Um was es geht
Bernhard von Clairvaux (um 1090-23.08.1153) trat mit vielen anderen Mitgliedern seiner adligen Familie in das benediktinisch geführte Kloster Cîteaux nahe Dijon ein. Nach einer sich durchsetzenden Klosterreform unterschieden sich die Benediktiner dieses Klosters und nannten sich nach dem Ort „Zisterzienser“. Bernhard verstand es, Männer aus dem Adel Frankreichs und darüber hinaus als Mönche in den Ordensstand zu führen; sie widmeten sich dem geistlichen Dienst, gleichzeitig fanden sich Hunderte von Konversen, die für das Handwerk in den Klöstern sorgten.
Gleichzeitig ist Bernhard von Clairvaux der Begründer der Christusmystik im Mittelalter. Der gekreuzigte Jesus, der Schmerzensmann war ich in der Meditation und im Gebet ein Gegenüber. Überliefert ist die Erfahrung in Bernhards Gebet, in der der Gekreuzigte seine Arme vom Kreuz löst und Bernhard an sich zieht, ihn umarmt. Neben der Christusmystik spielt die Verehrung Mariens eine große Rolle in seiner Frömmigkeit. Sich von Gott rufen lassen und Christus zur Welt zu bringen zeichnet diese Frömmigkeit aus.
Schließlich leistete Bernhard von Clairvaux einen wichtigen Beitrag zur Auslegung der Heiligen Schrift. Sein dichterischer Zugang besonders zu den Texten des Alten Testaments, vor allem des Hohelieds der Liebe, führte zu Kommentaren, die heute noch wegen der Schönheit der Sprache zu Gebet und Meditation herangezogen werden. Von hier aus verfasste Bernhard auch den „Papstspiegel“ für Papst Eugen III. (Amtszeit 1145-1153), dessen Lehrer er war und mit dem er freundschaftlich verbunden war. Bernhards Predigten hatten enormen Einfluss, er begeisterte einfache Menschen für eine Nachfolge im Stand, in dem sie lebten, Männer aller Stände fanden ihre Berufung nach seien in Predigten in Klöstern, aber auch seine Predigten über die Kreuzzüge blieben nicht ohne folgen, und er entfachte in ganz Europa einen Sturm der Begeisterung für sie.
Der Text „Die Schale der Liebe“ ist einem Kommentar Bernhards zum Hohelied der Liebe entnommen.
Die Schale der Liebe
„Wenn Du vernünftig bist, erweise dich als Schale, nicht als Kanal.
Bei einem Kanal ist es so, dass er fast gleichzeitig empfängt und weitergibt.
Die Schale aber wartet, bis sie gefüllt ist, bis sie überfließt.
Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter,
denn sie weiß, dass der verflucht ist, der seinen Teil verweigert.
Lerne auch Du, nur aus der Fülle auszugießen,
und habe nicht den Wunsch, freigiebiger zu sein als Gott.
Die Schale ahmt die Quelle nach.
Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist,
strömt sie zum Fluss, wird sie zur See.
Die Schale schämt sich nicht,
nicht überströmender zu sein als die Quelle.
Du tue das Gleiche!
Zuerst anfüllen und dann ausgießen.
Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen.
Ich möchte nicht reich werden, wenn Du dabei leer wirst.
Wenn Du nämlich mit Dir selber schlecht umgehst,
wem bist Du dann gut?
Wenn Du kannst, hilf mir aus Deiner Fülle;
wenn nicht, schone dich.“
Köln, 23.11.2024
Harald Klein