Methodenblatt „Umgang mit Unsicherheit und Angst“

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Spirituelle Hilfen in Zeiten von Unsicherheit und Angst

Zeiten der Unsicherheit und der Angst sind wirkliche Prüfsteine der eigenen Spiritualität und des eigenen Glaubens. Unsicherheit und Angst können die beiden Pole bezeichnen, zwischen denen sich unser geistliches Leben ausspannt: auf der einen Seite die Haltung, dass Gott für mich „gestorben“ ist, wenn er mich in eine solche Lage bringt, in einen solchen Zustand versetzt – und auf der andren Seite  die Hoffnung auf den gerade „lebendigen“ Gott, auf den ich in aller Unsicherheit und Angst meine Hoffnung setze. Irgendwo dazwischen bewege ich mich in der Unsicherheit, der Angst, die momentan mein Leben bestimmt.

Einige Hilfen aus der ignatianischen Spiritualität zum Umgang mit Unsicherheit und Angst

 

  • Die Angst zulassen, sie betrachten und mit ihr ins Gespräch kommen: Es ist wichtig und hilfreich, sich klar zu machen, dass ichAngst habe – und nicht, dass die Angstmich hat. Ich bin das Subjekt, die Angst ist das Objekt, nicht umgekehrt! Hilfreich dazu ist es, achtsam einen Keil zwischen die Angst und mich zu schieben. Das kann geschehen, indem ich die Angst als ein „gegenüber“ von mir betrachte, und dass ich sie – wie ein menschliches Gegenüber – z.B. in einem geistlichen Tagebuch beschreibe: wie zeigt sie sich mir – wie erlebe ich sie – was löst sie in mir aus – was verhindert sie? Ich muss mich nicht schämen, der Angst einen Namen zu geben und sie mit „Du“ anzusprechen.
  • Realitätsüberprüfung – Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit: Wenn ich Angst habe, kann sie leicht mein ganzes Wahrnehmen, mein Wachen und Schlafen, mein Handeln und mein Unterlassen bestimmen. In Zeiten der Angst vor etwas oder jemandem ist es gut, den Blick zu weiten auf das, was auch „noch“ da ist, und auf die, die auch „noch“ da sind. Das „noch“ zeigt an, dass sie der Angst untergeordnet sind, aber ist das so? Ein wichtiger Schritt in Situationen der Angst kann sein, dem, was da ist, und denen, die da sind, den ihnen gemäßen Platz wieder und neu zu geben – das kann und wird die Angst relativieren.
  • Einübung in die ignatianische Grundhaltung der „Indifferenz“:„Ohne Freiheit, Gelassenheit, ‚Indifferenz‘ sei überhaupt kein Wachstum im geistlichen Leben möglich, so Ignatius (EB 189). Wer nur um das eigene Ego kreist, wer auf bestimmte Werte, Personen, Situationen unfrei fixiert ist, der verliert seine Lebendigkeit bzw. kann sie nicht gewinnen. Indifferenz heißt, immer freier werden von dem, wodurch man sich erpressen oder verführen oder lähmen lässt. Es geht nicht um eine ‚Selbst-Verleugnung‘, die ein Verrat an sich selber wäre. Es geht um eine Fähigkeit zum freien Ja und zum freien Nein und damit auch zum Verzicht, wenn es dessen bedarf. Befreiung im Gebet heißt, der eigenen inneren Wahrheit immer näher zu kommen.“[1]– Angst betrifft immer nur einen Teil von mir; selbst in der Todesangst kann ich mich noch hoffend dem Pol des lebendigen Gottes zuwenden. Der Angst gegenüber indifferent zu werden heiß einen Standpunkt einzunehmen, von dem ich alles von meiner Seite zu tun bereit bin, um sie zu entmachten, und gleichzeitig mich darauf vorzubereiten, annehmen zu können, was kommen kann und kommen wird, wenn das, wovor ich Angst habe, eintrifft. Es kann sein, dass ein Teil meines Lebens wegbricht – was mit großem Schmerz und Enttäuschung verbunden sein wird. Mein Leben kann die Angst, die ich habe – nicht: die mich hat – mir nicht nehmen!

Gebetsweisen und geistliche Übungen in Zeiten der Angst

 

  • Den „Seelennebel“ klären und aufsteigen lassen – betend dem Herrn sein Herz ausschütten (vgl. 1 Sam 1,15: Die klagende Witwe Hanna im Tempel) – Gott möge mein „Therapeut“, mein „Heiland“ sein.
  • Sich Gott mit aller Angst, allem Selbstzweifel, allen Fragen, allem Zorn und aller Niedergeschlagenheit anvertrauen, der mich – und die Angst die ich habe – von Grund auf kennt (vgl. Ps 139: „Herr, Du kennst mich, du durchschaust mich, du bist vertraut mit all meinen Wegen.“)
  • Sich selbst mit dem „Auge Gottes“ anschauen, mit seinem liebenden, mifühlenden Blick: „Das Auge, mit dem ich Gott sehe, ist dasselbe, mit dem Gott mich sieht. Mein Auge und Gottes Auge sind ein und dasselbe im Sehen, ein und dasselbe im Wissen, ein und dasselbe im Lieben“ (Meister Eckhardt). Ignatius spricht oft von der Freimütigkeit und vom Großmut, mit dem ich Gott gegenüber ins Gebet gehen soll – Wenn Meister Eckhardt  Recht hat, dann kann ich Gottes Freimütigkeit und Großmut nur in dem Maß erfahren, das ich selbst zu geben bereit bin.
  • Schmerz, der Schmerzen heilt – vor allem in Beziehungsängsten: Manche Fragen können helfen, sich von der Angst zu distanzieren: „Wie wichtig ist das, worum sich der Schmerz dreht? Hängst wirklich sozusagen das Glück des ganzen Lebens daran? Wäre der Verlust wirklich so schlimm? Soll ich noch zuwarten? Dies sind Versuche, die Situation ein wenig einzuordnen, zu relativieren, zu entdramatisieren. Freilich, irgendwann kommt man an den Punkt des Verzichtens. Kann und will ich Unmögliches hinter mir lassen? Mein Ja zu Vergebung und Versöhnung sagen? Auch wenn das Gegenüber nicht will? Wenn nicht, dann bleibe ich ohnmächtig unter der Macht dessen, der mich verletzt hat, weil ich erst glücklich bin, wenn er sich entschuldigt und Genugtuung leistet. So lange bleibe ich sein Opfer. Will ich das?“[2]
  • Christus meditierend in seiner Passion betrachten – beten bei der Figur eines „Schmerzensmannes“, meinen Schmerz in seinem Schmerz sehen – sein Vertrauen zu meinem werden lassen.

21. Juni 2018
Harald Klein, Köln

[1]Lambert, Willi (2014): Gotteskontakt. Leben und Beten mit den Exerzitien des Ignatius von Loyola, Würzburg, 69.

[2]Lambert, Willi (2014): Gotteskontakt. Leben und Beten mit den Exerzitien des Ignatius von Loyola, Würzburg, 71.