Die Verklärung Jesu
Nach der „Wüstenerfahrung“ der Versuchung – Sie erinnern das Evangelium des letzten Sonntags – folgt heute ein „Gipfelerlebnis“ Jesu, das Evangelium von Jesu Verklärung. „Versuchung“, so habe ich es versucht zu deuten, ist alles, von dem ich mir mehr Leben und Lebendigkeit erhoffe, ist alles, was ich mir ausmale in meiner Fantasie und oft genug dann auch ausprobiere, häufig das „respice finem“ außer Acht lassend: Sie kennen es hoffentlich, das lateinische Sprichwort „quidquid agis, prudenter agas et respice finem“ – „was auch immer Du tust, tue es klug und bedenke das Ende.“ In der Versuchung nehme ich nur mich als Gegenüber der Betrachtung. Auf diesem Hintergrund schlage ich Ihnen vor, „Versuchung“ mit „Sehnsucht“ in eins zu sehen, so, dass Sie sich – „vom Ende her“ denkend – klar werden können, welcher Versuchung, pardon: Sehnsucht Sie nachgeben und nachgehen wollen.
„Verklärung“ setzt „Versuchung“ voraus! Um klar zu sein, muss ich mir über mich selbst erst einmal klar werden. Und erst dann kann gelingen, was Eugen Drewermann als Überschrift über seinen Kommentar zur Verklärung Jesu setzt: „Die Verklärung Jesu oder: Vom Glück zu wissen, wer man ist.“[1]
Verklärung: Betend den/die finden, der/die ich bin
Das Evangelium des letzten Sonntags zeigt Jesus, der in die Wüste geht, um zu fasten – heute heißt es, er stieg auf einen Berg, um zu beten. Ein gutes Bild für „Fasten“: Mir klar werden, wer ich bin, geht nur in der Haltung eines inneren Hungers, geht nur alleine, geht nur in der Auseinandersetzung mit dem, was zum einen den Beigeschmack des „Dämonischen“, zum anderen aber den Beigeschmack des „Lebens“ und der „Lebendigkeit“ für mich aufzeigt.
Diesen zweiten Beigeschmack kann Jesus gut mit Petrus, Jakobus und Johannes teilen – davor allerdings steht aber das Gebet, steht das Sich-ausrichten auf Gott oder auf das/des, das/der für mich „Gott ist“. Sören Kierkegaard spricht davon, dass hier Endlichkeit und Unendlichkeit, die sich zu mir selbst verhält, zu einer Synthese kommen, deren Aufgabe die Selbstwerdung ist.[2] Selbstwerdung – zu wissen, wer man ist – setzt mehr das Aufmerksam-werden auf mich selbst als das Aufmerksam-machen Gottes voraus. Das wäre doch ein erster Impuls für den heutigen Sonntag, oder?
Aus der östlichen Gebetspraxis lässt sich ein guter Tipp entnehmen, wenn es um die Frage geht, wer man denn sei. Drewermann fasst das so zusammen:
„An Stellen, wo wir nicht mehr weiterwissen, soll Gott uns sagen, wie es weitergeht; in Situationen, da für uns nichts mehr zu machen ist, soll Gott zu unseren Gunsten etwas machen. Gebet als Mittel, die Gottheit mit unseren Bedürfnissen zu konfrontieren und unsere eigenen Interessen auszudehnen bis zum Himmel – wenn es so steht, ist Beten nur ein erster Akt, auf sich selbst aufmerksam zu machen; weit wichtiger indessen ist es, im Gebet auf sich selbst aufmerksam zu werden.“[3]
Der Tabor ist – ebenso wie Gethsemane – nicht der Ort, an dem Jesus Gott auf sich aufmerksam machen will; es ist der Ort, wo Jesus auf sich selbst aufmerksam wird!“ Wie in der Taufe am Jordan wird Jesus sich am Tabor sicher, wer er ist und wohin sein Weg geht. Da taucht Mose auf, der für die Einhaltung des Gesetzes steht, da taucht Elija auf, der für den Kampf gegen die fremden Götter steht – aber einzig Jesus „strahlt“, steht in strahlendem Licht – eben im „Glück, zu wissen, wer man ist“. Vielleicht würde man heute von einer charismatischen Persönlichkeit reden, oder von einem Menschen, der ganz in sich ruht, der sich und das Seine gefunden hat.
Vom Glück zu wissen, wer man ist
Ein Zweites: Wenn ich ins eigene Leben schaue und mich bei anderen umsehe, ist es manchmal eher eine Zumutungals ein Glück, zu wissen, wer ich bin, wer Du bist. Wieder ist es die östliche Gebets-, eher die Meditationspraxis, die hier Abhilfe leistet. Die sog. Metta-Meditation, die Meditation über die Liebende Güte hat ein Gebetsmantra, das der Lehrrede des Buddha zur Liebenden Güte entnommen ist. Darin heißt es: „Mögen alle Wesen glücklich sein und Frieden finden.“[4] Verklärung kann heißen, glücklich zu sein, nicht auf das „Glück haben“ zu setzen – das ist immer und immer von äußeren Umständen abhängig, Das „glücklich sein“ ist einzuüben. Es geht um Haltung, nicht um Besitz. Das „Glück haben“ und halten – dafür stehen die drei Hütten, die Petrus bauen will, dafür steht der „Platz an der Sonne“. Das glücklich sein einüben – dafür steht das strahlende Licht, in dem Jesus steht, und das in der Begegnung mit anderen auch dann, wenn er vom Berg hinabgestiegen ist, auf irgendeine Weise sichtbar, spürbar gewesen sein mag. Vielleicht hat es mit der „Annahme“ des Wortes aus dem Himmel zu tun, die Jesus und die denen gilt, die in seiner Spur gehen: „Du bist mein auserwähltes Kind“. Da habe ich ein unwiderrufliches Glück, die Frage ist, ob ich glücklich bin darüber – und das wäre der zweite Impuls für diesen Sonntag.
Betend sich klar werden, wer ich bin, wer Sie sind. Indem ich vor Gott auf mich aufmerksam werde – und eine Entscheidung zum Glücklichsein (anstatt zum Glück haben wollen) treffen, sic einsetzten für das Glück aller Wesen: Das ist ein volles Programm, das ist das Programm Jesu.
Amen.
Köln 12.03.2022
Harald Klein
[1] Vgl. Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 667-679.
[2] zitiert in a.a.O., 645.
[3] a.a.O., 646.
[4] Vgl. Khema, Ayya (2014): Nicht so viel denken, mehr lieben. Buddha und Jesus im Dialog, 4. Aufl., Uttenbühl, 11.