Weihnachten – Das Projekt Gottes heißt Menschwerdung

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„Was ist Dein Projekt?“

Diese Frage hat mich vor einigen Jahren tief getroffen, als Anfrage mit positivem Klang und schließlich sogar motivierend. Gestellt hat sie mir eine kluge Ordensfrau, ein paar Jahre später eine langjährige gute Freundin, die eine während einer Autofahrt, die andere im gemeinsamen Urlaub. Ausweichen ging hier wie da nicht, vor der Frage fortlaufen war nicht drin.

Mir war die Frage damals fremd, ich habe sie nicht recht verstehen oder einordnen können. Deswegen gebe ich diese Frage erst einmal an Sie weiter: „Was ist Dein, was ist Ihr Projekt?“ Was klingt da in Ihnen an? Wie würden Sie antworten, oder auch: Was würden Sie antworten?  Gerne können Sie, bevor Sie weiterlesen, eine kleine spät-adventliche Besinnung zu diesen Fragen einlegen.

» Die unbestreitbar wahr anmutende Wirklichkeit unserer gewohnten Haltungen verstellt uns den Blick für die Lebensmöglichkeiten, die unser Leben wohltuend erneuern könnten.«
Hammel, Stefan (2013): Loslassen und Neues ins Leben lassen, Freiburg, 145.

„Mutige gestalten Zukunft“

Aber dann: Wenn Sie die Frage „Was ist Dein Projekt“ googlen, taucht zumindest auf meinem MAC als erster Verweis der Hinweis auf ein Unternehmen namens „Startnext“ auf. „Mutige gestalten Zukunft“ lautet der Leitgedanke des Unternehmens. Das Ziel von „Startnext“ ist „Crowdfunding“: Viele Menschen (crowd) finanzieren (fund) gemeinsam eine Idee, ein Projekt, ein Unternehmen. Die Starter*innen legen ein Startnext-Projekt an und beschreiben ihre Idee mit einem Video, mit Bildern und Texten. Sie legen ein Startlevel, eine Laufzeit für die Finanzierungspläne und Dankeschöns für die Unterstützer*innen fest. Alle, die möchten, dass diese beworbene Idee Wirklichkeit wird oder Wirklichkeit bleibt, unterstützen das Projekt während der Finanzierungsphase mit einem freien Betrag oder bestellen ein Dankeschön. [1] So kann es gehen: „Mutige gestalten Zukunft“.

Man könnte meinen, dass Gott selbst mit „Startnext“ Hand in Hand gearbeitet hat, als es um Weihnachten ging. Besser: als es um das ging, was an Weihnachten als Projekt Gottes sichtbar wurde: um seine Menschwerdung! Die Krippe als „Startlevel“, die „Laufzeit“ als Lebenszeit, der persönliche Einsatz der Lebensführung und Lebensausrichtung als Investition, als Finanzierungsplan und das gelungene Leben als Dankeschön. Könnte aufgehen, oder? Hier gestalten Mutige Zukunft! Vielleicht wäre hier der Ort für eine zweite spät-adventliche Besinnungszeit.

» Bei deiner Geburt, als du geboren wurdest, hat man deine Nabelschnur nicht abgeschnitten.
Man hat dich nicht mit Wasser abgewaschen, nicht mit Salz eingerieben, nicht in Windeln gewickelt.
Nichts von all dem hat man getan, kein Auge zeigte dir Mitleid, niemand übte Schonung an dir,
sondern am Tag deiner Geburt hat man dich auf freiem Feld ausgesetzt,
weil man dich verabscheute.
Da kam ich an dir vorüber und sah dich in deinem Blut zappeln;
und ich sagte zu dir, als du blutverschmiert dalagst:
Bleib am Leben! «
Aus dem Buch Ezechiel Ez 16,4

Die Gründe Gottes…

Weiter: Schön (und erdverbunden, human also) ist, dass „Startnext“ so ganz anders als z.B. Dogmatik nach den Gründen für ein Projekt fragt. „Cur Deus homo?“ – warum wurde Gott Mensch? – was hat da die Kirche und ihre Lehre doch für theologische Antworten formuliert! Um als menschgewordener Gott den Menschen mit Gott zu versöhnen; oder um der Menge an Sünden, die die Menschheit begangen hat, ein Gegengewicht des Heils entgegenzuhalten, um wieder in ein Gleichgewicht zu kommen; oder um das Modell eines neuen Mannes vorzuleben, ach und was auch sonst noch immer…

Da finde ich es bodenständiger (also: humaner), bei „Startnext“ im Artikel von Jasmin Schreiber „6 Gründe, wieso du dein Projekt jetzt starten solltest,“[2] nachzulesen. Diese sechs Gründe erläutern wunderbar, was ein „Projekt“ ist – im Unterschied zum alltäglichen Kleinkram oder zu den wiederkehrenden Riten in der eigenen Lebensgestaltung. Es genügt völlig, diese „6 Gründe“ zu benennen, um sofort und um wieder entdecken zu können, dass sie auf das Weihnachtsereignis übertragbar sind:

  1. Du hast eine einzigartige Lösung für ein Problem.
  2. Du willst dein Potenzial ausschöpfen.
  3. Der Markt ist bereit für deine Idee.
  4. Leben braucht Veränderung.
  5. Du brauchst ein Feedback für deine Ideen.
  6. Es ist Zeit, etwas zu wagen.

Vielleicht muss man an dieser Stelle zwischen den Gründen Gottes, sein Projekt der Menschwerdung zu wagen, und den Gründen der Kirche, die sich an den Stellvertreterplatz Gottes setzt, ihr Projekt der Deutungshoheit des Projektes Gottes unterscheiden! Hier (und ehrlich gesagt: immer!)  geht es um das Projekt Gottes!

» Denn einen wunderbaren Tausch hast Du vollzogen: Dein göttliches Wort wurde ein sterblicher Mensch, und wir sterbliche Menschen empfangen in Christus Dein göttliches Leben.»
Präfation/Gebet vor der Gabenbereitung in der Eucharistiefeier an Weihnachten

Der wunderbare Tausch

Den genannten sechs Gründen nachzugehen, warum Gott sein Projekt der Menschwerdung in Jesus Christus begonnen hat, überlasse ich gerne Ihnen. Einige meiner Gedanken möchte ich Ihnen aber gerne anbieten. Sie können durch diese Annahme der Menschwerdung Gottes eine Dimension auf Gott hin und eine Dimension unter den Menschen hin entdecken. Die Dimension auf Gott hin drückt ein weihnachtliches Gebet so aus: „Denn einen wunderbaren Tausch hast du vollzogen: dein göttliches Wort wurde ein sterblicher Mensch, und wir sterbliche Menschen empfangen in Christus das dein göttliches Leben.“[3] Die Menschwerdung Gottes überwindet den Abstand, den „garstigen Graben“ (G.E. Lessing) zwischen Gott und Mensch. Er wird einer von uns. Für diese Lösung des „garstigen Grabens“ hat nur Gott eine Lösung, nur er kann die Initiative ergreifen und nur er hat das Potential dazu.

Ob der Markt dazu bereit ist? Wenn hinter diesem Empfangen des göttlichen Lebens so etwas wie Zugehörigkeit, Aufnahme und Annahme, unbedingtes Geliebtsein steht, denke ich allemal, dass der „Markt“ sich sogar danach sehnt.

Braucht Gott ein Feedback für seine Idee? Könnte nicht Gebet und Meditation dieses Feedback darstellen? Das Gespräch mit Gott über mein tatsächliches Menschsein, oder über die Menschen, die sich eben als genau das, als Menschen mir gegenüber erweisen? Es bleibt: „Es ist Zeit, etwas zu wagen.“

» Für die Humanität kann es genügen, dass eine (oder einer) sich einfach nur als Mensch erweist – und darin schätzens- und liebenswert erscheint. Die unter Beweis gestellte Humanität zieht Anerkennung, ja Achtung auf sich, vor allem dann, wenn sie sich in der Standhaftigkeit gegenüber Versuchungen und Gefährdungen behauptet. «
vgl. Gerhardt, Volker (2019): Humanität. Über den Geist der Menschheit, Nördingen, 32.

Es ist Zeit, etwas zu wagen

Es gibt Zeiten, da habe ich das Gefühl, dass in der kirchlichen Verkündigung der Schwerpunkt darauf liegt, sich um die Deutungshoheit des Projektes Gottes mehr zu sorgen als um das Projekt selbst. Es geht um Menschwerdung, nicht nur um die Menschwerdung Gottes, sondern auch und vor allem um die Menschwerdung des Menschen! Wenn Gott Mensch wird, heißt Nachfolge doch auch, Mensch zu werden, oder? Es geht um den Menschen, wie er von Gott gedacht ist – als Mensch, der vor Gott und damit (!) vor den Menschen und vor sich selbst Bestand hat (ich hätte es auch umgekehrt schreiben können). Es geht um das, was die Philosophie und darin die Anthropologie „Humanität nennt, Menschlichkeit. Es geht um den „Geist der Menschheit“, um den Untertitel der Untersuchung von Volker Gerhardt zur Humanität[4] zu zitieren.

Schon 1516 hielt Erasmus von Rotterdam fest, dass das Wort Humanität nicht schon unsere Natur bezeichne, sondern das sittliche Verhalten eines Menschen, dass seiner Natur würdig sei.[5] Mensch ist man nicht nur, Mensch wird man und man erweist sich als Mensch. Wie steht es um dieses Wagnis bei mir, bei Ihnen? Und Volker Gerhard schreibt: „Human ist das, worin sich die Menschlichkeit des Menschen zeigt.“[6] Gut, dass wir Weihnachten jedes Jahr feiern, fortschreitend – nur so ist die eigene Entwicklung Ihrer, meiner Menschwerdung rituell gesichert.

Weihnachten als Zeit, etwas zu wagen: Lassen Sie sich mit den sechs Gründen im Hinterkopf ruhig von Jasmin Schreiber, der Autorin des zitierten Artikels, nach „Ihrem Projekt“ fragen; oder fragen Sie sich nach Menschen aus Ihrem Umfeld, bei denen Sie ahnen, dass sie ein solches Projekt haben. Gehen Sie der Frage nach dem „Projekt der Menschwerdung“ nach, im Gebet, in der Meditation und vielleicht auch im Austausch mit Blick auf Jesus Christus als dem menschgewordenen Gott; aber auch im Gebet, in der Meditation und vielleicht auch im Austausch im Blick auf sich selbst als Empfänger*in des göttlichen Lebens“. Beides feiern wir an Weihnachten. Schauen Sie, ob Ihr „Markt“ bereit ist für die Idee, mit der Gott selbst all sein „Potenzial ausschöpft“, um eine „einzigartige Lösung“ Gestalt, nein, Mensch werden zu lassen, um das Problem der Ferne zwischen Gott und Mensch (und so zwischen Mensch und Mensch) zu lösen.

Vielleicht braucht Ihr „Leben Veränderung“. Vielleicht brauchen Sie „Feedback für Ihre Ideen“. Vielleicht entdecken Sie, dass es „Zeit ist für Veränderung.“ Dann hätte sich erfüllt, was wir gerade täglich sagen: „Frohe Weihnachten!“

Amen.

Köln 21.12.2022
Harald Klein

[1] vgl. [online] https://www.startnext.com/info/startnext.html [19.12.2022]

[2] vgl. [online] https://www.startnext.com/blog/Blog-Detailseite/6-grnde-wieso-du-dein-projekt-jetzt-starten-solltest~ba1254.html [19.12.2022]

[3] Vgl. den Text der Weihnachtspräfation III [online] https://www.erzabtei-beuron.de/schott/schott_anz/index.html?file=../schott/gemeinsame_texte/Praefationen/Weihnachten.htm [19.12.2022]

[4] Gerhardt, Volker (2019): Humanität. Über den Geist der Menschheit, 2019.

[5] Vgl. a.a.O., 9.

[6] a.a.O., 33.