Lernen vom Apostelkonzil: Kirche wird „weit“

  • Beiträge im Werkheft der GCL
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Die Ikone von Petrus und Paulus

Wenn Sie nach Ikonen suchen, auf denen Petrus und Paulus zu sehen sind, stoßen Sie ziemlich schnell auf das Motiv, das die beiden Arm in Arm oder sogar Wange an Wange zeigen. Spannend ist, dass die beiden sich dabei selten ansehen, sondern dass ihr Blick nach außen geht, meist sogar in verschiedene Richtungen.

Dahinter mag die Überlieferung des sog. „Apostelkonzils“ stehen. Lukas berichtet darüber in Apg 15, Paulus in Gal 2,1-11. Der Anlass dieses Treffens der beiden Apostel, das vermutlich 48/49 n.Chr. in Jerusalem stattfand, war die Frage, ob die „Heiden“, d.h. die nicht-jüdischen Menschen, die sich nach der Vermittlung des Paulus der jungen christlichen Kirche anschließen wollten, erst durch Beschneidung und Übernahme des Gesetzes „Juden“ werden müssen, um so „Christen“ werden zu können. Zwei wichtige Fragen sind unmittelbar damit verbunden: (1) Ist das Zeichen der Beschneidung und die Unterwerfung unter das jüdische Gesetz nötig, um das Heil zu erlangen? Und (2): Ist die junge christliche Kirche ein Teil des Judentums oder steht sie diesem nicht eher gegenüber?

Einheit in Verschiedenheit

Die Weise, in dieser Frage zu unterscheiden und zu entscheiden, hat letztlich dazu geführt, dass das Evangelium universal, weltweit verkündigt werden konnte. Paulus anerkennt einerseits die „kirchenrechtliche Kompetenz“ der Jerusalemer Urgemeinde um Petrus, er anerkennt ihn in seinem Amt. Andererseits nimmt er sich und sein „apostolisches“ Wirken in der Heidenmission aber ebenso ernst. Er ringt mit Petrus und der Jerusalemer Ur- oder Kerngemeinde darum, dass den Heiden keinerlei Auflagen gemacht werden – und weist gleichzeitig die „Heiden“ auf die Not der Jerusalemer Gemeinde hin, für die er eine Kollekte erbittet. Das Ergebnis: Die „Heiden“ können ohne Umweg Christen werden, sie mögen sich aber nicht durch Unzucht oder den Genuss von Götzenopferfleisch verunreinigen und Ersticktes oder Blutiges nicht essen.

Die Ikone von Petrus und Paulus bringt es auf den Punkt: ein Schulterschluss zwischen zwei Positionen – und dennoch schaut jeder von beiden auf die „Seinen“. Das Wissen um die Konsequenzen dieses Schulterschlusses ist das mir Wichtige: Ich bin mir sicher, dass Petrus und die Judenchristen mit diesem Ergebnis klar hatten, dass durch die Aufnahme der „Heiden“ jetzt die judenchristliche Gemeinde rein zahlenmäßig überrannt werden wird. M.a.W.: die junge Kirche öffnet, weitet sich – und weiß, akzeptiert, bejaht, dass dem, was sie bisher grundlegend ausmacht, der Boden unter den Füßen entzogen werden wird.

Der „Petrus in mir“ ringt mit dem „Paulus in mir“

Den Zusammenhang mit dem Thema „Weite“ in der kleinen Reihe „Dimensionen des Christseins möchte ich Ihnen aufzeigen, wenn Sie ihn nicht schon ahnen. Das Unterscheiden, die Entscheidungsfindung im Dialog und im Gebet, das dem Dialog vorausgeht, ist uns in der GCL in unser Stammbuch geschrieben. Und ich vermute, dass es Ihnen wie mir geht: Es gibt immer wieder Situationen, in denen der „Petrus“ in mir – in seiner rechtlichen, strukturgetriebenen, überlieferten und tradierten Lebensweise – mit dem „Paulus“ in mir – der Frage nach dem Zulassen von Neuem, Fremden, von Anderen, von Anderem – miteinander ringen. Wie kann ich mich, wie kann man sich zwischen den beiden Polen des (angeblich) Notwendigen und dem (angeblich) Beliebigen für das (jetzt hilfreiche) Mögliche entscheiden? Was ist das jetzt Angemessene, das jetzt Richtige? Und ganz konkret darin die Frage, die mich, vielleicht auch Sie und mit uns unsere Gemeinschaft umtreibt: wie steht es um mein Fühlen und Denken mit bzw. mit meinem Handeln in der Kirche? Wo ist mein Platz in dieser Ikone – und wie fülle ich ihn aus?

Die Unterscheidung der Geister

Ein gutes Instrumentarium in dieser Frage sind die Regeln zur Unterscheidung der Geister. Wenn eine Veränderung neben anderen Kriterien in mir Glauben und Vertrauen hervorruft bzw. herausfordert, wenn die betreffende Sache auch ästhetisch schön und ansprechend ist, wenn die Veränderung der Liebe dient, Ausdruck der Liebe ist und sie stärkt, so kann diese Veränderung – zumindest in der Diktion von P. Georg Mühlenbrock SJ – dem guten Geist zugerechnet werden. Umgekehrt sind dauernder Widerwille, ein bleibendes Gefühl von Überforderung und Überlastung, eine Verwirklichung der Veränderung, die mit Gewalt und Krampf zu tun hat, was lieblos ist und sich aus Dauer destruktiv für mich auswirkt, neben anderen Kriterien eher vom Abergeist veranlasst.

Aber Achtung: es gibt eine Unterscheidung vor der Unterscheidung! Ich darf nicht vorschnell von Widerwille, Überforderung und Überlastung reden – die Frage ist, ob all das wirklich „dauerhaft“ ist, oder ob das Neue nur gegen meine Gewohnheit geht. Und umgekehrt: die Frage ist auch, ob die Veränderung nur einem ersten „Verliebtsein“ in die Sache entspringt oder wirklich zu einem „Mehr“ an Liebe hingeht, muss ebenfalls „vor-untersucht“ werden.

Das Kriterium der Weite

Ein Kriterium, dass ich dem „Apostelkonzil“ entnehme, ist eben das der Weite. So beten, so entscheiden, dass die Veränderung im Blick auf meine Zugehörigkeit zur Kirche und mein Handeln in ihr mich „weitet“, aus einem engen Denken und Handeln befreit in eine größere Freiheit und Liebesfähigkeit hinein. Es kann sein, dass ich wie bei der Ikone und wie bei Petrus und Paulus noch ängstlich auf das Althergebrachte schaue, aber der Schulterschluss mit dem Anderen, dem Neuen, macht mich weiter, nimmt den anderen mit, führt von einem gewohnten „Ich“ zu einem neuen, weiteren „Wir“. Zwischen (angeblich) „Notwendigem“ und (angeblich“) „Beliebigen“ gibt es unendlich viel weitendes „Mögliche“. Von Karl Valentin ist der Ausspruch überliefert: „Es ist so. Es könnte aber auch anders sein!“ Und enden möchte ich mit dem Gebet des Jabez aus 1 Chron 4,10, das bereits im letzten Heft zitiert wurde: „Mögest du mich segnen und mein Gebiet erweitern!“

Harald Klein, Köln

Quellen: Hillebrand, Ludger: Die Unterscheidung der Geister, in: Jesuiten 62(2011), Heft 4, S. 6-7;

Hier finden Sie den Artikel von Thomas Söding: Das Apostelkonzil: Anlass – Verlauf – Folgen.