Wenn aus dem „würde“ ein „werden“ würde…

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Ein Kreuz am Himmel?

Als kleiner Junge, so im Erstkommunionalter, hörte ich im-Religionsunterricht zum ersten Mal vom „Jüngsten Gericht“. Ob es das heutige Evangelium war oder ein anderes, scheint egal, ich hatte jedenfalls richtig Respekt. Da kommt noch was. Da kommt was auf Dich zu! Eines der wenigen religiösen Gespräche, die ich mit meiner Mutter führte, hatte dann dieses Jüngste Gericht und meinen Respekt davor zum Inhalt. Wie kann ich wohl merken, dass es losgeht? Und meine Mutter antwortete, sie glaube, dass dann ein ganz großes Kreuz am Himmel zu sehen sei. Die Folge: Wir hatten einen kleinen Holzschuppen am Haus, in dem ich gerne spielte – und eine Zeit setzte ich mich immer so, dass ich durch das schräge Dachfenster Ausschau hielt nach dem Kreuz am Himmel. Das Gericht sollte mich bloß nicht bei Spielen überraschen – und noch lieber wollte ich es mir ganz vom Hals halten.

Der Tag des Herrn – das Ende der Zeit?

Heute würde ich nicht mehr nach dem Kreuz am Himmel blicken, um das Ende der Zeit, das Jüngste Gericht oder – um es positiv zu beschreiben – den Beginn der Herrschaft Gottes erahnen und erkennen zu können. Ein paar Kennzeichen dieser angebrochenen Herrschaft Gottes im einzelnen Menschen oder in der Kirche gibt Jesus uns ja auch vor.

Das ist im Evangelium das Sprechen darüber, dass der Tempel mit schön bearbeiteten Steinen und Weihegeschenken geschmückt sei. Mit kommt unser Dom in den Blick, auch der Petersdom, selbst die Schönheit von San Francesco im Abendlicht von Assisi, der weite Blick von Monte Cassino oder welche schöne Kirche, Basilika, welcher schöne Dom auch immer es sein mag. Solange es Menschen gibt, die glänzende Steine für Gott halten oder sie an die Stelle Gottes setzen, braucht es ein Geschehen, dass der Prophet Jeremia beschreibt: „Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.“ Der Tag des Herrn beginnt damit, die alte Zeit endet damit, dass ich alle Äußerlichkeiten nicht notwendig sein lasse, aber an ihren richtigen Ort stelle – Gott ist nichts „Äußerliches“. Ich darf mich an den Äußerlichkeiten freuen, ich darf mich um diese Äußerlichkeiten sorgen – aber sie dürfen nicht Gottes Stelle einnehmen.

Und dann: „Gott ist auch nichts „Innerliches“. Wieder das Evangelium von heute: „Sogar Eure Eltern und Geschwister, Eure Verwandten und Freunde werden Euch ausliefern.“ Schön, wenn es nicht so ist, wenn es in der Familie, im Freundeskreis, in der Gemeinschaft „funktioniert“, wenn so eine Ahnung von „ein Herz und eine Seele“ aufkommt. Aber das ist nicht Gott! Das ist gute Kommunikation, Mühen um Verständnis und ich weiß nicht was. Ich darf mich daran freuen, ich darf mich um diese Innerlichkeit und Verbundenheit sorgen – aber sie dürfen nicht Gottes Stelle einnehmen.

Wenn aus dem „würde“ das „werden“ würde…

Ein untrügliches Kennzeichen des Beginns der Herrschaft Gottes in einem Menschen, in einer Gemeinschaft oder in der Kirche ist das Verlassen des Konjunktivs und die Hinwendung zum Indikativ. Hinsichtlich der Äußerlichkeiten wie der Innerlichkeiten, hinsichtlich der Gebäude und Riten wie der Beziehung zu mir selbst, zu anderen, zur Gemeinschaft und zur Kirche wegzukommen vom „würde“ und hinzugelangen zum „werden“. Wie erahne und erspüre ich, dass über einen Menschen oder eine Gemeinschaft Gott die Herrschaft hat? Oder besser: dass in einem Menschen oder in einer Gemeinschaft die Liebe Gottes das Sagen hat? Am ehesten darin, dass dieser Mensch nicht stehen bleibt bei dem, was richtig, gut, heilsam sein könnte, sondern im Tun dessen, was richtig, gut und heilsam ist, motiviert aus dem Vertrauensverhältnis in Gott. Eugen Drewermann schreibt in seinem Kommentar zum Lukasevangelium: „Darin, dass dieses ‚würde‘ endlich ein ‚werde‘ würde, erblickte Jesus das Indiz dafür, dass wirklich Gott (und nicht der ‚Teufel‘) in unserem Herzen zu herrschen beginnt.“[1]

Nicht: “Was bleibt?“ – sondern: „Was ist?“

Eine häufig gestellte Frage – auch in der Kirche: „Was bleibt?“ Das Evangelium – und die Erfahrung des Lebens – geben eine Antwort: „Nichts! Nichts bleibt.“ Fragen Sie anders. Fragen Sie: „Was ist?“ Was ist da – an Äußerlichkeiten, an Innerlichkeiten? Und wie sieht der jeweilige Schritt aus, zu dem Sie ihr Vertrauen auf Gott in dieser Sache oder in jener Beziehung motiviert? Darin besteht das „Gericht“, so bricht Gottes Herrschaft an.

Es ist nicht das Kreuz am Himmel, vor dem ich als kleiner Junge Angst hatte, weil es das Ende der Zeit einläutet. Es sind die Momente, wo aus dem „würde“ und „wäre“ ein „werden“ wird, wo etwas Realität, Wirklichkeit wird, von dem ich erahne, dass dahinter Gott und seine Gegenwart steckt. Das kann schon mal die Zeit stehen bleiben, da kann sich schon mal die Zeit wenden, und da wird klar, wem mein Gegenüber die Herrschaft über sein Herz überlassen hat. Das Schöne in diesen Novembertagen ist dabei ist: Das kann sogar ansteckend sein.

Amen.

Köln,17.11.2019
Harald Klein

[1] Drewermann, Eugen ( 2009): Das Lukasevangelium, Band 2, Düsseldorf, 688.