15. Sonntag im Jahreskreis – Anspruch zum Zuspruch

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Die Worte-Box

Ein „nicht leeres Wort“: Im Rahmen der Dreißigtägigen Exerzitien, die ich vor langer Zeit einmal machen konnte, wurde mir die erste Lesung des heutigen Sonntags zur Betrachtung vorgelegt. Da es nur zwei Verse sind, schreibe ich sie hier auf:

„So spricht der Herr: Wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, ohne die Erde zu tränken und sie zum Keimen und Sprossen zu bringen, dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, ohne zu bewirken, was ich will, und das zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe“ (Jes 55,10-11).

In den Exerzitien ein faszinierender Gedanke: Gott sendet sein Wort aus, es bewirkt, was er von mir, für mich will – und sofort kommt dann das Evangelium des Tages in den Blick: Das Gleichnis vom Sämann! Gottes Wort kann nur bewirken was er von mir, für mich will, wenn das Wort auf fruchtbaren Boden trifft (Ich gehe davon aus, dass Sie das Gleichnis zu Genüge kennen).

Als Jungspunt, der ich damals war, habe ich mir eine Worte-Box gebastelt und auf kleinen Kärtchen all die Worte dort hineingelegt, die mir in diesen langen Tagen der Exerzitien zu betrachten aufgegeben oder angeboten wurden. Bildlich war das so, als ob ich diese Worte – dem Sämann gleich – dem Boden anvertraut habe; soll wachsen, was will (und kann); ich wage kaum einen Rückblick, was daraus dann wirklich „erwachsen“ ist.

» Nicht an einem Mangel an Religion im gewöhnlichen Sinn des Wortes leidet die Welt, sondern an einem Mangel an Liebe, einem Mangel an Bewusstheit. Liebe wird durch Bewusstheit geweckt und durch nichts anderes sonst. «
de Mello, Anthony (1992): Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein, 2. Aufl., Freiburg, 189.

Der Anspruch zum Zuspruch

Dreißig Jahre später sehe ich Lesung und Evangelium mit anderen Augen. Neben der Kategorie, dass Gott mich anspricht in den Worten der Schrift, in den Geschichten der Menschen um mich herum, in den Zeichen der Zeit, kommt eine zweite Kategorie hinzu, die ich mir damals nicht zugestanden, nicht selbst zugesagt hätte: Gott spricht nicht nur zu mir. Er selbst stellt mich unter den Anspruch zum Zuspruch. Sein Zuspruch zu den Menschen soll durch mich, durch Sie geschehen. Passend dazu: In manchen Gemeinden, vor allem in der norddeutschen Diaspora, ist die Schlussformel nach der Lesung nicht „Wort des lebendigen Gottes“, sondern „Gotteswort in Menschenwort“.

Was, wenn ich diese Unterscheidung ernst nähme…?! In meinem Wort, in Ihrem Wort, in unserem alltäglichen Sprechen kann und vor allem will Gottes Wort zur Welt kommen, kann er selbst zur Sprache, besser: durch die Sprache kommen zu denen, mit denen Gespräch und Austausch geschieht. Keine leeren Worte, keine Worte für und in der Box. Stattdessen wirkmächtige Worte, die Gott (als Subjekt des Satzes) selbst setzt und die Gott (als Objektdes Satzes) gegenwärtig setzen. Als Mensch, in dem Gottes Geist gegenwärtig ist, erst recht als Christ, der sich dessen bewusst sein kann, gibt es diesen Anspruch zum Zuspruch – Gott zu Wort kommen lassen!

» Wie anfangs schon geschrieben, leben wir bewusst im Moment, dann streuen wir den Samen unserer Zukunft. Blöd ist nur, dass wir auch bewusst schlecht denken können und dann auch Schlechtes erschaffen, das ist die Schattenseite der Gabe des Denkens. [...] Niemand sonst hat es in der Hand, nur du kannst in jedem Moment entscheiden, auf welcher Seite du stehen willst. Also achte auf deine Gedanken, du erschaffst mit ihnen deine Zukunft. «
Loetscher, Pirmin (2016): Annehmen und Loslassen. Mit innerer Balance zu einem erfüllten leben, Altendorf/Schweiz, 165.

Die Klugheit des Sämanns

Dieser Anspruch zum Zuspruch läuft aber ins Leere, wenn er nicht auf die Klugheit der Redenden aufbaut. Man könnte auch von der Achtsamkeit der Redenden sprechen. Wenn der Sämann im Evangelium nicht die Samen unterscheiden könnte, die er im Korb hat, wenn er nicht die Böden im Blick hätte, auf denen er sich bewegt, wenn er nicht das Umfeld berücksichtigt, liefe der Anspruch zum Zuspruch ins Leere. Man würde ihm den Anspruch auf Zuspruch absprechen.

Mir fällt auf, dass es zwar ein adjektivisches „Absprechen“ gibt – dann, wenn man dem, der „sät“ sein Tun, seine Worte nicht abnimmt. Sprachlich gibt es allerdings, anders als bei „Anspruch“ oder „Zuspruch“, keinen „Abspruch“ – es gibt nur die Folge, die Konsequenz des Absprechens: den Abbruch. Da kann nichts mehr wachsen, da kommt nichts zusammen. Da endet jede Fruchtbarkeit und jedes Wachstum.

» Ecce, ego et tu, et spero quod tertius inter nos Christus sit. - Hier sind wir beide, ich und du, und ich hoffe, als dritter ist Christus bei uns. «
Haacke, Rhaban (Hrsg.) (1978): Aelred von Rieval, Über die geistliche Freundschaft, Trier, 6f.

Sei Du selbst die Worte-Box

Ich komme zurück auf den Übungsraum der Exerzitien und die Übungs-Box der Worte, die Zuspruch Gottes sind. Für Sie, mit Ihnen will ich glauben, dass wir selbst eine solche Box sind, in der die Worte Gottes wohnen, aufgenommen und angenommen sind, um sie als Zuspruch denen um uns herum sagen zu können. Für Sie, mit Ihnen will ich glauben, dass wir alle miteinander unter diesem Anspruch zum Zuspruch stehen, dass durch eine jede, einen jeden von uns Gottes Wort im Menschenwort zur Welt kommen kann. Und für Sie, mit ihnen will ich glauben, was der Benediktinerabt Aelred von Rieval im 11. Jahrhundert als Wunsch einem Novizen im vertrauten Gespräch sagte: „Ecce, ego et tu, et spero quod tertius inter noch Christus sit“[1] – „Hier sind wir beide, ich und Du, und ich hoffe, als Dritter ist Christus bei uns.“

Ich finde das – ausgesprochen – gut!

Amen.

Köln, 14.07.2023
Harald Klein

[1] Haacke, Rhaban (Hrsg.) (1978): Aelred von Rieval, Über die geistliche Freundschaft, Trier, 6f.