Der Tun-Ergehens- Zusammenhang
Immer dann, wenn die religiöse, die fromme und erst recht die spirituelle Sprache sich in „Kausalitäten“ verrennt, in Vermutungen, wie und warum etwas „religiös“ zu begründen sei, gibt sie ihr Eigenstes auf und verrät Religion (Lehre), Frömmigkeit (religiöse Praxis) und Spiritualität (den Geist, aus dem heraus das eigene Leben gestaltet sein soll) und greift zu oft willkürlichen Begründungsmustern.
Da kommen Menschen zu Jesus und erzählen, Pilatus habe das Blut einiger Galiläer mit dem Blut der Opfertiere vermischt. Jesus antwortet: Meint ihr, dass diese Galiläer größere Sünder waren als alle anderen Galiläer, weil das mit ihnen geschehen ist?“ Und das Gleiche gilt für achtzehn Menschen, die bei einem Einsturz des Turms am Teich Schiloach erschlagen wurden. Jesus dazu: „Meint ihr, dass sie größere Schuld auf sich geladen hatten als alle anderen Einwohner von Jerusalem?“
In beiden Anfragen, zweimal im Text identisch vorgetragen, hängt Jesus das – vermeintlich „religiöse“ – Wort von der Umkehr an: „Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle genauso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt.“
Die einen Opfer der Gewalt eines Herrschers, die anderen Opfer eines Unfalls – ihr, sagt Jesus, und er meint dich und mich mit, ihr werdet genauso umkommen können, lebt genauso gefährdet – euer Tun und Lassen ist egal, aber merkt euch: es gibt ihn nicht, diesen Tun-Ergehens-Zusammenhang. Nur: die Bereitschaft umzukehren, die müsst ihr haben, und Wege zur Umkehr müsst ihr finden.
Wege zur Umkehr suchen, finden, gehen – das ist zentraler Inhalt der Verkündigung Jesu!
wenn wir Veränderungen aufhalten. «
Umkehr – einfach, kompliziert, komplex
Umkehren kannst du nur von dem Ort, an dem bzw. aus der Haltung heraus, in der du verharrst, an dem bzw. in der du festhältst, klammerst, nicht loslässt. Umkehr setzt Loslassen auf allen Ebenen voraus, zielt auf Perspektivwechsel, oft genug sogar auf Neuanfang. Der alte Satz aus Monopoly „Gehe nicht über Los, ziehe nicht 4000 Mark ein“ drückt aus, dass Umkehr eher aus Mangel, denn aus Gewinn motiviert wird. „Etwas/jemand lassen“ ist zunächst wichtiger als „etwas/jemand gewinnen“.
Diese abstrakte Bestimmung wird verständlicher, wenn du es aufdröselst! Ich unterscheide drei Weisen der Umkehr, die „einfache“, die „komplizierte“ und die „komplexe Umkehr“.
Es gibt eine „einfache Umkehr“, in der der Zusammenhang zwischen Umkehr und Loslassen nahezu zentral ist. Hier gilt Kausalität, hier gelten „Wenn – Dann – Sätze“. Wenn ich gesünder leben will, dann baue ich Bewegung und gesunde Ernährung in meinen Alltag. Dir fallen schnell eine solcher Vorsätze (und deine Geschichte mit ihnen) dazu ein, oder?
Es gibt eine „komplizierte Umkehr“, die schlichtweg mehrere Kategorien oder „Player“ in den Blick nimmt und abwägt. Wenn ich in diesem Job bleibe, dann schadet es meiner Gesundheit, physisch wie psychisch, aber die Finanzierung der Ausbildungssituation meiner Kinder lässt kaum eine andere Möglichkeit zu; und in meinem Alter einen neuen Job finden, wer weiß?“
Und es gibt die „komplexe Umkehr“, die nicht nur Kausalität und andere Kategorien und „Player“ mit einbindet, sondern auch so viel wie möglich mit bedenkt von dem, was unabhängig vom eigenen Einfluss auf die Situation einwirkt. Das kann sehr einfach klingen. Wenn ich jetzt die Orange mit Lust esse, dann halte ich mir vor Augen, wie vielen Menschen am Prozess beteiligt waren, der die Orange auf meinen Tisch gebracht hat – es könnte sein, dass so eine Umkehr vom Selbstverständlichen zum Bewussten meine Dankbarkeit fördert. Das kann aber auch völlig unübersichtlich sein: wennich jetzt sehe, wie eine angespannte politische und gesellschaftliche Lage Menschen in meinem Umfeld (und mich mit) verunsichert, dann möchte ich klar haben, welchen Zeichen und Worte von Verbundenheit und Hoffnung ich Ausdruck verleihen möchte, und dann über das „konjunktivische Mögen“ ins „indikativische Tun“ kommen. Was werde ich unterlassen, wohin meinen Blick besonders hinwenden, wie spreche ich über welche Inhalte, wem gilt Wertschätzung, Mitgefühl und wem Abstand oder Rückzug? Wie will ich denken, was will ich sagen, mit wem werde ich wo handeln?
Die „einfache Umkehr“ hat es in der christlichen Religion in die sog. „Beichtspiegel“ geschafft, daneben auch in den Katechismus, der klar sagt, was du darfst und was nicht. Das „Wenn…, dann“, was dahintersteht, ist jahrhundertelang dem „Tun-Ergehens-Zusammenhang“ gefolgt: Wenn dies, dann Hölle, wenn das, dann Himmel. Hier gelten Gebote!
Die „komplizierte Umkehr“ hat vor allem die christliche und die rein philosophische Ethik unter ihre Fittiche genommen, indem beide Disziplinen die Frage nach dem „guten Leben“ und dem Weg dorthin diskutiert und Methoden und Wege aufgezeigt haben. Vielleicht gilt hier der Satz: Wenn dies, dann mehr Unheil, wenn das, dann mehr Heil. Hier gelten Prozesse!
Ich bin mir sicher, dass Jesus dann, wenn er von Umkehr spricht, die „komplexe Umkehr“ meint. Am Bild der Phönixerfahrung von Anne Vonjahr[1] wird deutlich, welche Komponenten eine solche „komplexe Umkehr“ haben kann. Vonjahr ordnet der Phönixerfahrung sechs Schritte zu: (1) Die große Vorbereitung: Wenn der Phönix spürt, dass seine Zeit gekommen ist, trägt er die wertvollste Materialien zusammen, um sein Nest zu bauen und sich auf das Ende vorzubereiten; (2) Die Zerstörung: Der Phönix erlaubt den Sonnenstrahlen, sein Nest in Brand zu setzen; (3) Der Zerfall: Der Phönix zerfällt zu Asche; (4) Eine neue Normalität: Der Phönix stirbt; (5) Die Geburt: Der neue Phönix wird geboren; (6) Das neue Leben: Der junge Phönix breitet seine Flügel aus. Hier gelten Unterscheidung, Entscheidung und Entschiedenheit – und das im Feld der Erwartung und der Hoffnung, nicht der Sicherheit.
'Nulla si truova insieme nato e perfetto.'
(Nichts ist zugleich im Entstehen begriffen und schon vollkommen.) «
Wegstationen – Weggefährten
Es lohnt, jeden der sechs Schritte einer Phönixerfahrung in eine Meditationszeit mitzunehmen. Zu (1): Es gibt eine Zeit zur Umkehr, die nicht der weltliche oder kirchliche Kalender festlegt – der Phönix spürt, dass eine neue, dass seine Zeit gekommen ist. Am Anfang des Weges der Umkehr. Das Gefühl zulassen bedeutet für dich Kontrollverlust und Aufgeben der Selbstwirksamkeit: das für jetzt Wertvollste kann dir genommen werden, und es wird etwas mit dir geschehen! Zu (2): Es geht um das Annehmen der Situation, wie sie ist, ich kann sie nicht ändern, nicht aufhalten, nicht leugnen – du ahnst, du weißt sogar, dass du auch nicht flüchten kannst, auch wenn alles, was in dir lebt, dir dazu raten will. (zu 3): Die Kraft dessen, was dich zur Umkehr ruft, wirkt, es kommt zu Unsicherheit, Zerfall, und je mehr du versuchst, dich zu wehren, umso mehr wirst du Macht und Energie einbüßen. Zu (4): Der, der du einmal warst, die, die du einmal gewesen bist, die gibt es so nicht mehr. Bilder, Muster, Weisen des Denkens, Lebens, Bewertens, Handelns sind dahin, sind ausgetauscht, sind – neu! In der Fastenzeit möchte ich sagen, dass dieses Bild der Ort zwischen Karfreitag und Osternacht ist. Grabesruhe – Altes ist vergangen – Neues will werden. Zu (5): Die Trauer über das, was war, weicht der Freude auf das, was kommt, was sich zeigt. Zu (6): Nochmal auf die christliche Tradition hingedacht: Hier kommt die wunderschöne Umkehr der Jünger auf dem Weg nach Emmaus in den Blick, denen beim Mahl mit Jesus im Dorf Emmaus die Phönixerfahrung zuteil wurde und die (kein Schreibfehler, zweimal das gleiche Wort) umgekehrt umgekehrt sind nach Jerusalem.
Das wünsche ich auch dir und mir: Weggefährtinnen und Weggefährten auf diesem Umkehrweg! Anne Vonjahr spricht von den „Archetypen“, von den „Bewohnern der inneren Welt“, von Verhaltensmustern, die in der Psyche und im kollektiven Unbewussten vorhanden sind.[2] Zwei aus der inneren Welt gebe ich dir mit, und es wäre noch schöner, sie in deiner oder meiner äußeren Welt an der Seite zu wissen.
Da ist die Händlerin, die aufzuzeigen vermag, wie du mit dem Leben verhandelst, um Einfluss, Macht und Sicherheit auf dein Leben hin zu erhalten und zu bewahren. Die Händlerin macht dich darauf aufmerksam, dass deine Werte Bedürfnisse, Träume und Vorstellungen sich im Laufe deiner Lebensreise ändern werden, und mahnt, mit dir selbst verbunden zu bleiben, sie zu überprüfen und dann deine Wahlweise und deine Wahl weise zu treffen. In der Phönixerfahrung wie in der „komplexen Umkehr“ geht es darum, liebevoll mit der eigenen Energie umzugehen und das harmonische Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen zu finden. Dabei halte im Blick, deine wahren Werte zu ehren und niemals das zu opfern, was dir von Herzen wichtig ist.[3]
Und da ist die Heilerin, die dich auf deine Wunden hinweist. Ihre Botschaft ist: „Es sind die Wunden, die du nicht sehen kannst, die oft am tiefsten sind.“[4] Eine „komplexe Umkehr“ angesichts der Wunden, die man dir eben nicht am Gesicht ansieht, die dich aber knechten, quälen, am Leben hindern, kann nur dann geschehen, wenn du dich in Selbstfürsorge übst, wenn du Selbstverantwortung übernimmst für deine Bedürfnisse, und wenn du in der Lage bist, Grenzen zu setzen, Schuldgefühle zu heilen und auch für deine Gefühle eine Verantwortung zu übernehmen. Auch die Heilerin führt dich durch deine Phönixerfahrung.
seit es Tage gibt! «
Winzer und Weinbergbesitzer
Der Schluss des Evangeliums, das Gleichnis des Feigenbaums, der keine Frucht trägt, hat im Winzer einen „Archetypen“ und im Beschluss des Weinbergbesitzers den Hinweis auf eine Art Phönixerfahrung. Der Evangelis Lukas erzählt:
„Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Winzer: Siehe, jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Winzer erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen!“ (Lk 13,6-9)
Und zum Schluss dieser Gedanken: Stell dir vor, du bist der Feigenbaum! Drei Jahre keine Frucht, den Boden ausgenutzt – und jetzt kommt einer und will dich umhauen. Eine Phönixerfahrung, oder? Und eine auf den ersten Blick „einfache Umkehr“, die gefordert ist: Feigen oder Fällen?
Wie gut, dass es einen gibt, den Winzer eben, der den Weinbergbesitzer beruhigt, der sich um dich, den Baum, kümmert, der dir Dünger und Erdreich bereitet, und das „Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte, wenn nicht, dann lass ihn umhauen“ nehme ich ihm auch nicht ab! Menschen wie der Winzer sind die großen Unterbrecher des Tun-Ergehens-Zusammenhang, der die Welt so einfach zu erklären versucht! Ich glaube, der Winzer steht nicht nur für Jesus, sondern für jeden und jede, die in genau diesem Geist Umkehrprozesse bei andern begleiten und selbst zu gehen in der Lage sind! Umkehr zielt auf Frucht, nicht auf Angst und Scham!
Das war jetzt viel, sorry.
So viel für heute – und für diese Woche!
Köln, 21.03.2025
Harald Klein
[1] vgl. Vonjahr, Anne (2023): Die Phönixerfahrung. Wie du auf einer magischen Reise deine Schatten heilst und dein wahres selbst erkennst, München, hier: 54-59.
[2] a.a.O., 31. Archetypen sind geschlechtslos, im Buch werden sie in der männlichen und der weiblichen Form genannt. Ich beschränke mich hier inkludierend auf die weibliche Form.
[3] Vonjahr, Anne (2024): Die Phönixkarten. 44 Archetypen für dein inneres Licht, Königsfurt, 81.
[4] a.a.O., 84.