Themen „über sich hinaus“
In den letzten Kapiteln behandelt Eckhart Tolle den „inneren Körper“, zeigt „Portale und Zugänge zum Unmanifestem“ auf, kennzeichnet „erwachte Beziehungen“, beschreibt die Seinsweise im Frieden „jenseits von Glücklichsein und Unglücklichsein“ und endet mit der „Bedeutung von Hingabe“. Die Kapitelinhalte ändern sich sehr, verglichen mit den Anfangskapiteln. Waren sie zu Beginn deskriptiv, kommt jetzt ein mahnender, beinahe weisender Ton ins Buch. So ist z.B. das Festhalten an einer binären Denkweise der Geschlechter im Kapitel „Erwachte Beziehungen“ von manchen sicher nur schwer, wenn überhaupt auszuhalten. Das ändert aber nichts an den grundlegenden Gedanken, die Tolle zu Beginn des Buches erarbeitet und vorstellt.
Eine kleine Auswahl seiner – subjektiv empfundenen – griffigsten und aussagekräftigsten Zitate werden hiervorgestellt.
Die Seitenzahlen (in Klammern nach den folgenden Zitaten) beziehen sich auf das letzten fünf Kapitel des Buches Tolle, Eckhart (2022): Jetzt! Die Kraft der Gegenwart, 16. Aufl., Bielefeld.
Der innere Körper
„Sein kann nicht zu einem Objekt des Wissens werden. Im Sein verschmelzen Objekt und Subjekt in eins. Sein kann als das ewig gegenwärtige Ich bin jenseits von Namen und Form gefühlt werden.“ (135f)
„Der Körper, den du sehen und berühren kannst, kann dich nicht ins Sein bringen. Dieser sichtbare und greifbare Körper ist nur die äußere Schale oder die begrenzte und verzerrte Wahrnehmung einer tieferen Realität. In deinem natürlichen Zustand der Verbindung mit dem Sein kann diese tiefere Realität in jedem Moment als der unsichtbare innere Körper, als lebendige Gegenwärtigkeit in dir gefühlt werden.“ (138f)
„Du bist so lange von deinem Sein abgeschnitten, wie dein Verstand all deine Aufmerksamkeit bekommt. […] Um dir deines Seins bewusst zu werden, musst du Bewusstsein vom Verstand zurückfordern.“ (139f)
„Durch den inneren Körper bist du immer eins mit Gott. Der Schlüssel dazu ist, im Zustand andauernder Verbundenheit mit deinem inneren Körper zu sein – ihn immer zu fühlen.“ (145)
„Vergebung bedeutet, dem Leben keinen Widerstand zu bieten – dem Leben zu erlauben, durch dich zu leben.“ (150)
Portale und Zugänge zum Unmanifesten
„Zugang zum Bereich des Formlosen ist die wahre Befreiung von der Herrschaft der Form und von der Identifikation mit der Form. Es ist Leben in seinem undifferenzierten Zustand, vor seiner Zerstückelung in Vielfältigkeit. Wir können es das Unmanifeste nennen, die unsichtbare Quelle aller Dinge, das Sein in allen Wesen.“ (160)
„Fühle die Stille in deinem Innersten. Halte das Portal geöffnet. Es ist wirklich möglich, dein ganzes Leben lang ein Gewahrsein für das Unmanifeste zu haben. Du spürst es als ein tiefes Gefühl von Frieden, irgendwo im Hintergrund, eine Stille, die dich nie verlässt, ganz gleich was da draußen passiert.“ (162)
„Das Jetzt kann als der Hauptzugang (erg.: zum Unmanifestem, H.K.) angesehen werden. Es ist ein essenzieller Aspekt aller anderen Portale, auch des inneren Körpers. Du kannst nicht in deinem Körper sein, ohne zugleich intensiv im Jetzt gegenwärtig zu sein.“ (164)
„Hingabe – das Loslassen von geistig-emotionalem Widerstand dem gegenüber, was ist – wird auch zu einem Portal in das Unmanifeste.“ (165)
„Jeder Ton wird aus der Stille geboren, stirbt zurück in die Stille und ist während seiner Lebensspanne von Stille umgeben. Stille ermöglicht dem Ton das Sein. Sie ist der unmanifeste Anteil, der jedem Geräusch zutiefst angehört, jeder Note, jedem Lied, jedem Wort. Das Unmanifeste ist in dieser Welt als Stille gegenwärtig.“ (166)
Erwachte Beziehungen
„Wahre Erlösung ist ein Zustand der Freiheit – Freiheit von Angst, von Leiden, von einem Zustand, in dem immer alles zu wenig und nichts gut genug zu sein scheint; Erlösung also von allem Wollen, Brauchen, Greifen und Festhalten. Solche Erlösung bedeutet Freiheit von zwanghaftem Denken, von Negativität und besonders von Vergangenheit und Zukunft.“ (178f)
„Wenn es in deiner ‚Liebe‘ ein Gegenteil gibt, dann ist es keine Liebe, sondern ein starkes Egobedürfnis nach einem tieferen und vollkommeneren Selbstgefühl, ein Bedürfnis, das durch die andere Person zeitweilig erfüllt wird. Das ist der Ersatz des Egos für die Erlösung, und für eine kurze Zeit fühlt es sich fast wie Erlösung an. Aber dann kommt ein Punkt, wo das Verhalten deines Partners deine Bedürfnisse nicht mehr befriedigt oder vielmehr die Bedürfnisse deines Egos nicht mehr befriedigt.“ (184f)
„Jede Abhängigkeit entsteht aus der unbewussten Weigerung, deinen eigenen Schmerz anzuschauen und zu durchleben. Jede Sucht beginnt mit Schmerz und endet mit Schmerz. Egal, wovon du abhängig bist – Alkohol, Essen, legale oder illegale Drogen oder eine andere Person -, du benutzt etwas oder jemanden, um deinen Schmerz abzudecken.“ (185)
„Der größte Katalysator für Veränderung in einer Beziehung ist das totale Annehmen deines Partners oder deiner Partnerin, so wie sie sind, ohne das Bedürfnis, sie wie auch immer zu verurteilen oder zu verändern. Das bringt dich sofort in einen Raum jenseits des Egos. Dann sind alle Kopfspielchen und abhängigen Klammereien vorbei. Es gibt keine Opfer und Täter mehr, keine Ankläger und Angeklagte. […] Ihr werdet euch dann entweder – in Liebe – trennen oder miteinander noch reifer in das Jetzt, in das Sein eintauchen. Kann das so einfach sein? Ja. So einfach ist es.“ (188)
„Liebe ist ein Seinszustand. Deine Liebe ist nicht außen, sie lebt tief in deinem inneren. Du kannst sie nie verlieren und sie kann dich nie verlassen.“ (188)
„Auf Urteil zu verzichten bedeutet nicht, Störungen oder Unbewusstheit nicht als solche zu erkennen, wenn du sie siehst. Es bedeutet, ‚die Erkenntnis zu sein‘ und nicht ‚die Reaktion zu sein‘ oder der Richter.“ (194)
„Brauchst du denn überhaupt eine Beziehung mit dir selbst? Warum kannst du nicht einfach nur du selbst sein? Sobald du in Beziehung mit dir selbst bist, hast du dich in zwei gespalten: ‚ich‘ und ‚mich‘, in Subjekt und Objekt. Diese vom Verstand geschaffene Dualität ist der Grund für all die unnötige Kompliziertheit, für all die Probleme und Konflikte in deinem Leben.“ (211)
Jenseits von Glücklichsein und Unglücklichsein ist Frieden
„Glücklichsein ist davon abhängig, dass du die Umstände als positiv wahrnimmst; innerer Friede nicht.“ (213)
„Vergebung bedeutet im Wesentlichen, dass die Vergangenheit als unreal und substanzlos erkannt und dass der gegenwärtige Moment, so wie er ist, erlaubt wird. Ein stiller Raum von intensiver Gegenwärtigkeit entsteht in dir und auch um dich herum.“ (216)
„[…] Damit sind nicht nur Konflikte mit andren Menschen gemeint, sondern ganz grundsätzlich die Konflikte mit dir selbst, die aufhören, sobald es zwischen den Erwartungen und Forderungen deines Verstandes und dem, was ist, keine Zusammenstöße mehr gibt.“ (219)
„Indem du die ‚Ist-heit‘ aller Dinge zulässt, enthüllt sich dir eine tiefere Dimension hinter dem Spiel der Gegensätze, eine anhaltende Gegenwärtigkeit, eine unveränderliche tiefe Stille, eine Freude ohne Ursache, jenseits von Gut und Böse. Das ist die Freude des Seins, der Friede Gottes.“ (219f)
„Dem Leben keinen Widerstand entgegenzusetzen bedeutet, in einem Zustand von Gnade, Mühelosigkeit und Leichtigkeit zu sein.“ (225)
„Alles Unheil ist das Resultat von Unbewusstheit. Du kannst die Resultate der Unbewusstheit mildern, aber du kannst sie nicht ausrotten, wenn du nicht ihre Ursache ausrottest. Wahre Veränderung geschieht im Innern, nicht außen.“ (242)
Die Bedeutung von Hingabe
„Hingabe ist die einfache und zugleich tiefe Weisheit, dich dem Fluss des Lebens anzuvertrauen, statt dich ihm zu widersetzen. Den Fluss des Lebens kannst du nur im Jetzt erleben, und indem du den jetzigen Moment bedingungslos und rückhaltlos annimmst, gibst du dich hin.“ (246)
„Es gibt etwas in dir, das von den vergänglichen Bedingungen, die dein Leben ausmachen, nicht betroffen wird, und nur durch Hingabe kannst du Zugang dazu bekommen. Das ist dein Leben, dein eigentliches Sein; und das ist ewig im zeitlosen Reich des Jetzt zu Hause. Dieses Leben zu finden ist ‚das Einzige, was nötig ist‘, um mit Jesus zu sprechen.“ (248)
„Es ist wahr, dass nur ein unbewusster Mensch versuchen wird, andere zu manipulieren. Es ist aber genauso wahr, dass nur ein unbewusster Mensch ausgenutzt und manipuliert werden kann.“ (253)
„Hingabe verwandelt nicht das, was ist, jedenfalls nicht direkt. Hingabe verwandelt dich.“ (258)
„Wenn es keinen Weg hinaus gibt, dann gibt es immer einen Weg hindurch.“ (264)
Köln, 19.09.2022
Harald Klein