14. Sonntag im Jahreskreis – „Geht!“

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Bleiben geht nur, indem du gehst

Manchmal klingt das Evangelium unverständlich, wenn nicht sogar paradox. Heute beginnt es mit den Worten „In jener Zeit suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte sie zu zweit vor sich her in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte“ (Lk 10,1). Von einem Kennenlernen, einem Mitgehen auf Probe oder einem „Jünger-Praktikum“ ist da kein Wort zu lesen. Jesus sucht sich zweiundsiebzig Menschen aus, ruft sie in die Gemeinschaft mit ihm, nur, um sie zu zweit auszusenden in die Orte, in die er selbst gehen will. Im Klartext heißt das: Du kannst bei Jesus bleiben, an ihm dran bleiben nur, wenn du gehst, dorthin, wohin sein Augenmerk schon lange gefallen ist.

Ich nenne diese von Jesus initiierte Bewegung gerne „Bleiben im Gehen“.

» Man muss die Segel in den unendlichen Wind stellen, dann erst werden wir spüren, welcher Fahrt wir fähig sind. «
Delp, Alfred (1984): Das Gesetz der Freiheit. Epiphanias 1945, in: Bleistein, Roman (Hrsg.): Alfred Delp. Gesammelte Schriften, Bd.4: Aus dem Gefängnis, Frankfurt/Main, 218.

Bleiben geht nur, indem du gehst – in deinem eigenen Wachstum

Für dieses „Bleiben im Gehen“ gibt es bei genauerem Hinsehen manche Parallelen, besonders auf deinem Weg, mehr Mensch zu werden, zu wachsen in Deinem Menschsein.

Da gibt es alte Muster, Beziehungen, Umgebungen, die lange gut und gültig waren, jetzt aber hinderlich erscheinen. Du musst sie hinter dir lassen, um zu wachsen und zu werden, um dich entwickeln zu können. Um dir treu zu bleiben, musst du dich von ihnen verabschieden.

Da gibt es deine Authentizität, eine Gestalt, die dein Leben ausmachte und in der viele dich kennen – und jetzt vielleicht nicht mehr passt, weil sich vieles und viele um dich herum verändert haben. Selbstreflexion ist der Weg der Überprüfungdeiner eigenen Authentizität. Es kann sein, dass du anders werden, erscheinen, denken und reden musst, um eben nicht ein anderer zu werden, sondern um du selbst zu bleiben – allerdings in der jetzt geltenden Art und Weise. Es macht jetzt deine Authentizität aus, dass du Altes verlässt und Neues gründest. Jetzt du selbst bleiben geht nur, indem du das frühere Du verlässt.

Da gibt es die unglaublichen Veränderungen um dich herum, im Kleinen wie im Großen. Manche betreffen nur dich, manche deine Familie, deine Generation oder deine Stadt, manche haben globale Ausmaße. Veränderungen gehören als Konstante zum Leben – es ist sinnlos, gegen die Wellen der Veränderungen anzuschwimmen. Das „Geht!“ hat hier den Geschmack von Lernen, auf den Wellen der Veränderungen zu surfen. Die Fähigkeit, sich von den Veränderungen rufen und locken zu lassen, mit ihnen mitzugehen, wird zum Zeichen der Beständigkeit, des Bleibens in diesem Leben.

» Lasst uns dem Leben trauen, weil diese Nacht das Licht bringen muss. Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht alleine zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt. «
Delp, Alfred (1984): Vigil vor Weihnachten, in: Bleistein, Roman (Hrsg.): Alfred Delp. Gesammelte Schriften, Bd.4: Aus dem Gefängnis, Frankfurt/Main, 195.

Gehen – in der Sendung Jesu

Riten, Gebräuche, Gewachsenes und Gewordenes geben dir Halt, dienen dir zur Orientierung, sind so oft fester Bestandteil deines Lebens, das ein Hinterfragen schon den Beigeschmack des Verrats haben kann. Riten, Gebräuche, Gewachsenes und Gewordenes haben aber die Tendenz des Bleibens, wenn sich rings um sie herum alles bewegt. Dich an ihnen festzuhalten, wird bei der wachsenden Strömung der Wellen der Veränderungen immer schwerer. Zum einen brauchst du immer mehr Kraft, um dich festzuhalten, zum anderen lassen viele Gefährtinnen und Gefährten los. Aber Achtung: was wie „von der Strömung fortgerissen“ aussieht, kann auch schlicht deren „Surfen auf den Wellen der Veränderung“ sein.

Das lange Evangelium dieses Sonntags beschreibt dieses „Surfen auf den Wellen der Veränderung“ vielfach. Wie „Schafe unter die Wölfe“ werden die Zweiundsiebzig von Jesus gesendet; minimalistisch, ohne Geldbeutel, Vorratstasche und Schuhe sollen sie gehen; den Häusern und den Familien sollen sie den Frieden wünschen; bleiben sollen sie, wo man sie aufnimmt, gehen sollen sie, wo man ihnen die Aufnahme verwehrt. Den Kranken sollen sie heilend begegnen, und vor allem: verkünden sollen sie, dass das Reich Gottes nahe ist!

» Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll.
Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen.
Wir aber sind oft blind.
Wir bleiben in den schönen und bösen Stunden hängen
und erleben sie nicht durch
bis an den Brunnenpunkt,
an dem sie aus Gott herausströmen.
Das gilt für alles Schöne
und auch für das Elend.
In allem will Gott Begegnung feiern
und fragt und will die
anbetende, hingebende Antwort.
Die Kunst und der Auftrag ist nur dieser, aus diesen Einsichten und Gnaden
dauerndes Bewusstsein und dauernde Haltung zu machen und werden zu lassen.
Dann wird das Leben frei in der Freiheit,
die wir immer gesucht haben. «
P. Alfred Delp SJ, am 17. November 1944 auf einen Kassiber von Alfred Delp mit gefesselten Händen geschrieben aus seiner Zelle im Gefängnis Berlin-Tegel)

Gehen – deinem Ziel entgegen

Es ist deine Entscheidung, festzuhalten oder loszulassen, zu bleiben oder zu gehen. Festhalten und bleiben nennt die buddhistische Ethik „Anhaftung“, du bleibts kleben wie die Fliege am Leim. Es ist hilfreich, in der Meditation diese Anhaftung zu betrachten und zu schmecken. Vielleicht kann in der Meditation dann auch die Bereitschaft zum Loslassen und zum Gehen, zum Aufbrechen wachsen.

Fest steht, dass Entwicklung, Wachstum, Werden nur geschieht, wenn du gehst. Das Wohin ist ungewiss, dass Wieebenso, und erst recht das mit wem. Klar ist aber in christlicher Perspektive die Richtung. Bei Jesus heißt es: „Das Reich Gottes ist nahe!“ Dahin weiß ich mich gesendet – und weiß ich dich gesendet. Und in diese Richtung können wir immer wieder aufbrechen, gemeinsam und jeder für sich. Du kannst weder das Reich Gottes festhalten, noch kannst du dich andauernd am Reich Gottes selbst festhalten. Denn es „geht“, es entzieht sich dir und mir. Und wir können nur drauf zu gehen. Geht doch, oder?

So viel für heute, und für die Woche.

Köln, 04.07.2025
Harald Klein