Viel Sehnsucht, keine Landkarten

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Nelly Sachs: Alles beginnt mit der Sehnsucht

Nach allen Vorbereitungen für diesen Tag könnte man sich freuen und meinen, jetzt geht es endlich los. Egal, ob alles seinen Platz hat – oder manches noch unvorbereitet ist, egal, ob alles an diesem Tag seinen „inneren Fahrplan“ hat oder sich manches noch spontan ergibt: jetzt feiern wir Eure Trauung, Euer Jawort zueinander, füreinander, Euer Ja als Eltern für Caro, Euer Ja als Zeichen nach innen, nur für Euch beide, und nach außen, für alle die, mit denen Ihr zu tun habt. Jetzt wissen wir – so Gott will, endgültig – Bescheid: Ihr gehört zusammen, Ihr bleibt zusammen.

Aber das fängt ja nicht erst mit dem Hier und Heute an. Da gibt es schon eine lange Daub-Niecknig’sche Geschichte. Ein Kennenlernen, erste Schritte des aufeinander Zugehens, des Zusammenkommens, und alles Weitere überlasse ich Eurer Kenntnis.

Und selbst damit fing nicht alles an. Als Lesung habt Ihr Euch für ein Gedicht von Nelly Sachs ausgesucht, das meistens nur mit seiner ersten Zeile zitiert wird. Alles beginnt mit der Sehnsucht. Wir werden es gleich hören.

Lasst uns am Beginn dieser Trauung zu dieser Sehnsucht zurückgehen, innerlich, in kurzer Stille. Und ich lade Sie und Euch ein, sich mit dieser Sehnsucht, sie sich in vielen Bildern zeigen will, vor Gott zu stellen. Ihn bitten wir um seine Gegenwart.

Kyrie-Rufe

Herr Jesus Christus,

alles beginnt mit der Sehnsucht – schau auf Johanna und Franz, schau auf uns, und nimm Dich unserer Sehnsucht an. Herr, erbarme Dich.

Herr Jesus Christus,

Du kennst des Menschen Größe und Not: Sehnsucht nach Stille, nach Freundschaft, und Liebe. Christus, erbarme Dich.

Herr Jesus Christus,

fing nicht auch Deine Menschwerdung mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an? Lass uns Dich finden in unserer Sehnsucht. Herr erbarme Dich.

Lesung; Nelly Sachs – Alles beginnt mit der Sehnsucht

„Alles beginnt mit der Sehnsucht,
immer ist im Herzen Raum für mehr,
für Schöneres, für Größeres –
Das ist des Menschen Größe und Not:
Sehnsucht nach Stille, nach Freundschaft und Liebe.
Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärker auf –
Fing nicht auch Deine Menschwerdung, Gott,
mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?
So lass nun unsere Sehnsucht damit anfangen, Dich zu suchen,
und lass sie damit enden,
Dich gefunden zu haben.“

Evangelium: Mt 6,19-34

Häuft in dieser Welt keine Reichtümer an! Sie verlieren schnell ihren Wert oder werden gestohlen.Sammelt euch lieber Schätze bei Gott, die nie ihren Wert verlieren und die kein Dieb mitnehmen kann. Wo nämlich eure Schätze sind, da ist auch euer Herz.

Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht ängstlich um euren Lebensunterhalt, um Essen, Trinken und Kleidung. Leben bedeutet mehr als nur Essen und Trinken, und der Mensch ist wichtiger als seine Kleidung.

Seht euch die Vögel an! Sie säen nichts, sie ernten nichts und sammeln auch keine Vorräte. Euer Vater im Himmel versorgt sie. Meint ihr nicht, dass er sich um euch noch viel mehr kümmert als um Vögel?Und wenn ihr euch noch so viel sorgt, könnt ihr doch eurer Körpergröße nicht das Geringste hinzufügen.

Weshalb macht ihr euch so viele Sorgen um eure Kleidung? Seht euch die Blumen auf den Wiesen an! Sie arbeiten nicht und kümmern sich auch nicht um ihre Kleidung.Und doch: Nicht einmal König Salomo in seiner ganzen Herrlichkeit war so prächtig gekleidet wie irgendeine von ihnen.

Wenn aber Gott sogar die Wiesenblumen so schön wachsen lässt, die heute blühen und morgen vielleicht schon verdorrt sind, meint ihr nicht, dass er sich um euch noch viel mehr kümmern wird? Vertraut ihr Gott so wenig?

Zerbrecht euch also nicht mehr den Kopf mit Fragen wie: ‚Werden wir genug zu essen haben? Und was werden wir trinken? Was sollen wir anziehen?’Wollt ihr denn leben wie die Menschen, die Gott nicht kennen und sich mit all diesen Dingen plagen? Euer Vater im Himmel weiß doch genau, dass ihr das alles braucht.

Sorgt euch vor allem um Gottes neue Welt und lebt nach Gottes Willen. Dann wird er Euch alles geben, was ihr zum Leben braucht.Habt also keine Angst vor der Zukunft! Der morgige Tag wird seine eigenen Fragen und Lasten mit sich bringen und Gott wird auch morgen für euch sorgen.

Predigt

Sorgen – sechsmal klingt dieses Wort im Evangelium an, eigentlich seltsam für eine Trauung. Sorgen – hättet Ihr Sorge umeinander, hättet Ihr Sorge um Eure Zukunft, wäret Ihr nicht hier. Ok, wenn man genauer auf das Evangelium hört, wird schnell klar: hier geht es um ein „Sorgt Euch nicht…“ um Lebensunterhalt, um Essen und Trinken, Kleidung. Nur einmal ist es anders, ganz am Ende. Da sagt Matthäus: „Sorgt Euch vor allem um Gottes neue Welt und lebt nach Gottes Willen!“

„Sorgt Euch vor allem um Gottes neue Welt und lebt nah Gottes Willen!“ – Mir scheint, dass Ihr beiden Euch das als eine Überschrift über Eure Ehe herausgesucht habt. Drei Impulse, wie das gehen kann, möchte ich aus den Texten, die Ihr herausgesucht habt, gerne vorstellen:

Der erste: „Alles beginnt mit der Sehnsucht“ von Nelly Sachs. Wir haben es in der Lesung gehört, und wir haben es singend bestätigt in dem „Da wohnt ein Sehnen tief in uns.“ Nelly Sachs spricht von Sehnsucht nach Stille, nach Freundschaft, nach Liebe. Und so verschieden wir auch sind, wir hier in der Kirche, so verbindend ist die doch gerade diese Sehnsucht. Sehnsucht verbindet uns untereinander, Sehnsucht verbindet Euch beide miteinander, und Sehnsucht verbindet uns mit Gott. Ich meine nicht unsere Sehnsucht nach Gott, nach der Erfahrung Gottes mitten im Alltag. Ich meine viel mehr Gottes Sehnsucht nach uns. „Gottes Sehnsucht ist der Mensch“, heißt es in einem ganz alten Gebet des Kirchenvaters Augustinus. Das Verrückte im christlichen Glauben, in christlicher Spiritualität ist doch, dass wir unsere eigene Sehnsucht am ehesten dann erfüllen, wenn wir Gottes Sehnsucht nach dem Menschen, nach dem Menschsein erfüllen. Diese Sehnsucht hat im Christentum einen Namen: Jesus Christus. Und je mehr Ihr diesem Jesus Christus in Euch und Eurem Leben Raum gebt, um so erfüllter und um so erfüllender wird Eure Sehnsucht – und die Sehnsucht Gottes – erfüllt werden.

Wie geht das? Jetzt kommt – in einem zweiten Impuls – Madeleine Delbrȇl ins Spiel:„Geht in Euren Tag hinaus, ohne vorgefasste Ideen“, schreibt sie, und „ohne Landkarte“. Es gibt kein allgemeingültiges Rezept, weder für „die Kirche“ – ich zweifle sehr an der Gültigkeit aller Katechismen – noch für Euch beide. Der Tag, der Alltag ist der Ort, an dem Ihr „ohne Landkarte“, einzig im Vertrauen auf den Geist, der Euch gegeben ist, auf die Sehnsucht, die Gott selber ist und die Euch leiten möge, den Weg weisen wird. Noch einmal Madeleine Delbrȇl: „Wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist, und nicht erst am Ziel.“

Und der dritte Impuls kommt aus dem Evangelium: „Lebt nach Gottes Willen. Dann wird er Euch alles geben, was Ihr zum Leben braucht.“Das ist vielleicht für uns Heutige das Allerschwerste, sich kein Bild, keinen Entwurf vom Leben machen, den zu erfüllen uns „das Leben“ oder „Gott“ aufgibt. Nicht, dass Ihr planlos leben sollt, das wäre falsch. Aber nicht das Erreichen der eigenen Pläne ist das Ziel, sondern das Leben nach Gottes Willen und die Sorge nach seiner neuen Welt, so habt Ihr Euch es zumindest herausgesucht. „Life is what happens to you, while you’re busy making other plans“, singt John Lennon in „Beautyful boy“, „Leben ist, was passiert, während Du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen“. Natürlich gilt es, als Familie die Dinge dieser Welt gut zu regeln, aber der Zielpunkt ist nicht dieseWelt, sondern ist Gottes neue Welt.

Um all das geht es, wenn Ihr Euch gleich im Trauspruch mit Namen ansprecht: „Johanna, ich nehme Dich an…“ und „Franz, ich nehme Dich an…“. Um all das geht es, wenn im Trauspruch von guten und bösen Tagen, von Gesundheit und Krankheit die Rede ist. Um all das geht es, wenn Ihr Euch gegenseitig die Ringe ansteckt als Zeichen Eurer Liebe und Treue.

Also: Traut Eurer Sehnsucht, die die Sehnsucht Gottes ist. Geht ohne Landkarte. Und seid empfänglich, offen und bereit für all die Gaben Gottes, die er Euch geben wird und mit denen Ihr an seiner neuen Welt arbeiten und in dieser neuen Welt leben könnt.

Amen.

Schlusssegen: Madeleine Delbrȇl – Lasst euch finden

„Geht in euren Tag hinaus
ohne vorgefasste Ideen,
ohne die Erwartung von Müdigkeit,
ohne Plan von Gott,
ohne Bescheidwissen über ihn, ohne Enthusiasmus,
ohne Bibliothek –
geht so auf die Begegnung mit ihm zu.
Brecht auf ohne Landkarte –
und wisst,
dass Gott unterwegs zu finden ist
und nicht erst am Ziel.
Versucht nicht,
ihn nach Originalrezepten zu finden,
sondern lasst euch von ihm finden
in der Armut eines banalen Lebens.“

Köln, 24.08.2018
Harald Klein