raume, den nie ein Wort betreten hat, und unsagbarer als alle sind die Kunst-Werke, geheimnisvolle Existenzen, deren Leben neben dem unseren, das vergeht, dauert.“ (2)

„Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand.“ (2)

Viareggio bei Pisa (Italien), 03. April 1903

„Im Grunde, und gerade in den tiefsten und wichtigsten Dingen, sind wir namenlos allein.“ (3)

z.Zt Worpswede bei Bremen, am 16. Juli 1903

„Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.“ (6)

Rom, am 23. Dezember 1903

„Fragen Sie sich, […] ob Sie Gott denn wirklich verloren haben. Ist es nicht vielmehr so, dass Sie ihn noch nie besessen haben?“ (9)

Rom, am 14. Mai 1904

„Auch zu lieben ist gut: denn Liebe ist schwer. Liebhaben von Mensch zu Mensch: das ist vielleicht das Schwerste, was uns aufgegeben ist, das Äußerste, die letzte Probe und Prüfung, die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist.“ (11)

„Lieben ist zunächst nichts, was aufgehen, hingeben und sich mit einem Zweiten vereinen heißt (denn was wäre eine Vereinigung von Ungeklärtem und Unfertigem, noch Ungeordnetem?), es ist ein erhabener Anlass für den einzelnen, zu reifen, in sich etwas zu werden, Welt zu werden, Welt zu werden für sich um eines anderen willen, es ist ein großer, unbescheidener Anspruch an ihn, etwas, was ihn auserwählt und Weitem beruft.“ (11)

Borgeby gärd. Fladie, Schweden, am 12. August 1904

„Und wenn wir wieder von der Einsamkeit reden, so wird immer klarer, dass das im Grunde nichts ist, was man wählen oder lassen kann. Wir sind einsam.“ (14)

„Wir müssen unser Dasein so weit, als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerhörte, muss darin möglich sein. Das ist im Grunde der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufklärbarsten, das uns begegnen kann.“ (14)

Furuborg, Jonsered, in Schweden, am 04. November 1904

„Im übrigen lassen Sie sich das Leben geschehen. Glauben Sie mir, das Leben hat recht, auf alle Fälle. (15)

» Wer den Weg der Reife einmal betreten hat, der kann nicht mehr verlieren, nur gewinnen. Bis einmal auch ihm die Stunde kommt, wo er die Käfigtür offen findet und mit einem letzten Herzklopfen dem Unzugänglichen entgegenschlüpft.«
Hesse, Hermann (1916): Aus der Betrachtung „Zum Gedächtnis“, in: ders.:(2018): Vom Wert des Alters. Mit Fotografien des Dichters von Martin Hesse, 4. Aufl., Frankfurt/Main, 249.

Verw:ortet im Juni 2021: Hermann Hesse – Vom Wert des Alters, 4. Auflage

Den 60. Geburtstag zu feiern scheint mir eine besondere Aufgabe – und das im doppelten Sinne. Mir ist die 60 die Zahl, an die ein Auf- und Abgeben von Vielem gebunden ist, was nicht mehr geht, nicht mehr stimmt oder stimmig erscheint. Und gleichzeitig, wie bei einem Januskopf, geht der Blick auf das hin, was zum einen bleibt, was zum anderen aber – welch Wunder – noch einmal neu dazukommen will. Was wird das Gesicht des Sechzigjährigen ausstrahlen? Oder anders: Wird es (noch) strahlen? Ist Verbitterung wegen des Lassens und des Verlustes von so Vielem an den Augen abzulesen? Oder gibt es so etwas wie eine Neugier auf die Jahre, die (noch) bleiben, die (noch) kommen?

Wie so oft ist Hermann Hesse mir hier Lehrer. Nicht nur in Worten! Die Fotos, die sein Sohn Martin von ihm im Alter gemacht hat, und die eingeflossen sind in den einen wunderschönen Sammelband des Fischer-Verlages (Hesse, Hermann <42018>: Vom Wert des Alters. Mit Fotografien des Dichters von Martin Hesse, Frankfurt/Main) zeigen einen alten Mann, der von innen heraus strahlt. Hesses Altern, Hesses Rat und auch seine Ironie dem Leben gegenüber tut mir gut, kurz vor dem Sechzigsten. Eine kleine Auswahl möchte ich Ihnen in diesem Monat in „verw.ortet“ weitergeben, eben als Worte, die Grund sind, auf denen Sie stehen und bauen können, als Worte, die eben Grund sind. Alle Zitate sind diesem Buch entnommen, die Seitenzahlen sind in Klammern angegeben.

„Es ist so leicht geworden, Bescheid zu wissen, ohne lernen zu müssen.“ (31; Hesse zitiert aus einem Brief seines alten Lehrers.)

„Die Jugend ist entflohn
man ist nicht mehr gesund.
Es drängt die Reflexion
sich in den Vordergrund.“ (Scherzgedicht, 1956) (46)

„Der Tod ist weder dort noch hier,
er steht auf allen Pfaden.
Er ist in dir und ist in mir,
sobald wir das Leben verraten.“ (61)

„Weil alte Leute sonst nichts mehr können, als den Jungen weise Ratschläge zu geben, gebe auch ich Dir einen Rat und Wink, weil der 60. Geburtstag genau der rechte Augenblick dafür ist. In diesem Alter wird es Zeit, dass man ein wenig von seinem Männer- und Knabenstolz und Trotz aufgibt und mit dem Leben, das man bisher kommandiert hat, etwas sanfter und behutsamer umzugehen beginnt. Dazu gehört etwas Sorgfalt und Nachgiebigkeit den Schwächen und Krankheiten gegenüber; man sollte sie dann nicht mehr anknurren und gewaltsam zum Schweigen bringen, sondern ihnen etwas nachgeben und schöntun, sich pflegen und sowohl mit Arzt und Medizin wie auch mit mehr ausruhen, mehr Kursen und Zwischenpausen in der Arbeit ihnen Ehre erweisen, die ihnen gebührt, denn sie sind Sendboten der größten Macht, die es auf Erden gibt.“ (Aus einem Brief vom 24.8.1947 an Max Wassmer) (63)

„Geduld ist das Schwerste und das Einzige, was zu lernen sich lohnt. Alle Natur, alles Wachstum, aller Friede, alles Gedeihen und Schöne in der Welt beruht auf Geduld, braucht Zeit, braucht Stille, braucht den Glauben an langfristige Prozesse von viel längerer Dauer als ein einzelnes Leben dauert, die keiner Einsicht des Einzelnen ganz zugänglich sind und in ihrer Gänze nur von Völkern und Zeitaltern, nicht von Personen erlebbar sind.“ (69)

„Mit der Reife wird man immer jünger. Es geht auch mir so, obwohl das wenig sagen will, da ich das Lebensgefühl meiner Knabenjahre im Grunde stets beibehalten habe und mein Erwachsensein und Altern immer als eine Art Komödie empfand.“ (Aus einem Brief vom 14.1.1922 an Werner Schindler)(98)

„Spiel dein Spiel und wehr dich nicht,
lass es still geschehen,
lass vom Winde, der dich bricht,
dich nach Hause wehen.“ (Aus dem Gedicht „Welkes Blatt“) (108)

„… Und jetzt, heute, während ich bei sanfter windstiller Wärme bei meinem Feuer stand und Holz brach, sah ich es geschehen: es erhob sich ein leiser, sanfter Windhauch, ein Atemzug nur, und zu Hunderten und Tausenden wehten die so lang gesparten Blätter dahin, lautlos, leicht, willig, müde ihres Trotzes und ihrer Tapferkeit. Was fünf, sechs Monate festgehalten und Widerstand geleistet hatte, erlag in wenigen Minuten einem Nichts, einem Hauch, weil die Zeit gekommen, weil die bittere Ausdauer nicht mehr nötig war. Hinweg stob und flatterte es, ohne Kampf. Das Windchen war viel zu schwach, um die so leicht und dünn gewordenen kleinen Blätter weit weg zu treiben, wie ein leiser Regen rieselten sie nieder und bedeckten Weg und Gras zu Füßen des Bäumchens, von dessen Knospen ein paar wenige schon aufgebrochen und grün geworden waren. Was hatte sich mir nun in diesem überraschenden und rührenden Schauspiel offenbart? War es der Tod, der leicht und willig vollzogene Tod des Winterlaubes? War es das Leben, die drängende und jubelnde Jugend der Knospen, die sich mit plötzlich erwachtem Willen Raum geschaffen hatte? War es traurig, war es erheiternd? War es eine Mahnung an mich, den Alten, mich auch flattern und fallen zu lassen, eine Mahnung daran, dass ich vielleicht Jungen und Stärkeren den Raum wegnahm? Oder war es eine Aufforderung, es zu halten wie das Buchenlaub, mich so lang und zäh auf den Beinen zu halten wie nur möglich, mich zu stemmen und zu wehren, weil dann, im rechten Augenblick, der Abschied leicht und heiter sein werde? Nein, es war, wie jede Schauung, ein Sichtbarwerden des Großen und Ewigen, des Zusammenfalls der Gegensätze, ihres Zusammenschmelzens im Feuer der Wirklichkeit, es bedeutete nichts, mahnte zu nichts, vielmehr es bedeutete alles, es bedeutete das Geheimnis des Seins, war Geschenk und Fund für den Schauenden, wie es ein Ohr voll Bach, ein Auge voll Cézanne ist. Diese Namen und Deutungen waren nicht das Erlebnis, sie kamen erst nachher, das Erlebnis selbst war nur Erscheinung, Wunder, Geheimnis, so schön wie ernst, so hold wie unerbittlich.“ (Aus der Betrachtung „Aprilbrief“, 1952) (113f)

„Altsein ist eine ebenso schöne wie heilige Aufgabe wie Jungsein, Sterbenlernen und Sterben ist eine ebenso wertvolle Funktion wie jede andere – vorausgesetzt, dass mit Ehrfurcht vor dem Sinn und der Heiligkeit alles Lebens vollzogen wird.“ (Aus: Über das Alter, 1952) (123)

„Betrachtung: Betrachtung ist nicht Beobachtung, nicht Forschung, nicht Kritik; sie ist nichts als Liebe. Sie ist der höchste und wünschenswerteste Zustand unserer Seele: begierdelose Liebe.“ (137)

„Ich will Ihnen Kraft und Geduld wünschen im Kampf mit dem Altern, bei dem man auch im Unterliegen gewinnen kann.“ (Aus einer Postkarte um 1950 an Siegfried Seeger) (197)

„Von denen, für die ich diesen Bericht aufschreibe, sind nur sehr wenige so alt wie ich. Die meisten von ihnen wissen nicht, was für alte Leute, zumal wenn. Sie ihr Leben fern von den Räumen und Bildern ihres Jugendlebens verbracht haben, ein Gegenstand bedeuten kann, der ihnen die Wirklichkeit jener Jugendzeit bezeugt, ein altes Möbelstück, eine verbleichende Photographie, ein Brief, dessen Handschrift und Papier beim Wiederlesen ganze Schatzkammern vergangenen Lebens öffnet und beleuchtet und in dem wir Schernamen und familiäre Ausdrücke entdecken, die heute niemand mehr verstünde und deren Klang und Gehalt wir selber erst wieder mit einer kleinen angenehmen Anstrengung und klar machen müssen. Und viel mehr, sehr viel mehr als solche Dokumente aus ferner Zeit bedeutet die Wiederbegegnung mit einem lebendigen Menschen, der einst mit dir Knabe und Jüngling gewesen ist, der deine längst begrabenen Lehrer gekannt und Erinnerungen an sie aufbewahrt hat, die dir verloren gegangen sind. Wir sehen einander an, der Schulkamerad und ich, und jeder sieht am andern nicht nur den weißen Schopf und die müden Augen unter den faltig und etwas starr gewordenen Lidern, er sieht hinter dem Heute das Damals; es sprechen nicht nur zwei alte Männer miteinander, es spricht überdies der Seminarist Otto mit dem Seminaristen Hermann, und jeder sieht unter den vielen darüber geschichteten Jahren noch den vierzehnjährigen Kameraden, hört seine Knabenstimme von damals, sieht ihn in der Schulbank sitzen und Gesichter schneiden, sieht ihn Ball oder Wettrennen spielen, mit fliegenden Haaren und blitzenden Augen, sieht auf dem noch kindlichen Gesicht die ersten Morgenlichter der Begeisterung, der Rührung und der Andacht bei früheren Begegnungen mit dem Geist und mit dem Schönen.“ (Aus: Herbstliche Erlebnisse, 1952) (202-205)

„Heiterkeit: Heiterkeit ist eine Tugend der Heiligen und der Ritter; sie ist das Geheimnis des Schönen und die eigentliche Substanz jeder Kunst. Der Dichter, der das Herrliche und das Schreckliche im Tanzschritt seiner Worte preist, der Musiker, der es als reine Gegenwart erklingen lässt, ist Lichtbringer, Mehrer der Freude und Heiligkeit auf Erden, auch wenn er uns erst durch Tränen und schmerzliche Spannung führt.“ (210)

„Dieses Zusammensinken im Alter hat ein Gutes, es macht doppelt gleichgültig gegen außen, namentlich gegen die Weltgeschichte und die Aktiengesellschaften, von denen sie betrieben wird.“ (Aus einem Brief um 1950 an Otto Basler) (215)

„Der Blick des Wollens: Unrein und verzerrt ist der Blick des Wollens. Erst wo wir nichts begehren, erst wo unser Schauen reine Betrachtung wird, tut sich die Seele der Dinge auf: die Schönheit. Wenn ich einen Wald beschaue, den ich kaufen, den ich pachten, den ich abholzen, den ich mit einer Hypothek belasten will, dann sehe ich nicht den Wald, sondern nur seine Beziehungen zu meinem Wollen. Dann besteht er aus Holz, ist jung oder alt, gesund oder krank. Will ich aber nichts von ihm, blicke ich nur ‚gedankenlos‘ in seine grüne Tiefe, dann erst ist er Wald, ist Natur und Gewächs, ist schön.“ (219)

„Aufgabe der Jugend ist das Werden. Aufgabe des reifen Menschen ist das Sich-weggeben oder, wie die Mystiker es nannten, das ‚Entwerden‘.“ (225)

„Zum Eintritt in den neuen Lebensraum, den Vorhof des Alters, wünscht ein Alter Ihnen die Gaben, die uns das Leben auf dieser Stufe zu geben hat: vermehrte Unabhängigkeit vom Urteil anderer, vermehrte Unberührbarkeit durch die Leidenschaften, ungestörte Andacht vor dem Ewigen.“ (Albumblatt, 1950, an Hermann Ferdinand Schell) (226)

„Gegen die Infamitäten des Lebens sind die besten Waffen: Tapferkeit, Eigensinn und Geduld. Die Tapferkeit stärkt. Der Eigensinn macht Spaß und die Geduld gibt Ruhe.“ (Aus einem Brief vom 23.7.1950 an H.S.,) (241)

„Wer den Weg der Reife einmal betreten hat, der kann nicht mehr verlieren, nur gewinnen. Bis einmal auch ihm die Stunde kommt, wo er die Käfigtür offen findet und mit einem letzten Herzklopfen dem Unzugänglichen entgegenschlüpft.“ (Aus der Betrachtung „Zum Gedächtnis“, 1916) (249)

» Wer zum Wahrnehmen der Wirklichkeit erwacht ist, ist von den anderen unweigerlich geschieden. Dafür hat er die Gemeinschaft, die im 'Steppenwolf' 'Die Unsterblichen' heißt. «
Hesse, Hermann (1950): Aus einem Brief an H. Gaupp, zit. in: Michels, Volker (Hrsg.) (1987): Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, Frankfurt/Main, 225.

Verw:ortet im Mai 2021: Hermann Hesse in seinen Briefen

Wenn die Inzidenzzahlen es zulassen, werde ich im Mai zum wiederholten Male einige Tage in Maulbronn und in seinem Kloster sein, um dort Hermann Hesse zu lesen, in seinen Briefen und in seinen Betrachtungen auf das Alter(n) hin. Hierhin hat sein Vater den einsinnigen Sohn im Alter von 15 Jahren in ein Internat verbannt, weil er ihm nicht mehr „Herr“ wurde.

Ihm geht ein wenig der Ruf voraus, man könne ihn nur im pubertären Alter lesen, weil er so eigensinnig lebte, den Eigensinn betonte und vom Eigensinn sagte, er mache ihm Spaß. Ich glaube, dass umgekehrt auch gilt: Hesse zu lesen fördert das Eigensinnige im eigenen Leben und weckt die Freude daran neu. Was Hesse „Eigensinn“ nennt, entdecke ich in Richard Rohrs Begriff von „Mystik“:

Von daher kann es ein Lese-Abenteuer sein, Hermann Hesse als Mystiker zu lesen und zu entdecken. Einige Zitate, die mir in der vorbereitenden Lektüre zusagten, will ich hier mit Ihnen teilen.

„Das erste und brennendste meiner Probleme war nie der Staat, die Gesellschaft oder die Kirche, sondern der einzelne Mensch, die Persönlichkeit, das einmalige, nicht normierte Individuum.“

Hesse, Hermann (1951): Aus einem Brief an französische Studenten, in: Michels, Volker (Hrsg.) (1987): Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, Frankfurt/Main, 82.

„Die Weisheit, die uns nottut, steht bei Lao-Tse, und sie ist ins Europäische zu übersetzen, ist die einzige geistige Aufgabe, die wir zurzeit haben. […] Lao-Tse soll uns nicht das Neue Testament ersetzen, aber er soll uns zeigen, dass ähnliches auch unter anderem Himmel und früher schon gewachsen ist, und das soll unseren Glauben an die Internationalität der Kulturfähigkeit stärken.“

Hesse, Hermann (1913/1919): Aus Buchbesprechungen, zit. in: Michels, Volker (Hrsg.) (1987): Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, Frankfurt/Main, 203.

„Der Tod von Gandhi war für mich kein Schrecken, er war die gewissermaßen legitime Antwort der Welt auf Gandhis Leben und Werk, so wie Golgatha die folgerichtige Antwort auf Jesus war.“

Hesse, Hermann (1948): Aus einem Brief an Pia Ludwig, zit. in: Michels, Volker (Hrsg.) (1987): Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, Frankfurt/Main, 205.

„Wer zum Wahrnehmen der Wirklichkeit erwacht ist, ist von den anderen unweigerlich geschieden. Dafür hat er die Gemeinschaft, die im ‚Steppenwolf‘ ‚Die Unsterblichen‘ heißt.“

Hesse, Hermann (1950): Aus einem Brief an H. Gaupp, zit. in: Michels, Volker (Hrsg.) (1987): Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, Frankfurt/Main, 225.

„Mir ist in meinem Kreise keine zweite so intensive, langdauernde, keine so treue und fruchtbare Lebenskameradschaft begegnet. […] Was hinter seiner Ironie und Virtuosität an Herz, an Treue, Verantwortlichkeit und Liebesfähigkeit stand, jahrzehntelang völlig unbegriffen vom großen deutschen Publikum, das wird sein Werk und Andenken weit über unsere verworrenen Zeiten hinaus lebendig erhalten.“

Hesse, Hermann (1955) Aus einem Brief an Katja Mann über seine Freundschaft zu Thomas Mann, zit. in: Michels, Volker (Hrsg.) (1987): Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, Frankfurt/Main, 238.

» Man muss die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit finden, um als Mensch wirklich leben zu können. «
Drewermann, Eugen (1993): Auferstanden aus der Angst. Eugen Drewermann im Gespräch mit Eike Christian Hirsch, in: der. (Hrsg.): Wort des Heils - Wort der Heilung, Bd. 4, Düsseldorf, 177.

Verw:ortet im April 2021: Eugen Drewermann – Auferstanden aus der Angst

Neben der Lyrik von Rose Ausländer  war im Blick auf Ostern wenig Raum für andere „Auferstehungstexte“. Gut war es, wieder einmal bei Eugen Drewermann nachzuschauen, dessen Auferstehungsbegriff immer wieder die Angst des Menschen als „Worauf hin“ und „Wovon her“  nimmt. Eine der großen Fragen die mich zurzeit beschäftigen, ist, wie ein spiritueller Umgang mit Unsicherheiten aussehen kann – nicht nur mit den persönlichen, sondern auch mit den gesellschaftlichen und globalen Unsicherheiten. Auch hier hoffe ich auf einen „Grund“, der mich trägt, den Eugen Drewermann beschreiben kann.

Alle Zitate sind entnommen aus: Drewermann, Eugen (1993): Auferstanden aus der Angst. Eugen Drewermann im Gespräch mit Eike Christian Hirsch, in: der. (Hrsg.): Wort des Heils – Wort der Heilung, Bd. 4, Düsseldorf, 171-178. Die Seitenzahlen sind am Ende jedes Zitates in Klammern angegeben.

„Was Christus uns wirklich lehrt, ist nicht, dass Menschen unsterblich sind. Was er uns lehrt, ist, diesen Glauben so zu setzen, dass er die Todesangst überwindet und die Verkürzungen des Lebens hier auf Erden aufbricht.“ (172)

„Um es so zu sagen: Was Jesus vor sich hat, ist immer wieder, dass Menschen die eigene Schönheit oder die eigene Größe ihres Daseins gar nicht zu leben wagen. Sie verhocken sich bis zur Unwahrhaftigkeit, versauern sich bis zur Selbstdemütigung immer wieder aus Furcht vor dem, was andere sagen könnten, was andere ihnen antun könnten, und im Zentrum, im Hintergrund aller Angst lauert der Tod, die Sterblichkeit, die Krankheit unserer irdischen Existenz. Dagegen will Jesus gerade sagen: Wer auf Gott vertraut, was hat der zu verlieren?“ (172)

„Diese Frau aus Magdala, Miriam, redet Jesus an und sagt ihr: ‚Geh zu meinen Brüdern.‘ Das ist die ganze Auferstehung: Am Ende eine Perspektive zu gewinnen, die über diese Welt hinausgeht. Und dafür steht die Gestalt Jesu.“ (175)

„Ich glaube, dass ist die Erfahrung von Ostern, dass äußerlich sich eigentlich alles widerlegt. Und wer versucht, die objektive Wirklichkeit geltend zu machen, der erstickt jegliche Hoffnung. Das Entscheidende ist, von innen her zu sehen, wie sich Gräber öffnen können, und das ist ein Ereignis ganz aus innen.“ (177)

„Man muss die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit finden, um als Mensch wirklich leben zu können.“ (177)

„Der Osterglaube ist sensibel wie die Liebe. Man kann ihr Vertrauen schenken, wenn man den Worten der tiefsten Sehnsucht, der stärksten Leidenschaft, des intimsten Vertrauens folgt. Aber man verdirbt sie augenblicklich, wenn man misstrauisch wird und nach Beweisen forscht. Dann ist die Auferstehungsbotschaft wie der Horizont, der sich immer weiter entfernt, je mehr man auf ihn zugeht. Der Himmel auf Erden ist für denjenigen, der ihn in sich einlässt.“ (178)

» Sich für die Gnade der Kontemplation zu bereiten, besteht in der doppelten Wende: von außen nach innen und vom Denken und Tun zum Schauen. «
Jalics, Franz (2006): Der kontemplative Weg, Reihe Igntianische Impulse Bd.14, Würzburg, 46.

Verw:ortet im März 2021: Franz Jalics – Der kontemplative Weg

In meiner Beschäftigung mit der buddhistischen Spiritualität habe ich nach Parallelen zu Vollzügen und Haltungen im Christentum gesucht. Dass ich sie P. bei Franz Jalics SJ und seinen Kontemplativen Exerzitien finden werde, wusste und weiß ich aus eigener Erfahrung. Dieser Lehrer der christlichen Kontemplation ist im Februar 2021 verstorben, die Lektüre seines kleinen Bändchens „Der kontemplative Weg“, 2006 als Band 14 der Reihe „Ignatianische Impulse“ bei Echter, Würzburg erschienen, war für mich eine Möglichkeit, mich von ihm zu verabschieden. Alle Zitate sind aus diesem Buch genommen, die Seitenzahlen in Klammern angegeben.

„Im menschlichen Leben gibt es kontemplative Augenblicke. In ihnen leuchtet etwas auf, was der Mensch schon immer erwartet hat. Sie geben eine Ahnung davon, dass das Leben mehr zu bieten hat als das, was wir im grauen Alltag erleben. Sie überraschen uns und hinterlassen eine Sehnsucht, weiter in das Geheimnis des Lebens hineingeführt zu werden, denn sie geben ein Vorgefühl unserer eigentlichen Heimat. […] Es ist ein Innewerden von etwas, das immer da war, aber nie bemerkt wurde.“ (7)

„Der Glaube an Gott ist die Gewissheit, dass unser Ursprung in Gott ist, dass wir in unserem irdischen Leben in ihm sind und dass wir nach dieser irdischen Existenz für immer in die universale Liebe und in die ewige Glückseligkeit aufgenommen werden. Der Glaube ist also nicht die Erfahrung der Schau Gottes. Er gibt nur die Gewissheit, dass uns die Schau Gottes zuteil wird.“ (11)

Jalics zitiert aus einem Bericht: „Früher bemühte ich mich, zu den Menschen zu gehen, um Christus zu verkünden. Seit dieser Wende nach innen spüre ich immer mehr, dass die Menschen zu mir kommen, und sie spüren, dass ich mit mehr Kraft spreche. Das bemerke ich auch bei anderen Menschen, die aus der Stille leben. Sie wirken durch Ausstrahlung.“ (22)

„Wie können wir uns für die Schau Gottes bereiten? […] Sich unmittelbar für die Gnade der Kontemplation zu disponieren heißt, sich vom Denken und Tun zu verabschieden und im Schauen auf die Mitte zu verweilen.“ (44f)

„Sich für die Gnade der Kontemplation zu bereiten, besteht in der doppelten Wende: von außen nach innen und vom Denken und Tun zum Schauen.“ (46)

„Es gibt noch eine […] Stille. Eine schmerzhafte und heilende Stille. Es gibt ein Schweigen, in dem die Stille Ärztin und Therapeutin ist: Sie taucht in die Tiefe des Menschen hinab und kommt mit der unbekannten und bedrückenden Verwundung des Menschen wieder zur Oberfläche. Ihre Aufdeckung tut weh, aber Gott kann die Verwundung aufnehmen und heilen, denn die wahre Stille ist er selbst. Er kann die verborgenen und unerkannten Wunden zum Bewusstsein bringen und auskurieren. Der Mensch muss sie gar nicht aussprechen. Er muss sie nur bewusst werden lassen und vor dem liebenden Blick Gottes erleiden können.“ (48f)

„Die Erfahrung, dass man die Aktivitäten nicht selbst, sondern dass Gott sie vollbringt, bewirkt eine unglaubliche Freiheit. Der Mensch ist von den Sorgen seines Fortschritts befreit. Er wird unabhängig von den Ergebnissen seiner Bemühungen. Er kann aus seiner Mitte heraus auf das Wirken Gottes vertrauen, weil er es ständig erlebt.“ (53)

„Ich kenne keinen besseren Therapeuten als die Stille.“ (54)

» Du und ich - wir sind eins. Ich kann dir nicht wehtun, ohne mich zu verletzen. «
Mahatma Gandhi, in: Gandhi, Arun (2019): Sanftmut kann die Welt erschüttern, Köln, 88.

Verw:ortet im Februar 2021: Mahatma Gandhi – Aphorismen

Am 30. Januar 1948 wurde Mohandas Karamchand Gandhi, vom indischen Philosophen und Schriftsteller Rabindranath Tagore 1915 mit dem Beinamen Mahatma, „große Seele“ beschenkt und gewürdigt, von einem fanatischen nationalistischen Hindu erschossen. Sein Enkel Arun Maninal Gandhi (*1934), der einen Teil seiner Kindheit im Haus des Großvaters aufwuchs, hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Erbe von Mahatma Gandhi weiterzugeben.

In den vergangenen Jahren sind zwei Bücher von ihm in deutscher Sprache erschienen. In „Wut ist ein Geschenk“ (2017) beschreibt er seinen Umgang mit dem Großvater, seine Sichtweise auf dessen Person und dessen Wirken. In „Sanftmut kann die Welt erschüttern“ (2019) folgen auf ein Vorwort des Dalai Lama und einen Essay von Arun Gandhi über seinen Großvater 150 Aphorismen von Mahatma Gandhi, nach Stichworten gesammelt. Ein Essay von Arun Gandhi über Gewaltlosigkeit (Ahimsa) schließt das Buch ab.

Sowohl 2019 als auch 2020 konnte ich in New Delhi das Wohnhaus Mahatma Gandhis als auch die Stelle in seinem Garten besuchen, an der er ermordet wurde. Ich war überwältigt von der Kraft, die von diesen Orten ausgeht. Aus den 150 Aphorismen Gandhis habe ich einige für den Februar 2021 und für die Rubrik „verw:ortet“ ausgewählt.

Die Aphorismen sind entnommen aus Gandhi, Arun (2019): Sanftmut kann die Welt erschüttern, Köln. Die Seitenangaben sind in Klammern angehängt.

„Zivilisiert sein bedeutet nicht, Bedürfnisse zu mehren, sondern sie absichtsvoll und freiwillig zu reduzieren.“ (71)

„Freiheit lohnt sich nicht, wenn sie nicht die Freiheit zu irren einschließt.“ (79)

„Du und ich – wir sind eins. Ich kann dir nicht wehtun, ohne mich zu verletzen.“ (88)

„Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“ (94)

„Es gibt zwei Arten von Macht. Die eine erlangt man durch Androhung von Strafe, die andere durch die Kraft der Liebe.“ (99)

„Ich lehne jede religiöse Glaubenslehre ab, die nicht an den Verstand appelliert und die sich der Moral widersetzt.“ (103)

„Der Mensch ist dort zu Hause, wo sein Herz ist, nicht dort, wo sein Körper ist.“ (111)

„Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ (111)

„Reich wird man erst durch die Dinge, die man nicht begehrt.“ (116)

„Auge um Auge – und die ganze Welt wird erblinden.“ (117)

Verw:ortet im Januar 2021: Marie Mannschatz – Lieben und loslassen. Durch Meditation das Herz öffnen

Nach zwei Reisen durch Indien in den vergangenen beiden Jahren hat mich der Einfluss der anderen Religionen auf das Christentum in Indien sehr fasziniert. Gerade in der Weltanschauung und im Menschenbild des Buddhismus  erlebe ich ohne dogmatischen Überbau einen guten und verlockenden Weg, eine Entwicklung hin zum liebenden Menschen zuzulassen. Eine besondere Hilfe stellen für mich die Bücher von Marie Mannschatz dar. In diesem Monat sind die Zitate für verw:ortet entnommen aus Mannschatz, Marie (2019): Lieben und loslassen. Durch Meditation das Herz öffnen, Bielefeld. Die Seitenzahlen sind in Klammern den Zitaten angehängt. 

„Wer sich gegen den Strom des Lebens stemmt, der leidet.“ (129)

„Unser Kontrollierenwollen verhindert, dass wir im friedlichen Einklang mit der Welt mitschwingen, immer wollen wir etwas anders als das, was gerade jetzt stattfindet.“ (129)

„Mitgefühl vereint Gebende und Empfangende, denn beide Seiten sind auf Mitgefühl angewiesen. Ohne Mitgefühl kann keiner leben.“ (134)

„Während im Mitgefühl eine uneingeschränkte und akzeptierende Resonanz mit Schmerz und Leid stattfindet, ist im Mitleid eine Abwehrbewegung enthalten. Der Mitfühlende kann seinen eigenen Schmerz akzeptieren, der Mitleidige hat Angst vor seinem Schmerz und will ihn schnell aus der Welt schaffen.“ (139)

„Mitfreude ist Ausdruck von Überfluss, Loslassen und Expansion. Das Gegenteil von Mitfreude – Missgunst – ist in Festhalten, Knappheit und Kontraktion begründet.“ (159)

„Wer unter Eifersucht leidet, sehnt sich nach Anerkennung und möchte gern als liebenswert erkannt werden.“ (161)

„Geübtes Loslassen äußert sich in körperlicher und geistiger Beweglichkeit.“ (205)

„Wer unter Eifersucht leidet, schickt Metta und Mitgefühl zu sich selbst und fragt sich. Was brauche ich, um wieder Frieden zu finden? Was braucht es, damit diese Situation akzeptiert werden kann?“ (163)

„Wenn spirituelle Traditionen das Loslassen lehren, meinen sie damit nicht die Verachtung der weltlichen Dinge, sondern die Veränderung der Beziehung zu ihnen. Unser Besitz ist nicht problematisch, aber unsere von Anhaftung geprägte Verbundenheit mit ihm.“ (209)

» Wer das Leben in engen Räumen vorzieht, bekommt gewissermaßen Platzangst, und diese birgt ihre ganz eigenen Schrecken. «
Rowling, J.K. (2017): Was wichtig ist. Vom Nutzen des Scheiterns und der Kraft der Fantasie, Hamburg, 60.

Verw:ortet im Dezember 2020: J.K. Rowling – Was wichtig ist

Als J.K. Rowling, die Autorin der Harry-Potter-Reihe, 2008 gebeten wurde, die Abschlussrede an der Harvard University zu halten, wählte sie dafür zwei Themen, die ihr sehr am Herzen liegen: den Nutzen des Scheiterns und die Kraft der Fantasie. Denn in ihren Augen ist der Mut zu scheitern genauso wichtig für ein erfülltes Leben wie konventionellere Wege zum Erfolg. Das gilt auch für die einzigartige menschliche Fähigkeit, sich mithilfe der Vorstellungskraft in andere hineinzuversetzen – vor allem in jene, die es schwerer haben als wir. Diese besondere Fähigkeit müssen wir uns unbedingt bewahren. Im Zugehen auf Weihnachten hält verwertet in diesem Monaten Zitate zur Kraft der Fantasie vor. Abgeseilt wird auf die Fantasie des Menschen auf Gott hin, aber auch auf die Fantasie Gottes auf den Menschen hin. Die Zitate sind entnommen aus Rowling, J.K. (2017): Was wichtig ist. Vom Nutzen des Scheiterns und der Kraft der Fantasie, Hamburg. Die Seitenzahlen sind in Klammern angegeben.

„Sie [i.e. die Fantasie, H.K.] ist nicht nur das einzigartige menschliche Vermögen, sich vorzustellen, was nicht ist, und daher der Ursprung aller Erfindung und Erneuerung; wahrhaft umwälzend und erhellend ist sie jedoch in ihrer Eigenschaft als jene Kraft, dank der wir uns in Menschen einzufühlen vermögen, die ganz andere Erfahrungen als wir selbst gemacht haben.“ (41)

„Im Gegensatz zu jedem anderen Geschöpf auf diesem Planeten können Menschen lernen und verstehen, ohne die Erfahrung selbst gemacht zu haben. Sie können sich in die Lage anderer hineinversetzen.“ (56)

„Und viele wollen ihre Fantasie gar nicht erst tätig werden lassen. Sie verharren lieber in den Grenzen ihrer eigenen Erfahrungen und geben sich nie die Mühe zu überlegen, wie es sich anfühlen würde, als jemand anderes geboren worden zu sein. Sie weigern sich womöglich, Schreie zu hören oder in Käfige zu schauen; sie können ihr Denken und ihr Herz abschotten gegen alles Leid, das sie nicht persönlich betrifft; sie können sich dem Wissen darum verschließen.“ (59)

„Wer das Leben in engen Räumen vorzieht, bekommt gewissermaßen Platzangst, und diese birgt ihre ganz eigenen Schrecken. Ich glaube, es sind gerade die willentlich Fantasielosen, die am meisten Ungeheuer sehen. Oft haben sie mehr Angst.“ (60f)

„Wer sich entscheidet, kein Mitgefühl zu haben, bereitet überdies den wirklichen Ungeheuern den Boden. Denn ohne je persönlich eine offen böse Tat zu begehen, spielen wir durch unsere eigene Gefühllosigkeit dem Bösen in die Hände.“ (61)

„Was wir innerlich erreichen, wird unsere Realität verändern.“ (Plutarch, zitiert auf 63)

„Wir brauchen keine Magie, um unsere Welt zu verwandeln; wir tragen alle Kraft, die wir brauchen, bereits in uns: Wir haben die Kraft, uns Besseres vorzustellen.“ (67)

„Mit dem Leben ist es wie mit einem Theaterstück: Es kommt nicht darauf an, wie lang es ist, sondern wie gut gespielt.“ (Seneca, zitiert auf 70)

Verw:ortet im November 2020: Papst Franziskus – Fratelli tutti: Über Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft

Am 03.10.2020, dem Vorabend des Gedenktages des hl. Franz von Assisi, hat Papst Franziskus eine Sozialenzyklika unterschrieben, die zur Haltung der Geschwisterlichkeit und der sozialen Freundschaft aufruft – immer im Dreischritt „mit mir selbst“ – „mit Dir in der Begegnung“ – „zwischen Kulturen, Völkern, Nationen“.  In diesem Monat sollen einige der mir wichtigsten Zitate unter „verw:ortet“ auftauchen, Worte, die noch nicht Grund sind, aber Grund werden und Grund geben können. Zitiert wird nach den Nummern der Abschnitte, FT steht für „Fratelli tutti“.

„Mit Worten behauptet man bestimmte Dinge, aber die Entscheidungen und die Wirklichkeit schreien eine andere Botschaft heraus.“ (FT 23)

„Etwas ist wahr, solange es einem Mächtigen genehm ist, und ist es dann nicht mehr, wenn es seinen Nutzen für ihn verliert.“ (FT 25)

„Wer eine Mauer errichtet, wer eine Mauer baut, wird am Ende zum Sklaven innerhalb der Mauern, die er errichtet hat, ohne Horizonte.“ (FT 27)

„Denn es ist eine Sache, sich zum Zusammenleben gezwungen zu fühlen, und eine andere Sache, den Reichtum und die Schönheit der Samen des gemeinsamen Lebens wertzuschätzen, die gemeinsam gesucht und wertgeschätzt werden müssen.“ (FT 31)

„Die unveräußerliche Würde jedes Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Religion ist das höchste Gesetz der geschwisterlichen Liebe.“ (FT 39)

„Sich hinsetzen, um einem anderen zuzuhören, ist charakteristisch für eine menschliche Begegnung und stellt ein Paradigma einer aufnahmebereiten Haltung dar. Damit überwindet ein Mensch den Narzissmus; er heißt den anderen willkommen, schenkt ihm Aufmerksamkeit und nimmt ihn in der eigenen Gruppe auf.“ (FT 48)

„Einmal auf dem Weg, treffen wir unvermeidlich auf verletzte Menschen. […] Wir alle haben etwas vom verletzten Menschen, etwas von den Räubern, etwas von denen, die vorbeigehen, und etwas vom barmherzigen Samariter.“ (FT 69)

„Paradoxerweise können diejenigen, die sich für ungläubig halten, den Willen Gottes manchmal bessere erfüllen als die Glaubenden.“ (FT 74)

„Wir müssen aktiv Anteil haben beim Wiederaufbau und bei der Unterstützung der verwundeten Gesellschaft.“ (FT 77)

„Jesus ruft uns nicht auf , danach zu fragen, wer die sind, die uns nahe sind, sondern uns selbst zu nähern, selbst zum Nächsten zu werden.“ (FT 80)

„Liebe, die über alle Grenzen hinausreicht, ist die Grundlage dessen, was wir in jeder Stadt und in jedem Land ’soziale Freundschaft‘ nennen.“ (FT 99)

„Wir stellen fest: Je weniger Weite ein Mensch  in seinem Denken und Empfinden besitzt, desto weniger wird er in der Lage sein, die ihn unmittelbar umgebende Wirklichkeit zu deuten.“ (FT 147)

„Der soziale Friede erfordert harte Arbeit, Handarbeit.“ (FT 217)

Verw:ortet im Oktober 2020: Hermann Hesse – Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend

Nach der Verfilmung von Hesses „Narziß und Goldmund“ haben wir im Kreis der Gefährten noch einmal Hesse gelesen, natürlich „Narziß und Goldmund“, aber auch „Unterm Rad“ und „Demian“ und „Siddartha“. Sehr hilfreich zum Verstehen Hesses war der Band Michels, Volker (Hrsg.) (1987): Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, Frankfurt/Main. Die Zitates   aus Demian, die uns beschäftigten, ins Nachdenken und in die Freude an allem Lebendigen brachten, bilden in diesem Monat die Zitate zu „verw:ortet“. Sie sind entnommen aus Hesse, Hermann (1996): Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend, Reihe „die Romane und großen Erzählungen“, Bd. 3, Frankfurt/Main. Die Seitenzahlen sind in Klammern angegeben.

„Wir können einander verstehen; aber deuten kann jeder nur sich selbst.“ (8)

„Mancher wird niemals Mensch, bleibt Frosch, bleibt Eidechse, bleibt Ameise. Aber jeder ist ein Wurf der Natur nach dem Menschen hin.“ (8)

„Man braucht vor niemand Angst zu haben. Wenn man jemand fürchtet, dann kommt es daher, dass man diesem Jemand Macht über sich eingeräumt hat. Man hat zum Beispiel etwas Böses getan, und der andere weiß das – dann hat er Macht über dich. Du kapierst? Es ist doch klar, nicht?“ (39)

„Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir herauswollte. Warum war das so schwer?“ (94)

„‘Halt‘, rief Pistorius. ‚Es ist ein großer Unterschied, ob Sie bloß die Welt in sich tragen oder ob Sie das auch wissen!‘“ (104)

„Was jetzt an Gemeinsamkeit da ist, ist nur Herdenbildung. Die Menschen fliehen zueinander, weil sie voreinander Angst haben – die Herren für sich, die Arbeiter für sich, die Gelehrten für sich! Und warum haben sie Angst? Man hat nur Angst, wenn man mit sich selbst nicht einig ist. Sie haben Angst, weil sie sich nie zu sich selbst bekannt haben. Eine Gemeinschaft von lauter Menschen, die vor dem Unbekannten in sich selber Angst haben.“ (131)

„‘Heim kommt man nie‘, sagte sie freundlich. ‚Aber wo befreundete Wege zusammenlaufen, da sieht die ganze Welt für eine Stunde wie Heimat aus.‘“ (136)

„‘Liebe muss nicht bitten‘, sagte sie, ‚auch nicht fordern. Liebe muss die Kraft haben, in sich selbst zur Gewissheit zu kommen. Dann wird sie nicht mehr gezogen, sondern zieht.‘“ (144)

„Das Neue beginnt, und das Neue wird für die, die am Alten hängen, entsetzlich sein.“  (154)

Verw:ortet im September 2020: Verena Kast – Sisyphos. Altes loslassen und neue Wege gehen

Bei einer Wanderung im Kreis der Gefährten wurde die Notwendigkeit des Loslassens im Leben thematisiert. Gleichzeitig kam die Figur des Sisyphos in den Blick, der nicht aktiv loslässt, sondern dem sich „sein Stein“ immer und immer wieder entzieht. „Im griechischen Mythos von Sisyphos erkennen sich viele Menschen wieder – besonders in ihrem Arbeitsalltag: Sisyphos ist von den Göttern dazu verdammt, auf ewig einen schweren Stein den Berg hinaufzuwälzen. Kurz vor dem Gipfel rollt der Felsbrocken dann immer wieder hinunter, und alles beginnt von vorne – ein vergebliches Tun (scheinbar) ohne Sinn. Verena Kast ermutigt in diesem Buch dazu, sich mit Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, Erwartung und Enttäuschung, Sinn und Sinnlosigkeit auseinanderzusetzen. Mit Hilfe von vielen Beispielen aus Lebensalltag, Psychotherapie und Werken der Literatur verdeutlicht die renommierte Jung’sche Analytikerin: Wenn etwas keinen Erfolg haben kann, muss es losgelassen werden – und auch im Scheitern kann letztlich ein Sinn verborgen sein.“

Quelle: [online] https://www.buecher.de/shop/buecher/sisyphos-altes-loslassen-und-neue-wege-gehen/kast-verena/products_products/detail/prod_id/54530294/ [24.08.2020]

Die Zitate für das verw:ortet im September 2020 sind entnommen aus Kast, Verena (2019): Sisyphos. Altes loslassen und neue Wege gehen, Ostfildern. Die Seitenzahlen stehen in Klammern am Ende des Zitates.

„Sinn verbinden wir mit Veränderung zu etwas Umfassenderen hin.“ (11)

„Sich selbst in seiner Eigenart zu tragen und zu ertragen, sich selbst in seinen mühsamen Seiten auszuhalten, das wird hier als Sisyphosarbeit bezeichnet.“ (24)

„Der Zwang zur Wiederholung ist die Herausforderung zur Kreativität innerhalb der Wiederholung. Wiederholung ist nur ein Strukturelement des Daseins, das den Tod kennt; was innerhalb der Wiederholung aufleuchtet, das ist das Wesentliche.“ (25)

„Zur Sisyphosarbeit scheint gewisse Arbeit dann zu werden, wenn wir zu viel wollen, wenn wir zu sehr dem Absoluten verpflichtet sind und das Endliche unserer Existenz zu wenig akzeptieren können. In der Dynamik von großen Erwartungen, die dann enttäuscht werden, erleben wir die Qualen des Sisyphos.“ (27)

„Zur Sisyphosarbeit wird eine gewisse Arbeit aber auch dann, wenn wir, einem linearen Denken verpflichtet, meinen, zu einem Ende kommen zu müssen mit Arbeiten, die nie zu Ende sein können, wenn es uns nicht gelingt, auch zyklisch zu denken.“ (27)

„Nun scheint es mir, müssen wir einen Aspekt beachten, der immer wieder bei der Auseinandersetzung mit diesem Mythos gestreift wurde: Es kommt nicht so sehr darauf an, dass wir das Ziel erreichen, sondern dass wir auf dem Weg sind. Selbstverständlich aber führt der Weg zu einem angestrebten Ziel. Nicht das Erreichen des Zieles ist wichtig, sondern der Einsatz auf dem Weg und der Mut, immer wieder auch von vorn beginnen zu können.“ (55)

„Wandlung ist aber nur möglich, wenn wir loslassen können, wenn wir Verluste akzeptieren können, also letztlich, wenn wir einsehen, dass Gewinnen und Verlieren zum Leben gehören, dass wir nicht nur ‚Meisterdiebe‘, sondern auch ‚Meisterverlierer‘ sein müssen, um ein Thema des Mythos wieder aufzunehmen.“ (80)

„Das Loslassenkönnen erfordert mehr Mut als das Festhaltenwollen. Wir wissen ja jeweils nicht, wie sich das Leben verändert, wenn wir loslassen. Der Mythos sagt uns nur, was geschieht, wenn wir über die Zeit hinaus festhalten. Loslassen könnte dann aber dazu führen, dass Wandlung stattfinden kann.“ (80)

„Der Zusammenstoß des Unmöglichen mit dem Möglichen hat dem Menschen seine Grenzen aufgezeigt, keine starren, sondern verschiebbare, aber keinesfalls mehr ins Unendliche verschiebbare Grenzen. Der Mensch lernt, dass er ein gewöhnlicher Mensch sein darf, aber auch sein muss.“ (100)

„Gewöhnlich sein zu dürfen und zu müssen bedeutet, dass wir von vielen Größenideen und übertriebenen Ansprüchen Abschied nehmen dürfen und müssen.“ (100)

„Damit ist einerseits ein ständiges Abschiednehmen verbunden, andererseits ein immer größerer Grad von Freiheit. Abschiednehmen ist auch Befreiung hin zu Ideen, Werten, Forderungen an uns und andere, die wirklich zu uns gehören.“ (100)

„Gewöhnlichsein eröffnet sehr viele gewöhnliche Lebensmöglichkeiten. So besteht hier die Möglichkeit, den eigenen Interessen zu folgen, und nicht das zu tun, von dem man denkt, dass es im Moment am meisten Ansehen gibt.“ (101)

„Den eigenen Interessen nachhaltig zu folgen, bringt eine große Belebung mit sich.“ (101)

„Weil wir Menschen sterblich sind, müssen wir am Leben festhalten, unser Leben kreativ gestalten, so viel wie möglich aus diesem einen Leben machen.“ (122)

„Weil wir Menschen sterblich sind, müssen wir aber auch immer loslassen. Die Zeit, der Tod, und damit die Vergänglichkeit geben unserem Leben den Rahmen, der nicht aufzuheben ist. Innerhalb dieses Rahmens können wir Leben gestalten.“ (122)

„Würde der Stein plötzlich wirklich oben bleiben – was dann?“ (123)

Verw:ortet im August 2020: Hermann Hesse – Unterm Rad

Nach der Verfilmung von Hesses „Narziß und Goldmund“ haben wir im Kreis der Gefährten noch einmal Hesse gelesen, natürlich „Narziß und Goldmund“, aber auch „Unterm Rad“ und „Demian“ und „Siddartha“.

Sehr hilfreich zum Verstehen Hesses war der Band Michels, Volker (Hrsg.) (1987): Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, Frankfurt/Main. Die Sätze aus „Unterm Rad“, die uns beschäftigten, ins Nachdenken und in die Freude an allem Lebendigen brachten, bilden in diesem Monat die Zitate zu „verw:ortet“. Sie sind entnommen aus: Hesse, Hermann (1996): Unterm Rad, Reihe „Die Romane und großen Erzählungen, Band 1, Frankfurt/Main, 159-328. Am Ende jedes Zitates steht die Seitenzahl in Klammern.

Die vierseitige Zusammenstellung von Zitaten, mit denen wir über die eigene Bildungsgeschichte ins Gespräch kamen, können Sie hier  herunterladen.

„Beide sahen nun einander ins Gesicht, und wahrscheinlich sah jeder in diesem Augenblick des andern Gesicht zum ersten Male ernstlich an und versuchte sich vorzustellen, dass hinter diesen jünglingshaft glatten Zügen ein besonderes Menschenleben mit seinen Eigenarten und eine besondere, in ihrer Weise gezeichnete Seele wohne.“ (230)

„Ein Schulmeister hat lieber einige Esel als ein Genie in seiner Klasse, und genau betrachtet hat er ja recht, denn seine Aufgabe ist es nicht, extravagante Geister heranzubilden, sondern gute Lateiner, Rechner und Biedermänner.“ (250)

„‘Willst du mir versprechen, dir ordentlich Mühe zu geben?‘ Hans legte seine Hand in die ausgestreckte Rechte des Gewaltigen, der ihn mit ernster Milde anblickte. ‚So ist’s gut, so ist’s recht, mein Lieber. Nur nicht matt werden, sonst kommt man unters Rad.‘“ (252)

„Wohin er schließlich käme, war ihm einerlei; wenigstens war er nun dem verhassten Kloster entsprungen und hatte dem Ephorus gezeigt, dass sein Wille stärker war als Befehle und Verbote.“ (266)

„All diese ihrer Pflicht beflissenen Lehrer der Jugend, vom Ephorus bis auf den Papa Giebenrath, Professoren und Repetenten, sahen in Hans ein Hindernis ihrer Wünsche, etwas Verstocktes und Träges, das man zwingen und mit Gewalt auf gute Wege zurückbringen müsse. Keiner, außer vielleicht jenem mitleidigen Repetenten, sah hinter dem hilflosen Lächeln des schmalen Knabengesichts eine untergehende Seele leiden und im Ertrinken angstvoll und verzweifelnd um sich blicken.“ (269)

„Es war kein Wunder, dass alles nicht heilen wollte. Jedes gesunde Leben muss einen Inhalt und ein Ziel haben, und das war dem jungen Giebenrath verlorengegangen.“ (287)

„Sein leichtes Schifflein, knapp dem ersten Schiffbruch entronnen war nun in der Gewalt neuer Stürme und in die Nähe wartender Untiefen und halsbrechender Klippe geraten, durch welche auch die bestgeleitete Jugend keinen Führer hat, sondern aus eigenen Kräften Weg und Rettung finden muss.“ (295)

„So viel Plage, Fleiß und Schweiß, so viel hingegebene kleine Freuden, so viel Stolz und Ehrgeiz und hoffnungsfrohes Träumen, alles umsonst, alles nur, damit er jetzt, später als alle Kameraden und von allen ausgelacht, als kleinster Lehrbub in eine Werkstatt gehen konnte!“ (309)

„Es hatte das Ansehen, der Junge sei plötzlich in der Blüte gebrochen und aus einer freudigen Bahn gerissen, und auch der Vater erlag in seiner Müdigkeit und einsamen Trauer dieser lächelnden Täuschung.“ (328)

Verw:ortet im Juli 2020: Marie Mannschatz – Buddhas Anleitung zum Glücklichsein

Fünf Hindernisse sind es, so lehrte Buddha, die uns davon abhalten, glücklich zu sein: Zweifel, Unruhe, Trägheit, unstillbares Verlangen und Widerwille. In welcher Gestalt sie in unserem Leben auftauchen und wie wir sie überwinden können, zeigt Marie Mannschatz anhand zahlreicher praktischer Hinweise und Übungen. Buddhistische Psychologie wird hier ganz konkret auf den Alltag angewandt. Wer seine eigenen Muster erkannt und akzeptiert hat, der kann sie auch verändern. So werden aus Hindernissen Herausforderungen, die das Leben erst interessant machen.

Alle Zitate sind entnommen aus: Mannschatz, Marie (2. Auflage 2010): Buddhas Anleitung zum Glücklichsein. Fünf Weisheiten, die Ihr Leben verändern, München. Die Seitenzahlen sind am Ende jedes Zitates in Klammern angegeben.

Auf Verw:ortet sind nur eine Auswahl der notierten Zitate abgedruckt. Eine diese Auswahl übersteigende Sammlung finden Sie hier.

„Wenn man alles, was einem begegnet, als Möglichkeit zu innerem Wachstum ansieht, gewinnt man innere Stärke. <Milarepa, tibetischer Meditationsmeister (1052-1135)>“ (4)

„Gebt jedem Problem, jeder Erfahrung einen einfachen Namen. Benennt den Geist, der mit Freude gefüllt ist, und den Geist, der mit Ärger erfüllt ist, benennt das Auftauchen und das Entschwinden von Erfahrungen. So wird euer Verständnis auf natürliche Weise wachsen. <Buddha>“ (16)

„Ich glaube, dass Lebenskunst zum großen Teil darin besteht, uns selbst so anzunehmen, wie wir sind. Zweifel ist da offensichtlich hinderlich. Deshalb üben wir, den Zweifel LOSZULASSEN. Mit ganz viel Achtsamkeit können wir ihn aufspüren und ihm zurufen: ‚Da bist du ja, dich kenne ich schon, du hast mir noch nie gutgetan. Ich schenke dir keine weitere Aufmerksamkeit. Jeder Gedanke, den ich auf dich verwende, ist vergeudet.“ (37)

„Bei meiner Arbeit als Psychotherapeutin habe ich oft die Frage gehört: ‚Was soll ich nur tun? Woran merke ich, ob es sinnvoll ist, in einer zweifelhaften Lage auszuharren oder einen Schlussstrich zu ziehen? Welche Heichen soll ich lesen lernen?‘ Nach ausführlichem gemeinsamem Abwägen der Situation entstand häufig der Eindruck, dass es vorrangig darum geht, wieder in BEWEGUNG ZUKOMMEN, dass es ‚Richtig‘ oder ‚Falsch‘ gar nicht gibt, da jegliche Bewegung in eine Richtung in festgefahrenen Lebenssituationen nur gut sein kann.“ (40)

„Wie alle Wasser in den großen Meeren nur einen einzigen Geschmack haben – den Geschmack von Salz -, so haben auch alle wahrhaftigen Lehren nur einen einzigen Geschmack – den Geschmack von Freiheit. <Buddha>“ (47)

„Trägheit ist […] die Beharrlichkeit, mit der ein Körper in Ruhe oder Beweglichkeit verbleibt, solange keine gegensätzlichen Kräfte auf ihn einwirken. Trägheit bedeutet: Es wird keine Ursache für eine NEUE BEWEGUNGSRICHTUNG geben.“ (75)

„Der träge Mensch lebt am liebsten unter der Bettdecke und vergeudet seine Energien mit Nebensächlichkeiten, die ihn von der Erfüllung vorrangigere Aufgaben abhalten. Auf der Gefühlsebene dominiert Lustlosigkeit, zuweilen auch ein dumpfer Trotz. Nichts macht Freude. Wozu Aufstehen, wenn es kein Entrinnen gibt aus dem selbst fabrizierten Labyrinth von Gewohnheiten? Das Neue, das Unbekannte wirkt so bedrohlich, dass es besser nicht wahrgenommen wird.“ (76)

„Nicht, weil die Dinge schwierig sind, wagen wir sie nicht, sondern weil wir sie nicht wagen, sind sie schwierig. <Seneca>“ (82)

„Großzügiges Geben steht bei allem, was Buddha lehrt, am Anfang. Da er die Ursache für menschliches Leiden im zwanghaften, gierigen Raffen und Festhalten sieht, liegt die Heilung vom Leiden logischerweise im LOSLASSEN. Buddha lehrt, dass wir keine Schwierigkeiten haben wegen der Reichtümer, die wir besitzen, sondern wegen der Beziehung, die wir zu diesen Reichtümern haben.“ (109f)

„Furcht zeigt sich auch in der Angst vor Veränderung, wenn wir allzu fest am Gewohnten haften. Im Geist bewirkt Furcht GEDANKENSCHLEIFEN mit bedrohlichen Bildern, Worten, Szenen, die wir immer wieder durchspielen.“ (130f)

„Furcht benebelt unsere Gedanken, sie vereitelt, dass wir erkennen, was uns wirklich hindert. Unter dem Einfluss von Furcht werden wir schnell nervös und übererregt. Zu viel Furcht macht uns müde oder gleichgültig, bewirkt sogar Apathie. Furcht zeigt sich auch in der Angst vor Veränderung, wenn wir allzu fest am Gewohnten haften. Im Geist bewirkt Furcht GEDANKENSCHLEIFEN mit bedrohlichen Bildern, Worten, Szenen, die wir immer wieder durchspielen.“ (130f)

„In der buddhistischen Psychologie wird zwischen MITLEID und MITGEFÜHL unterschieden. Im Mitleid ist eine Ablehnung des Schmerzes enthalten. Mitleid sagt unbewusst: ‚Du Arme! Ich gebe dir etwas, damit ich deinen Schmerz schnell wieder vergessen kann“. Und stellt sich innerlich über den Leidenden. Mitgefühl sagt: ‚Dein Schmerz ist auch mein Schmerz‘, es verbindet Gleich und Gleich. Mitgefühl entscheidet nicht zwischen ‚Richtig‘ und ‚Falsch‘. Mitgefühl hat nur ein Ziel: Leiden verringern.“ (147f)

Verw:ortet im Juni 2020: Olga Tokarczuk – Der liebevolle Erzähler / Wie Übersetzer die Welt retten

Alle Zitate sind entnommen aus: Tokarczuk, Olga (2020): Der liebevolle Erzähler. Vorlesung zur Verleihung des Nobelpreises für Literatur. Mit einem Essay ‚Wie Übersetzer die Welt retten‘, Zürich. Die Seitenzahlen sind am Ende jedes Zitates in Klammen angegeben. Ich bedanke mich bei Martin Berghane, Gelsenkirchen, für den guten Austausch und die gemeinsame Auswahl. An dieser Stelle sind nur einige Zitate aufgelistet. Unsere gemeinsam erstellte Sammlung finden Sie hier.

— aus: Der liebevolle Erzähler —

„Wenn man jemanden vermisst, bedeutet das, dieser Jemand ist schon da.“ (13)

„Die Welt ist ein Stoff, an dem wir täglich weben – auf großen Webstühlen verarbeiten wir die Fäden aus Nachrichten, Debatten, Filmen, Büchern, Klatsch und Tratsch, Anekdoten.“ (15)

„Wer an der Geschichte webt, hat die Macht.“ (15)

„Nimmt das Erzählte einen anderen Lauf, so ändert sich der Lauf der Welt. In diesem Sinne ist die Welt aus Worten geschaffen.“ (15)

„Seit die Lüge zu einer – wenngleich immer noch reichlich primitiven – Massenvernichtungswaffe geworden ist, hat sich das Vertrauen der Leser in die Fiktion verflüchtigt. Immer häufiger stellt man mir die Frage, die Ungläubigkeit schwingt darin mit: „Ist es denn wahr, was Sie da geschrieben haben?“ Und jedesmal habe ich das Gefühl, das Ende der Literatur sei nahe – klingt doch diese in der Wahrnehmung der Leser harmlose Frage für schriftstellerische Ohren wahrhaft apokalyptisch. Was soll ich darauf antworten? Wie lässt sich der ontologische Status eines Hans Castorp, einer Anna Karenina oder eines Pu der Bär erklären?“ (30f)

„Somit stellt Literatur Fragen, auf die Wikipedia keine Antworten bereithält – verlassen diese Fragen doch den Bereich der reinen Fakten und Ereignisse und knüpfen direkt an unsere Erfahrung an.“ (34)

„Unsere Spiritualität schwindet, oder sie wird oberflächlich und rituell. Oder aber wir werden zu Gefolgsleuten simpler Kräfte – physischer, gesellschaftlicher oder ökonomischer -, die uns lenken, als wären wir Zombies. Und in einer solchen Welt sind wir das tatsächlich: Zombies.“ (43)

„Eine Geschichte zu erzählen bedeutet, Leben zu verleihen und all die Bruchstücke der Welt – die menschlichen Erfahrungen, durchlebte Situationen, Erinnerungen – zur Existenz zu bringen.“ (58f)

Die liebevolle Zuneigung ist die bescheidenste Form der Liebe. Sie findet keine Erwähnung in der Heiligen Schrift oder in den Evangelien, niemand schwört bei ihr, niemand beruft sich auf sie. Sie besitzt keine Embleme, keine Symbole, sie bietet keinen Grund für Verbrechen oder Eifersucht. Stattdessen taucht sie überall dort auf, wo wir unseren Blick eingehend und behutsam auf ein anderes Sein richten, auf etwas, das nicht ‚Ich‘ ist.“ (59)

„Liebevolle Zuneigung ist spontan und selbstlos, sie geht weit über empathisches Mitfühlen hinaus. Vielmehr ist sie eine bewusste – bisweilen vielleicht etwas melancholische – Einfühlung in ein anderes Leben, ein anderes Schicksal.“ (59f)

„Der liebevolle Blick bedeutet, ein anderes Sein anzunehmen und aufzunehmen, in seiner Zerbrechlichkeit, seiner Einzigartigkeit, seiner Wehrlosigkeit gegen Leiden und das Wirken der Zeit.“ (60)

„In der zugeneigten Betrachtung entdecken wir Bande zwischen uns, Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen. Sie zeigt die Welt als lebend und lebendig, als ineinander verbunden, voneinander abhängig, zusammenwirkend.“ (60)

„Literatur gründet auf der liebevollen Zuneigung, die wir jedem anderen Sein entgegenbringen. Und das ist der entscheidende psychologische Mechanismus des Romans. Dem wunderbaren Instrument der liebevollen Zuneigung – der raffiniertesten Art menschlicher Kommunikation – ist es zu verdanken, dass unsere Erfahrung durch die Zeit reisen und jene erreichen kann, die noch nicht geboren sind, aber einmal das zur Hand nehmen werden, was wir über uns und unsere Welt erzählt haben.“ (60f)

— aus: Wie Übersetzer die Welt retten —

„Etwas falsch oder nicht zu verstehen bedeutet Einsamkeit und eine Distanz, die sich immer dann einstellt, wenn man als Einziger den Kontext nicht kennt.“ (68)

„Dies ist die eindringlichste und schamvollste Erfahrung von Introversion – wir schämen uns, wenn wir etwas nicht verstehen. Unsere Kultur erzieht uns dazu, alles verstehen zu wollen, und gibt uns so die Möglichkeit der Kontrolle über die Welt. Einem Menschen, der etwas nicht versteht, ist diese Möglichkeit genommen.“ (68f)

„Literatur beginnt also in jenem speziellen Moment, in dem unsere individuelle, einzigartige Sprache mit der Sprache anderer Menschen zusammentrifft. Literatur ist der Raum, in dem das Private öffentlich wird.“ (90)

„Jede Generation hat ihre eigene Sprache zur Beschreibung der Welt, ja, vielleicht hat heute sogar jedes Jahrzehnt seine eigene Sprache – und wir Sprecher sind uns häufig ihrer Kurzlebigkeit und Eingeschränktheit, ihrer ausschließlichen Fähigkeit zur Artikulierung dessen, was sich innerhalb ihrer Grenzen befindet, nicht einmal bewusst.“ (96)

„Es gibt keine schlimmere Krankheit als den Verlust der individuellen Sprache, wenn ein Mensch eine kollektive Sprache gänzlich zu seiner privaten macht. An dieser Krankheit leiden Beamte, Politiker, Akademiker und auch Geistliche.“ (96)

„Die einzig mögliche Therapie ist die Literatur – der Umgang mit der schöpferischen Sprache wirkt wie eine Impfung gegen eilends zusammengezimmerte und rein instrumental behandelte Weltsichten.“ (96f)

Verw:ortet im Mai 2020: Franz Gmainer-Pranzl – Alleine leben – andere begleiten

Alle Zitate sind entnommen aus: Gmainer-Pranzl, Franz (2011): Alleine leben – andere begleiten, in: ders. (Hrsg.): Alleine leben – mit anderen sein. Ein christlicher Lebensentwurf, Würzburg. Die Seitenzahlen sind am Ende jedes Zitates in Klammen angegeben.

Der Autor kritisiert die Unterteilung der Stände in der Kirche in verheiratet/nicht verheiratet. Er führt den Begriff der „Gefährtenschaft“ als dritte Lebensform neben der Lebensform der (exklusiven) Partnerschaft und der Lebensform der (inklusiven) Gemeinschaft als mögliche aus Glauben gewählte Lebensform ein. Sein Ziel ist die Beschreibung einer Theologie der Lebensformen, die er in sieben Thesen zusammenfasst. Im Blick auf die gewählte Lebensform sind der Selbststand und die Begleitung die Kennzeichen der Gefährtenschaft der allein lebenden Menschen neben den in exklusiver (Paarbeziehung) und inklusiver Gemeinschaft (z.B. Ordensgemeinschaften) lebenden Menschen.

„Was heißt es, aus christlicher Motivation heraus als Gefährte/Gefährtin zu leben? Was bedeutet es, den eigenen Weg alleine zu gehen und dabei auch andere Menschen zu begleiten?“ (72f)

„Eine Theologie christlicher Lebensformen […] leitet Menschen dazu an, den Fragen ihres Lebens und dem Anspruch ihrer Berufung gerecht zu werden.“ (73)

Erstens: […] Alleine zu leben […], und zwar bewusst und ohne ein kirchliches Amt, ist eine Lebensform, die immer wieder der Erklärung bedarf.“ (73)

Zweitens ist festzuhalten, dass es hier um eine bewusste Entscheidung geht, alleine, aber nicht beziehungslos zu leben.“ (74)

„Daraus ergibt sich drittens, dass eine positive Explikation der Lebensform der Gefährtenschaft gefragt ist. Es ist wenig attraktiv, immer nur zu erklären, was man im Gegensatz zu anderen ‚nicht darf‘; demgegenüber ist es viel spannender, Sinn und Ziel der Entscheidung, alleine zu leben, angeben zu können.“ (75)

„Nicht das Ausgrenzen von Sexualität, sondern das Dasein-Wollen für andere Menschen charakterisiert die Gefährtenschaft; nicht darum geht es, ‚besser‘ als andere sein zu wollen, sondern die allen geschenkte Berufung zum Christsein in einer bestimmten – zu Ehe und Gemeinschaft alternativen – Weise zu leben.“ (75f)

„Gefährtenschaft heißt […] nicht, isoliert oder asexuell zu leben, sondern das, was Menschsein und Christsein ausmacht, in einer anderen Lebenskonstellation zu verwirklichen.“ (76)

„Diese Lebenskonstellation – und das ist der vierte Punkt – möchte ich als partizipative Weggemeinschaft charakterisieren. Dieser Begriff meint, dass die Teilnahme an der ‚Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art‘, das Prinzip dieser Lebensform darstellt. Gefährtenschaft ist eine zutiefst partizipative Art und Weise zu leben.“ (76)

Fünftens: „Als Gefährte/Gefährtin zu leben bedeutet, geistig und geistlich auf dem Weg zu bleiben und von daher immer wieder aus Sicherheiten und Geborgenheit aufzubrechen. Die Gefährtenschaft ist die am wenigsten gesicherte Lebensform. Sie kennt weder eine exklusive (Partnerschaft) noch eine inklusive Bindung (Gemeinschaft), sondern versteht sich als partizipativ, als Wegbegleitung anderer durch Menschen, als selbst-ständige bzw. allein-stehende Form christlicher Existenz.“ (78)

„Die Fähigkeit, in einer guten Weise alleine zu leben, selbstständig und beziehungsfreudig zu sein und sich in allem eine echte innere Freiheit zu bewahren, stellt zweifellos das Schlüsselkriterium authentischer Gefährtenschaft dar.“ (78)

Sechstens: „Markiert das Leben in einer Beziehung vor allem das Verbundensein und das Leben in Gemeinschaft das Solidarischsein, bezeichnet die Gefährtenschaft das Unterwegssein. […] In der vielfältigen Vernetzung mit unterschiedlichen Menschen, in einer gewissen Distanz zu Traditionen und kulturellen/gesellschaftlichen/religiösen Plausibilitäten sowie in der Bereitschaft, immer wieder neu aufzubrechen, erschließen Gefährten und Gefährtinnen noch unentdeckt Lebens- und Glaubensräume.“ (80)

„Wenn das Christsein im Allgemeinen und die Gefährtenschaft im Besonderen zur bloßen Bestätigung des gesellschaftlich Selbstverständlichen wird, wenn Christen in der Weise ‚sesshaft‘ geworden sind, dass ihr Glaube nicht mehr ‚unterwegs‘, zu neuen Aufbrüchen fähig ist, dann ist etwas Entscheidendes verloren gegangen und die Gefährtenschaft zum Junggesellentum mutiert.“ (80)

Siebtens: „Was hier auf dem Spiel steht, […] ist jene innere Dynamik, die Christen zu ‚neuen Menschen‘ macht: die Freiheit, die Christus schenkt (2 Kor 3,17; Gal 5,1.13). Diese bestürzende und beglückende Erfahrung versetzt Menschen nicht in eine religiöse Sonderwelt, sondern befähigt sie zu einer ungeheuren Hoffnung: ‚Freiheit heißt sich an die Geschichte zu binden, um sie zu retten‘[1], wie Jon Sobrino SJ betont; und er unterstreicht: ‚Die christliche Freiheit ist im Letzten die Freiheit zu lieben.‘[2] (79f)

„Wenn die Lebensform der Gefährtenschaft diese christliche Freiheit nicht auf existenzielle Weise verkörpert, wenn Menschen, die als Gefährten/Gefährtinnen leben, nicht für die Radikalität einer größeren Hoffnung und Liebe stehen, ist es um das Zeugnis des Glaubens geschehen.“ (80)

[1] Sobrino, Jon (2008): Der Glaube an Jesus Christus. Eine Christologie aus der Perspektive der Opfer, Ostfildern 2008, 134.

[2] ebd.

Verw:ortet im April 2020 – nach Ostern: Hans Zollner – Psychologische und spirituelle Gedanken zum Charisma des Singles

Alle Zitate sind entnommen aus: Zollner, Hans (2011): Kundschafter des Glaubens. Psychologische und spirituelle Gedanken zum Charisma der Singles, in: Gmainer-Pranzl, Franz (Hrsg.): Alleine leben – mit anderen sein. Ein christlicher Lebensentwurf, Würzburg.  Die Seitenzahlen sind am Ende jedes Zitates in Klammen angegeben.

„Spiritualität ist der Weg, wie Menschen auf das Geheimnis des Lebens und die Offenbarung Gottes antworten, gebunden an die kulturellen und geschichtlichen Umstände der jeweiligen Zeit.“ (13)

„Der postmoderne Ich-Orientierte strebt leidenschaftlich danach, frei, spontan, unabhängig und ohne Begrenzungen durch Vor- und Maßgaben selbst bestimmen zu können. Das Selbst entwickelt sich so in einem steten Suchprozess, der nie abgeschlossen ist.“ (18)

„Was in einer traditionellen Gesellschaft durch Rolle, Schicht und Religion selbstverständlich vermittelt wurde, muss heute aktiv erworben werden, zumal alles irgendwie gleichwertig erscheint und so beliebig wird. Abwechslung und Aufregung als Dauerzustand ist jedoch nicht jedermanns Sache.“ (18)

„Einerseits wird das Selbst bzw. die Identität als etwas beschrieben, das zu keinem Zeitpunkt des Lebens ‚gegeben‘ oder ‚verwirklicht‘ ist. Statt einer festen Identität wird eine fragmentierte Persönlichkeit angenommen. Im ständigen Fluss von Wandel und Veränderung ist jeder Mensch herausgefordert, sich immer neu zu finden.“ (20)

„Andererseits wird die Idee des Selbst oder einer Identität keineswegs ganz aufgegeben. Das eigene Leben wird zwar als eine Abfolge von einzelnen Lebensprojekten erlebt. Wenn diese Einzelprojekte jedoch in einer Kontinuität zueinander stehen und zu einer authentischen Kohärenz führen, entsteht ein innerer Sinnzusammenhang. Dies eröffnet die Chance, dass es zu einer Selbst-Findung kommt, in der ich immer mehr in mein ‚Eigenes‘ komme und in der sich mein Sein immer mehr formt.“ (20)

„Innerhalb der Undurchschaubarkeit und Rätselhaftigkeit des Lebens ist jede und jeder gefordert, sich sein eigenes Leben zusammenzubasteln und gleichzeitig entweder die Frage nach dem Sinn von Zeit und Endlichkeit und dem Sinn des Lebens zu beantworten oder sie ‚erfolgreich‘ zu verdrängen. Beides ist auf unterschiedliche Weise anstrengend.“ (24f)

„Wenn die Umstände (der Gesellschaft wie diejenigen des einzelnen Lebens) sich ändern – und sie haben sich allgemeinem Empfinden radikal geändert -, dann muss sich auch die Weise ändern, wie wir Gott suchen. Dann müssen Glauben, Gebet und christliches Handeln ‚mitwachsen‘, Die Kirche muss sich neu inkarnieren in ihren Formen, ihrem Stil, ihren Adressaten.“ (31)

„In den Pfarrgemeinden mit ihrem Fokus auf Sakramentenpastoral und den verschiedenen Gruppen und Gremien bleibt kaum Zeit und Platz für Singles. Wie sollen denn spirituelle Nomaden dazu gebracht werden, sesshaft zu werden?“ (32)

„Die Exerzitien sind kein Weg, sich religiös zu bilden. Sie sollen uns helfen, zu erspüren, wie Gott mitten in unserem verwirrenden, aufregenden und herausfordernden Leben wirkt, und besser zu entscheiden, wie wir ihm näher folgen und ihm und den Menschen dienen können.“ (33)

„Gott muss nicht erfunden, sondern gefunden werden. Das ist aber nur möglich in einer intensiven und persönlichen Weise, Gott zu suchen.“ (34)

„Wenn es tatsächlich heute schwer ist, verbindlich Beziehungen zu leben, dann kann auch die Beziehung zu Jesus Christus keine Ausnahme bilden. Sich an einen persönlichen Gott, an Jesus von Nazareth zu binden, kann dann schwierig werden. Schwer wird es besonders dann, wenn ich wenig Vorbilder oder Weggefährten für diesen Weg habe und wenn ich meinen Alltagsweg alleine gehe oder gehen muss.“ (34f)

„Dann wäre dies das Charisma christlicher Singles: durch ihr ‚Dasein‘ und ihr ‚Dortsein‘, durch ihre Lebensweise und die Orte, an denen sie Gott suchen, den Gott Jesu Christus’ für sich, für andere und für die Kirche zu suchen und zu finden.“ (3.)

Verw:ortet im April 2020 – bis Ostern: Albert Camus – Die Pest

Alle Zitate sind entnommen aus: Camus, Albert (6. Aufl. 1989): Die Pest, Reinbek.  Die Quellenangaben sind am Ende jedes Zitates in Klammen angegeben.

„Die Pest überließ sie auch dem Müßiggang, zwang sie, sich in der trüben Stadt im Kreis zu bewegen und Tag für Tag die Beute der enttäuschenden Spiele der Erinnerung zu werden.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 47.)

„So brachte die Pest unseren Mitbürgern als erstes die Verbannung. […] Denn das war wirklich das Gefühl der Verbannung, jene Leere, die wir unablässig in uns trugen, diese besondere innere Unruhe, der unvernünftige Wunsch, in die Vergangenheit zurückzukehren oder im Gegenteil die Zeit vorwärts zu treiben ,diese brennenden Pfeile der Erinnerung.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 47f.)

„In dieser äußersten Einsamkeit konnte niemand auf die Hilfe des Nachbarn zählen, und jeder blieb mit seinen Gedanken allein.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 50.)

„Viele hofften indessen, die Seuche werde aufhören und sie werde sie und die ihren verschonen. Infolgedessen fühlten sie sich noch zu nichts verpflichtet.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 62.)

„Hinsichtlich der Religion wie vieler anderer Probleme flößte die Pest ihnen eine merkwürdige Geisteshaltung ein, die weder Gleichgültigkeit noch Leidenschaft kannte und die sehr gut mit dem Wort ‚Unvoreingenommenheit‘ bezeichnet werden kann.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 62.)

„Alle schritten oder lebten an den Klagen vorbei, als wären sie die natürliche Sprache der Menschen.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 73.)

„Ich bin froh, dass er besser ist als seine Predigt.“ – „Alle Leute sind so“, antwortete Tarrou lächelnd und zwinkerte Rieux zu, „sie müssen nur die Gelegenheit dazu haben.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 99.)

„Mich interessiert nur noch, von dem zu leben und an dem zu sterben, was ich liebe.“ (108) (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 108.)

„Man muss es wohl aussprechen: die Pest hatte alle der Fähigkeit zur Liebe und sogar zur Freundschaft beraubt. Denn die Liebe verlangt ein wenig Zukunft, und für uns gab es nichts mehr als Augenblicke.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 120.)

„Rieux richtete sich auf und sagte mit fester Stimme […], man brauche sich nicht zu schämen, wenn man das Glück vorziehe. ‚Ja‘, sagte, Rambert, ‚aber man kann sich schämen, allein glücklich zu sein.'“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 136.)

„‘Vielleicht sollten wir lieben, was wir nicht begreifen können.‘ – ‚Ich habe eine andere Vorstellung von der Liebe. Und ich werde mich bis in den Tod hinein weigern, die Schöpfung zu lieben, in der Kinder gemartert werden.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 142f.)

„Wir arbeiten miteinander für etwas, was uns jenseits von Lästerung und Gebet vereint. Das allein ist wichtig.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 143.)

„‚Eigentlich‘, sagte Tarrou schlicht, ‚möchte ich gerne wissen, wie man ein Heiliger wird.‘ – ‚Aber Sie glauben ja nicht an Gott.‘- ‚Eben. Kann man ohne Gott ein Heiliger sein, das ist das einzig wirkliche Problem, das ich heute kenne.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 167.)

„Ich glaube, dass ich am Heldentum und an der Heiligkeit keinen Geschmack finde. Was mich interessiert, ist, ein Mensch zu sein.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 167.)

„Aber er, Rieux, was hatte er gewonnen? Sein einziger Gewinn war, dass er die Pest gekannt hatte und ihm die Erinnerung daran blieb, dass er die Freundschaft gekannt hatte, und ihm die Erinnerung daran blieb, dass er die innige Verbundenheit kannte und ihm eines Tages nur noch die Erinnerung daran bleiben würde.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 190.)

„Alles, was der Mensch im Spiel der Pest und des Lebens gewinnen konnte, waren Erkenntnisse und Erinnerung.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 190.)

„Wenn es etwas gibt, das man immer ersehnen und manchmal auch erhalten kann, so ist es die liebevolle Verbundenheit mit einem Menschen. Das wussten sie jetzt.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 197.)

„Er wollte schlicht schildern, was man in den Heimsuchungen lernen kann, nämlich dass es an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gibt.“ (Camus, Albert <61989>: Die Pest, Reinbek, 202.)

Verw:ortet im März 2020: Madeleine Delbrêl – Gott einen Ort sichern

Alle Zitate sind entnommen aus: Schleinzer, Annette (Hg.) (22010): Madeleine Delbrêl. Gott einen Ort sichern. Texte-Gedichte-Gebete, Ostfildern. Die Seitenzahlen sind am Ende in Klammen angegeben.

„Manchmal heißt Schweigen, den Mund zu halten, immer aber heißt es Lauschen.“ (61)

„Wenn wir zusammenkommen, um das Evangelium miteinander zu lesen, tun wir das nicht, um Studien zu betreiben, sondern um bei ihm Zuflucht zu finden. Betend, suchend und aufmerksam hörend versammeln wir uns um die Person Jesu, um das, was er gesagt hat, um das, was er getan hat. Wir bringen unser Leben mit ihm in Kontakt, so, wie es ist – damit er es immer mehr zu dem werden lässt, was es sein soll.“ (44)

„Wenn der Tag so vollgestopft ist, dass Pausen unmöglich sind, wenn unsere Kinder, der Mann, das Haus, die Arbeit fast alles beanspruchen, dann fordert es so viel Glaube von uns und so viel Achtung, dass wir wissen: seine göttliche Kraft kann ihm (i. e. dem Wort Gottes, H.K.) stets Raum verschaffen. […] Denn das Wort hat seinen Platz gefunden: ein armes und warmes Menschenherz, das ihm Wohnung bietet.“ (46)

„Die Liebe ist das forschende Suchen nach den einzig absoluten Reichtümern, die Entdeckung der mächtigsten Energien, die belebendste Erfahrung des Lebens, die Erkundung einer Geschichte, in der alle Einzelschicksale zusammenlaufen und in die wir selbst hineinverwoben sind.“ (49)

Verw:ortet im Februar 2020: Ajahn Brahm – Der Elefant, der das Glück vergaß

Alle Zitate sind entnommen aus: Brahm, Ajahn (2014): Der Elefant, der das Glück vergaß. Buddhistische Geschichten, um Freude in jedem Moment zu finden, 23. Auflage, München. Die Seitenzahlen sind am Ende in Klammern angegeben.

„Es war in Thailand vor vielen Jahren, als Ajahn Chan eines Tages vor seinem allmorgendlichen Almosengang zurückkehrte, am Wegrand einen Stock aufhob und fragte: ‚Wie schwer ist dieser Stock?‘ Bevor noch irgendjemand antworten konnte, warf Ajahn Chan den Stock in die Büsche und sagte: ‚Schwer ist der Stock nur, solange ihr ihn festhaltet. Sobald ihr ihn wegwerft, ist sein Gewicht dahin.‘“ (30)

„Eines möchte ich den Eltern, die dieses Buch lesen, hinter die Ohren schreiben: Bitte sagt euren Kindern, dass ihr sie, wenn sie die Wahrheit sagen, nie bestrafen und ihnen auch keine Vorhaltungen machen werdet, was immer auch sie getan haben mögen.“ (119)

„Wo Strafe droht oder auch nur eine Rüge, wird nie die Wahrheit gesagt werden. Deshalb kennen wir im Buddhismus keine Strafen.“ (119)

„Nur wo es Vergebung gibt, kann es auch Wahrheit geben.“ (121)

„Jetzt wissen Sie auch, warum es uns Menschen so schwerfällt, zur Ruhe zu kommen. Denn die meisten von uns haben einen Affengeist, und das bedeutet: Ich erledige das nur noch kurz, dann setze ich mich ganz ruhig hin und meditiere.“ (125)

Verw:ortet im Januar 2020: Ilka Scheidgen – Hilde Domin. Dichterin des Dennoch

Alle Zitate sind entnommen aus: Scheidgen, Ilka (2018): Hilde Domin. Dichterin des Dennoch, 2. Auflage, Lahr. Die Seitenzahlen sind am Ende in Klammen angegeben.

„Ganz wesentlich für mich ist, mit offenen Armen auf den anderen zugehen, an das Gute im Menschen zu glauben, an das Wunder zu glauben, weil man Vertrauen übt.“ (91)

„Es geht um das Begreifen, dass das Zuhause stets etwas Verlierbares ist. ‚Jedes Ausgestoßenwerden in Fremdes ist Geburt.‘ Es wird der Versuch einer Wiedereingliederung beschrieben, die sich dann als ‚zweites Paradies‘ erweisen könnte. ‚Das zweite Paradies, weißt Du. Es ist nicht weniger Paradies als das frühere. Wir müssen nur erst durch die Wirklichkeit hindurch.‘ Allerdings besteht ein gravierender Unterschied zum ersten Paradies, das einem geschenkt wurde. Das zweite muss aktiv erworben werden. […] ‚Das Zuhause sind wir. Die Fremde sind wir. Wir erwarten uns. Jeden Morgen. Wir wissen es und wir denken es. Mit Hoffnung. Auch mit Angst.‘“ (128)

„Erwachsensein ist Nicht-Bekommen, was man will. Und es wissen und den Mangel einbauen. […] Erwachsensein ist Sehen, wie das, was man in der Hand hält, etwas anderes wird. Und es nicht ändern können.“ (129)

„Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist. Ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist, so kommen die Werke nicht zustande; kommen die Werke nicht zustande, so gedeihen Moral und Kunst nicht; so trifft die Justiz nicht; trifft die Justiz nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Also dulde man keine Willkür in den Worten. Das ist alles, worauf es ankommt.“ (151)

Verw:ortet im Dezember 2019: Eugen Drewermann – Die sieben Tugenden

Alle Zitate sind entnommen aus: Drewermann, Eugen (2012): Die sieben Tugenden, Ostfildern. Die Seitenzahlen sind am Ende in Klammen angegeben.

„Menschen ändern sich in allem, doch sie können sich in allem nur ändern, wenn sie eine […] leise Stimme vernehmen, die ihnen sagt: Aber du bist doch mein Sohn, meine Tochter, – ein Wort, in dem Gott wie mütterlich, wie väterlich erscheint. Erst wenn dieses Wort gilt, fände es ein Ende damit, sich Gott verdienen zu müssen durch Opfer, durch Priestervermittlung, durch theologische Traktate der Orthodoxie; vielmehr wüchse eine kindliche Unmittelbarkeit heran, die Gott nicht mehr zutraut, über die Hilflosigkeit der Menschen den Stab zu brechen und Gerechtigkeit aus ihnen herauszuwürgen, nur um ein abstraktes Gesetz zu erfüllen.“ (21)

„Wir haben mit dem Begriff Glauben nichts weiter vor uns als einen an den Himmel geworfenen Gruppenegoismus, als einen planungsvollen Terror zur Einschüchterung von Menschen; nicht Freiheit, vielmehr der Kampf gegen die Freiheit ist ein solcher ‚Glaube‘; nicht Menschlichkeit, sondern der Ersatz der Person durch eine geistige, will sagen: ungeistige Behörde ist dieser ‚Glaube‘. Er ist ein Begriffsfetischismus von Redensarten, die in sich selbst wie magisch Gott herbeizaubern sollen. Ein solcher Glaube verwechselt dir Hörsamkeit gegenüber Gott mit Gehorsam gegenüber kirchlichen Institutionen. Von daher muss man die ersten drei Tugenden im Christentum insgesamt anders übersetzen, als sie klingen: Es geht nicht um Glauben, Hoffnung und Liebe, es geht: um Gehorsam, Treue und Pflicht.“ (25)

„Verstehen wir also, was im Namen dieses Mannes Glauben heißen müsste? Verstehen wir, wie sich das Leben von daher ändern würde? Wir hätten mit dem Wort Glauben eine Anwendungsformel zur Lösung so gut wie aller peinigenden Lebensumstände. Sie lautet in etwa: ‚Lass sie doch machen, was sie wollen! Tu das, was du innerlich im Angesicht der Not anderer Menschen für richtig findest. Niemand kann dich daran hindern, es sei denn, du selber nimmst das, was die anderen wollen, unter dem Druck der Angst als Befehl in dich auf. Aber das muss nicht sein. Bleib bei dem, was du selber am deutlichsten fühlst.'“ (32)

„Das Furchtbare ist, dass wir genau wüssten, was richtig ist, aber dann kommt so etwas wie Angst daher und bringt alles durcheinander!. Deshalb muss man vielleicht, um zu glauben, ein bisschen schon doch ‚wissen‘. Man muss zum Beispiel die Geschichte des JESUS VON NAZARETH erzählen. Es war ein einziges Mal in der Geschichte der Menschheit, dass jemand wie der Mann aus Nazareth versuchte, ob’s nicht anders ging. Und das wird nun die alles entscheidende Frage: ob wir es mit ihm für möglich halten, dass es tatsächlich anders ginge, denn anders ist kein Leben! An Fragen dieser Art entscheidet sich’s.“ (34)

Verw:ortet im November 2019: Richard Rohr – Die Liebe leben. Was Franz von Assisi anders machte

Alle Zitate sind entnommen aus: Rohr, Richard (2014): Die Liebe leben. Was Franz von Assisi anders machte, Freiburg. Die Seitenzahlen sind am Ende in Klammen angegeben.

» Das Evangelium ist keine Feuerversicherung für die nächste, sondern eine Lebensversicherung für diese Welt.« (17)

» Das Traurige an der Mystik ist die Tatsache, dass das Wort selbst so sehr mystifiziert worden ist. Als wäre Mystik nur etwas für ganz wenige Auserwählte. Für mich bedeutet das Wort einfach ‚experimentelles Wissen spiritueller Dinge‘, im Gegensatz zum Wissen aus Büchern, aus zweiter Hand oder aus der kirchlichen Lehre. « (18)

» Die häufigste Versuchung für uns alle besteht darin, dass wir die Zugehörigkeit zur richtigen Gruppe und das Praktizieren der richtigen Rituale als Ersatz für jede persönliche, lebensverändernde Begegnung mit dem Göttlichen benutzen. « (21f)

Verw:ortet im Oktober 2019: Yuval Harari – 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert

Alle Zitate sind entnommen aus dem Kapitel „Religion“ in: Harari, Yuval Noah (2018): 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert, München. Die Seitenzahlen sind am Ende in Klammen angegeben.

» In den eifernd-geifernden Predigten mancher evangelikaler Pastoren in den USA ist vom Widerstand gegen Umweltgesetze die Rede, während Papst Franziskus im Namen Jesu Christi gegen den Klimawandel mobil macht (wie sich seiner zweiten Enzyklika Laudato si‘ entnehmen lässt). Insofern wird im Jahr 2070 der Hauptunterschied in Umweltfragen vielleicht nur darin bestehen, ob man evangelikaler oder katholischer Christ ist. Selbstverständlich werden Evangelikale gegen jede Einschränkung der Co2-Emissionen sein, während Katholiken der Überzeugung sein werden, dass schon Jesus den Umweltschutz gepredigt hat. « (215f)

» Und so werden Religionen im 21. Jahrhundert keinen Regen bringen und keine Krankheiten heilen, keine Bomben bauen – aber sie werden weiter darüber bestimmen, wer ‚wir‘ sind und wer ’sie‘ sind, wen wir heilen und wen wir bombardieren sollen. « (217)

» Religionen, Riten und Rituale werden so lange wichtig bleiben, wie die Macht der Menschheit auf massenhafter Kooperation beruht und massenhafte Kooperation auf dem Glauben an gemeinsamen Fiktionen basiert. « (222)

» Wir sitzen also ziemlich in der Klemme. Die Menschheit bildet heute eine einzige Zivilisation, und Probleme wie der Atomkrieg, der ökologische Kollaps und die technische Disruption lassen sich nur auf globaler Ebene lösen. Andererseits spalten Nationalismus und Religion unsere menschliche Zivilisation noch immer in verschiedene und oftmals feindliche Lager. « (223)