Maria Himmelfahrt – oder: Brauche ich Maria?

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Brauche ich Maria?

„Ich sehe dich in tausend Bildern, / Maria, lieblich ausgedrückt, / doch keins von allen kann dich schildern, / wie meine Seele dich erblickt. // Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel / seitdem mir wie ein Traum verweht, / und ein unnennbar süßer Himmel / mir ewig im Gemüte steht.“ (Georg Philipp Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg, genannt Novalis, 1772-1801).

Mariendichtung, Marienlieder, Marienbilder – manchmal nur noch schwer zu lesen oder mitzusingen. Es ist sicher nicht nur eine Frage im ökumenischen Gespräch, sondern auch eine Frage der Generationen des Christseins: Brauchen wir Maria? Was würde unserem, ihrem, meinen Glauben fehlen, wenn wir die Marienverehrung nicht hätten, wenn wir auf die Fürsprache Mariens nichts gäben? Brauche ich Maria?

Ich möchte Ihnen zuerst eine Antwort anbieten und sie dann dreifach begründen. Die Antwort: Nicht ich brauche Maria, aber Gott braucht sie – um meinetwillen, und um unseretwillen! Nochmal: Nicht ich brauche Maria, aber Gott braucht sie – um meinetwillen, und um unseretwillen. Lassen Sie mich versuchen, Ihnen diese Antwort in drei Anläufen zu begründen.

Erster Anlauf: Kräuterweihe und Menschenweihe

Ich habe lange überlegt, warum an Maria Himmelfahrt vor allem im Ländlichen die Kräuterweihe eingebunden ist. Sicher, es ist August, der Schwellenmonat zwischen Sommer und Herbst, und es ist eine Hochzeit der Heilkräuter. Sprüche wie „Gott hat für alles ein Kraut wachsen lassen“ oder ein „Zurück zur Natur und zu ihren Heilkräften“ waren mir nicht Antwort genug. Ich weiß nicht, wo ich es gelesen habe, aber das Bild der „Übertragung“ der Heilkräfte war mir dann Antwort genug. Die Heilkräfte der Kräuter werden durch die Weihe als Manifestationen der Heilkräfte Gottes angesehen. Im Kraut und durch das Kraut wirkt Gott heilend für den Menschen. Gottes Heilkraft manifestiert sich in den Kräutern – und Weihe heißt nichts anderes, als das ich das so sehen kann und ansehen will.

Das ist bei Maria nichts anderes. Damit Gottes Liebe zu den Menschen gelangen kann, muss sie sich in demMenschen manifestieren. Gott braucht den einen Menschen (und er braucht ihn immer wieder), damit sein Heil zu denMenschen, zu allen Menschen gelangen kann. Darin liegt die Würde Mariens, ihre Größe: In ihrem Ja zum Anruf Gottes. Darin ist sie uns mehr Schwester als Mutter. Was, wenn dieser Anruf Gottes wie an Maria auch an Sie, an mich ergeht? Der Frankfurter Jesuit und Dogmatiker Klaus Vechtel SJ hat dafür den Begriff „konkrete Universalität“[1]geprägt: Der Ruf, der an allen gilt, ergeht an einzelne, aber das immer wieder. Das wäre mein erster Anlauf: Nicht ich brauche Maria, Gott braucht Maria – und Gott braucht auch heute Menschen wie Maria.

Zweiter Anlauf: Gottesmutter werden

Sie kennen vielleicht noch die Klick-Klack-Kugeln, zwei schwere Plastikkugeln an einer kurzen Schnur, die man geschickt wirbeln konnte, sodass sie oben und unten zusammenschlugen und durch den Impuls wieder in die jeweils andere Richtung geschleudert wurden. Stellen Sie sich vor, auf der einen Kugel stünde „Geboren aus der Jungfrau Maria“, auf der anderen „Gottesmutter“. Das eine ist eine neutestamentliche Andeutung, die zurückgeht auf die Propheten des Alten Testaments. Das andere ist eine Konzilsaussage des Konzils von Ephesus aus dem Jahre 431. Sich auf eine der beiden „Kugeln“ festlegen, nur sie gelten lassen, hieße den Schwung aus dem Ganzen zu nehmen. Beide sind in Bezug aufeinander. Wenn wir Maria als „Gottesmutter“ feiern, geht etwas schief, sie ist Gottesmutter“. Sie steht auf der Seite der Menschen, nicht auf der Seite Gottes. Es ist der Bezug und der Verweis auf den Sohn, der die Würde Mariens ausmacht. Und darin ist Maria uns wiederum mehr Schwester als Mutter, uns in diesen Bezug und diesen Verweis auf den Sohn mitzunehmen. In Bezug auf den leiblichen Jesus kann ich nicht „Gottesmutter“ werden – aber im Verweis auf ihn, in der Bezugnahme auf ihn in meinem Denken und Handeln, da kann das gelingen. Das wäre mein zweiter Anlauf, es gleicht dem ersten: Nicht ich brauche Maria, Gott braucht Maria – und Gott braucht auch heute Menschen wie Maria.

Dritter Anlauf: Maria – Der erlöste Mensch

Ein dritter Punkt, Maria mehr als Schwester denn als Mutter der Menschen zu sehen, liegt darin, dass Maria die Verwirklichung eines Glaubens ist, zu dem alle Menschen berufen sind. Durch das Ja Mariens wird Gottes Wort Fleisch, kommt leibhaftig in die Welt. „Wenn christlicher Glaube darin besteht, die in Jesus Christus in die Welt gekommene Gnade Gottes, sein Heil und seine Erlösung anzunehmen, dann ist Maria der christliche Mensch schlechthin.“[2] Wieder liegt es in unserer Hand, vielleicht mehr noch in unserem Herz, in unserem Verstand, in dieses Ja Mariens einzustimmen. Es sind leibhaftige Vollzüge, die es dafür braucht: Hören, Sehen, Spüren, Unterscheiden, Verkosten – und irgendwann auch Entscheiden und Handeln. Das sind Schritte auf Erlösung hin, die nicht erst nach unsrem Sterben beginnt. Das sind auch nicht Schritte, die Maria vorbehalten sind, ganz im Gegenteil. Es sind Schritte, die sie gegangen ist und die wir ihr nachtun können. „Von Maria lässt sich sagen: Sie gehört ganz auf unsere Seite. Was sie ist, das sollen wir noch werden: Sie ist der erlöste Mensch.“[3] Das wäre mein dritter Anlauf, es gleicht in ersten Satz dem ersten und dem zweiten: Nicht ich brauche Maria, Gott braucht Maria – und Gott braucht auch heute Menschen wie Maria. Und es kommen zwei kleine Worte dazu: Nicht ich brauche Maria, Gott braucht Maria – und Gott braucht auch heute Menschen wie Maria – um unseretwillen. Damit Gottes Heil und seine vergebende, barmherzige Kraft – wie bei der Kräuterweihe – übertragen werden kann von Mensch zu Mensch. Damit Gott Mensch werden kann im Menschen, um der Menschen willen, damit Menschen ein Gespür von Erlösung bekommen, in sich selbst und vermittelt durch sie auch die anderen. Da geht es um Beziehung. Mit Klaus Vechtel möchte ich schließen:

„Für Maria gilt das, was wir für alle Menschen glauben dürfen, denen Gottes Gnade zuteilwird: ‚Heil ist Beziehung.‘[4]Ohne die Annahme und die Antwort des Menschen gibt es kein Heil. Das „Ich sehe Dich in tausend Bildern“ des Novalis bekommt so eine ganz neue Deutung. Jeder Mensch, der auf Gottes Anruf hört und durch den Christus zur Welt kommen kann, zeigt ein anderes, eigenes „marianisches“ Bild.

Noch einmal die Ausgangsfrage: Brauche ich Maria? Es geht nicht um Mariendichtung, um Marienlieder, um Marienbilder, es geht um uns. Brauche ich Maria? Nicht ich brauche Maria, aber Gott braucht sie, in tausend Bildern – um unseretwillen! Und deswegen dreifach: Ja – Ja – und Ja!

Amen.

Köln, 15.08.2020
Harald Klein

 

[1] Vechtel, Klaus (2017): Maria. Gott suchen und finden, Reihe „Ignatianische Impulse“ Bd. 76, Würzburg, 59.

[2] a.a.O., 63.

[3] ebd.

[4] Vgl. Groupe de Dombes (1999): Maria in Gottes Heilsplan und in der Gemeinschaft der Heiligen, Frankfurt/Main – Paderborn, Nr. 219.