Wir können neu ins Leben gehen

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Ein Lied am Anfang

„Gott gab uns Atem, damit wir leben,“ heißt es in einem (nicht mehr ganz so) Neuen Geistlichen Lied, und die letzte Strophe endet mit „wir können neu ins Leben gehen!“ Gottes Atem spüren hängt zusammen mit „neu ins Lebens gehen“, mit „selbst wie neu geboren, geworden sein“, und mit „in einem neuen Miteinander gehen.“

Ein neues Miteinander – die Regeln unserer Sprache lassen dafür nur zwei Voraussetzungen zu: (1) ursprünglich Fremdes wird zusammengeführt; und (2) schon Bekanntes kommt nach einem Bruch, nach einer Pause wieder – wahrscheinlich anders, verändert – zusammen.

Neues Miteinander in der Schrift und im Leben

Beide Formen des „Neuen Miteinander“ finden sich in der Schrift. Da ist die gemeinsame Jüngerschaft von Simon dem Zeloten und dem Zöllner Levi im Kreis der Apostel. Von Ihrer Herkunft her sind sie Todfeinde. Sie leben in eigenen „Wahrheiten“ und „Realitäten“. Die Zeloten kämpfen um die Befreiung Israels von der römischen Besatzung, die Zöllner ziehen für die Besatzer den Zoll ein, oft bereichern sie sich am eigenen Volk.

Neues Miteinander: Fremdes kommt, Fremde kommen zusammen – weil sich die beiden auf die „Wahrheit“ ausrichten und sich auf „die Mitte besinnen“, um die beiden vorangegangenen Werkhefttitel in Erinnerung zu rufen. Schon hier wird deutlich, dass es dieser Dreischritt ist, der das Chancen sehen“ beschreibt: Wahrheit – Besinnung auf die Mitte – Neues Miteinander.

Weiter im neuen Miteinander der Schrift. Lukas berichtet von „Frauen im Gefolge Jesu“ (vgl. u.a. Lk 8,1-3). Hier wird nicht mit Wahrheiten gebrochen, aber mit Umgangsformen, mit Gewohnheiten. Das im Jahre 2000 erschienene Buch von Franz Alt „Jesus – der neue Mann“ machte auch auf den Umstand aufmerksam, dass Jesus sowohl die Frauen seiner Gefährten „sah“ als auch die Frauen, die im nachfolgten. Zum Ärgernis derer, die den Frauen ihren Platz in der Öffentlichkeit jenseits der Männer zuwiesen, stiftete er ein neues Miteinander, indem er die Frauen in seiner Nähe zuließ. Auch hier gilt: Besinnung auf die Wahrheit (es geht um eine Gewohnheit!) – auf die Mitte (es geht um Nachfolge!) – und auf das neue Miteinander.

Ein letztes Beispiel: ein neuer Umgang mit mir selbst. Deutlich wird das an der Person des Petrus vor und nach der Passion. Allzu bekannt sind die große Worte, die er spricht, die großen Taten, die er vorhat: „Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme“ (Mt 14,28), oder „Herr, wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen“ (Mt 17,4) – und allzu bekannt ist sein Versagen in der Stunde des Leidens. Er zerbricht an seiner eigenen Wahrheit – die Passion Jesu, sein Kreuz und Leiden führt auch zum Bruch in Petrus, in dem nach diesen Tagen der Passion nichts mehr heil und ganz ist. In der „Bereitung des Schauplatzes“ zu Joh 21,1-14 (Erscheinung des Auferstandenen am See von Tiberias) lohnt es, sich die Stimme des Petrus vorzustellen, zu hören, wie er sagt: „Ich gehe fischen“, und wie die anderen sagen: „wir kommen auch mit. Und dann: „Sie gingen hinaus und steigen in das Bot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts.“ – Das ist die Situation des Menschen, der innerlich, der in sich gebrochen ist. Erst die Begegnung mit dem, der am Morgenufer steht, erst das Hinhören auf das, was der am neuen Ufer sagt, der Sprung in den See, aus eigenem Antrieb, ohne Bitte, dass der Herr ihn doch rufe (vgl. Mt 14) führt zu einem neuen Miteinander des alten und den neuen Petrus in seiner eigenen Person. Er kennt und er erkennt jetzt seinen Herrn. Sich der Wahrheit stellen, sich auf die Mitte besinnen, und zu einem neuen Miteinander kommen – das geschieht hier in der Person des Petrus.

Neues Miteinander in der Kirche

Dieses neue Miteinander ist auch in der gegenwärtigen Kirche zu entdecken. Wo die Frage nach der tieferen Wahrheit gestellt wird, wo eine Besinnung auf die Mitte geschieht, da öffnet sich der Blick, der Weg für ein neues Miteinander.

Da gibt es – wie bei Simon und Levi – Gruppen, die scheinbar weder neben- und erst recht nicht miteinander können, nehmen Sie den „Ritenstreit“ in der katholischen Kirche. „Ob nun Menschen  den römischen Ritus in seiner ordentlichen oder außerordentlichen Form feiern, ist (…) nicht die entscheidende Frage, wohl aber, ob sie sich oder ihr Gegenüber als Glieder des einen Leibes erkennen und achten“, schreibt Christian Henneke in der jüngsten „Korrespondenz zur Spiritualität der Exerzitien (61/2011, 56). Annahme der Wahrheit und Besinnung auf die Mitte macht neues Miteinander möglich.

Oder die Frauen im Gefolge Jesu: Der Bruch mit dem Gewohnten, Tradierten, Liebgewordenen steht an. Das Leben von Christen mag in Seelsorgeeinheiten organisiert werden, gelebt werden wird es mehr und mehr in Kleinen Christlichen Gemeinschaften, wie etwa in der GCL-Gruppe. Wie kann ein neues Miteinander der vielen Gruppen und Gemeinschaften in dieser Spannung zwischen Organisation und gelebtem Christentum aussehen? Wieder: Annahme der Wahrheit und Besinnung auf die Mitte macht neues Miteinander möglich.

Und schließlich der Blick auf die eigene Zerbrochen-, besser vielleicht Gebrochenheit: Wer war ich gestern? Wer bin ich heute? Und das im Rahmen, im Raum der Kirche. Hier liegt der Dreh- und Angelpunkt für das neue Miteinander: mich meiner Wahrheit stellen, mich auf die Mitte besinnen, und dann die neue Gemeinschaft wagen, in der ich – wie Petrus – nach der Begegnung mit dem Auferstandenen kein anderer bin, aber anders bin.

Für das Gebet oder das Gespräch in der Gruppe

  • Mit wem oder was tue ich schwer, in der Gruppe, in meinem Umfeld? Wenn ich auf dessen/deren/unsere Wahrheit schaue … – wenn ich mich auf unsere Mitte besinne …
  • Gibt es einen Umgang mit jemandem, gibt es Gewohnheiten, gibt, die vielleicht Leben verheißen, die aber vom Leben wegführen? Mit Blick auf die Wahrheit, mit Besinnung auf die Mitte …- was hilft zu einem neuen Miteinander?
  • Wer war ich gestern, wer bin ich heute? (Eine gute Frage an die Gruppe!) Welche Wahrheit darf sich mehr und mehr durchsetzen in mit? Was von mir trage ich in meine eigene Mitte, zum Herrn? Welchen Geschmack hat das neue Miteinander in mir selbst, welchen Geschmack hat es nach außen?

Harald Klein, Köln