Vierter Adventssonntag – Ein Traum von einem Mann

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Die Tücken der Sprache

Zuallererst ein kleiner Selbsttest: Wen haben Sie vor Augen, wenn es um „einen Traum von einem Mann“ geht? Aus der Promi-Welt kann ich Ihnen am ehesten George Clooney oder Brad Pitt anbieten – sie sind beide schon insgesamt dreimal vom „People Magazine“ als „Sexiest Man Alive“ gekürt worden, so behauptet es zumindest das Lifestyle-Magazin „desired“.[1]

Und jetzt das „Aber“: Nach dem „Sexiest Man Alive“ hat niemand gefragt. Die Überschrift bezieht sich auf den „Traum von einem Mann“. Da ist eine sprachlich-rheinische Falle drin: Der Rheinländer mag keinen Genitiv, sonst hieße die Überschrift „Der Traum eines Mannes“. Der Rheinländer bemüht lieber unprofessionell den Dativ: „Der Traum von einem Mann“. Zumindest der rheinländische Mensch müsste sich entscheiden: Ist hier die Dativkonstruktion und damit vielleicht George Clooney oder Brad Pitt gemeint, oder die Genitivkonstruktion, und damit vielleicht der träumende Josef aus dem Evangelium?

Mit der Sprache und mit den Blicken ist das so eine Sache, sie haben ihre Tücken. Um uns selbst treu bleiben zu können, hört man und sieht man am ehesten und zuerst die Dinge, die man hören oder sehen will, weil sie die eigene Sicht der Dinge bestätigen und keine Verwirrung im Hirn stiften. Man nennt das in der Psychologie das Umgehen von (oder den Umgang mit) Kognitiven Dissonanzen, mit Gefühlszuständen oder Wahrnehmungen, die auf irgendeine Weise im Erleben und im Ausleben unvereinbar miteinander sind.

» Während er noch darüber nachdachte,
siehe, da erschien ihm
ein Engel des Herrn im Traum. «
Mt 1,20

Josefs Traum

Wenn Sie wissen möchten, wie Kognitive Dissonanzen aussehen können, lesen Sie mal nach, was Josef träumt. Er sieht einen Engel des Herrn, der ihm erscheint. Das Kind, das seine Freundin, vielleicht schon seine Braut, erwartet, sei vom Heiligen Geist, berichtet der Engel. Und dieses Kind, das er Jesus (d.h. „Gott rettet“) nennen solle, werde sein Volk von all seinen Sünden erlösen. All das, was der Prophet Jesaja gesagt habe, geschehe, dass nämlich die Jungfrau empfangen und einen Sohn gebären werde, dem sie den Namen Immanuel, d.h. übersetzt: „Gott mit uns“. – Wie geht Josef mit diesen Kognitiven Dissonanzen um? Der Schlusssatz des Evangeliums lautet schlicht: „Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn im befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.“ (Mt 1,24).

» Im wörtlichen Verständnis benennt er (i.e. der Begriff des homo faber, H.K.) den Menschen mit den ihn seit ältesten Zeiten auszeichnenden handwerklichen Fähigkeiten. Im übertragenen Sinn bezeichnet er den tätigen Menschen, der etwas bewirken will. [...] Homo faber wird viel zu eng verstanden, wenn man in ihm nur Instrumentalisten und Technokraten sieht. Ein adäquates Verständnis des Begriffs hat das ganze Feld menschlicher Tätigkeiten von der Herstellung der Werkzeuge und der mit ihrer Hilfe geschaffenen Werke, aber ebenso auch die Disposition über die soziale Welt einzubeziehen; dazu gehören der Umgang mit den Methoden des Erkennens und Verstehens sowie die Kunstfertigkeit im Einsatz der subtilen Techniken der Poesie, der Malerei und der musikalischen Komposition. Wer in der Kennzeichnung des homo faber primär eine Abwertung sieht, kann den homo sapiens, der dann kaum mehr sein kann als ein ‚Gehirn im Tank‘, gleich mit verwerfen. «
Gerhardt, Volker (2019): Humanität. Über den Geist der Menschheit, Nördingen, 120f.

Drei Ausformungen der Menschlichkeit

In seiner Untersuchung zur „Humanität“ und „Über den Geist der Menschheit“[2] stellt der Autor Volker Gerhardt verschiedene Formeln aus der philosophischen Betrachtung über den Menschen vor, die spezifizierende Adjektive der Gattung Mensch ausdrückt (man spricht hier von den Epitheta des Menschen). Drei davon möchte ich auf Josef und auf den „Traum von einem Mann“ anwenden – aber nur, um sie dann an Sie, an mich weiterzugeben.

Josef ist ein „homo quarens intellectum“, ein Mensch, der nach Einsicht, nach Verstehen sucht. Das ist nicht wie das Lösen eines Kreuzworträtsels, bei dem am Ende im besten Falle alles aufgeht und das Lösungswort ablesbar ist. Die Geschichte des Josef zeigt, dass sein Fragen, sein Ringen um Verstehen und Einsicht bis in die Träume reicht – vielleicht auch von dort her seinen Anfang nimmt. Um die Zerrissenheit, die Josef angesichts seiner schwangeren Freundin umtreibt, um das Ringen nach dem in dieser Situation angebrachten Weg, nach den rechten Worten und dem rechten Blick nach vorne beneidet ihn keiner. Das meint zumindest Volker Gerhardt, er schreibt, der Mensch „zum homo quaerens intellectum: zum Lebewesen, das nach Einsicht sucht, um den Bestand seiner von ihm wahrgenommenen Welt zu erhalten. Darin hat er seine Einzigartigkeit, um die ihn kein anderes Lebewesen, selbst wenn es dies könnte, beneiden würde.“[3] Mit anderen Worten: Einsicht und Verstehen ist Gabe und Aufgabe zugleich.

Josef ist ein „homo faber“, ein tätiger Mensch, der etwas bewirken will. Er wird mit Winkeleisen und Lilie, Symbole seiner Schreinerzunft und seiner Frau Maria dargestellt. Er kann anpacken, und er vertraut auf seine Fähigkeit, die Situation, in die hinein der Engel des Herrn ihn im Traum anspricht, zu ermessen und zu packen! Volker Gerhardt hebt dieses Epitheton des „homo faber“, dieses Merkmal des Menschen besonders hervor: „Im wörtlichen Verständnis benennt er den Menschen mit den ihn seit ältesten Zeiten auszeichnenden handwerklichen Fähigkeiten. Im übertragenen Sinn bezeichnet er den tätigen Menschen, der etwas bewirken will. […] Homo faber wird viel zu eng verstanden, wenn man in ihm nur Instrumentalisten und Technokraten sieht. Ein adäquates Verständnis des Begriffs hat das ganze Feld menschlicher Tätigkeiten von der Herstellung der Werkzeuge und der mit ihrer Hilfe geschaffenen Werke, aber ebenso auch die Disposition über die soziale Welt einzubeziehen; dazu gehören der Umgang mit den Methoden des Erkennens und Verstehens sowie die Kunstfertigkeit im Einsatz der subtilen Techniken der Poesie, der Malerei und der musikalischen Komposition. Wer in der Kennzeichnung des homo faber primär eine Abwertung sieht, kann den homo sapiens, der dann kaum mehr sein kann als ein ‚Gehirn im Tank‘, gleich mit verwerfen.“[4] Mit anderen Worten: Josef als „homo faber“ ist zwar Schreiner, aber mehr, noch viel mehr ist er Gestalter des Lebens der Familie, zusammen mit Maria, zusammen mit dem Kind – in all dem, was die Weihnachtsgeschichte uns noch überliefert.

Und schließlich ist Josef ein „homo sapiens“, ein weiser, wissender, einsichtiger Mensch. Volker Gerhard schreibt über den homo sapiens: „Die Fähigkeit, etwas sachkundig und zielführend mit der Hand zu bewirken, ist also schon sehr, sehr lange verbreitet, ehe der homo sapiens in der Lage ist, mit dem, was die Hand jeweils nur im Einzelfall ‚erfassen‘ kann, in der Form von ‚Begriffen‘ allgemein umzugehen. Durch den Begriff vermag er, Dinge und Ereignisse, Probleme und vermutlich auch schon Absichten, sich selbst und seinesgleichen verständlich zu machen – und zwar so, dass er sein Verständnis jederzeit in derselben Weise weitergeben kann. Erst in dieser bestimmt auf Einzelnes oder auf bestimmte Zusammenhänge bezogenen, unter Umständen aber an viele andere (letztlich sogar an alle verständigen Wesen) gerichteten Mitteilung wird es ihm nach Ablauf von weiteren hunderttausend Jahren zur Selbstverständlichkeit, auch von Gut und Böse, von Nutzen und Nachteil oder von Natur, Gesellschaft und Welt zu sprechen. In dieser Verständigung wird es ihm schließlich sogar möglich, nicht nur ‚Alles‘, sondern sogar ‚Nichts‘ als sinnvolle Ausdrücke zu verwenden. Bei näherem Zusehen erweist sich dieser so unscheinbare wie unglaubliche Vorgang des Begreifens als für das Werden des homo sapiens von ausschlaggebender Bedeutung. Ohne die Fähigkeit, etwas mit der Hand zu greifen, aber könnte von Begriffen keine Rede sein.“[5]

Lesen Sie doch dieses Zitat von Volker Gerhardt nicht nur auf Josef, sondern auch auf das Bemühen der Evangelisten hin, des Evangelisten Matthäus im heutigen Evangelium. Eine gewonnene Einsicht, und selbst, wenn sie dem Traum entnommen, dafür aber stimmig, weiterführend, lebendig ist, so in Begriffe zu fassen, dass sie mitteilbar und verstehbar wird – auch für die, denen der Traum und die Begriffe fehlen!

» Ohne die Fähigkeit, etwas mit der Hand zu greifen, aber könnte von Begriffen keine Rede sein.
Gerhardt, Volker (2019): Humanität. Über den Geist der Menschheit, Nördingen, 123.

An den Begriffen arbeiten – mit den Begriffen arbeiten – aus den Begriffen arbeiten

Sie erinnern sich an die an die Tücken des Hörens und des Sehens? An die Kognitiven Dissonanzen – lieber nur das zu hören, was man hören und sehen will, vor dem anderen die Ohren und die Augen verschließen, oder gar nicht hinhören, hinsehen? Sie können heute wie Josef sehen, hören, vertrauen – wenn Sie die Begriffe begreifen, ganz so, wie es Ihnen möglich ist. Lassen Sie alle Kommentare und Lexika weg – wie im Traum. Was meint „erscheinen“, was meint „Engel des Herrn“? Was verbinden Sie mit „empfangen“, gar mit „ein Kind empfangen“? Was heißt für Sie „Gott mit uns“?

Sie können an den Begriffen arbeiten, wie ein Suchender, ein „homo quaerens intellectum“, ein Mensch, der Verstehen sucht, wie ein Mensch, der ringt mit diesen Worten und sie auf ihren Inhalt untersucht.

Sie können mit den Begriffen arbeiten, wie ein aktiv Tätiger, der mit und aus dem, was ihm richtig und wichtig erscheint – Sie ahnen die doppelte Bedeutung des Wortes?! – anfängt, zu gestalten: sein Leben, seine Beziehungen, ein Selbst-, sein Fremd-, sein Weltbild.

Und Sie können aus den Begriffen arbeiten, wie ein „homo sapiens“, in dem sowohl Weitsicht als auch Einsicht gewachsen ist, der über den Horizont zu schauen wagt. Das, was Sie von den Begriffen begriffen haben, teilen Sie, darauf bauen Sie – mit anderen zusammen, daran halten Sie fest und lassen sich davon festhalten.

 

» Wahrheit ist eine Funktion des Erkennens, das selbst als eine Funktion der Mitteilung gelten kann, die darauf angelegt ist, auf etwas zu verweisen, von dem erwartet wird, dass andere es genau so – und nicht anders – verstehen. Dazu braucht man nicht mehr als das Vertrauen darauf, mit dem (oder den) Adressaten in einem Bewusstsein verbunden zu sein. Das Vertrauen wird durch die Vernunft versichert, die alle Beteiligten annehmen lässt, dass sie sich gemeinsam mit dem erkannten Gegenstand in einer Welt befinden. «
Gerhardt, Volker (2019): Humanität. Über den Geist der Menschheit, Nördingen, 120..

 

In Folge der Begriffe und des Begreifens – die Tat

In seiner Untersuchung über die Humanität, über den Geist der Menschheit widmet Volker Gerhardt der Zusammengehörigkeit von homo sapiens und homo faber ein ganzes Kapitel. Wenn der Problemstellung („homo quarens intellectum“) und dem Nachsinnen darüber („homo sapiens“) nicht auch die Tat folgt, in der die Problemstellung aufgehoben wird („homo faber“), wäre die Entwicklung auch des einzelnen, des subjektiven Menschen ins Leere gelaufen.

Es ist nicht nur die philosophische Anthropologie, das Nachsinnen des Philosophen über den Menschen, es ist auch das Ergebnis des Evangeliums nach Markus vom „Traum von einem Mann“: „Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn im befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.“ (Mt 1,24).

Tun Sie’s!

Amen.

Köln 14.12.2022
Harald Klein

 

[1] Vgl. [online] https://www.desired.de/artikel/die-schoensten-maenner-der-welt-diese-promis-sind-am-attraktivsten–w8gpvwr9j5 [13.12.2022]

[2] Gerhardt, Volker (2029): Humanität. Über den Geist der Menschheit, München.

[3] vgl. a.a.O., 52.

[4] a.a.O., 120f.

[5] a.a.O., 123.