Christi Himmelfahrt, oder: Jesu Himmelfahrtskommando

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Ein Dreischritt und ein Meilenstein

Das Ende des Osterfestkreises naht mit großen Schritten. Was als erste Etappe am Aschermittwoch bis zur Heiligen Woche, bis zum Palmsonntag begann und mit „Jesu Erfahrungen“ überschrieben war, setzte sich über die Ostertage und die Sonntage nach Ostern fort, an denen von den „Erfahrungen Jesu“ die Rede war, die die Jünger nach dessen Tod machten und die die Theologie als „Erfahrungen des Auferstandenen“ bezeichnet.

Auffällig ist für den Osterfestkreis ein Dreischritt: (1) selbst die für Jesus wegweisenden Erfahrungen zu machen, die Jesus gemacht hat und von denen das Evangelium erzählt, (2) in anderen Erfahrungen Jesus nach dessen Tod greifbar und sichtbar zu erkennen, und (3) ihn selbst eben nicht mehr offensichtlich sehen, sprechen und an- bzw. begreifen zu können.

Die „Himmelfahrt Jesu“ ist eine weitere Zäsur – sie stellt bildlich und symbolisch dar, wie sich der Auferstandene erneut seinen Jüngerinnen und Jüngern entzieht, wie er nach seinen letzten Worten „vor ihren Augen emporgehoben (wurde) und wie eine Wolke ihn aufnahm und ihn ihren Blicken entzog (vgl. Apg 1,9).

Um es gleich vorwegzunehmen: Christsein wird zu einem „Himmelfahrtskommando“. Im ersten Moment sind die Worte der zwei Männer in weißen Gewändern (Du kennst sie aus dem offenen Grab am Ostermorgen) erschreckend: „Ihr Männer von Galiläa, was steht Ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von Euch fort in den Himmel aufgenommen wurde wird ebenso wiederkommen, wie Ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen.“ Wenn ich mich nicht irre, wirst Du das „von Euch fort“ mehr hören und spüren als das „wird ebenso wiederkommen“. Himmelfahrt besagt erst einmal eine Leere, eine Leerstelle, die Angst macht und ausgehalten werden muss. Dieses Aushalten der Leere ist der erste Teil des Himmelfahrtkommandos.

» Dieser [i.e.Gott, H.K.] ist nun nichts mehr, das man anspricht, gar anbetet. Er ist nicht jener ‚Nachbar‘, mit dem man sich duzt. Nein, Gott selbst spricht – in besonderen Momenten, für die wir uns durch langes Schweigen bereit machen müssen – durch uns. Drastisch formuliert: Gott ist es, der ihm die Verse diktiert! Es scheint wie ein automatisches Schreiben, aber eben keineswegs von Zufällen angetrieben, sondern eine starke schicksalhafte Macht steht hinter ihm. «
Decker, Gunnar (2023): Rilke. Der ferne Magier. Eine Biographie, München, 475.

Rilkes Osterfestkreis

In Gunnar Deckers Rilke-Biografie[1] entdecke ich eine dem oben vorgestellten Dreischritt ähnliche Entwicklung im Reden Rilkes von Gott. Decker schreibt: „Es zeigt sich, dass sich für Rilke nach dem ‚Malte Laurids Brigge‘, als er immer weiniger und dieses Wenige umso verknappter schreibt, die Sicht auf seine Dichtung völlig verändert hat – und diese Veränderung steht auch in einem Zusammenhang mit seinem anderen Begriff von Gott. Dieser ist nun nichts mehr, das man anspricht, gar anbetet. Er ist nicht jener ‚Nachbar‘, mit dem man sich duzt. Nein, Gott selbst spricht – in besonderen Momenten, für die wir uns durch langes Schweigen bereit machen müssen – durch uns. Drastisch formuliert: Gott ist es, der ihm die Verse diktiert! Es scheint wie ein automatisches Schreiben, aber eben keineswegs von Zufällen angetrieben, sondern eine starke schicksalhafte Macht steht hinter ihm.“[2]

In Sachen „Gott“ gliedert sich dieser Dreischritt Rilkes über (1) den „Nachbarn Gott“, den er direkt erfährt und anspricht über (2) die Erfahrung der Großstadt Paris und der Menschen drumherum in den „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ und im eigenen Leben, in denen er Gott erfahren möchte und ins Ringen um Gott kommt, hin zu (3) einem In-sich-hineinhören, um Gottes Stimme zu vernehmen, der ihm selbst die Verse diktiert.

Aus dem Aushalten der Leere als des ersten Teiles des Himmelfahrtskommandos folgt der zweite Teil: Sich durch langes Schweigen bereitmachen für das Hören der Stimme Gottes, und zwar in Dir. Es geht um die Stimme Gottes, die Dir Deine Verse diktiert!

» Geht hinaus in die ganze Welt
und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!
[...]
Sie aber zogen aus und verkündeten überall.
Der Herr stand ihnen bei
und bekräftigte das Wort
durch die Zeichen, die es begleiteten. «
aus dem Markus-Evangelium, Mk 16,15.20

Die Welt – auch ein Himmelfahrtskommando

Die Gefahr aller Institutionen ist es, beim „Hören“ stehen zu bleiben, das Gehörte miteinander zu diskutieren, auf „richtig“ und „falsch“ zu unterscheiden, Ergänzungen und Kürzungen vorzunehmen, Gebote und Verbote zu formulieren – und dabei das „Gehen“ zu vergessen. Wie gesagt: Aus dem Aushalten der Leere als des ersten Teiles des Himmelfahrtskommandos folgt der zweite Teil: Sich durch langes Schweigen bereitmachen für das Hören der Stimme Gottes in Dir, der Dir Deine Verse diktiert!

Es gibt aber noch einen dritten Teil. Im Markus-Evangelium ist eine Rede Jesu vor seine Himmelfahrt gesetzt, so etwas wie sein Testament, sein letzter Wille. Jesus erscheint den elf Jüngern und spricht zu ihnen: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ (Mk 16,15). Um das Gehen geht es Jesus! Um das Gehen geht es, gelenkt durch Deine Verse, die Gott Dir diktiert hat! Bleib nicht stehen – beim Wort, beim Nachdenken, beim Abwägen, geh! Und verkünde! Die Verse und mit den Versen, die Gott Dir diktiert hat!

Kurz gesagt: (1) Aushalten der Leere, die sich zeigt, (2) sich durch langes Schweigen bereitmachen für das Hören der Stimme Gottes in Dir, der Dir Deine Verse diktiert, und (3) und dann gehen und verkünden, mitten in der Welt – das ist das „Himmelfahrtskommando Jesu“ für das Christseins. Das ist die Zäsur des Himmelfahrttages. Sie könnte Angst machen, aber auch Lust! Und: Pfingsten kommt noch, Pfingsten toppt Himmelfahrt noch einmal. Versprochen!

Amen.

Köln, 02.05.2024
Harald Klein

[1] Decker, Gunnar (2023): Rilke. Der ferne Magier. Eine Biografie, München.

[2] a.a.O., 475.