7. Sonntag der Osterzeit: Ulla Hahn – Mein Gott

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Der Grundton: Zitat aus dem Tagesevangelium

Alles, was mein ist,
ist dein,
und was dein ist, ist mein.
in ihnen bin ich verherrlicht.
Ich bin nicht mehr in der Welt,
aber sie sind in der Welt,
und ich komme zu dir.

Joh 17,10-11a

Die Terz: Ein lyrischer Konnex

Ulla Hahn: Mein Gott

„Ist was“ frag ich
die Freunde wenn sie ihn
sehen über meinem Schreibtisch
(neben Schiller und John Donne)
den Mann den jeder
man kennt den
ernsten Mann am Kreuz
den noch keiner lächeln sah
Wie sie da gucken die Freunde
(ein bisschen verlegen) und
die Schultern zucken
(etwas mitleidig)
Ist was? frag ich
Dann fragt niemand weiter

Einzelkind (was den Vater angeht)
reichlich Halbgeschwister
Machte sich aber nicht viel
aus Familie (kleine Verhältnisse
Adoptivvater Zimmermann aufm Dorf)
Kehrte ihr bald den Rücken zu (säte nicht
erntete nicht und sein himmlischer Vater
ernährte ihn doch) schlug sich
als Wunderheiler durch
mit seinem großen Herzen
für die kleinen Leute und einer forschen
Lippe gegen die da oben (Ihr sollt
Gott mehr gehorchen als den Menschen)
Aufsässig furchtlos eigensinnig
praktischer Arbeit abhold

Den hab ich geliebt

wenn ich die Mutter
mundtot machte mit Lukas
nicht die hauswirtschaftende
Martha vielmehr Maria
zuhörend von Jesu gefesselt
habe ‚das Bessere‘ erwählt

und mich mit göttlichem Segen
in meine Bücher vergrub

Hab das gottschlaue Leben verlernt
bei den Weiden am Rhein
unter menschlichen
Lippen- und anderen Zärtlichkeiten
So viele Vaterunser der Reue und Buße
Vergebene Liebesmüh

Mein Kinderheld fuhr
in den Himmel auf
Ich blieb unten

Da bin ich noch

Aus: Hahn, Ulla (2013): Gesammelte Gedichte, München, 750f.

Die Quint: Was ins Klingen kommt

du hast dich mir
entzogen
ich schau nach oben
ins nichts
und auch neben mir
niemand

ich kann dich
nicht greifen finde
keinen halt an dir

du hast dich mir
entzogen
ich kann dich
nicht greifen
niemand
neben mir

ich will dich
erinnern
dich in mir wissen
und erkennen
erahnen
dass du
ganz anders
über mir neben mir
in mir
bist

dann sei du
da oben
oder sei du
weit weg

ich bleibe hier unten
mit dir
nur ganz anders

Köln, 19.05.2023
Harald Klein