Bismarcks „Kaiserplan“
Lassen Sie mich nicht zu weit in der Geschichte zurückgehen. Lassen Sie uns auf Deutschland, besser: auf das Deutsche Reich schauen. Ein bisschen Geschichte also zu Beginn. Es war Otto von Bismarck, der mit dem „Kaiserplan“ 1870 versuchte, das Ansehen des preußischen Königs aufzuwerten. Im Norddeutschen Bund hatten sich verschiedene Kleinstaaten zusammengeschlossen zu einem Bundesstaat, der König von Preußen übernahm das Präsidium des Bundes. Die Bundesverfassung sah kein ausdrückliches Oberhaupt vor. Bismarcks „Kaiserplan“: der König von Preußen sollte als Kaiser Staatsoberhauptwerden – denn das würde die Stellung gegenüber den Südstaaten“ im deutschen Sprachraum, aber auch dem monarchisch verfassten Frankreich gegenüber stärken. Als nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870 die deutschen „Südstaaten“ dem Norddeutschen Bund beitraten, bat König Ludwig II. von Bayern in seinem „Kaiserbrief“ den preußischen König um Annahme eines Kaisertitels. Reichstag und Bundesrat nennen nun den neuen Staat „Reich“ und das Staatsoberhaupt „Kaiser“, Wilhelm I. von Preußen nimmt dieses Amt und diesen Titel an. Ab dem 1. Januar 1871 gibt es das verfasste Deutsche Reich, und zum Bundespräsidium gehört der Titel und die Person den Deutschen Kaisers. – Eine Person spricht für die Länder und für das Volk, er steht für das Volk ein und repräsentiert es nach außen.
Gott als König über Israel
Zurück in die Zeit der Bibel. Da gibt es den ersten großen Führer des Volkes, Mose. Ihm folgen die Richter. Stammesvorgesetze, die im Landtag zu Sichem ihr Zusammengehören über das Bekenntnis zu Gott definieren: „Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen“ – die Zwölf Stämme entstehen. Und diese Zeit endet mit dem Ruf nach einem König. N 1 Sam 8,4f heißt es dann:
Alle Ältesten Israels verssammelten sich und gingen zu Samuel nach Rama. Sie sagten zu ihm: Du bist nun alt und deine Söhne gehen nicht auf deinen Wegen. Darum setze jetzt einen König bei uns ein, der uns regieren soll, wie es bei allen Völkern der Fall ist.
Der Ruf nach einem „greifbaren“ Gott
Bis hierhin war Gott Israels König, Ihn haben sie verworfen, ganz auf der Linie dessen, was ihre Taten seit dem Wüstenzug zeigten. Sie wollen jemand Greifbares, einen, an dem sie sich festhalten können, der sie sichtbar und spürbar vertritt, der sich auch kämpfend für die Interessen des Volkes einsetzt. Und umgekehrt: man hat im König ja schließlich auch einen Buhmann, den man angreifen kann, der zum Sündenbock wird dann, wenn es nicht rund läuft. Und trotz seiner Widerstände hört Samuel auf Gott und salbt schließlich Samuel zum König. Die Lesung, die wir heute gehört haben, setzt da an – David wird als Samuels Nachfolger zum zweiten König Israels gesalbt.
Christkönig – ein politisches Fest
Und heute: Christkönigsfest. Wussten Sie, dass dieses Fest erst seit 1925 existiert? Wenige Jahre nach dem Untergang von Königs- und Kaiserreichen durch den Ersten Weltkrieg? Betont wurden der himmlische König und sein Herrschen über die Geschichte und am Ende der Geschichte. Und politische Brisanz erhielt es dann, als vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus dem Führerkult christlich und spirituell etwas entgegengesetzt werden konnte. Das Fest war mit Prozessionen ausgestattet, die eher den Charakter von Demonstrationen hatten, und wer die 1938 erbaute Klosterkirche von Münsterschwarzach kennt, kann darin unschwer ein frommes Gegenstück zu nationalsozialistischen Prachtbauten erkennen. Christus, der König – nicht als Stärkung der Politik nach außen, wie die Könige des Alten Testaments und der deutsche Kaiser, sondern Stärkung der Politik nach innen, als innerer Widerstand.
Nochmal: Und heute: Christkönigsfest. Wieso tun wir das, dieses Fest feiern, diesen Sonntag als Fest feiern? Ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht. Aber der hl. Ignatius gibt denen, die in seiner Frömmigkeit leben, vor, immer erst einmal zu versuchen, die Aussage des anderen verstehen zu wollen und zu retten, bevor man sie korrigiert und ggf. verurteilt. Ich will das in drei Punkten versuchen.
Das Fest hat, so könnte man sagen, keine lange Tradition, nicht mal hundert Jahre ist es alt. Aber der Satz stimmt nicht. Richtig müsste es heißen: Die Feier des Christkönigsfestes ist keine Tradition, sondern gehört zu den Traditionen, den mehr oder weniger alten Gepflogenheiten, die eine Tradition, nämlich die Weitergabe des Glaubens an Jesus Christus und die Weisen, aus diesem Glauben zu leben, ins Heute zu übersetzen. Das ist der Unterschied zwischen der Tradition und den Traditionen: die Tradition ist immer dieselbe, und die Traditionen sind veränderbar, ohne dass der Tradition etwas weggenommen wird – im Gegenteil: man muss Traditionen so ändern, dass sie der Tradition mehr entsprechen. Vielleicht würde der Tradition, der Weitergabe nicht nur nichts fehlen, sondern sie würde gewinnen, würde man dieses Fest nicht oder anders feiern. Als Erstes gilt also: nicht die Traditionen retten, sondern die Tradition bewahren und ins Heute setzen, vergegenwärtigen.
Könnten Sie sich vorstellen, ähnlich wie an Fronleichnam mit einer Christkönigsfigur durch Veedel zu ziehen, um zu zeigen, wer unser König ist? Es mag Strömungen in der katholischen Kirche geben, die laut Hurra schreien würden, aber ehrlich gesagt, würde so etwas wohl mehr an Ablehnung, an Unverständnis und an Spaltung bewirken als es das traditionelle Fronleichnamsfest schon tut. Wie kann ich, können wir heute ausdrücken, verinnerlichen, nach außen zeigen, dass ich Christus als König anerkenne und schätze?
Erwachsener Glaube als Bekenntnis zu Christus, dem König
Ich glaube, das geht nur durch einen reifen, erwachsenen gelebten Glauben. Was ich damit meine? Keinen Glauben, keine Religion, die als Kulturreligion Geltung hat: im Dom das Weihnachtsoratorium besuchen, sich an den Schätzen der romanischen Kirchen erfreuen oder bei Orgelkonzert in St. Agnes wegträumen. Keinen Glauben, keine Religion, die als Gesetzesreligion mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe, und die außer Angst, schlechtem Gewissen und Seelenführung durch Schriftgelehrte oder klerikal Mächtige mehr entmündigt denn ermutigt. Kein jenseitsorientierter Kinderglaube, der mit 40 Jahren noch betet: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm’“. Oder der beim reich gedeckten Tisch angesichts einer hungernden Welt über ein „Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast…“ hinauskommt. Kein pubertärer Glaube, der seine Wünsche Christus, dem König, hinhält und schmollt und mit Rückzug droht, wenn der himmlische Vater nicht spurt! Sondern – als erstes – ein reifer, erwachsener und gelebter Glaube, der aus der Tradition des mitgehenden, da seienden Gottes lebt – und der die richtige Nähe und Distanz zu den Traditionen für sich selbst entscheidet.
Das Zweite: nicht den Glauben neben das Leben stellen, sondern mein Leben und das Leben der Kirche in der Tradition des mir und nahen und mich und uns führenden Gottes stellen – in richtiger Nähe und Distanz zu den Traditionen, die mir (zugegeben) mehr übergestülpt als angeboten werden.
Und das Dritte: Anerkennen, dass wir, wie es Dietrich Bonhoeffer ausdrückt, vor Gott und mit Gott doch auch ohne Gott leben.
Leben „ohne Gott“ – und das Pfingstfest
Man kann diesen Satz, man kann dieses „ohne Gott“ doppelt verstehen. Zum einen, als die Deutung der Skeptiker: wir leben in einer gottlosen Welt, Religion, Tradition und Traditionen spielen keine Rolle mehr, wir werden weniger, sind Minderheit – und wie die Klagen alle heißen! „Glaubensverlust“ wird das oft genannt. Mag sein, meine ich aber nicht – und Bonhoeffer meint das auch nur als Zweites. Im Zitat, aus dem der Satz steht, ist die Himmelfahrt Jesu vorangestellt. Gott, der greifbare König der Apostel, hat sich entzogen. Er ist als König weder greifbar, noch ist er angreifbar. Die Apostel bleiben zurück, allein, ohne ihren Führer, und ohne dessen Führung.
Könnte man meinen, ist aber nicht so. Zur Tradition – nicht zu den Traditionen – der Kirche gehört Pfingsten., gehört das Geschenk des Hl. Geistes. Und jetzt sind wir da, wo ich hinwollte, um das Christkönigsfest zu retten. Jetzt wird Christkönig gegenwärtig, diesseitig. Man merkt mir, man merkt uns im Leben an, ob wir Christus über unser Leben bestimmen lassen. Einige Stichworte: Begegnungen und Beziehungen – Ich kann das für mich selbst festmachen, wenn ich am Abend des Tages nach den Begegnungen und Beziehungen schaue und danach, in welchem Geist ich sie gestaltet habe. Dankbarkeit und Barmherzigkeit – Ich kann das festmachen daran, ob und wie ich aus der Haltung der Dankbarkeit lebe, aus der Haltung der Barmherzigkeit und der Bereitschaft zu Versöhnung und Neuanfang. Entschiedenheit – Ich kann das festmachen an dem, wozu und zu wem ich Ja sage, und wozu und wem gegenüber ich ein Nein entschieden lebe. Gottvertrauen – Ich kann das festmachen an dem Maß, wie groß mein Vertrauen in die Führung Gottes für mein Leben und für das Leben der Kirche ist. Das, was hier an Stichworten genannt ist, umschreibt keine Kultur- oder Gesetzesreligion, das ist reflektierender Glaube. Das ist kein Kinder- oder pubertärer Glaube, das ist reifer, erwachsen gewordener Glaube. Und das ist gelebte Tradition – in der richtigen Nähe und Distanz zu den Traditionen, die uns vorgegeben sind.
Das „vor Gott und mit Gott leben wir ohne Gott“ Bonhoeffers möchte ich ergänzen mit einem Pauluswort, das mir sehr wichtig ist. Es steht in 2 Kor 5,20 und heißt: „Wir sind Gesandte an Christi statt und bitten: lasst euch mit Gott versöhnen“.
Heute Christkönig feiern: in der Tradition bleiben – mit rechter Nähe und Distanz zu den Traditionen; selbst in der Tradition des nahen und mitgehenden Gottes leben, sie nicht neben mein Leben stellen; in Begegnungen und Beziehungen, in Dankbarkeit und Barmherzigkeit, in Entschiedenheit und im Gottvertrauen mit einem reifen, erwachsenen Glauben vor Gott und mit Gott ohne Gott leben – als Gesandte an Christ statt, das könnte am Christkönigsfest heute gefeiert werden.
Amen.
Harald Klein, Köln