Ein formales Vorwort – geistlich gelesen
Dem Bericht, dem Evangelium des Lukas ist ein Vorwort, ein sog. Proömium, vorgeschaltet, das Ihnen im heutigen Evangelium vorgetragen wird: „Schon viele haben es unternommen, einen Bericht über all das abzufassen, was sich unter uns ereignet und erfüllt hat.Dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren.Nun habe auch ich mich entschlossen, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen, um es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben.So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest.“
Und damit es nicht ganz so trocken ist, liefert uns die sog. Leseordnung noch einen Hinweis zum Verständnis des Vorworts dazu. Auf die vier scheinbar „trockenen“ und „formalen“ Verse des Vorworts (Lk 1,1-4) folgt eine Selbstdeutung Jesu, eine Erklärung, um wen und um was es in diesem Vorwort gehe: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört hat, erfüllt.“ In Lk 1,14-21 lässt Lukas Jesus als den erscheinen, auf den sich die Prophezeiung des Jesaja über das Kommen des Messias bezieht. Er sei der, auf dem der Geist des Herrn ruhe, der vom Herrn selbst gesalbt sei, der gesendet sei, den Armen eine gute Nachricht zu bringen, den Gefangenen die Entlassung zu verkünden, den Blinden das Augenlicht, um die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen und um ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen.
In dieser Zusammenführung zeigt sich das ganze Dilemma, in dem sich die „Katechese“, die „Unterweisung“ und die „Einführung in die Bedeutung der Person Jesu und seiner Lehre befindet. Es ist, als ob man Ihnen, den Hörer*innen und Leser*innen des Vorworts keinen eigenen geistlichen Sinn zutraue und deswegen gleich mitliefert, was Sie zu hören und zu lesen haben. Dabei ist es ein spannendes Unternehmen, diese vier Verse des Vorwortes geistlich zu lesen zu versuchen und den Worten mit den Augen des Geistes und des Herzens nachzugehen.
Die vielen Versuche, von Jesus zu erzählen und ihn zu „lehren“
Lukas spricht den „Theophilus“ an. Übersetzt heißt dieser Name „Freund Gottes“. Es geht ihm nicht um eine Person, sondern um eine Haltung derer, die seinen „Versuch“, seine „Botschaft“, sein Evangelium“ hören und/oder lesen. Verstehen, erkennen werden nur die, die aus Freundschaft zu Gott, die als „Theophili“, als Freunde Gottes unterwegs sind. Und denen versucht er wie seine Vorgänger – die Frage nach den synoptischen Evangelien und den anderen Quellen der Jesuserzählung kommt hier in den Blick – von Anfang an darzulegen, was die „Augenzeugen“ und die „Diener des Wortes“ überliefert haben. Ob ihm das überzeugend gelingen kann?
Die „Augenzeugen“ und die „Diener des Wortes“
„Augenzeugen“ des Handelns Jesu gab es viele. Auf der einen Seite zunächst die Apostel, die Männer und Frauen, die Jesus erlebten und die ihm nachfolgten, die Geheilten, die, die umgekehrt sind von einem sinnlosen Leben oder einem Leben, das ins Leere lief. Auf der anderen Seite die Pharisäer und Schriftgelehrten, die Zweifler und die, denen der Weg Jesu zu schwer, zu steinig schien. Das wäre ein erstes geistliches Tun: Sich selbst fragen, wo ich wohl gestanden hätte, wenn ich damals (!) „Augenzeuge“ gewesen wäre. Wäre ich „Diener*in“ des Wortes geworden, „Diener*in“ dessen, der „leibhaftiges Wort Gottes“ zu sein beansprucht oder dem man es zumindest nachsagte?
Katechese – zum „Augenzeugen“ und zum „Diener des Wortes“ werden
Und dann folgt der Hinweis des Lukas auf die Unterweisung, auf die Katechese, die dem Theophilus angetragen wurde. Er möge sich von der Zuverlässigkeit überzeugen. Die Frage, die dahintersteckt: Wie kann von Jesus berichtet, geschrieben, erzählt werden, sodass ich – wohlgemerkt: als Freund*in Gottes – zum „Augenzeugen“ bzw. „Augenzeugin“ und zum „Diener des Wortes“ bzw. zur „Dienerin des Wortes“ zu werden?
Katechese, verstanden als Lehre, als Weitergabe des Inhaltes eines „Katechismus“, läuft notwendig ins Leere. Sie nehmen Glaubenssätze an, Formulierungen, die vielleicht sinnvoll sind, aber die nicht über die Sinne geht. Sie erfahren etwas von Jesus, aber Sie erleben ihn nicht. Es war der dänische Religionsphilosoph Sören Kierkegaard (1813-1855), der von der Notwendigkeit des Gleichzeitigen sprach. Um wirklich selbst „Augenzeuge/Augenzeugin“ werden zu können, muss sich die Verkündigung Jesu an Ihnen vollziehen, müssen Sie Jesus „Auge in Auge“ gegenüberstehen. Alles andere bleibt leere Verkündigung! Was sie leisten kann, ist vielleicht ein geschärftes Gewissen, ist ein Hinweis auf eine „jesuanische Moral“. Die Liebe zu Jesus Christus kann so nicht zum Brennen, zum Leuchten kommen. Sie werden Diener*in des Wortes des Katechismus, nicht aber „Diener*in des lebendigen Wortes Gottes“.
Katechese – Fackel, nicht Kanal!
In seinem Kommentar zum Lukasevangelium bietet Eugen Drewermann ein Bild an, das mich überzeugt. Diejenigen, die davon erzählen, was sich „unter uns ereignet und erfüllt hat“, mögen das in der Form einer brennenden, leuchtenden Fackel tun, nicht in der Form eines Kanals. Ich möchte ihn selbst gerne zu Wort kommen lassen:
Drewermann gibt klar der brennenden, leuchtenden Fackel eines christlichen Lebenszeugnisses den Vorzug vor einem kanalisierten, geregelten Reden von Jesus Christus. Die Entzündungstemperatur des einen ist wichtig, und die Bereitschaft des/der anderen, sich entzünden zu lassen. Denken Sie das einmal durch auf Erstkommunion- und Firmvorbereitung, auf den Wunsch, ein Kind taufen zu lassen oder sich als Erwachsener taufen zu lassen. Denken Sie das einmal durch auf die eigene Bereitschaft, Ihr Leben mehr und mehr an Jesus Christus zu binden. Fruchtbar wird all das erst werden, wenn der Verweis auf Jesus Christus gegeben wird – und wenn er auf eine Neugier, auf eine Bereitschaft des/der anderen wird, sich entflammen zu lassen.
Eine Anfrage an die Katechese in der Kirche
Damit ist eine Anfrage an das katechetische Tun der Kirche gegeben. Letztlich steht eine Abkehr von jahrgangsweiser Katechese dahinter. Und letztlich geht es um die Frage, wie es um die Bereitschaft derer steht, die um eine Katechese anfragen, sich entzünden zu lassen. Und dann geht der Weg nicht über den Katechismus, sondern über ein Weitergeben des eigenen Brennens für Christus.
Das kann an vielen Orten, in vielen weisen geschehen – dafür steht das Bild von den vielen Gliedern und dem einen Leib, der in der zweiten Lesung von Paulus mitgegeben wird. Und der alles entscheidende Prüfstein ist letztlich der kleine Vers am Ende der ersten Lesung aus Nehemia: „Die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ Mit anderen Worten: alles Tun (in) der Kirche, das nicht aus der Freude am Herrn geschieht, kann nicht entzünden und verstellt eher den Blick auf Christus, als dass sie in jemandem die Liebe zu Jesus Christus entflammen kann. Vielleicht ist dieser kleine Satz der wichtigste Satz an diesem Sonntag, und es ist mein Wunsch für Sie, für mich und für die, die „Kirche“ sind und sein wollen: „Die Freude am Herrn ist eure Stärke“.
Amen.
Köln, 27.01.2019
Harald Klein