„Wir werden eingetaucht…“

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Jesus taucht auf

Im Gottesdienst geschieht es in der Prozession, im Gebet im Bereiten des Schauplatzes: Ich stelle mir vor Augen, wie Jesus mit seinen Jüngern Jerusalem, der Stadt auf dem Berge, entgegengeht. Ich sehe vor meinem geistigen Auge die Landschaft in der Ebene, vor mir die Erhebung, auf deren Höhe man die Mauern der Stadt erkennt. Ich sehe Jesus und die Seinen in der Nähe von Betfage und Betanien, nehme wahr, wie er aus dem vertrauten Kreis zwei von ihnen zur Seite nimmt und ihnen sagt: „Geht in das Dorf, das vor uns liegt. Wenn Ihr hineinkommt, werdet Ihr dort einen jungen Esel angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet ihn los, und bringt ihn her! Und wenn Euch jemand fragt: Warum bindet Ihr ihn los?, dann antwortet: Der Herr braucht ihn.“

Ich sehe die beiden Jünger den Esel holen, und dann schlüpfe ich in die Person dessen, dem der Esel gehört. Was für eine Antwort: „Der Herr braucht ihn.“ Was für ein Herr? Und warum ausgerechnet den jungen Esel, der noch nicht einmal eingeritten ist? Was soll das? Als Besitzer des Esels würde ich mit den beiden zurückgehen und mir ansehen, wer das ist, der so einfach über mein Vieh bestimmt.

Und dann würde ich Zeuge dieses seltsamen Einzugs Jesu in Jerusalem. Die, die zu diesem Herrn gehören, breiten ihre Kleider auf der Straße aus, damit mein Esel mit diesem Herrn über sie reite. Und dann fangen diese Anhänger auch noch an zu schreien. „Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn.“ Und sie loben Gott wegen dieses Herrn und wegen seiner Wundertaten, die sie bei ihm erlebt haben.

Kein Wunder, dass es Widerspruch gibt. Die Pharisäer rufen diesem Herrn zu: „Meister, bring Deine Jünger zu Schweigen.“

Jesus taucht ein

Mit dem Einzug in Jerusalem taucht Jesus ein in das religiöse Zentrum des Judentums, und gleich zu Beginn trifft er auf die, die seine größten Gegner werden, auf die Pharisäer. Noch schreien sie: Bring Deine Jünger zum Schweigen. Bald wird es direkt gegen ihn gehen: „Was er sagt ist unerträglich.“ Die Schlinge um Jesu Hals beginnt sich bereits beim Einzug zuzuziehen.

Jesus taucht mit Leib und Seele ein in das Gerangel um die richtige Auslegung der Religion, in den Streit der Sadduzäer gegen andere, die die Auferstehung glauben. In den Streit um das Kollaborieren mit der jüdischen Besatzungsmacht. In die Frage nach dem Widerstand gegen sie. In die Frage nach der Anerkennung des Kaisers oder der Errichtung eines eigenen Königreichs.

„Wir werden eingetaucht…“

Hilde Domins Gedicht „Bitte“, das die Heilige Woche begleiten und erschließen soll, beginnt mit den Worten „Wir werden eingetaucht und mit den Wassern der Sintflut gewaschen, wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut.“

So ergeht es Jesus in Jerusalem – und so ergeht es Ihnen und mir, wenn wir mit Leib und Seele „eintauchen“, in eine Beziehung, in eine neue Arbeit, im neu gewählten Engagement, sei es in einer Pfarrei, sei es in einem Verein oder in einer Gemeinschaft. Wir tauchen nicht nur auf oder ein, wir werden eingetaucht und mit allen Wassern gewaschen. Sei es die neue Beziehung, die neue Arbeit, das neue Engagement oder die neue Gemeinschaft – es gibt viel Erfrischendes, sonst würden wir nicht eintauchen. Aber es gibt immer auch viel Wasser der Sintflut, in das wir eher eingetaucht werden als dass wir selbst darin eintauchen. Und das Erleben zeigt: Je mehr ich eintauche und mich engagiere, desto mehr werde ich auch von diesen Wassern der Sintflut durchnässt, bis auf die Herzhaut, so sagt es Hilde Domin. Wieder das Angebot der Bereitung des Schauplatzes, vielleicht jetzt eher mit dem inneren Auge: Welche Farbe, welche Form hat das „Wasser der Sintflut“, das ich, das Sie in den Räumen, Orten, Aufgaben, Beziehungen erleben, in die sie ganz eingetaucht sind?

Das gilt auch für die Kirche. Ich hoffe immer noch auf eine Kirche, die ganz eintaucht in das Geschehen der Welt, die keine Berührungsängste hat vor den Wassern der Sintflut, gerade weil sie um das Wasser der Taufe weiß und daraus leben will. In diesem Zusammenhang höre ich Papst Franziskus: „Mir ist eine verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.“ Eine Kirche, die eingetaucht wird und sich eintauchen lässt in die Wasser der Sintflut, wird einiges abbekommen – und das ist gut so!

Besser abtauchen?

Manchmal bietet sich als Möglichkeit an, einfach abzutauchen, vor dem Wasser der Sintflut stiften zu gehen. Vielleicht in der Hoffnung, unsere Herzhaut unversehrt zu lassen, trockenen Fußes das rettende Ufer zu erreichen. Aber so funktioniert Leben nicht. Abtauchen ist keine Lösung. Was während der Sintflut Rettung verhieß, war zum einen die Arche, zum anderen die Hoffnung. Wer von den Wassern der Sintflut bis auf die Herzhaut durchnässt ist, braucht einen Ort, der Halt gibt, braucht Menschen, die stützen, braucht eine Hoffnung, die nach Leben schmeckt. In dieser Heiligen Woche wird das für Jesus der Abendmahlssaal sein, seine Jünger und das Vertrauen auf den himmlischen Vater im Gebet am Ölberg. Das Schicksal Jesu an diesem Abend und am morgigen Karfreitag zeigt aber, dass auch all das von den Wassern der Sintflut weggespült werden kann.

Wenn es dabei bliebe, dann wäre es besser abzutauchen. Das wäre eine Karwoche ohne Ostern. Lassen Sie uns diese Karwoche mit Jesus durchleiden, uns und unser Leben und Erleben wahrnehmen als Menschen, die „eingetaucht und mit den Wassern der Sintflut gewaschen“ sind. Und trauen Sie sich ruhig, dieses Wasser der Sintflut und das durchnässt bis auf die Herzhaut anzunehmen und auszukosten. Sie wissen ja, dass am Ende Ostern, Auferstehung steht.

Amen.

Kiedrich/Rheingau, 14.04.2019
Harald Klein