04. Sonntag der Osterzeit: „Geliebtsein heißt aufbrennen“

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@ Jesus: „Wer bist Du – für mich?“

Eine kleine exegetische Vorbemerkung: Der Evangelist Johannes legt Jesus sieben „Ich-bin-Worte“ in den Mund. Jesus sagt auf diese Weise von sich, er sei das „Brot des Lebens“ (Joh 6,35.41.48.51), das „Licht der Welt“ (Joh 8,12), die „Tür“ (Joh 10,11.14), der „gute Hirt“ (Joh 10,11.14), die „Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25), der „Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) und schließlich „der wahre Weinstock“ (Joh 15,1). Der Seniorprofessor für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum, Thomas Söding, zeigt in einem zweiseitigen kurzen Artikel die Verbindung der „Ich-bin-Worte“ Jesu zur alttestamentlichen Offenbarungsformel Gottes in Ex 3,14, wo die Stimme aus dem brennend-nicht-verbrennenden Dornbusch sich dem Mose zu erkennen gibt als der „Ich bin, der ich bin“. Hier wie dort gibt Gott und gibt Jesus nicht etwas von sich offenbar, sondern offenbart sich selbst, spricht sich selbst wesentlich aus, macht sich als solcher ansprechbar und auch angreifbar. Arbeiteten die Gleichnisse Jesu mit einer Fülle von Bildern aus der Alltagswelt der Jünger, so konzentriere sich die Metaphorik des Johannesevangeliums in den Ich-bin-Worten auf zentrale Symbole wie „Brot“, „Licht“, „Tür“, „Hirt“, „Weg“, „Weinstock“ und auf Urworte wie „Leben“ und „Wahrheit“. [1]

Und so kann es ein erster Zugang für Dich sein, neben dem am heutigen Sonntag angebotenen „Ich-bin-Wort“ des „guten Hirten“ auch den anderen „Ich-bin-Worten“ Jesu Raum zu geben, sie innerlich nachklingen zu lassen, sie in einer Art „Kontemplation“ – d.h. in Deinem ureigenen inneren heiligen Raum verweilend – die Worte zu hören, sie innerlich auszumalen und wahrzunehmen, was sie an Stimmungen, Emotionen, Haltungen hervorrufen. Es würde schon genügen, auf diese Weise mit den angebotenen Ich-bin-Worten Jesu eine eigene Antwort zu formulieren auf die Frage, wer er, wer Jesus denn für Dich sei, heute, hier, jetzt – und auch, was daraus für Dich folgen mag. Und es hindert Dich keiner, eine andere Metaphorik oder andere Urworte aus Deinem Leben dafür zu suchen und zu nutzen.

Der Sonntag vom guten Hirten

Nun setzt aber dieser Sonntag – er ist auch seit 1964 der „Weltgebetstag für geistliche Berufungen“ – so ganz anders an. Jesus als der „gute Hirte“ wird Dir im Gottesdienst heute vor Augen gestellt. Er gibt sein Leben hin für die Schafe, heißt es bei Johannes, und er ist zu unterscheiden von den „bezahlten Knechten“, die nicht „Hirten“ sind und denen die Schafe nicht gehören; sie lassen die Schafe im Stich, wenn sie den Wolf kommen sehen, und der Wolf reißt sie und zerstreut sie. Sie fliehen, sagt Johannes, weil sie nur bezahlte Knechte sind und ihnen an den Schafen nichts liege (vgl. Joh 10,11-13). Fridolin Stier spricht in seiner Übersetzung des Neuen Testamentes von den „Lohnknechten“, Martin Luther verwendet den sogar den Ausdruck „Mietling“. Die Sprache macht die Unterschiede schon deutlich.

Oft werden in den Gottesdiensten am Weltgebettag für geistliche Berufungen Ordensschwester und -brüder oder Seminaristen bzw. Studierende für pastorale Berufe eingeladen, die dann über ihr „Hirte- bzw. Hirtinnen-Sein“ werbend erzählen. Nur: Sie werden von der Diözese bezahlt! Man ist nicht automatisch guter Hirt, wenn einem die Hände aufgelegt werden! Um es schnell und einfach zu sagen: Um „guter Hirte/gute Hirtin“ zu sein, bedarf es keines Anstellungsverhältnisses in der Kirche – hier ist man immer auch „bezahlter Knecht“, um das Bild aus dem Evangelium zu nehmen. Um selbst „guter Hirte/gute Hirtin“ zu sein, braucht es den „Jesus in Dir“, der aus Dir wirken kann. Und ob Du dann in einem Dienstverhältnis mit der Kirche stehst, einer Gemeinschaft in der Kirche angehörst, eine Beauftragungoder Sendung der Kirche hast, vielleicht sogar, ob Du getauft bist oder nicht oder (noch) eine Kirchenzugehörigkeit hast, ist völlig egal! All das macht noch lange nicht den „guten Hirten“ oder die „gute Hirtin“ aus. Dem guten Hirten geht es um das „Kennen“ derer, die Dir anvertraut sind, es geht um das „Kennen“ Gottes und es geht um die „Bereitschaft zur Hingabe“, so sagt es Jesus im Evangelium des Johannes.

„Geliebtwerden ist vergehen, Lieben ist Dauern“

Die Zeiten, wo Amtsträger oder Ordensleute die „Hirtenaufgabe“ und mehr noch die „Hirtenkraft“ oder das „Hirtenwesen“ für sich einfach („sakramental“) beanspruchen konnten, sind vorbei. Das Maß, an dem Menschen in dieser Aufgabe sich messen lassen müssen, wird an dem verkündigenden Jesus und weniger an dem verkündigten Christus genommen. Es geht um einen Geist der Spiritualität, der Leben trägt und gestaltet, nicht um Lehre der Religion.

Der Wunsch, einander Hirtin und Hirte zu sein, in der eigenen Bedürftigkeit sich zugehörig und aufgehoben zu wissen und gleichzeitig dem, der mir Hirte oder der, die mir Hirtin ist, Geborgenheit zurückschenken zu können und zu dürfen, entbehrt verfasster Institutionen. Die dafür nötigen Institutionen schaffen sich „Schafe“ und „Hirten/Hirtinnen“ selbst. Es entspricht der Lebenswirklichkeit der Menschen, wenn in der Verkündigung oder der Gottesdienstgestaltung neben dem Aufruf „Betet um geistliche Berufe!“ auch das „Lebt Eure eigenen geistlichen Berufungen!“ betont wird. Im Blick auf die vergangenen Predigten in dieser Osterzeit könnt das auch heißen: „Lasst den in Euch lebenden Geist Jesu Christi groß werden und handeln!“.

Es geht um eine bestimmte, oben beschriebene Form von Hingabe. Es ist keine „Aufgabe“ i.S.v. einem Dir aufgetragenen Handeln anderen gegenüber; sonst wärst Du der „bezahlte Knecht“ des Evangeliums. Es ist keine „Aufgabe“ i.S.v. dem Kopf, den Du hängen lässt, weil Du Dich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlst. Es geht vielmehr um eine „Zugabe“, eine Sichtweise aufgrund eines Bildwortes, das Jesus im Mund führte, nicht, um es für sich zu beanspruchen, sondern um es mit den Seinen (und Dir) zu teilen, es ihnen anzubieten: „Ich bin der gute Hirt! – Sei Du es auch.“

Hirt sein – und Schaf, beides zu kennen, zu leben, anzunehmen, beiden Formen des Lebens Gestalt zu geben: Rainer Maria Rilke hat das seinen Malte Laurids Brigge in seiner Verliebtheit zu Abelone Brahe erleben lassen. Er sinnt über ihr Verhältnis zu Gott nach, vergleicht sie mit Mystikerinnen, weiß sie stark und weiß sie schwach zugleich. Und das, was mir den Dualismus von ‚“Hirt“ und „Schaf“ in derselben Person umschreibt, möchte ich Dir mitgeben. Nicht in der „Prosadichtung“ der Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ selbst, aber in den Randbemerkungen zu diesem Nachsinnen über Abelone schreibt Rilke: „Geliebtsein heißt aufbrennen. Lieben ist: Leuchten mit unerschöpflichem Öle. Geliebtwerden ist vergehen, Lieben ist Dauern.“[2] Das ist, was mir an diesem Ich-bin-Wort vom „guten Hirten“ so gefällt: Zugesagt wird Dir das Lieben und das Geliebtwerden, zugesagt wird Dir das Aufbrennen und das Leuchten mit unerschöpflichem Öle; erinnert wirst Du an das Vergehen und an das Dauern.

Seine Botschaft zum 61. Weltgebetstag um geistliche Berufungen, endet Papst Franziskus mit zwei Bildworten, die diese Polarität gut zum Ausdruck binnen: Du kannst beides sein und bedarfst beides gleichzeitig selbst. Franziskus schließt die Botschaft mit den Worten: „Erheben wir uns also und machen wir uns auf den Weg als Pilger der Hoffnung, damit auch wir, wie es Maria der heiligen Elisabet gegenüber getan hat, die Freude verkünden, neues Leben hervorbringen und Baumeister der Geschwisterlichkeit und des Friedens sein können.“ [3]

Noch einmal @Jesus: „Wer bin ich – für Dich?“

Guter Hirt, gute Hirtin: Freude verkünden, neues Leben hervorbringen, Baumeister/-meisterin der Geschwisterlichkeit, Baumeister/-in des Friedens. Wenn das mal keine geistlichen Berufungen sind, die Dich aufbrennen lassen oder die auch in Dir leuchten!

Amen.

Köln, 18.04.2024
Harald Klein

[1] Söding, Thomas: Die Ich-bin-Worte des Johannes-Evangeliums, [online] https://www.kath.ruhr-uni-bochum.de/imperia/md/content/nt/nt/dasjohannesevangelium/p-ich-bin.pdf [18.04.2024]

[2] Rilke, Rainer Maria (1982): Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, in: Rilke, Rainer Maria, Sämtliche Werke, Bd. III-1, herausgegeben vom Rilke-Archiv, in Verbindung mit Ruth Sieber-Rilke, besorgt durch Ernst Zinn, 2. Aufl., Frankfurt/Main, 337.

[3] [online] https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/Botschaften/2024-Botschaft-Weltgebetstag-fuer-die-geistlichen-Berufungen.pdf [18.04.2024]