Sommer-Gedichte und Sommer-Gebete

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Über Lyrik ins Beten kommen (Sommer 2022)

Immer mal wieder ergänze ich den Beitrag „Ein Gedicht – zum Beten geeignet!“ vom Mai 2018 um lyrische Texte, die eben genau das tun: sie stellen eine Einladung zum Gebet dar. Es sind Gedichte, denen ich zum ersten Mal oder auch wiederkehrend begegnet bin.

Jetzt im Sommer habe ich fünf Texte aus der Sammlung „Epikurs Garten“ von Ulla Hahn aus dem Jahr 1995 ausgewählt, die mich sehr ansprechen. Ich gebe sie hier weiter, und ich freue mich, wenn sie über die anderen Gedichte auf dieser Seite einen Brückenschlag versuchen, über die Schönheit der Sprache ins Verweilen vor Gott, vor dem Geheimnis, vor dem Leben oder dem Universum – suchen Sie sich den Begriff passend für Sie aus – kommen.

Ulla Hahn – Himmelsschlüssel

Die Erde ist wahr und der Wind und die
Sonne ist wahr und ich bin es auch. Oder
Sind wir alle nur wirklich? Gar nicht so einfach
Einfache Dinge auseinanderzuhalten oder zusammen
Zubringen. Zu viel verbirgt sich kein höheres
Wesen und ihr seid gewohnt komplizierte Dinge in
Reih und Glied zu verschnürn. Schau mich an:
Ich kann nicht lügen. Wer keine Worte macht,
Hat nie ein Versprechen gebrochen. Was ich sehe
Reicht tief unter deine Füße. Meine Wurzeln deine
Wörter deine Satzjungen, die du ausführst
Tausendfüßler voller Versprechungen.

Aus: Hahn, Ulla (2013): Gesammelte Gedichte, München, 419.

Ulla Hahn – Im Übergang

Immer im Übergang: zwischen zwei Worten
zwei Menschen zwei Sorten wovon auch immer
Winter im Herbst Frühling im Winter nur im Sommer
glaubst du der roten Hitze für ein paar Sekunden
die Dauer und stellst dich tot.

Aus: Hahn, Ulla (2013): Gesammelte Gedichte, München, 416.

Ulla Hahn – Pflanzen

Setzlinge drücken aus Plastikcontainern
ins Erdreich. Vaterlandslose Gesellen. Taufen:
Jeden auf seinen Namen. Gruppen bilden
Brüderschaften und Kolonien.
Boden suchen und Sehnsucht
wandeln in Wurzelwerk.

Aus: Hahn, Ulla (2013): Gesammelte Gedichte, München, 411.

Ulla Hahn – Rote Rose

Solange es einen Mann gibt und eine Frau
Die versuchen einander
Die ewige Jugend zu erfinden
In meinem Namen
Endet der Tod nicht aber die Angst vor ihm.

Aus: Hahn, Ulla (2013): Gesammelte Gedichte, München, 425.

Ulla Hahn – Schaumkraut

Wenn der Sommerwind durch die
Schaumkrautwiesen fließt kann der Verstand
ihm nicht folgen. Windstärken
kann er messen, aber weiß er,
was Sommerwind ist?
Schaumkraut kann er bestimmen aber
eine Schaumkrautwiese berechnen?
Hilflos erstarrt er wenn
In Natur und Kunst beides zusammenfließt
Du glaubst zu verstehn? Dann glaub
ja nicht das sei von Interesse. Niemand
Ist am Wesen der Dinge interessiert.
Und der Wind jagt dem Verstand in langen Sätzen davon.

Aus: Hahn, Ulla (2013): Gesammelte Gedichte, München, 416.

 

Köln, 10.06.2022
Harald Klein