04. Adventssonntag – Eine Straße, kein Haus!

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Ein Haus für Gott bauen?

In der Trias der Begleiter durch den Advent bleiben heute Salman Rushdie und Hubertus Halbfas, der Deutero-Jesaja wird aber durch den Propheten Samuel ausgetauscht. In seiner Version der Überlieferung der Geschichte(n) um König David gibt es die Episode, in der König David es nicht aushält, in einem Haus aus Zedernholz zu wohnen, während die Bundeslade in einem Zelt wohnt. Nur zur Erinnerung: die Bundeslade ist der Schrein, der die Gesetzestafeln des Mose vom Berg Sinai und damit die Gegenwart Gottes selbst beherbergt, unserem Tabernakel in den Kirchen ähnlich. König David schildert diesen Zwiespalt seinem Propheten Natan, der ihn dann ermuntert zu tun, was er im Herzen habe.

In der Nacht erscheint Gott dem Natan im Traum und schildert ausführlich, wie er das Volk Israel auf allen Wegenbegleitet und geführt hat, wie es sich eingesetzt hat für dieses pilgernde Volk Gottes: „Ich bin überall mit Dir gewesen, wohin Du auch gegangen bist.“ (2 Sam 7,9) Und ein wenig staunend, vielleicht auch mehr verärgert fragt Gott: „Du willst mir ein Haus bauen, damit ich darin wohne?“ (2 Sam 7,5) Abschließend dreht Gott im Traum des Natan den Spieß um: „Nun verkündet Dir der Herr, dass der Herr Dir ein Haus bauen wird.“ (2 Sam 7,11)

So kann es gehen: David ist stolzer König, der sich niedergelassen hat und regiert, und er will – seine Gründe kann man nur vermuten – jetzt seinem König und Gott auch ein Haus bauen, damit er doch ebenbürtig wohne und nicht hausen muss in einem Zelt. Aber Gott lehnt ab, und er weist darauf hin, dass er seinem Diener ein Haus bauen wird. Habe bitte im Blick, dass hier eine Futur-Wendung steht!

» Die Vermittlung des christlichen Glaubens in den Formeln der Tradition hat ihre Haltbarkeitsgrenze überschritten. «
Halbfas, Hubertus (2018): Kurskorrektur. Wie sich das Christentum ändern muss, damit es bleibt. Eine Streitschrift, Ostfildern, 9.

Leergebäude und Lehrgebäude

Ich mag diesen Traum des Natan mit der Mahnrede Gottes sehr! Sie mahnt auch, nachzudenken und zu deuten, für was die vielen Arten von (Kirchen-) Gebäuden stehen. Ein kleiner Anknüpfungspunkt mag von Salman Rushdie kommen, der in den begrüßenden Worten während der Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 22.10.2023 in der Frankfurter Paulskirche den Zuhörenden sagte: „Außerdem möchte diesem Gebäude, in dem wir versammelt sind, meinen Respekt als einem Symbol der Freiheit zollen. Es ist ein Privileg, in diesen Mauern sprechen zu dürfen.[1]

In der Paulskirche tagten 1848/49 die Delegierten der Nationalversammlung, der ersten Volksvertretung für ganz Deutschland. Paulskirche und Hambacher Schloss sind Symbole der demokratischen Bewegung in Deutschland. So bietet sich dieser Ort aufgrund seiner Symbolmacht an für die jährlich wiederkehrende Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Historisch lädt er von seiner Geschichte her ein, symbolisch sendet er Dich, wenn Du diesen Ort aufsuchst und wahrnimmst, seine Geschichte und seine Symbolik für wahr nimmst, aus Dir heraus und zurück in Deine Lebenswelt. Dort, da draußen, soll gelebt und umgesetzt werden, was sich historisch und symbolisch in diesen Gebäuden verbirgt, was in ihnen „wohnt“, ihnen „innewohnt“. Würde dieser Schritt nicht getan, wären solche Gebäude wie die Paulskirche „Leergebäude“, sie blieben vor allem ohne Leben, ohne Folgen, sie blieben unbewegend und unbeweglich.

Noch schlimmer wäre es, wenn Hambacher Schloss und Paulskirche „Lehrgebäude“ wären, in denen die Lehre von Demokratie, von Frieden, von geeintem Volk usw. in schönen Bildern und Collagen erzählt und gelehrt würde, aber ohne Anstiftung zu einem gelebten Weg. Hier kannst Du lernen, was sich historisch und inhaltlich hinter solchen Worten verbirgt, was in ihnen „wohnt“, ihnen „innewohnt“, aber Du wirst nicht gelehrt, es zu leben.

Vielleicht ist das Gottes Sorge, die er im Traum dem Natan mitteilt. Da ist in dieser mythischen Erzählung das ganze Gebot Gottes auf zwei Steintafeln in einer Kiste aus Holz. Um sie zu verehren, um sie sicher zu besitzen, will König David ein Haus bauen, will die Kiste mit den Geboten Gottes „sichern“

Mich erinnert es schon an den Schrein der Gebeine der Drei Könige in Köln, an die vielen Formen der Tabernakel, außen Gold, innen Samt, und lange nicht jeder darf, erst recht nicht ohne bischöfliche Genehmigung und nach einem Kurs, die Kommunionschale aus dem Tabernakel herausholen. Das alles sind „Leergebäude“, wenn sich alles um liturgische Sorgfalt dreht, aber nach gelebten Konsequenzen für „draußen“ kaum gefragt wird! Kann es nicht sein, dass David – oder Menschen wie er – Gott in ein Haus einsperrt, damit „draußen“ eine gott-freie, gott-lose Zone herrscht? In der David – oder Menschen wie er – herrschen, Herr sind? „Etsi Deus non daretur“ – Leben, als ob es Gott nicht gäbe“ und „Vor Gott und mit Gott leben wir ohne Gott“ – diese Bonhoeffer-Worte[2] sind beileibe nicht aus der Mode.

Oder die Gotteslehre – also nicht Gottes Lehre (Du erinnerst Dich: gen.subj.), sondern die Lehre über Gott (gen.obj.): wird hier nicht ein „Lehrgebäude“ errichtet, in dem und über das man trefflich streiten kann, in dem Du lernen kannst, wieDu über Gott denken und reden kannst („Theo-logie“), aber so gut wie nicht gelehrt wirst, vor, mit und in ihm zu sein und mit und in ihm zu leben?

Oder ganz knapp: Mir ein Haus bauen oder kaufen, steht dafür, dass Du „sesshaft wirst“. Einem anderen ein Haus bauen, kannst Du als „ihn sesshaft machen“ verstehen.

» Wenn du nach Gott fragen willst, lerne zu fragen. [...] Vertrau auf dich und wage zu fragen. Das führt dich ins Weite. Religion ist eine Straße zu Gott. Eine Straße ist kein Haus. «
Halbfas, Hubertus (1981): Der Sprung in den Brunnen. Eine Gebetsschule, Düsseldorf, 74.

Eine Straße, kein Haus

Im Ritus des kirchlichen Begräbnisses, leider erst da und damit viel zu spät, sprengt der Beerdigende Weihwasser über den Sarg und sagt dazu: „Dein Leib war Gottes Tempel.“ Ein Bild, das der Mystik des Christentums schon lange innewohnt (!), aber im Leer- bzw. Lehrgebäude des Kirchlichen ziemlich stiefmütterlich behandelt wird. Es lässt den Menschen als Gottes Bau, als Haus und Tempel Gottes deuten, allerdings so, dass Gott im Menschen alle Wege mitgeht.

Hubertus Halbfas greift das Bild des Hauses einige Male in seiner Gebetsschule[3] auf. Da gibt es einen kleinen Dialog zwischen Schüler und Lehrer, nach der Betrachtung des Labyrinths von Chartres, der den unbehausten Menschen und sein Leben thematisiert:

„SCHÜLER: Kann es sein, dass wir keine Erfahrungen mit Gott machen, weil wir uns selbst am liebsten aus dem Weg gehen?
LEHRER: Wenn wir in uns selbst unbehaust sind, treiben uns Angst, Unruhe und Überdruss um. Die an ihrem eigenen Elend kranke Seele mag sich dann selbst nicht ertragen.
SCHÜLER: Meinst du, auf diese Weise litten wir an unserer Gottesferne?
LEHRER: Ja.“[4]

Das wäre eine Alternative an diesem Vierten Advent: Lebst Du „unbehaust“, im Unterwegsein und-bleiben, gibt es ein Kommen und Gehen, und führen andere auf gute und heilsame Weise ein Leben in Dir. Du erlaubst Gott, Dir ganz nah zu sein, in Dir sein Leben zu entfalten? So, dass Dein Leib Tempel Gottes ist, Du es aber nicht erst bei Deiner Grablegung erfährst. So, dass Gott im Mitgehen in Dir ein Haus für Dich baut. Du erinnerst Dich an die Futur-Wendung in Natans Traum: „Nun verkündet Dir der Herr, dass der Herr Dir ein Haus bauen wird.“ (2 Sam 7,11) In der Religionspädagogik von Hubertus Halbfas ist die Rede vom „mitlaufenden Anfang“ – der Grundstein des Hauses Gottes in Dir ist gelegt, fertig ist das Haus noch lange nicht, und diese Grundsteinlegung geschieht immer wieder neu, d, wo Du bist, und so, wie es Dir jetzt entspricht.

Und dann Halbfas‘ Kritik an einer Religion, die Leer- und Lehrgebäude bedient. Gleich zweimal in seiner Gebetsschule gibt der Lehrer dem Schüler mit: „Religion ist eine Straße zu Gott. Eine Straße ist kein Haus.“[5] Das Bildwort muss ich Dir nicht erläutern, es spricht angesichts der Leer- und Lehrgebäude sehr für sich. Für mich steht hier der Enge der Leer- und Lehrgebäude des Kirchlichen, aber auch ganz vielen anderen Lebenswelten die Weite des Lebens selbst und allen Lebendigens sehr befreiend gegenüber.

» Holder Schein, an deine Spiele
Sieh mich willig hingegeben; ...
Andre haben Zwecke, Ziele,
Mir genügt es schon, zu leben.

Gleichnis will mir alles scheinen,
was mir je die Sinne rührte,
Des Unendlichen und Einen,
Das ich stets lebendig spürte.

Solche Bilderschrift zu lesen
Wird mir stets das Leben lohnen,
Denn das Ewige, das Wesen,
Weiß ich in mir selber wohnen. «
Aus: Hermann Hesse (1921): Bekenntnis, in: ders. (1997): Die Gedichte. 4. Auflg., Berlin, 432.

Ein Haus für die Gegenwart Gottes bauen!

Es ist ein doppeltes Spiel und ein doppeltes Werben: Gott spielt mit Dir und er wirbt um Dich, Du spielst mit Gott und Du wirbst um ihn. Er nimmt Dich mit auf der Straße der Religion, die kein Haus ist. Du kannst ihn mitnehmen auf der Straße der Religion, die kein Haus ist. Kein Leergebäude, kein Lehrgebäude, aber vielleicht, so J.S Bachs „Weihnachtsoratorium“ (Nr. 53) eine Herzensstube. Die kannst Du ihm herrichten, die kannst Du für ihn und mit ihm gestalten, hier darf er wohnen, er wird sie mit Leben füllen. Und was Bach vertonte, gilt immer noch: „Zwar ist solche Herzenstube / wohl kein schöner Fürstensaal, / sondern eine finstre Grube; / doch sobald Dein Gnadenstrahl / in denselben nur wird blinken, / wird es voller Sonne dünken.“

Viel Licht und Wärme Dir in und aus Deinem Haus, Deiner Wohnung für Gott.

Amen.

Köln, 15.12.2023
Harald Klein

[1] Rushdie, Salman (2023): Wäre der Frieden ein Preis. Dankesrede anlässlich der Übergabe des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche. Text und Seitenzahlen beziehen sich auf den Sonderdruck des Börsenblattes des Deutschen Buchhandels, Frankfurt/Main, 23.

[2] Vgl. Gremmels, Christian, Bethge, Eberhard und Bethge, Renate in Zusammenarbeit mit Ilse Tödt (Hgg.): Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, München 1998, S. 526-538, Brief vom 16.7.

[3] Halbfas, Hubertus (1981): Der Sprung in den Brunnen. Eine Gebetsschule, Düsseldorf.

[4] a.a.O., 127.

[5] a.a.O., 74; 87.