Christkönigssonntag – Ich? Würde? Gerne! – oder: Der Würde verlustig geworden

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Christkönigssonntag – Ich? Würde? Gerne! – oder: Der Würde verlustig geworden

Die Würde eines anderen antasten

Eine Predigt beginnen mit „Man sagt, die Würde des Menschen sei unantastbar“ wäre vermessen, würde das Thema der verloren gegangenen, der verspielten Würde auch nicht treffen. Der Satz ist nicht irgendein Satz, schließlich beginnt die Verfassung, beginnt das deutsche Grundgesetz mit diesem Satz. Und diesem Satz vorgeschaltet ist eine Präambel, der das Grundrecht von der Unantastbarkeit der Würde in Verbindung mit der Verantwortung des ganzen deutschen Volkes vor Gott und den Menschen bringt. Mit anderen Worten: Dem, der die Würde eines anderen Menschen antastet, dem gnade Gott, und dem gnade der Mensch!

Die eigene Würde verspielen

Die Würde eines anderen Menschen antasten ist aber nur die eine Seite von Würde, die verlustig gehen kann. Die andere Seite ist, selbst zu erleben, beinahe zuzusehen, wie durch das eigene Tun oder Unterlassen die eigene Würde verlustig geht. Durch die eigene Schuld, durch das eigene Tun oder Unterlassen scheint die eigene Würde verspielt, verlustig gegangen zu sein. Da bin ich durch mein Tun oder Unterlassen würdelos geworden, meine Würde losgeworden. Auch hier gilt: Wer die eigene Würde verspielt, wem die eigene Würde verloren und verlustig geht, dem gnade Gott, und dem gnade der Mensch!

Dem gnade Gott…

Dem gnade Gott: Es bedarf einer beinahe übermenschlichen Form von Heiligkeit, einer tiefen Spiritualität, im Gefühl der verlustig gegangenen, der verspielten Würde sich dem gnädigen Gott zuzuwenden. Die Scham ist zu groß, das Ansehen ist verspielt. Der Schritt, sich seine verlustig gegangene Würde einzugestehen, kann wohl erst dann geschehen, wenn das „Komm“ Gottes mit allen Sinnen erfahren wird. Der verlorene Sohn in Lk 15 verprasst das Vermögen des Vaters und teilt mit den Schweinen das Essen. Er hat seine verspielte Würde nirgends besser zugeben können als in den Armen des barmherzigen Vaters, der, am Türsturz stehend, nach dem in den eigenen Augen würdelos gewordenen Sohn Ausschau haltend. Das folgende Fest ist nicht nur ein Fest der Versöhnung, es stellt die Würde des Sohnes wieder her – vor allem für ihn selbst, der sie verspielt und verloren hat, dem sie verlustig gegangen ist. „Ich? Würde? Gerne!“ – das könnte die Entdeckung des Sohnes am Fest umschreiben.

Dem gnade der Mensch…

Und dem gnade der Mensch: Was seitens dessen, der seine Würde verspielt und verloren hat, von seiner Zuwendung zu Gott hin gilt, gilt auch für seine Zuwendung zu den Menschen. Die verlorene, verspielte, verlustig gegangene Würde hat für den betreffenden Menschen wegen ihres Verlustes gerade nicht die Kraft, sich den Menschen zuzuwenden, sondern sich mehr und mehr in sich selbst zu verschließen. Das erste Zeichen der wieder aufkeimenden Würde wäre, sich den anderen zuzumuten – als einer, der seine Würde vergeben, verloren hat, dem sie verlustig ging. Dazu braucht es als Gegenüber den wahrhaft „königlichen“ Menschen. Den, der wie der barmherzige Vater am Türsturz, an der Türschwelle steht und signalisiert: „Komm herein!“ oder „Sei willkommen!“

Der königliche Mensch

Die Würde eines anderen anzutasten, zu verletzen, führt zu einem Ungleichgewicht zwischen beiden. Die Würde des Verletzten kann nur durch Entschuldigung, durch Strafe, durch Buße wiederhergestellt werden. Wer seine eigene Würde verspielt, verletzt, verlustig gibt, braucht „königliche“ Menschen. Menschen, die zum einen erwartungsvoll und mit offenen Armen dastehen, oder Menschen, denen sich zum zweiten der, der seine Würde verspielt hat, würdelos bzw. in der Haltung der verlustig gegangenen Würde zeigen kann. Menschen, die ihm Würde zusprechen, die dem sich würdelos Fühlenden zeigen, dass er trotzdem Würde besitzt, dass er trotzdem würdig und würdevoll ist, dass er mehr ist als einer, der seine Würde vergeben, verspielt hat und der sie verlustig gegangen glaubte. Seine Würde ist eher verschüttet, nicht verloren oder verlustig gegangen. „Königliche“ Menschen legen diese Würde wieder frei.

Die Erfahrung zeigt, dass dieses neue Erwecken der Würde durchaus gelingen kann, manchmal müssen die „Könige“ dabei hartnäckig und langatmig sein. Hier hilft keine Entschuldigung, keine Strafe oder keine Buße, die sich an die eigene Person richtet. Hilfreich und zielführend für den, der seine Würde verspielt, verletzt hat und dem sie verlustig gegangen zu sein scheint, ist nur, sich selbst zu verzeihen – und dabei können die „Könige“ ihn unterstützen, auf diesem Weg können sie ihn begleiten. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – das gilt auch für mich selbst! Sie mag verschüttet werden, oder zugedeckt – verloren gehen und mir verlustig gehen kann sie nicht. Und wenn ich es so empfinde, braucht es „Könige“ und „Königinnen“. Irgendwann kann es dann geschehen, dass dann das Bekenntnis kommt: „Ich? Würde? Gerne!“

(P.S.: Ich danke Diakon Ralf Knoblauch, Bonn, für die guten Gespräche und die Weitergabe der Botschaft seiner Könige und Königinnen – und dafür, dass einer der Könige bei mir Herberge genommen hat; vgl. www.ralfknoblauch.de)

Köln, 21.11.2020
Harald Klein