Eine Kirche mit drei Standbeinen – Zur Instruktion der Kleruskongregation

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Inhalt: Die Gruppe der Weißen Schwestern im Brunohaus der Caritas in Köln-Klettenberg baten darum, am 31.08.2020 einen Einkehrtag in Verbindung mit der Instruktion der Kongregation für den Klerus „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche vom 29.06.2020 zu gestalten. Die Instruktion liefert anfangs einige gesellschaftliche Beobachtungen und Veränderungen. Sie fährt dann vorwiegend mit Anweisungen und deren Erklärung fort. Für einen Einkehrtag war es notwendig, neben diesen Beobachtungen, Anweisungen und Erklärungen auch zu Impulsen für das Nachsinnen und das Gebet zu kommen. Dies Vorbemerkung mag den Aufbau des Vortrages erklären.

Eine Zusammenstellung der wichtigsten Aussagen der Instruktion finden Sie hier.

Einführung

Liebe Schwestern,

Sie haben mich gebeten, über die Ende Juni veröffentlichte Instruktion über die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche einen Einkehrtag zu gestalten. Sie merken schon beim Hinhören, dass es zwischen „Instruktion“ und „Einkehrtag“ keinen ganz einfachen Weg gibt und geben kann. Das Schöne ist: genau hier – in der Spannung zwischen „Instruktion“ und „Einkehr“ (ich will es mal erweitern und „geistliches Leben“ sagen) liegt einer der Gründe und das Problem, warum diese Instruktion bei den einen eine große Welle von Widerspruch und Empörung und bei den andern Zustimmung und Begeisterung ausgelöst hat.

Die Grundvollzüge der Kirche – und deren Leitung durch den Pfarrer

Sie kennen alle die vier Grundvollzüge der Kirche, auch „vierfacher Auftrag“ genannt. Es geht um Liturgia, Martyria, Diakonia und Koinonia[1]. „Liturgia“ meint den gefeierten Glauben; vor allem in der Feier der Eucharistie, aber auch in jedem anderen Gottesdienst antworten wir auf die liebevolle Zuwendung Gottes in Jesus Christus durch Lob und Dank. „Martyria“ meint die Verkündigung des Evangeliums, die durch die Kirche und darin durch die Glaubenden geschieht, vor allem dann, wenn sie – z.B. als Katechet*innen – von ihrem Glauben Zeugnis ablegen; unter „Diakonia“ wird die praktizierte Nächstenliebe als Vollzug der Kirche verstanden, wie sie Jesus verstanden und in seinen Gleichnissen beschrieben hat; und „Koinonia“ schließlich bezeichnet die Gemeinschaft durch Teilhabe, weil Gott in der Gemeinschaft der Glaubenden, die das Leben miteinander teilen, gegenwärtig ist.

Das erklärte Ziel der Instruktion ist es (lt. des Titels der Instruktion), dass die „Pfarrgemeinden“ – schon hier im Titel eine begriffliche Uneindeutigkeit – angestoßen werden, pastoral umzukehren; dies geschieht in der Anerkennung der Tatsache, dass (lokal, örtlich) die Pfarrei nicht mehr der vorrangige Versammlungs- und Begegnungsort ist (Nr. 3) und dass das (lebensweltlich-) existentielle Territorium (Nr.4) , in dem Menschen leben, ebenfalls den Raum der Pfarrei übersteigen. Missionarische Pastoral muss über die Grenzen der Pfarrei hinausschauen. Pastorale Umkehr geschieht aber auch im Versuch, im Wissen um die eigenen Traditionen sich mit vielfältigen anderen Kulturformen zu vereinen (Nr. 4). Gewohnheiten, Stile, Zeitpläne, Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur soll ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung als der Selbstbewahrung dient. All das finden Sie auch in der Instruktion.

Ich schlage vor, an dieser Stelle „Evangelisierung“ als dialogische, d.h. zweiseitige Verlebendigung und Vergegenwärtigung der vier Grundvollzüge Liturgia, Martyria, Diakonia und Koinonia zu verstehen.

Einige wesentliche Aussagen der Instruktion

Einige Begriffe und deren Bedeutungen sind wichtig, und weil sie in der Instruktion nicht einheitlich gebraucht werden, was zur Uneindeutigkeit führt. Die „Pfarrei“ ist eine verwaltungstechnische und staatskirchenrechtliche Größe, deren Grenzen nicht so einfach verschiebbar, erweiterbar oder aufzulösen sind, weil auch ein staatliches und ein Staatskirchenrecht diese Größe kennt. Die „Gemeinde“ ist eine personale Größe, sie ist aus Menschen gebildet, die ihr „Kirche sein“ in einer der Grundvollzüge – im althergebrachten auf dem Boden ihrer eigenen Pfarrei – miteinander leben. Innerhalb des Raumes der Pfarrei sollen alle Grundvollzüge von Kirche lebendig sein; die Menschen in den Gemeinden nehmen aber oft nur den eine oder den anderen der Grundvollzüge mit oder leben darin. Die Instruktion baut auf einem Bild der „Gemeinschaft von Gemeinschaften“ auf; die Pfarrei soll inklusiv, missionarisch und auf die Armen bedacht sein (vgl. Nr.27-33) [2].

Wenn bisher von der „Pfarrei“ die Rede war, wird jetzt Bezug genommen auf Pfarreizusammenschlüsse (Nr. 46-51). Dekanate, pastorale Einheiten („Seelsorgeeinheiten“) und „pastorale Zonen“ („Bezirke“) und das Procedere ihrer Einrichtung werden in der Instruktion vorgestellt. Für all dies gilt: „Wegen ihres Hirtendienstes sind der Pfarrer und die anderen Priester zusammen mit dem Bischof an erster Stelle der grundlegende Bezugspunkt für die Pfarrgemeinde. Der Pfarrer und die Priester pflegen en Austausch und die priesterliche Brüderlichkeit und feiern die Sakramente für die Gemeinde und zusammen mit ihr. Ihre Aufgabe besteht darin, die Pfarrei so zu leiten, dass sie ein überzeugendes Zeichen christlicher Gemeinschaft ist.“ (Nr. 62 – unter Bezugnahme auf LG 26). Die Rolle des Pfarrers wird in Nr. 66-73 verdeutlicht. Sein Amt dient der umfassenden Seelsorge, es kann es weder auf einen Ungeweihten noch auf eine Gruppe aus Klerikern und Nicht-Klerikern übertragen werden. „Wer sie (i.e. die Priesterweihe, H.K.) nicht hat, kann, auch nicht im Falle des Priestermangels, weder den Titel noch die entsprechende Funktion haben“ (Nr. 66). Der Pfarrer vertritt die Pfarrei (!) in allen Rechtsgeschäften (Nr. 67). Es gibt die Möglichkeit der Solidarischen Übertragung der Leitung an mehrere Priester nach can 517 § 2. Die Rolle der Pfarrvikare, der Diakone, der Gottgeweihten werden in Nr. 78-84 beschrieben.

Eine einzige Ziffer – Nr. 85 -geht auf die Laien ein, die „kraft Taufe und der anderen Sakramente der christlichen Initiation und in vielen Fällen auch kraft des Ehesakramentes am missionarischen Handeln der Kirche teilhaben, weil ‚die besondere Berufung und die besondere Sendung der Laien die Umwandlung der verschiedenen weltlichen Bereiche ist, damit alles menschliche Tun vom Evangelium verwandelt wird‘.“ (Nr. 85unter Bezug auf EG 201). Sie können berufen werden oder sich berufen fühlen an der Mitarbeit mit ihren Hirten im Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft, für ihr Wachstum und ihr volles Leben.

Für von Laien übernommene Dienste sollen Beauftragungen ausgesprochen werden. Mitarbeitende sollen nicht Titel wie „Pfarrer“, „Ko-Pfarrer“, „Pastor“, „Kaplan“, „Moderator“, „Pfarrverantwortlicher“ bekommen – das könnte der Hirtenpflicht des Pfarrers entgegenstehen (Nr. 96).

Auch der Pastoralrat der einzelnen Pfarrei oder des Zusammenschlusses soll sich als beratendes Gremium verstehen. Bezeichnungen wie „Team“ oder „Equipe“ sollen vermieden werden, da sie ihn als Leitungsgremium erscheinen lassen könnten (Nr. 111).

Ein alternatives Modell von „Kirche sein“: Religion – Frömmigkeit – Spiritualität

Auf dem Hintergrund der vier Grundvollzüge der Kirche ist es kaum verstehbar, dass diese Instruktion auf der einen Seite einen solchen Widerspruch erfahren hat und auf der anderen Seite sehr begrüßt wurde. Es steht nichts darin, was nicht spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil oder dem Pontifikat von Papst Benedikt XVI. gesagt, geschrieben gelehrt wurde. Der Widerspruch kann nicht am Inhalt allein oder im Blick auf die Grundvollzüge wurzeln.

Ich schlage Ihnen vor, „Kirche sein“ einmal anders aufzuteilen, im Bild eines Hockers mit drei Beinen.[3] Stellen Sie sich drei Beine eines Hockers vor. Das erste Bein gehört der „Religion“. Hier siedele ich den Glauben an, der geglaubt wird, den Glaubensinhalt („fides quae creditur“). Bei diesem Bein finden Sie den Katechismus als das Buch, das den Inhalt des christlichen Glaubens beschreibt, Sie finden die Glaubensbekenntnisse und all das, was seitens der Glaubenslehrer verstoßen und abgelehnt ist. – Unter dem zweiten Bein finden Sie die „Frömmigkeit“. Hier siedele ich den Glauben an, mit dem geglaubt wird („fides qua creditur“). Aus dem „fides quae…“ ist dieses „fides qua …“ erwachsen: Formen der Frömmigkeit, des Gebetes, die Weisen der Sakramentenspendung, die Weisen des Gebets und der Inhalt der Gebete, aber auch die Formen der Caritas, der Nächstenliebe, der Sorge um die Armen und die Kranken, der ganze Reichtum an Formen also, wie sich der zu glaubende Glaube Ausdruck verschafft. Für unsere Überlegungen ist es wichtig zu sehen, dass das zweite Bein dem ersten Bein nachgefolgt ist. In dieser Ecke finden Sie unser Gotteslob – als Anleitung und Erklärung der vor allem liturgischen Gebete,- und Gesänge, und Sie finden hier alles, was mit dem Ausdruck des Glaubens zu tun hat. – Beim dritten Bein sammelt sich die „Spiritualität“. Damit meine ich eine Haltung, einen Geist, der erstens „federführend“ oder „wegweisend“ für mein alltägliches Leben ist. Ich spreche von einem Geist, der zweitens dialogisch ist, im Sinne von auskunftsfähig dann, wenn ich danach gefragt werde, aber auch im Sinne von Antworten findend und gebend, wenn ungeplante Umstände und Geschehnisse von außen mich angehen. Drittens ist dieser Geist, ist Spiritualität ausgerichtet auf ein „Mehr“, auf ein Wachstum an Menschlichkeit, in der Weise, dass diese Spiritualität mich mehr liebes- und mehr leidensfähiger macht. Und – wir bewegen uns im Raum der Kirche – sie ist viertens christliche Spiritualität, indem sie an Jesus Christus Maß nimmt. Hier finden Sie als Buch die Bibel, insofern es um christliche Spiritualität geht, aber auch eine Menge anderer spiritueller Schriften, die eine Anleitung für ein geistgewirktes Leben geben.

Zu vermuten (und noch zu belegen) ist, dass in der Zeit der Moderne dieser Hocker und seine drei Beine gut verbunden war. Die Vertreter des Glaubens, der geglaubt wurde, gaben die Formen und auch die Inhalte der (in unseren Breiten natürlich christlichen) Frömmigkeit vor, die „praktiziert“ wurden; Spiritualität ging einher mit den häuslichen Frömmigkeitsformen, die ebenso seitens der Religionsvertreter angeleitet und gelehrt wurde. Noch 1988 las der Pfarrer einer großen Diasporagemeinde in Mecklenburg-Vorpommern die Bestimmungen für die Österliche Bußzeit aus dem Direktorium als Predigt zum Aschermittwoch vor. Hier haben Sie Religion, Frömmigkeit und Spiritualität – im damaligen Sinne – gut beieinander und miteinander verbunden.

Es ist ein Kennzeichen der Postmoderne, die Verbindung der drei Eckpunkte zum großen Teil zerbrochen und aufgehoben ist, i.S.v. für die eigene Person ungültig gemacht, für die eigene Person auf eine höhere Stufe gehoben, für die eigene Person bewahrt.

Wenn zu Beginn die Instruktion einige Veränderungen im Blick auf die Pfarrei beschreibt, darf der epochale Wandel von der Moderne zur Postmoderne nicht übersehen werden. Hierzu gäbe es vieles zu sagen, gerade im Blick auf das Selbst- und Fremdbild der Kirche. Ein Zitat mag genügen: „Zur Moderne gehört der Zugriff, zur Postmoderne das Geschehen. Die Blickrichtung ändert sich. Sie verläuft nicht mehr vom Menschen auf die Dinge, sondern von den Dingen, von der Welt auf den Menschen.“[4] Nehmen Sie das Beispiel vom Aschermittwoch in Mecklenburg-Vorpommern: Der Pfarrer hat einen „Zugriff“ auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gottesdienstes und sagt ihnen, wie sich ihre Frömmigkeit in der Fastenzeit zu gestalten habe, der Verzicht wird als bzw. aus der Spiritualität der Katholiken gedeutet. Der Schritt von Moderne zu Postmoderne vollzieht sich schon allein durch die Frage nach dem „Warum?“, die an die verschiedenen Formen der „Zugriffe“ gestellt wird, und aus dem Erleben anderer Menschen, die ihr Leben eben „anders“ gestalten. M.a.W.: Die Blickrichtung ändert sich: Das „Top-Down“ in den drei Beinen oder den vier Grundvollzügen der Kirche verändert sich in ein „Bottom-Up“. Diese auch für da Leben der Kirche und in der Kirche fundamentalen und tiefgreifenden Veränderung findet in der Instruktion keinen Raum!

Einige Thesen zur Instruktion und zum Umgang mit ihr

Einige abschließende Thesen möchte ich Ihnen anbieten, sei es für das Gespräch hier, sei es für die eigene stille Betrachtung oder für die eigene Weiterarbeit:

Erste These: Im Bild vom „dreibeinigen Hocker“ Religion – Frömmigkeit – Spiritualität „wohnt“ die Instruktion klar auf der Ecke „Religion“. Es geht um das „fides quae creditur“, um den Glaubensinhalt, wie er sich dogmen- und theologiegeschichtlich entwickelt hat. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass besonders diejenigen deutschen Bischöfe, deren Hauptaugenmerk der „Absicherung der katholischen Lehre“ gilt, diese Instruktion begrüßen.

Zweite These: Unter den Kennzeichen der Postmoderne wird der „dreibeinige Hocker“ in Frage gestellt. Die drei „Beine“ haben sich zu drei „Lagern“ entwickelt, die nicht notwendig miteinander verbunden sind. Umfragen ergeben, dass „Kirche“ (d.i. „Religion“ und vorgegebene formen und Erwartungen der „Frömmigkeit“) nicht gebraucht wird, um Glauben zu leben.[5] Die Einstellung zum Glauben (eher „Religion“, eher „Frömmigkeit“, eher „Spiritualität“) entscheidet über die Kirchenmitgliedschaft.

Dritte These: Weil diese drei „Beine“ in der Wahrnehmung sowohl der in der „Frömmigkeit“ und noch stärker der in der „Spiritualität“ Beheimateten ihre Zusammengehörigkeit verloren haben, werden sich zwei Gruppen mit der Instruktion beschäftigen: Die in der „Religion“ Beheimateten, die sich bestärkt fühlen, und diejenigen, die sich für eine Zusammenführung der drei „Beine“ einsetzen. Für die (vermutete) Majorität der Katholiken und der Christen, die die Kirche bereits verlassen haben, spielt die Instruktion keine Rolle.

Vierte These: Für Menschen, die in der Postmoderne beheimatet sind und von hier aus sich den drei „Beinen“ – Religion, Frömmigkeit, Spiritualität – im ihnen gemäßen Maß nähern, ist der Inhalt der Instruktion nicht nachzuvollziehen, da Lebens- und Arbeitsformen mit einer Top-Down-Strategie der Moderne und ihren Arbeitsformen bzw. Lebenswelten angehören. In der Weise, wie Vertreter der Kirche diese Strategie weiterbedienen, wird der Auszug der Menschen der Postmoderne aus der Kirche wachsen.[6]

Fünfte These: Es ist nicht der Inhalt der Instruktion, sondern der Zeitpunkt ihres Erscheinens, der Anlass zur Verärgerung gibt. Seit Advent 2019 tagt die Synodalversammlung „Der Synodale Weg“ mit vier Foren: (1) Forum „Macht und Gewaltenteilung“ – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag; (2) Forum „Leben in gelingenden Beziehungen“ – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft; (3) Forum „Priesterliche Existenz heute“; (4) Forum „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“. Das Erscheinen der Instruktion erfolgte am 29.06.2020. Auf den Tag genau ein Jahr vorher, am 29.06.2019, veröffentlichte der Vatikan ein Schreiben von Papst Franziskus an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“. Man darf beide Schreiben, jeweils veröffentlich am Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus, im Zusammenhang sehen. Wieder gilt: für die in der „Religion“ Beheimateten sind sie Bestärkung, für die in der „Frömmigkeit“ und noch mehr für die in der „Spiritualität“ Beheimateten können beide Veröffentlichungen eher als Ab- denn als Ermahnung verstanden werden.

Sechste These: Die Betonung des mitbrüderlichen Umgangs, der Unterstützung und der Koordination von Aufgaben im Pfarrer- und Klerikerkreis orientiert sich an einem Standesdenken des Hochmittelalters bzw. (im Empfinden der Moderne) an einem zwischenmenschlich überhöhten Bewerten eines Kreises von „für die umfassende Seelsorge“ Zuständigen. Sowohl ein Standesdenken als auch ein Überlassen der Verantwortung an einen Kreis der geweihten Priester wird weder verstanden noch mitgetragen. Postmodern gesehen bestimmt das Geschehen auch die Frage nach Zugehörigkeit, nach Gesellung des Pfarrers und die Möglichkeiten der Teilung von Verantwortung.

Siebte These: Entscheidend an der Bewertung der Instruktion ist auch, was nicht gesagt wird. In der Instruktion ist oft vom Pfarrer, vom Pfarradministrator, vom Pfarrvikar, von den Diakonen, von den Gottgeweihten und von den Laien (in wenigstens einer Nummer!) die Rede. Quantitativ gefragt: von wie vielen Pfarrern, Administratoren, Vikaren, Diakonen und gottgeweihten Ordensleuten geht die Instruktion denn aus? Qualitativ gefragt: Welche Formen von Seelsorge, Evangelisierung, Missionarischem Kirchesein geschieht durch Männer und Frauen in den Pfarreien, besser: in den Gemeinden? Und ist eine Pfarrliche Beauftragung ein wirklich geeignetes Instrument, um zwischen allgemeinem und besonderem Priestertum unterscheiden zu können (vgl. Nr. 96) – oder dient sie eher der Kontrolle, dem Zugriff, die ja beide Kennzeichen einer vergangenen Epoche sind?

 

Fazit: Mit den Aussagen der Instruktion einen Einkehrtag gestalten?

Wir haben gleich im Anschluss die Möglichkeit des Austauschs. Dem schließt sich eine Stille Zeit bis zur Messe an. Für den Austausch können wir gerne über Ihre Eindrücke ins Gespräch kommen. Es ist auch Raum für Fragen.

Für die Stille Zeit schlage ich Ihnen vor, nicht so sehr den Inhalten der Instruktion nachzugehen, sondern das Bild des dreibeinigen Hockers mit in die Stille zu nehmen. Für ein Priesterleben wie auch für ein Ordensleben möchte ich davon ausgehen, dass wir uns mühen, die drei Beine beieinander zu halten, sodass dieser Hocker, dieser Glaube mit seinen drei Standbeinen uns tragen kann.

Als Schriftwort gebe ich Ihnen gerne Joh 6,60-71 mit. Wenn es für Sie hilfreich ist, schauen Sie einmal, ob und wie Sie das Geschehen um und mit der Instruktion, aber auch das Auseinanderdriften der drei „Beine“ in diesem Evangelium wiederfinden. Auch die Frage, wie Sie diese drei „Beine“ in Ihrem Glauben erleben und leben, ist spannend. Sind noch alle drei da? Wackelt der Hocker, weil eines zu kurz kommt? Hat sich eines, haben sich zwei Beine als Krücken, besser: als Stützen für und Gehhilfen in Ihrem Glauben herausgestellt, weil Sie sich vom dritten Bein abgewendet haben?

 

Köln, 30.08.2020
Harald Klein

Anhang: Joh 6,60-71 (Die Spaltung unter den Jüngern)

Viele seiner Jünger, die ihm zuhörten, sagten: Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören? Jesus erkannte, dass seine Jünger darüber murrten, und fragte sie: Daran nehmt ihr Anstoß? Was werdet ihr sagen, wenn ihr den Menschensohn aufsteigen seht, dorthin, wo er vorher war? Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben. Aber es gibt unter euch einige, die nicht glauben. Jesus wusste nämlich von Anfang an, welche es waren, die nicht glaubten, und wer ihn ausliefern würde. Und er sagte: Deshalb habe ich zu euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist. Daraufhin zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm umher. Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes.  Jesus erwiderte: Habe ich nicht euch, die Zwölf, erwählt? Und doch ist einer von euch ein Teufel. Er sprach von Judas, dem Sohn des Simon Iskariot; denn dieser sollte ihn ausliefern: einer der Zwölf.

 

[1] In der Darstellung der Grundvollzüge beziehe ich mich auf Erklärung auf der Homepage des Bistums Osnabrück vgl. [online] https://bistum-osnabrueck.de/grundvollzug/ [29.08.2020]

[2] Die Angaben „Nr. 3“ etc. entsprechen den nummerierten Abschnitten der Instruktion vgl. [online] https://dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2020/2020-07-20_Instruktion-Die-pastorale-Umkehr-der-Pfarrgemeinde.pdf]29.08.2020]

[3] Im Folgenden beziehe ich mich auf Schütz, Christian (1988): Christliche Spiritualität, in: ders. (Hrsg): Praktisches Lexikon der Spiritualität, Freiburg, 1170-1180.

[4] Bundschuh-Schramm, Christiane (2020): Der Gott von gestern, in: Publik Forum 13/2020, 30.

[5] Vgl. [online] https://www.katholisch.de/artikel/23502-umfrage-zwei-drittel-brauchen-kirche-nicht-um-glauben-zu-leben [30.08.2020]

[6] In Jahr 2019 sind so viele Christen wie in keinem anderen Jahr zuvor aus der Kirche ausgetreten. Die beiden Hauptgründe dafür sind, so eine Studie des Bistums Essen, fehlende Bindung an die Kirche und die Ablehnung der vorgegebenen Glaubensinhalte (vgl. [online] https://www.katholisch.de/artikel/12456-ruhrbistum-fragt-ausgetretene-nach-ihren-gruenden [30.08.2020])