(Geburtstagspredigtpredigt für Lukas, wenn auch zwei Tage zu früh.)
Erfahrungen beim Wandern
Der vergangene Samstag war mit großer Gewissheit einer der Highlight-Tage in diesem Jahr. Zu fünft kamen wir zusammen, um eine gemeinsame Etappe des Köln-Pfades, die 18 km zwischen Bensberg und Wahn, zu wandern: Thomas, ein Freund aus der späten Studienzeit, Lukas K. Und Joshua F., ein Master- und ein Bachelorstudent aus der Hochschule, und Lukas N., ein mir sehr guter Freund aus Benediktbeuern, der gerade für einige Tage in Bonn ist. Impuls und Thema dieses spirituellen Wandertages war der Begriff des „Halts“: Was/wer gibt mir Halt? Wem gebe ich Halt? Wie und was empfinde ich dabei? Womit tue ich mich schwer? Wie kann mir mein Glaube Halt geben? Ahne ich mich von Gott gehalten?
Ob es an der Tatsache liegt, dass die meisten sich lange kennen, oder daran, dass es diesmal eine reine Männer-Runde war, keiner konnte es begründen, aber der Grad an Vertrautheit, an Offenheit und Ehrlichkeit war für uns alle unglaublich, so, dass Thomas, mit dem ich die Tage inhaltlich vorbereite, montags nochmal zum Nachgespräch kam. Was da eigentlich passiert sei, und ob das mit en richtigen Impulsen und Weisen des Gesprächs wohl wiederholbar, planbar sei…
Der Abend endete für mich mit einem guten Gespräch mit Lukas N., der erst sonntags wieder zurück nach Bonn fuhr.
Die Erfahrung der Geistlichen Sprachlosigkeit
Zwei Tage später soll ich predigen, an Maria Himmelfahrt, beim Gottesdienst der Vinzentinerinnen. Und dann passiert es: Was soll, was kann ich sagen? Ich erlebe ein tiefes Schweigen in mir. Kein verzweifeltes Schweigen, kein bedrohliches – aber ich bin noch so voll von den Gesprächen am Samstag, dass ich überhaupt keine Zugänge finde, sei es zum Inhalt des Hochfestes, sei es zu den Texten des Gottesdienstes. Ich bin tags zuvor geistlich sprachlos. Angesichts dessen, was da an Inhalt und Atmosphäre vom Samstag in mir ist, erscheint mir der junge Dogmentext[1]völlig lebensfremd und belanglos, kann ich weder mit dem Bild des verschlingenden Drachen aus der Offenbarung, mit der Reihenfolge der Auferstehenden aus dem Korintherbrief, nicht mal mit dem Magnificat Mariens aus dem Evangelium nichts anfangen. Sie gehen für mich völlig am Leben, am Erlebten vorbei. Am Tag selbst stehe ich kurz vor sechs Uhr auf – irgendetwas muss doch zu sagen möglich sein. Ist es aber nicht! Herz und Verstand ist nur noch voll von dem, was am Samstag passiert ist. Die Erfahrung der Geistlichen Sprachlosigkeit hat mich voll im Griff.
Fluchtversuche
Belangloses, lebensfernes kommt mir in den Sinn. Ich könnte was zum Unterschied zwischen dem „Körper“ (Ausdruckort meines Lebens nach Außen) und dem „Leib“ (Ausdrucksort für die Beziehung meiner selbst zu mir nach Innen) sagen. Oder zur Kräuterweihe – Gott lässt die „Mittel zum Heil“ mir in meinem Leben wachsen. Oder zur Erfahrung der Elisabeth – dass mein Herz vor Freude hüpft, wenn es Christus wahrnimmt, im anderen oder in anderem. Oder über die Haltung Mariens, weil sie sich von Gott angesprochen fühlt, oder, oder, oder … – alles irgendwie belanglos und meiner Lebenswelt gerade ganz fern. Ich kann und will dieser Geistlichen Sprachlosigkeit nicht entfliehen. Dann lieber gar nichts sagen!
Ein Gebet von Frère Roger
Am Schreibtisch geht mein Blick aufs Tagebuch. Zum Abschied schrieb mir Lukas ein Gebet von Frère Roger hinein. Er war einige Tage zuvor für eine Schweigewoche in Taizè, und dieses Gebet habe ihn sehr begleitet, sagt er mir. Der Text des Gebetes:
Der Knoten platzt
Und da platzt der Knoten, da bricht das Schweigen auf. Ich erinnere mich an all das, was Lukas von Taizè erzählte, und spüre, wie mein Herz vor Freude hüpft in der Erinnerung an die gemeinsame Zeit am Samstag in der Gruppe, an den gemeinsamen vertrauten Abend, an das „Nachgespräch mit Thomas. Ich feiere den Augenblick und die Augenblicke nach, vor und mit Gott im Morgengebet. Ich erfahre das versöhnte Herz, bereit, um solche Augenblicke zu ringen, zu kämpfen, mich für sie einzusetzen. Und ich spüre, dass das genau meine Weise ist, mich Christus anzuschließen, meine Weise der Nachfolge – in der Einfachheit des Wanderns, des Ruhens, des Gespräches.
Das Gebet von Lukas wird zu meinem Gebet. Und ich entdecke, dass es auch das Gebet Mariens hätte sein können. Ich spüre leibhaftig ihre Augenblicke mit Gott – in der Ansprache des Engels, in der Erfahrung der scheinbaren Zurückweisung durch Jesus („Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder und Schwestern? Die, die meinen Willen tun, sind mir Mutter und Schwester und Bruder.“), in der Erfahrung des Mitgehens und des Stehens unter dem Kreuz, in der Erfahrung der von Christus gestifteten Gemeinschaft („Siehe, deine Mutter, siehe Dein Sohn“). Ich finde mich und mein Leben, mein Erleben in diesem Gebet und im Leben Mariens wieder. Und es hat viel mit Himmel und „Aufnahmen des Himmels“, aufgenommen werden in den Himmel, Erfahrung des Himmels zu tun!
Die Sprachlosigkeit wird gewandelt
Ich kann nichts zum „Hochfest“ erzählen, die Sprachlosigkeit bleibt. Aber ich kann vom Samstag erzählen, von seinen Wirkungen und Auswirkungen. Vom Augenblick, den ich mit Gott feiere, vom versöhnten Herzen, von meinem Anschluss an Christus („Nachfolge“ wird das genannt) und vom ganz einfachen Leben, vom Unterwegssein, von dem, was der Rucksack gerade bietet, von gemeinsamem Essen und Reden, von Gastfreundschaft und von tiefem Einklang in guter Freundschaft.
Für mich eine lebendige Erfahrung von „Himmelfahrt“ mitten in meiner Lebenswelt. Gebe Gott, dass ich mir diese Erfahrung bewahren kann.
Amen.
Köln, 15.08.2018
Harald Klein
[1]Das Dogma „Wir verkünden, erklären und definieren es als ein von Gott geoffenbartes Dogma, dass die unbefleckte, allzeit jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Ablauf ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde.“ (Pius XII.)